Fliehende Stürme - Berlin

27.04.2005 | 03:03

22.04.2005, K 17

"Ich möchte die Texte, die ich schreibe, nicht zerpflücken", hat Andreas Löhr einmal zu seinem Künstlerdasein bei den FLIEHENDEN STÜRMEN gesagt und hinzugefügt: "Ich finde, sie sind durchaus verständlich, sie sollen auch gefühlsmäßig verstanden werden. Ich finde es auch vollkommen in Ordnung, wenn jemand den Text auf sich projizieren kann und denkt: 'der Text spricht mich jetzt aus der und der Situation an.' Ob das jetzt 100% die Situation ist die ich mir ausgemalt habe, ist vollkommen egal." Auch an diesem Abend im Berliner K17 lässt Löhr, Texter und Komponist der Punk-Wave-Kultkombo FLIEHENDE STÜRME, sein Publikum bei der Interpretation seiner Stücke ziemlich allein und hilft wenig mit Zwischenansagen. Kaum, dass er sich überhaupt einmal nennenswert bewegt. Doch das fast völlige Fehlen jeglicher Bühnenperformance ist es vielleicht gerade, was dieses Konzert so besonders macht: auch Minimalismus kann entzücken.

Oder auch nicht. Als Vorband haben sich Löhr und seine beiden Mitstreiter SUBSTANCE OF DREAM ausgesucht. Sie beschreiben sich auf ihrer Homepage als "avantgardistischen Gitarren Wave, düsterer Post Punk mit britisch sprödem Charme und viel Gefühl und Power, Dark Wave mit Gothik Einflüssen." Dieser visionäre Anspruch verzieht sich, sobald das Trio auf der Bühne aktiv wird. Zwar betont Sänger Udo, dass sie schon seit Ende der 80er Musik machen, wenn das aber nicht auch im Internet so stehen würde, es wäre kaum zu glauben. Denn es grenzt schon fast die Bezeichnung "kultig", wie unmotiviert und lahm SUBSTANCE OF DREAM auf der Bühne wirken. Selbst einen Liedabbruch wegen einem Verspieler bekommen die Schwaben hin. Wenn sie dann 'mal ihre Instrumente in den Griff bekommen, klingt die Musik wie eine Art Gothic Rock, der entfernt an FIELDS OF THE NEPHILIM zu erinnern scheint. Der in typischer Gothic-Manier singende Udo besitzt zwar seine melodische und klare Stimme, dafür in etwa soviel Charisma wie die Bierflasche in seiner Hand. So bleibt das Publikum zumeist in respektvoller Entfernung vor der Bühne stehen, bewegen tut sich zu Stücken wie 'Prophet' oder 'Pink' kaum einer. So versucht Udo, die Fans doch noch zu animieren, kommt von der Bühne und singt eben knapp neben den Zuschauern weiter. Die Honorieren das Experiment kaum und lassen ihn abblitzen. Udo geht wieder hoch, will es anders probieren. Er findet einen großen Bühnenscheinwerfer, nimmt ihn unter die Hand und strahlt das Publikum an. Die clevere Aktion bringt ebenfalls wenig. So ertragen die Fans den Gig weiter, bis zum finalen Song - ein letztes Mal also das nervende Mono-Schlagzeug und die langweiligen Riffs aus der einen Gitarre. Das Fazit zu SUBSTANCE OF DREAM schreibt sich fast von selbst: Eine Vorband, bei der Headliner Angst haben müssen, dass ihr Publikum während des Gigs einschläft...

Das Einpennen ersparen die rund 300 Gäste im K17 den FLIEHENDEN STÜRMEN. Alles andere wäre auch ein Skandal, denn Andreas Löhr prägte die deutsche Punk-Wave-Alternative-Szene schon seit seiner frühesten Jugend. Laut Netzrecherchen gab er schon Mitte der 80er im Alter von 15 Jahren sein Abschiedskonzert bei der Deutschpunklegende CHAOS Z und gründete im Anschluss daran die FLIEHENDEN STÜRME. Die Besetzung blieb gleich, nur die Musik sollte vielschichtiger werden: zum Punk gesellten sich Wave-Elemente und zunehmend düstere Texte. Diese wohl fast einzigartige Mischung will an diesem Abend ein ganz breit gefächertes Publikum aus Edel-Punks mit genug Geld für Haarspray, deftig geschminkten Gothics, aber auch ganz normalen Metallern und Lederjackenträgern sehen. Blauer Rauch umhüllt Löhr, als er die Bühne betritt. Ein "Hallo und guten Abend" reicht, um die Show zu beginnen. Löhr bewegt sich mit seiner Gitarre kaum einen Meter vor und zurück, auch Bassist Stefan Kniel ist heute nicht in Sprintlaune. In den reinen Musikparts bleiben die Beiden etwa einen Meter entfernt von den Mikros stehen, spielen dort mit geschlossenen Augen und verträumter Miene ihre Instrumente. Gitarre und Bass entlocken sie dabei viele melancholische Melodien, die sich rockig in den punkigen Sound der FLIEHENDEN STÜRME einpassen. Dabei setzen die zwei schon etwas älter wirkenden Glatzköpfe weniger auf viele Breaks und komplizierte Strukturen, sondern auf die im besten Sinne hypnotisierende Wirkung monotoner Notengestaltung. Das Experiment gelingt an diesem Abend, etliche Leute im Publikum schließen die Augen und lassen sich seelisch fallen, erhören die markante Stimme von Löhr, sprechen und singen die bekannten Texte mit. Zum Beispiel 'Alles Falsch'...

Es ist ein abscheuliches Ereignis
Frühmorgens aufzustehen
Die eigenen leeren Augen
In kalten Spiegeln zu sehen
Verwirrend sind die Gänge
Und auch die Namen
Ich sehe nur noch Zwänge
Doch nicht woher sie einst kamen

Gedankenverlust -
Findet meist nachts statt
Ich kann keine Hilfe sein
Ich hasse es, ich habe es so satt
Ein großes orangenes Feuer
Ich sehe nichts doch ich träume davon
Keine Wärme und alles ist teuer
Und ein stetiger Misston

Vielleicht bin ich zu früh gebor'n
Oder alles ist zu spät
Diese Zeit gefällt mir nicht
Vielleicht ist dies die falsche Stadt
Oder gar das falsche Land
Dieser Ort gefällt mir nicht...


... und so weiter. Es ist eine Art Thrash-Wave-Romantik, die die FLIEHENDEN STÜRME im Raum entstehen lassen, erzeugen, entwickeln können. Tränen werden weggespült, es fließen Kräfte mit der Macht ein Herz zu brechen. 'Zwischen Liebe' kommt...

Nimm meine Augen
Und führe mich auf die andere Seite
Ich habe schon zuviel gesehen
Als das ich unterscheiden könnte
Wo ich schon war
Und wohin ich will
Manchmal fürchte ich mich wieder
Wenn ich meine Träume brennen sehe
Und du durch die Flammen weggehst
Nimm diese Gedanken von mir
Ich werde dich halten
Wenn du dich schwach fühlst
Und das Gleichgewicht verlierst
Vertraue mir, ich lasse dich nicht fallen
Du hast mich stark und tapfer gemacht
Doch manchmal fürchte ich mich wieder
Wenn ich meine Träume brennen sehe
Und du durch die Flammen weggehst
Nimm diese Gedanken von mir
Du hast die Macht
Mein Herz in Stücke zu reißen
Oder meine Seele wiederzubeleben
Hülle mich ein
Und wärme mich
Ich habe mich schon so kalt gefühlt


Kitsch oder Kunst? Die Musik zu solchen Texten lebt von der Mischung aus Punk-Drei-Akkord und dem eher monotonen Schlagzeug, das den meist schnellen Rhythmus vorgibt. Trotz der Geschwindigkeit überwiegen im Sound sentimental-melancholische Gefühle. Das Publikum jubelt nach jedem Song, nur während der Lieder passiert auch kurz vor der Bühne wenig, nix Pogo oder so. Andreas Löhr und seine Musiker stört das nicht, sie ziehen ihr Set ohne mit der Wimper zu zucken durch - sich der eigenen Präsenz bewusst, verzichten sie bis zum Ende auf Fan-Anfeuerungen jeder Art. Spätestens im Zugabenteil sind auch keine mehr nötig. Da kommt zum Beispiel 'Satellit', einer der großen Bandklassiker. Am Ende sind fast zwei Stunden vergangen, knapp 120 Minuten eingetaucht in Nebel mit Patchouli-Geruch, schwebend zwischen zynischer Depression und kraftvoller Zuversicht, pendelnd zwischen Härte und Gefühl, kalt und heiß, a und b... Beeindruckend.

"Satellit"
Die Uhr schlägt einsam ins Leere
Herzen sind schwer
Die Engel sind am Verlieren
Zu beten lohnt sich nicht mehr
Einer steht auf dem Dach
Schreit wirre Reden hinaus
Verbeugt sich tief und schweigt dann
Der Regen spendet Appplaus

Umkreisen und warten
Der Stachel sitzt tief
Erlebe Tage und Nächte
Ohne jeden Unterschied
Straßen ziehen sich wie Narben
Endlos durch die Stadt
Fahles Licht, blasse Farben
Und hin und wieder der Mond

Ich bin ein Satellit
Bleibe niemals steh'n
Umkreisen und warten
Quelle der Manie
Ich bin ein Satellit
Der nicht näher kommt
Nur betrunkene Sehnsucht
Und hin und wieder der Mond.

Redakteur:
Henri Kramer

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