Fuck The Commerce X - Altes Lager (Jüterbog)

01.06.2007 | 09:00

17.05.2007, Flugplatz

Samstag, 19. Mai 2007

Am letzten Tag verrät der morgendliche Geruch im Partyzelt, dass die vorherige Nacht ausschweifend und feucht-fröhlich gewesen sein muss. Der eine oder andere Redakteur hat wohl bis in späten Morgenstunden gefeiert und braucht erst mal eine Runde Schlaf. Allerdings, das zeigt sich an Tag drei dann doch, ist trotz der geilen Headliner viel Durchschnittskost unter den auftretenden Bands.

PITCHBLACK aus Dänemark sind da so ein Beispiel: Recht melodiöser Death Metal, der aber nicht nachhaltig in der Erinnerung verharrt. Bei INCUBATOR wiederum durfte man zumindest im Vorfeld gespannt sein: Haben sich die Herren doch einen Ruf erworben, sehr geschickt Death Metal mit Techno-Anteilen zu mixen. Nur leider ist davon bei ihrer Show nicht viel zu merken: Braver Todesblei ist das Ergebnis. Etwas stärker sind da noch TOURETTE SYNDROM. Die Jungs haben sich ja nach einer neuropsychiatrischen Erkrankung benannt, die durch das Auftreten von so genannten Ticks charakterisiert ist. Dabei handelt es sich um unwillkürliche, rasche, meistens plötzlich einschießende und mitunter sehr heftige Bewegungen, die immer wieder in gleicher Weise einzeln oder serienartig auftreten können. So ähnlich klingt auch die Musik: Techno meets Death Metal, abgehackt, manchmal industriell kalt gespielt. Allerdings fallen TOURETTE SYNDROM im Vergleich zu mutmaßlichen Vorbildern wie ATARI TEENAGE RIOT doch ab - so wütend sind sie dann doch nicht. Auch das Bärchen-Kostüm eines der beiden Gitarristen macht klar: Eher eine Fun-Band, aber zum hintergründigen Hören ganz nett.

Danach macht sich ein kleiner, aber unvermeidlicher Makel bei schönem Wetter bemerkbar: Es ist zu warm und echte Schattenplätze sind so selten wie begehrt. Wo es sich bei dem Festival allerdings ganz gut schlafen lässt: am Hot-Dog-Stand, direkt dahinter ... so bleiben BLOOD BASTARD nur als nettes Hintergrundgeräusch im Kopf, DARKSIDE aus Österreich mit ihrem Death Metal ebenso. Und auch SANATORIUM aus Tschechien gibt es noch.
[Henri Kramer]

Nach dem Intro mit slowakischem HipHop notiert ein ausgewiesener Experte zu den "Obscene Extreme"-Festival-Dauergästen SANATORIUM: "Stellenweise sehr verquiekt, aber auch grunzig". Dies trifft sowohl auf 'Violent Intercourse', 'Internal Womb Cannibalism' als auch 'Postmortal Gorephobia' zu.
[Gretha Breuer]

Das gemeinsame Merkmal all dieser Bands: Ihre extreme Art zwischen Death und Grindcore ist nicht schlecht - aber reißt jetzt eben auch nicht so vom Hocker. So sind vor der Bühne immer überschaubare Gruppen von Besuchern zu sehen, der Rest der Metal-Belegschaft verbringt seine Zeit beim entspannten Trinken.

Erst wieder richtig abgefahren wird es bei CUNTGRINDER, die das Gelände anscheinend in einen Porno-Rausch stürzen wollen. Zumindest machen die verwendeten Intros - viel Frauengestöhne - diesen Eindruck. Die Musik dazu klingt vor allem nach Grindcore, der ab und an durch einige Moshparts aufgelockert wird. Zwei Sänger haben CUNTGRINDER auch noch im Gepäck, einer allerdings sichtlich angetrunken. Ebenso hat ihr Schlagzeuger ein Handicap, weil er sich am Montag vor dem Festival seinen Fuß derbe wehgetan hat. Trotzdem hält er durch und kann solche Songs wie 'Bloody Cuntfuck' gebührend unterstützen. Ob allerdings das sexistische Grundkonzept nun jedem gefällt? Zumindest beim FTC teilen sich die Reaktionen im Publikum in überschwängliches Gefeiere und ablehnende "Was für ein Rotz"-Kommentare. Und irgendwie bleibt das Gefühl im Raum stehen, dass die Band nicht solch ein hohes geistiges Potential besitzt, als dsas ihr Image mit einer absolut überzogenen Art von Satire erklärbar wäre.

Eher einer Meinung sind da die Fans bei SINNERS BLEED: Die Berliner liefern nämlich einen grundsoliden Gig ab. Die technisch beschlagenen Hauptstädter haben ihr Stammpublikum dabei, liegt ihre Heimat ja auch gleich um die Ecke. Außerdem sind Songs wie 'From Womb To Tomb' oder 'Daemons' immer noch Stücke, wie sie so die deutsche Death-Metal-Gemeinde noch nicht gehört hat. Allerdings gibt es auch bei SINNERS BLEED Schatten: Denn langsam sollten sie mit einem neuen Album einmal wirklich ernst machen, weil die alten Songs von "From Womb To Tomb" nun schon jeder oft genug gehört hat. Außerdem ist noch völlig unklar, wer in Zukunft bei ihnen grunzen wird. Beim FTC ist zumindest noch der aktuelle Frontmann Jan Geidner dabei, der die Band allerdings aus persönlichen Gründen verlassen will. Mit einem Aufruf auf ihrer Homepage suchen SINNERS BLEED deshalb einen neuen Vokalisten - der allerdings wirklich gut sein muss, will er an die voller Energie steckende Bühnenperformance von Mr. Geidner heranreichen. Wir werden sehen ... und SINNERS BLEED auch, die trotz all dieser Problemchen den bis dato besten Gig des Tages spielen. Danach ist das Publikum wieder arg gespalten: "Wir sind die Band mit dem komischen Namen" tönt es von der Bühne.

Die JAPANISCHEN KAMPFHÖRSPIELE sind nicht jedermanns Sache. Das liegt auch an den Ansagen des Sängers. Der verblüfft mit solchen Erkenntnissen wie dass die Fans nun alles "überstanden hätten", drei Tage mit "Sonne, Sonne und Sonne": Über die Hagelschauer vom Donnerstag redet er dabei aber nicht. Außerdem ist es ein wenig penetrant, ständig auf das eigene Merchandise hinzuweisen oder versuchsweise komisch zu erklären, dass das Wort "jawohl" für ein "ja" besser geeignet sei als ein englisches "yeah". Anderen gefällt die Musik allerdings, der Platz vor der Bühne ist gut gefüllt.
[Henri Kramer]

"Penetrant"? Pah! Den charmanten Werbetexten des Sängers ("Alles für zehn Euro!") kann man kaum widerstehen. Eine CD zu kaufen ist da genau die richtige Entscheidung, denn wie lustig die Texte wirklich sind ("Zieh die Jacke falsch rum an!"), erschließt sich in manchen Fällen doch erst nach Studium des hübschen Beilagenbüchleins. Während des Konzertes muss man ja hauptsächlich tanzen. Die eloquent vorgetragenen lyrischen Kostbarkeiten gehen im Gegrowle der beiden Sänger leider etwas unter. Ein Stein im Brett haben JaKa (so die offizielle Kurzform) bei mir, weil sie einen Konzertbesucher direkt ansprechen, der mit seinem unmissverständlich schwulenfeindlichen T-Shirt den meisten Leuten auf diesem Festival extrem negativ aufgefallen ist: Für "Du kannst nach Hause gehen, du hohle Nuss!" ernten JaKa extra euphorischen Applaus. Grindcore mit anspruchsvollem Humor? Geht doch!
[Thomas Mellenthin]

Das Gegenkonzept zu solchen Spaßbands heißt an diesem Tag VITAL REMAINS. Was die Amis abliefern, lässt sich nur als Killershow beschreiben. Vor allem Dave Suzuki fällt auf: Der Typ an der Gitarre hat einen dermaßen finsteren Blick, dass jeder froh sein kann, dass dieser Kunde sich über seine Musik abreagiert. Und fällt eigentlich jemand auf, dass ihr Frontmann Glen Benton nicht mit dabei ist? Nein. Denn VITAL REMAINS haben einen jungen Mann mitgebracht, wie sie anscheinend in Florida in jeder Ecke herumliegen: Der Typ brüllt mit einer Stimme, als wolle er die Hölle selbst zum Einsturz bringen. Wie bei allen Bands ist der Sound zu diesem Gemetzel unglaublich gut, solche Genauigkeit in der Abstimmung hat das FTC in den Jahren zuvor nicht erlebt. So werden bestimmte Stellen während des Auftritts von VITAL REMAINS einfach nur magisch: Etwa erst die bekannte Carmina-Burana-Melodie, dann ein Kracher wie 'I Am God'. Umwerfend, kraftvoll. Satanischer lässt sich Death Metal kaum noch spielen. Die Fans, die VITAL REMAINS dieses Jahr noch auf dem Wacken Open Air erleben dürfen, können sich schon einmal warm anziehen. Und mit etwas Glück und viel Durchsetzungsvermögen haben sie dann wie beim FTC noch ein T-Shirt mehr in ihrer Kollektion: Denn so böse sich VITAL REMAINS geben, haben sie doch auch ein paar Pullis für ihre Fans mitgebracht, die sie wahllos in die Massen werfen. Dazu tritt noch ein Feuerspucker auf, der die ersten Reihen fast ankokelt. Sehr hoher Unterhaltungswert - wie das gesamte Festival.

Mit diesen drei Tagen hat sich das FTC für all seine Pannen der letzten Jahre rehabilitiert. Das zeigen die enthusiastischen Kommentare zur Qualität des Festivals im Online-Gästebuch des Open Airs, in denen unter anderem die traumhaften Toiletten gerühmt werden. Und bange Fragen sich breit machen: Gibt es nächstes Jahr noch ein FTC, wenn jetzt so wenig Leute da waren? Die Veranstalter zumindest geben sich optimistisch. "Die ersten Bookingkontakte für 2008 sind auf jeden Fall schon in Arbeit, die ein oder andere Band ist angefragt und kontaktet. So richtig loslegen werden wir aber erst im Juli. Wir hatten für das zehnte FTC nur acht Monate Zeit, es mussten viele Grundsteine neu gelegt werden. Aber wir haben das ganz gut hinbekommen. Nun haben wir ein ganzes Jahr Vorbereitungszeit und können auf einer gewissen Basis weiter aufbauen, da kann man ein wenig ruhiger arbeiten als in den letzten Monaten", sagt Stephanie Neumann, eine der Mitorganisatoren des Berliner K17. Und mit genügend Gerede und viel Werbung vorher sollten wohl wieder mehr Fans den Weg nach Jüterbog finden. Vielleicht spielen dann ja auch ein paar mehr Bands aus Ländern wie Schweden, der Abwechslung wegen. Doch dies nur am Rande. Auf jeden Fall aber kann man nach diesen Tagen sagen: FTC, da geht wieder was!
[Henri Kramer]

Beim FTC ließen für euch aus vielen Bechern die Luft heraus: Gretha Breuer, Thomas Fritzsch, Hendryk Beyer, Thomas Mellenthin und Henri Kramer. Vielen Dank für die Hilfe!

Redakteur:
Henri Kramer

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