HELLOWEEN - Pumpkins United - Stuttgart

26.11.2017 | 13:43

11.11.2017, Porsche-Arena

HELLOWEEN - alte und neue Kürbisse vereint auf großer Tour

Manche Ereignisse gelten als ähnlich unwahrscheinlich wie das sprichwörtliche Zufrieren der Hölle, und wenn ihr euch seit langen Jahren im orangefarbenen Paralleluniversum der Kürbisse herumtreibt, dann dürfte euch die nun im vollen Gange befindliche "Pumpkins United"-Tour von HELLOWEEN bald ein Vierteljahrhundert lang als ein solch unwahrscheinliches Ereignis gegolten haben. Zu weit schien sich Michael Kiske von der Metalszene insgesamt, ganz besonders aber auch von seinen ex-Bandkollegen entfremdet zu haben, zu tief schien auch in Fankreisen der Graben zwischen jenen zu sein, die immer nur "Kiske & Keeper" gelten ließen und jenen, welche die Inkarnation der Band mit Andi Deris gleichermaßen schätzten oder sogar vorzogen. Die Fronten wirkten bisweilen sehr verhärtet, die Fraktionen unversöhnlich, doch manchmal, ja manchmal geschehen dann doch Zeichen und Wunder, und letztlich wurde der beharrliche Ruf vieler Anhänger dann doch erhört, der sehnlichste Wunsch des unbetreitbar größten Teils der HELLOWEEN-Fangemeinde, zumindest noch einmal im Leben ein Klassikerprogramm der Band zusammen mit den verlorenen Söhnen Michael Kiske und Kai Hansen live auf den Bühnen dieser Welt zu sehen.

Auf Grund der doch sehr unterschiedlichen Präferenzen der eigenen Fangemeinde, musste das Programm der Tour natürlich sehr sorgfältig konzipiert werden, und es gibt nur wenige Kürbiskenner, die nicht mit riesiger Spannung darauf gewartet hätten, zu sehen und zu hören wie das aktuelle Line-up bestehend aus den Gründungsmitgliedern Michael Weikath und Markus Großkopf, sowie Sänger Andi Deris, Schlagzeuger Dani Löble und Gitarrist Sascha Gerstner, denn nun mit den Heimkehrern Kai Hansen und Michael Kiske harmonieren würde, und vor allem, ob und wie es die siebenköpfige Band schaffen würde, ein stimmiges Set aus Klassikern und aktuellen Songs zusammenzuschrauben, das allen drei Sängern angemessenen Raum geben würde, sich den Fans zu präsentieren, ohne dass die ganze Sache nachher in ein Gefeilsche um Bühnenminuten und die obligatorische Folgediskussion, wer denn nun der Bessere gewesen sei, ausarten würde. Ja, die Spannung im Vorfeld ist riesig, und so machen auch wir uns aus unserem Refugium in den oberschwäbischen Holzstöcken mit unserer knapp zwanzig Mann starken Reisegruppe auf in Richtung Landeshauptstadt Stuttgart, wo die Porsche-Arena bereits prall gefüllt ist und ein riesiger dunkler Vorhang verheißungsvoll die Bühne verhüllt - in dem einen oder anderen sozialen Medium in den Minuten vor dem Startschuss bestimmt eines der meistgeposteten Bildchen, denn wer will nicht die Vorfreude mit der Welt teilen?

Die Atmosphäre in der Halle knistert dementsprechend auch vor freudiger Anspannung, das Licht geht aus und als Intro erklingt Robbie Williams' 'Let Me Entertain You', bevor der Vorhang fällt und eine opulent ausstaffierte Bühne mit allerlei Kürbisgemüse und einer riesigen Videowand offenbart, die den ganzen Abend über eine gewichtige Rolle spielen wird. Dann stürmen sowohl Andi Deris als auch Michael Kiske die Bühne und liefern sich beim großartigen Opener 'Halloween' ein überragendes Duett, ebenso wie auch bei der folgenden Stimmungskanone 'Dr. Stein', die natürlich von der ganzen Halle gut gelaunt mitgesungen wird. Auf der Videowand laufen derweil während der Stücke durchaus eindrucksvolle animierte Illustrationen zum jeweiligen Song oder auch Ausschnitte aus den alten Videoclips und dergleichen mehr, während uns zwischen zwei Songs jeweils die Herren Seth und Doc - zwei große, hässliche, preisreduzierte Kürbisse - mit einer Slotmachine und allerlei Schabernack auf die nächste Nummer vorbereiten. Natürlich hat das ein bisschen was von Kirmes und Kasperltheater, doch HELLOWEEN war immer eine humorige Band, der gute Laune wichtiger war als allzu viel metallische Ernsthaftigkeit, und so passt das Spielchen mit den Cartoonfiguren perfekt ins Gesamtbild.

Nachdem das Eröffnungsdoppel überzeugend die Einheit der Band und die Fähigkeit der Protagonisten zum harmonischen Zusammenspiel demonstriert hat, dürfen im Anschluss beide Frontmänner für sich glänzen, und zwar zunächst Michael Kiske mit dem Keeper-I-Klassiker 'I'm Alive' und dann Andi Deris mit seiner Trademark-Halbballade 'If I Could Fly'. Michael Kiske merkt man hierbei gar nicht an, dass er seit Tourbeginn eine Erkältung mit sich herumschleppt, und Andi Deris straft all jene Lügen, die bei HELLOWEEN immer nur die Achtziger gelten lassen wollten, denn er singt heute bärenstark und mit Songs wie eben jenem 'If I Could Fly' gibt es eben auch viele spätere Klassiker der Band. In diese Kategorie fallen das folgende 'Are You Metal?' und das etwas später gespielte 'Waiting For The Thunder' dann leider nicht unbedingt, denn auf den Scheiben der letzten Jahre hätte es meiner Meinung nach zahlreiche Songs gegeben, die sich in die heutige Setlist besser eingefügt hätten; doch das ist an sich auch schon der einzige minimale Kritikpunkt des Abends, denn bereits das sich anschließende 'Rise And Fall', das nun wieder Michael Kiske allein singt, sorgt erneut für ausgelassene Feierstimmung und ebenso das formidable und von Andi und Michi im Duett gesungene 'Perfect Gentleman' als Highlight von "Master Of The Rings", Andi Deris' 1994er-Debütscheibe für HELLOWEEN. Gerade bei diesem Song harmonieren die beiden Sänger perfekt und man merkt ihnen an den feinen Schauspieleinlagen an, dass sie wirklich richtigen Spaß an der Sache haben.  

Die beiden Sänger? Da war doch ein dritter Gesangsakrobat, oder nicht? Nun, Kai Hansen ist natürlich von Anfang an mit auf der Bühne und agiert dorten auch schon die ganze Zeit über wie ein Wilder, mit seiner äußerst kreativen Frisur, doch nun - da Deris und Kiske ihre wohl verdiente Pause einlegen - schlägt Kais Stunde auch am Mikro, und wenn ich mich so umsehe im weiten Rund, dann haben nicht wenige Anwesende genau hierauf am Sehnlichsten gewartet. Klar, die "Keeper"-Alben waren kommerziell die erfolgreichsten Scheiben der Band, doch man spürt jetzt am Überkochen der Stimmung in der Halle dann doch ganz deutlich, dass vieler Leute Herz an der EP und an "Walls Of Jericho" mindestens genauso sehr hängt, wenn nicht mehr. Das ausgedehnte Medley aus 'Starlight', 'Ride The Sky' und 'Judas', bei dem alle drei Stücke mehr als nur angespielt, sondern ordentlich präsentiert werden, spricht da Bände, speziell bei 'Ride The Sky' - das Kai zeitweise ohne seine Gitarre absolviert - kreischen viele Fans nahezu hysterisch mit, und auch beim Abschluss des Kai-Hansen-Blocks mit 'Heavy Metal (Is The Law)' bleibt kein Auge trocken. So viel ist klar: Auch wenn Kai Hansen sicherlich nicht der beste Sänger des heutigen Abends ist, und auch wenn seine Stimme im Laufe der Jahre bekanntermaßen etwas gelitten hat, kommt er doch super an und er ist fraglos der Sympathieträger Nummer 1 auf der Bühne.

Nach zwanzig Minuten ist es dann wieder Zeit für die Rückkehr der anderen beiden Mikroschwinger, und so schlendern die Herren Kiske und Deris gemütlich vor zur Bühnenmitte und geben bei der tollen "Time Of The Oath"-Ballade 'Forever And One (Neverland)' ein sehr emotionales Duett, was sich mit spiegelbildlichem Vorzeichen bei 'A Tale That Wasn't Right' wiederholt. In beiden Fällen singen die Sänger gemeinsam eine der beliebtesten Balladen des Kollegen und zeigen dabei, dass sie sich hier super ergänzen, wobei doch sehr auffällig ist, dass beide ganz besondere Stärken haben, die ihre Stimmen so unverkennbar und einnehmend machen. Dies belegt auch das folgende von Andi Deris allein dargebotene 'I Can' von meiner Lieblingsscheibe "Better Than Raw", bevor es die Band schafft, auch den Part des Drumsolos zu etwas ganz Besonderem zu machen, nämlich zu einem Tribut an Ingo Schwichtenberg, den verstorbenen Originaldrummer der Band. Dies gelingt, indem sich Schlagzeuger Dani Löble einen virtuellen Trommelwettstreit mit dem über die Videoleinwand eingespielten Ingo liefert, was sich als sehr würdige Ehrerbietung erweist. Das reguläre Set steuert nach dem Drumsolo langsam seinem Ende entgegen und lässt zunächst noch einmal Michael Kiske als alleinigen Sänger mit einem Doppeldecker aus 'Living Ain't No Crime' und 'A Little Time' glänzen, bevor ein Duett bei 'Why?' in den starken letzten Deris-Doppelschlag aus 'Sole Survivor' und 'Power' überleitet, und sich danach alle drei Sänger gemeinsam mit einer mächtig gefeierten Version von 'How Many Tears' erst einmal verabschieden.

Dass damit noch nicht wirklich Schluss sein kann, weiß nicht nur Paulchen Panther sondern auch die vereinte Armee von Kürbisköpfen in der Porsche-Arena, und so lässt sich die Band auch nicht lange bitten, bevor sie zu den Klängen des "Keeper II"-Intros wieder die Bühne betritt und Michael Kiske triumphal durch seinen Paradesong 'Eagle Fly Free' begleitet. Im Anschluss widmen sich Andi und Michi gemeinsam dem großen Bandepos 'Keeper Of The Seven Keys', das wenig überraschend zahlreichen Anwesenden feuchte Äuglein beschert. Da die Zugabeforderungen noch immer nicht verstummen und natürlich auch noch zwei ganz besondere Klassiker fehlen, ist es keine Überraschung, dass auch noch eine zweite Zugabenrunde folgt, und diese leitet Kai Hansen mit einem an den Grieg'schen Bergkönig angelehnten Gitarrensolo ein. Was folgt ist klar, oder? Natürlich der obligatorische Doppelschlag aus 'Future World' und 'I Want Out', zu dem gigantische Kürbisballons von der Decke regnen und es dem Publikum zur Aufgabe machen Multitasking zu betreiben, indem es zeitgleich hüpfenderweise mit den Gummibällen Schabernack treibt, aus vollen Lungen mitsingt und ansonsten einfach nur selig ist. Der eine oder andere fängt so ein Monstrum mit mehr als einem Meter Durchmesser, manche wollen es mit heim nehmen und kriegen es später nicht ins Auto, doch wenn man zu den abschließenden Klängen des "Braveheart"-Soundtracks in die Gesichter der Fans blickt, dann scheinen alle glücklich zu sein. Die einen tragen ein breites Grinsen spazieren, bei anderen schaut man in verklärte feuchte Äuglein. Ja, am Ende hat die Band heute alles richtig gemacht. Manchen hat sie eine Megaparty beschert, vielen aber auch ihren größten Konzerttraum erfüllt. Natürlich mit einem riesigen, durchaus kommerziellen Spektakel, keine Frage, aber was das Septett heute abgeliefert hat, wirkte trotzdem zu keiner Zeit aufgesetzt, und wir können wirklich nur jedem HELLOWEEN-Fan gleich welcher Ära und gleich welchen Alters empfehlen, sich dieser Tour noch irgendwo anzuschließen, wenn ihr die Chance dazu habt. Es lohnt sich auf jeden Fall!

Setliste:
- Let Me Entertain You (Robbie Williams - Intro)
- Halloween (mit Michael Kiske & Andi Deris)
- Dr. Stein (mit Michael Kiske & Andi Deris)
- I'm Alive (mit Michael Kiske)
- If I Could Fly (mit Andi Deris)
- Are You Metal? (mit Andi Deris)
- Rise And Fall (mit Michael Kiske)
- Waiting For The Thunder (with Andi Deris)
- Perfect Gentleman (mit Michael Kiske & Andi Deris)
- Starlight / Ride The Sky / Judas (mit Kai Hansen)
- Heavy Metal (Is The Law) (mit Kai Hansen)
- Forever And One (Neverland) (mit Michael Kiske & Andi Deris)
- A Tale That Wasn't Right (mit Michael Kiske & Andi Deris)
- I Can (mit Andi Deris)
- Drum Solo (Dani Löble & Ingo 'battle')
- Ingo Tribute
- Livin' Ain't No Crime (mit Michael Kiske) (angespielt)
- A Little Time (mit Michael Kiske)
- Why? (mit Michael Kiske & Andi Deris)
- Sole Survivor (mit Andi Deris)
- Power (mit Andi Deris)
- How Many Tears (mit Andi Deris, Kai Hansen, Michael Kiske)

Zugabe:
- Invitation
- Eagle Fly Free (mit Michael Kiske)
- Keeper of the Seven Keys (mit Michael Kiske & Andi Deris)

Zugabe 2:
- Guitar Solo (Kai Hansen; In the Hall of the Mountain King)
- Future World (mit Michael Kiske)
- I Want Out (mit Michael Kiske & Andi Deris)
- Outro (Braveheart Soundtrack)

Redakteur:
Rüdiger Stehle

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