Grave Digger - München

02.02.2009 | 13:50

26.01.2009, Backstage

Der Heavy-Metal-Breakdown in München. Dazu werden serviert: die Rocktrolle von TALETELLERS und ALESTORM, die Piraten aus der schottischen Karibik.

Nach dem netten Interview mit Chris "Uncle Reaper" Boltendahl von GRAVE DIGGER geht's nach einem kurzen Essexkurs zurück in die Halle, wo sich schon eine recht ansehnliche Zahl Metalheads eingefunden hat. Der Merchandise-Stand in der kleineren Backstagehalle wird ebenso wie die Bierbar belagert; die Freude auf das anschließende Heavy-Metal-Konzert steht den Anwesenden förmlich ins Gesicht geschrieben. Auch die Bühne selbst hat schon eine kleine Schar recht ähnlich gekleideter Fans angezogen, welche die Position über den gesamten Abend hinweg gegen jegliche Expansionsversuche zu verteidigen wissen. Na, da können sich so manche Zwergenheere noch 'ne Scheibe abschneiden.

Pünktlich um acht entert eine vierköpfige Schar interessant aussehender Rocktrolle die Bühne und stellt sich als die Band TALETELLERS vor. Vor allem der Bassist kommt irgendwie direkt von der Lumberjack-Weltmeisterschaft '09 und überzeugt am ehesten durch seine Hardcore-Attitüde als durch songdienliches Bass-Fuhrwerken. Insgesamt ist das, was die Herren aus Saarbrücken da auf die Bühne bringen, alles andere als hörenswert. Die Frage, warum so eine Amateurband auf eine Tour mit GRAVE DIGGER und ALESTORM geschickt wird, bleibt verständnislos unbeantwortet. Dabei haben die Songs zumindest zeitweise durchaus Potenzial, denn das Spektrum geht von härterem Rock bis metallisch verklärtem Punk. Nur sollte sich der Sänger vielleicht mehr aufs Gitarrespielen konzentrieren und seine simplen Shouts denjenigen des Fachs überlassen, die das wirklich können. Interessanterweise kommt der Sound im Auditorium aber dennoch relativ gut an, und zumindest die jugendlichen Nachwuchsfans werfen ihre kurzen Ponyfransen von links nach rechts.

'King Of Death', 'Götterdämmerung' und 'Bad Motherfucker' zeigen, dass tatsächlich noch nicht alles verloren ist und sich die Band in Zukunft hoffentlich ein wenig von Allerweltsmelodien, Pro-forma-Soli und "Marmor, Stein und Eisen bricht"-Rhythmen emanzipieren kann. Fazit nach einer viel zu langen halben Stunde: Egal, wie scheiße eine Band ist: Wenn die richtigen Leute vor der Bühne stehen, wird selbst das zur Offenbarung.

Um zehn vor neun kommen nun die schottischen Piraten von ALESTORM zum Zuge, und wir sind gespannt, ob sich die von Chris geäußerte Kritik bezüglich des Alkoholkonsums und der daraus resultierenden mangelhaften Bühnenpräsenz tatsächlich bewahrheitet. Und in der Tat: Im Gegensatz zu dem Auftritt von vor knapp zwei Monaten in der Halle gegenüber erwartet uns zwar auf der einen Seite ein Qualitätssprung von knapp 400 Prozent im Vergleich zu den Vorgängern auf der Bühne, richtige Energie und Power fehlen den Jungs an diesem Abend aber vorerst. Am auffallendsten ist dabei Gitarrist Dani Evans, der einige Songs braucht, bis er auch geistig in München angekommen ist. Bitte, versteht mich nicht falsch, ALESTORM sind total sympathisch, die Songs einfach, aber dafür auf den Punkt gespielt und die Reaktionen des Publikums wie immer bei den Schotten herzallerliebst und überbordend. Doch vollständig kann der viel bemühte Funke nicht überspringen. Ob das am Alkoholgenuss, der Länge der Tour oder anderen Dingen liegen mag, sei dahingestellt. Doch das tolle an der ganzen Geschichte ist, dass die frischgebackenen Superpiraten das richtige Maß an Professionalität auf die Bühne bringen, um dennoch das Beste aus dem Abend und der eigenen Konstitution herauszuholen.

Handfeste Probleme hat Sänger Christopher Bowes mit seinem mobilen Keyboard, das er immer wieder hektisch ausschütteln muss. Das hindert die Jungs allerdings nicht, mit 'The Arriving', 'The Huntmaster' oder 'Wenches And Mead' alles zu geben. Woran die Matrosen noch zu arbeiten haben, ist meines Erachtens nach die Umsetzung der Soli auf der Gitarre, da hier einfach die Basis im Riffing fehlt, welche der Bass nur unwesentlich ausfüllen kann. So entsteht dabei immer wieder ein Loch, das die Songs in mehrere Teile reißt. Die Ansagen kommen dagegen in gewohnt witzigen Manier und zumindest die zahlreichen jüngeren Fans fressen den schottischen Hobbits aus der Hand.

'Set Sail And Conquer' und 'Wenches And Mead' zeigen, dass man sich nicht nur im Thema bei Rock'n'Rolfs RUNNING WILD bedient hat, sondern auch musikalische Anleihen verwendet. Das unterstützt die Live-Tauglichkeit der Songs zwar immens, zeigt mir aber auch, dass ich mit ALESTORM auf Platte wohl nie richtig warm werde.

Beim letzten Song des Biersturms, dem unvermeidlichen 'Captain Morgan's Revenge', werden noch einmal alle Reserven mobilisiert, und es wird sowohl auf als auch vor der Bühne ordentlich gefeiert. Auch die älteren Semester können sich nach einer gewissen Skepsis durchaus mit den modernen Piratenliedern anfreunden, und somit kommt der Auftritt zu einem versöhnlichen Ende.

Was dann folgt, ist der absolute Wahnsinn. Zum einen bewegt sich die anwesende Meute kollektiv zuerst zum Bierstand, um dann die Luft vor der Bühne mit menschlicher Substanz zu kontaminieren. Und zum anderen? Na was wohl? Angeleitet durch den verhüllten H. P. Katzenburg steigen GRAVE DIGGER auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Sollte irgendjemand Zweifel haben, dass die neueste Scheibe "Ballads Of A Hangman" auch live ankommt, so werden sie mit den ersten passgerecht mitgegrölten Tönen von 'Ballad Of A Hangman' in Grund und Boden gestampft. Beim anschließenden 'Valhalla' wird klar, dass sich die DIGGER heute mitnichten in den Songs der letzten Alben bewegen werden, sondern wie in erwähntem Fall auch etwas weiter zurück in die Geschichte der Band wandern. Gut, 2003 ist jetzt vielleicht nicht der weiteste Schritt zurück, aber Songs wie 'Wedding Day' oder 'Witchhunter' graben doch ein bisschen tiefer in der Vergangenheit der Gladbecker herum.

Die Herren um Chris "Bolle" Boltendahl versprühen ihren gewohnten Charme, sind supergut drauf und feuern eine Rakete nach der anderen in die dankbare Menge ab. Die Halle ist mittlerweile relativ voll, wobei es die Leute natürlich am stärksten vor die Bühne treibt. Dementsprechend heiß ist es und geht es vorne gut ab. Erwähntem Boltendahl kann man mit seinen fast dreißig Jahren Bühnenerfahrung so schnell natürlich nichts mehr vormachen, und so er hat die Leute von der ersten Minute an in der Hand. Seien es die sympathischen Ansagen oder der großartige Gesang – die Leute sind entzückt, fasziniert und in absoluter Feierlaune.

Trotz der erwähnten Griffe in die Vergangenheit kommen natürlich auch einige Songs der aktuellen Scheibe zum Zuge, und so werden 'Hell Of Disillusion' und 'Stormrider' frenetisch aufgenommen, mitgesungen und so auch offiziell in den DIGGER-Olymp aufgenommen. Zum Thema aufgenommen: Thilo Hermann, just hinzugekommener Gitarrist, hat sich verdammt gut eingelebt, und man könnte fast meinen, dass er da schon immer auf der Bühne mit den Jungs stand. Dem Sound tut es allemal gut. Die Fans scheinen sich auf jeden Fall über den Zugang zu freuen und bejubeln bei der Bandvorstellung jeden Helden gleichermaßen. Na ja, fast. Denn Manni Schmidt hat die Leute doch mit seiner zurückhaltend-sympathischen Art ein wenig mehr auf seiner Seite, was ihm aber absolut niemand übel nehmen kann. Mit der Frage "Könnt ihr denn überhaupt noch?" und einer Reaktion à la "Ähm ... NATÜRLICH!" wird ein wunderbares 'Last Supper' auf die Bühne gezaubert und mit 'The House' auch Jens Becker die Chance gegeben, ein wenig in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken.

Der auf dem Boden liegenden Setlist ist zu entnehmen, dass die Jungs in anderen Städten Pyros für ihre Show einsetzen, was in München leider mal wieder verboten ist. Doch wenn man es sich recht überlegt, ist es noch viel besser, dass dieser Abend auch gänzlich ohne Firlefanz immer näher an den perfekten Konzertabend rückt. Kaum wahrnehmend, wie die Zeit vergeht, und völlig im Rausch einer supertighten, arschgeilen und routiniert großartigen Performance aufgehend, kommt schon der Zugabenblock, zu dem sich die Jungs nicht lange bitten lassen müssen. 'The Reaper', eingeleitet durch ein atmosphärisches Intro, 'Pray' und 'Heavy Metal Breakdown' beenden einen Gig, der nicht nur für lange Zeit im Gedächtnis bleiben wird, sondern auch mit dem Verklingen der letzten Noten die Vorfreude auf die nächste derartige Aktion in ungeahnte Höhen treibt.

Im Strom der ekstatischen Fans schwimmend, die die Halle verlassen, lassen sich die Gedanken zu einem kurzen Resümee ordnen. TALETELLERS am Beginn des Abends stellen die Position bzw. Berechtigung der unbekannten Vorband mal wieder ganz schön stark in Frage und erhöhen die Motivation, das nächste Mal gleich ein bisschen später in die Halle zu kommen. Zu amateurhaft, zu unstrukturiert, zu unentschieden war die Musik der Herren. Die anschließenden ALESTORM werfen die Frage auf, ob manchmal ein bisschen weniger (Alkohol) nicht ein wenig mehr (Tightness, Qualität, Präsenz) ergibt. Aber gut, vielleicht haben die Herren auch nur einen schlechten Tag erwischt. Fakt ist auf jeden Fall, dass sie sich mit der Zeit zusammengerissen haben und im Verlauf des Auftritts einen ordentlichen Qualitätssprung hingelegt haben. Die Sieger des Abends sind, wie kaum anders zu erwarten gewesen, natürlich die Altmeister des Teutonenstahls, die mit jeder Faser ihres Körpers einen engagierten Gig hingelegt haben, der die Jungspunde mal wieder klar in ihrer Schranken verwies. Der Auftritt war toll, ein wahrer Traum und stellte genau das dar, was Heavy Metal sein soll: Energie, Power, die voll auf die Zwölf geht. Für alle, die meinen, der Gig wäre zu kurz gewesen: Leute, man soll aufhören, wenn's am schönsten ist. In diesem Sinne ...

Setlist GRAVE DIGGER:
Ballad Of A Hangman
Valhalla
Hell Of Disillusion
Wedding Day
Witch Hunter
Lionheart
Silent Revolution
Stormrider
The Last Supper
Headbanging Man
The House
Knights Of The Cross
My Blood Will Live Forever
In The Dark Of The Sun
Excalibur
Rebellion
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The Reaper
Pray
Heavy Metal Breakdown

Redakteur:
Julian Rohrer

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