Flying Colors - Köln

08.10.2012 | 19:24

17.09.2012, Gloria

Die All-Star-Band gibt sich in Köln die Ehre.

Der bunte Haufen FLYING COLORS gibt sich in Köln zum letzten Mal die Ehre auf deutschem Boden und bittet ins Gloria. Das ist auch eine halbe Stunde vor Beginn prall gefüllt und es versuchen Männlein und Weiblein jeder Altersgruppe einen Platz möglichst weit vorne zu ergattern.

 

Als dann um acht Uhr der Vorhang fällt, beackern BEARDFISH zunächst die Bühne. Viele im Publikum kennen die Band gut, so dass es Rikard und seinen Mannen leicht fällt, für gute Stimmung zu sorgen. Auf den paar Metern Bühne, die für den Support übrig geblieben sind, geben die vier alles, um das Publikum richtig anzuheizen. Entgegen der Erwartungen gibt es nur wenig vom aktuellen Album "The Void" zu hören, was die älteren Songs natürlich nicht schlechter macht. Im spärlichen Licht taucht Gitarrist David leider fast komplett unter, an seinem filigranen Gitarrenspiel ändert das freilich nichts. Die Schweden sind live eine echte Nummer und eine gute Wahl für das Vorprogramm.

 

Auch wenn es für BEARDFISH deutlich mehr als Höflichkeitsapplaus gibt, ist klar, für welche Musiker die Tickets gekauft wurden. Jeden Tag sieht man einen Steve Morse und Mike Portnoy schließlich nicht auf der Bühne. Wenn dann noch Neal Morse, Dave LaRue und Case McPherson dazukommen, darf man ohne schlechtes Gewissen von einer Supergroup sprechen. FLYING COLORS beginnen wie auf ihrem Album mit 'Blue Ocean', die Live-Umsetzung gelingt wie bei allen folgenden Titeln perfekt. Insbesondere der Rhythmus-Verbund (Portnoy, LaRue) knackt unglaublich genau und breitet einen roten Groove-Teppich für Vocals, Lead-Gitarren und Keyboard-Fills aus.

 

Eine Verschnaufpause gibt es unterdes für die Fans nicht. 'Shoulda Coulda Woulda' wird genau so wie 'Love Is What I'm Waiting For' aus jeder Kehle mitgesungen und abgefeiert. Auch beim Stress im Fotograben ist die Spannung in der Luft jederzeit zu spüren, die enthusiastischen Fans können endlich beweisen, dass sie jede Note des Debüts kennen und der Allstar-Fünfer auf der Bühne gibt sich mit keinem Plektrumschlag, keiner gesungenen Note die Blöße. Denn neben den perfekt dargebotenen Songs machen auch die oft eingestreuten Solo-Spots und Jam-Parts mächtig Laune. Live-Musik per excellence.

 

Ein kleines Problem hat eine Band allerdings, wenn nur ein Album den Back-Katalog ziert. Aber das wird zum Glück nicht so gelöst, wie von Drummer Mike Portnoy scherzhaft angekündigt: "You know we've got one album, so the setlist is about 45 minutes!" Statt dessen werden Songs der beteiligten Mucker "gecovert". Und zwar passen die so gut in den Sound dieser Rock-Pop-Prog-Melange, dass manch ein Genre-Neuling die andere Abstammung des Materials gar nicht erst bemerkt. Den Auftakt dazu bildet 'Can't Find A Way' von Lead-Vocalist McPherson. Auch wenn hier die breite Masse nicht mitsingt, gibt es danach mächtig Applaus. Spannungsloch? Fehlanzeige.

 

Wirklich Gelegenheit, das soeben gehörte zu verarbeiten, hat man eh nicht. 'The Storm' entpuppt sich als eine der stärksten Nummern an diesem Abend, was bei einem so genialen Konzert schon eine Hausnummer ist. Insbesondere Basser Dave LaRue (DIXIE DREGS/STEVE MORSE BAND) sprüht nur so vor Spielfreude und Euphorie und wird mehr abgefeiert als Gitarrenlegende Steve Morse. Wer seinen Bass mit diesem Maß an Spielfertigkeit, Gefühl und Bühnenpräsenz malträtiert, gehört zu den ganz großen seines Metiers. Ganz gleich ob beim folgenden 'Odyssey' (DIXIE-DREGS-Cover) oder dem Bass-Solo in 'Forever In A Daze': ich habe selten einen so souveränen und lustvoll aufspielenden Bassmann gesehen. Mehr Rampenlicht für einen Tieftöner geht einfach nicht!

 

Musikalisch auf ebenso schwindelerregendem Niveau und doch gänzlich anders von der Stimmung her geht es vom Uptempo-Abräumer zur Gitarrenballade und Vocal-Spotlight. Casey McPherson covert den Gassenhauer 'Halleluja' mit so viel Hingabe, dass sich nicht für eine Milisekunde die Frage stellt, ob der Song bei einer FLYING-COLORS-Show richtig aufgehoben ist. Wer dem Timbre und der Artikulationsweise des ALPHA-REV-Fronters auf der Debüt-CD noch nicht total verfallen ist, kann spätestens jetzt seine Begeisterung nicht mehr verbergen. Diese Darbietung entschädigt für jedes einzige Mal, wenn der Leonard-Cohen-Song in der Jeff-Buckley-Version von einem miesen Amateursänger bei einer Casting-Show entwürdigt wird.

 

Der nächste Block mit FLYING-COLORS-Originalen wird von 'Better Than Walking Away' eröffnet, dass emotional

wunderbar an die vorherrschende Gänsehautstimmung anknüpft. 'Kayla' und 'Fool In My Heart' werden ebenso von hunderten Kehlen angestimmt und lassen keine Zweifel an der Klasse des Songmaterials aufkommen. Bei letzterem übernimmt wie auf Platte Drummer Mike Portnoy die Lead-Vocals, Neal Morse habe ihn dazu angestiftet. Er kann sich jedenfalls auf die Unterstützung des Publikums verlassen, die er bei einer seiner zahlreichen Ansagen einfordert.

 

Als nächster Song folgt ein für mich als DREAM-THEATER-Anhänger schwerer Brocken: 'Repentance' vom neunten Longplayer der New Yorker Prog-Ikonen wird dargeboten. Hintergrund: nach überwundener Alkoholsucht schrieb Portnoy fünf Songs, die symbolisch für sein Durchlaufen des zwölf-Schritte-Entzugs der Anonymen Alkoholiker stehen. Was auf

"Systematic Chaos" nie wirklich über den Status eines Lückenfüllers hinaus kam, wurde von seiner ehemaligen Hauptband nie live aufgeführt. Auch ich empfand ausgerechnet diesen Song im Vorfeld der Show als - gelinde gesagt - suboptimale Wahl. Doch was die Herren auf der Bühne fabrizieren, überzeugt mich zumindest ein Stück weit. Zum einen, weil auch 'Repentance' sich nahtlos in die Riege der Songs einreiht und zweitens, weil mir meine Verbundenheit mit den Prä-Mangini-DREAM-THEATER keine andere Wahl lässt. Einziger Minuspunkt hierbei: Steve Morse ist ein begnadeter Klampfer, doch die knappen Petrucci-Soloeinlagen klingen nicht gerade überzeugend.

 

Ein letztes Cover steht an und damit auch mehr Rampenlicht für Neal Morse, der sich eine tolle Ballade seiner früheren Band SPOCK' S BEARD ausgesucht hat. 'June' ist toll, der Anblick des damaligen Frontmanns beim Singen ebendessen ebenso. Runde Sache, doch das war auch das letzte Cover. Mit 'All Falls Down' und 'Everything Changes' wird noch einmal zum großen Schlussspurt angesetzt, wobei die Besucher im Kölner Gloria sicher noch stundenlang durchhalten würden. Die obligatorischen "We want more"-Bekundungen werden schließlich mit dem grandiosen 'Infinite Fire' honoriert, das noch einmal alle Musiker zu Bestform auflaufen lässt. Als dann Herr Portnoy zum finalen Beckenschlag ansetzt, wird man sich der Tatsache bewusst, bei etwas ganz besonderem dabei gewesen zu sein.

 

Erschöpft, euphorisch und gierig auf gute Musik wird man hier zurückgelassen. Die Ankündigung einer Filmaufnahme des anstehenden Tillburg-Gigs lässt den Abschiedsschmerz zwar etwas lindern, kompensieren lässt er sich allerdings nicht. Dazu waren FLYING COLORS auf der Bühne einfach viel zu gut. Ob der Zeitplan dieser fünf Aktivposten erneute Tour- oder Studioaktivitäten zulassen wird? Wir wissen es nicht. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt!

Redakteur:
Nils Macher
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