INFERNO METAL FESTIVAL - Oslo (NO)

14.04.2005 | 07:44

24.03.2005, Rockefeller Music Hall

Was haben ein Mann in Netzstrumpfhosen und Lackstiefeln, eine bärtige Bauchtänzerin und DIRTY SANCHEZ mit Black Metal zu tun? Das Inferno-Festival 2005 in Oslo. Von Jahr zu Jahr werden die Show-Aktivitäten im hohen Norden bizarrer. Die Konkurrenz um den höchsten Rang bei den Metal-Festivals wächst. Da lässt man sich so einiges einfallen um aus der Masse hervorzustechen. Ob die neuen MTV-Helden DIRTY SANCHEZ wirklich zu etwas so Ernsthaftem wie Black Metal passen, bleibt fragwürdig. Bei manchen Künstlern ist die Show aber auch eine echte Bereicherung. Da tritt NATTEFROST tatsächlich in Stringtanga und Lack-BH auf. Der Mann zeigt, dass er keine Angst kennt, weiter durchzudrehen. Auch die Zirkusartisten bei den Black-Metallern ARCTURUS passen hervorragend zu den Songs des "La Masquerade Infernale"-Albums. Ihre obskure Live-Show wirkt stellenweise zwar etwas unprofessionell, aber der genialen Musik tut das keinen Abbruch. Trotzdem fragt man sich, ob das alles nötig ist und wo hier eigentlich die Essenz bleibt, nämlich die harte mächtige Metal-Musik? Dagegen kommt nur eine Truppe an: DISSECTION erobern nach neun Jahren Abwesenheit Norwegen in Null Komma Nix zurück. Der von Fans und Musikern gefüllte Saal im Rockefeller kann es teilweise einfach nicht begreifen, dass diese Band so mir nichts dir nichts wieder da ist und ein Höllenset abliefert, das lauter, härter und purer ist als alles, was sonst noch seinen Fuß auf die beiden Festivalbühnen setzt. Sie kommen, spielen, siegen. Das klingt übertrieben, ist aber so. Schwarze Magie hilft wohl doch? Doch der Reihe nach…

Das Inferno ist neben dem Hole In The Sky in Bergen das wichtigste Metal-Festival in Norwegen. Alljährlich findet es zwischen den zwei Bühnen im Rockefeller und John Dee im Keller darunter statt. Das Bier ist exorbitant teuer und das Publikum schafft es trotzdem vor dem Auftritt des Hauptacts ratzedicht zu sein, so dass nur noch gut die Hälfte der rund eintausendfünfhundert Festivalbesucher gegen Mitternacht die letzte Band miterlebt. Neben den Konzerten gibt es Weiterbildung in Sachen Gitarrentechnik. "Riff", ein Musikladen aus Oslo, stellt sein Angebot an Gitarren vor und Tore von ARCTURUS demonstriert sein Können an einigen der besten Stücke.

Eine kurze Hörprobe der neuen Songs bei einer parallel zum Festival stattfindenden Listening-Session für's kommende ARCTURUS-Album bestätigt: der dünne Mann an der Gitarre scheint göttliche Jimi Hendrix-Essenz geschlürft zu haben. Seine Soli werden immer länger und galaktischer. Es gibt zwar nur drei Songs in Rohform zu hören, doch die plätten alle anwesenden betrunkenen Journalistengemüter sofort weg. Das nächste ARCTURUS-Album wird dunkel, episch, massiv und fantastisch im wahrsten Sinne des Wortes. Die Band hat ein eigenes kleines Studio neben einer Wassermühle, das von purer Natur umgeben ist. Der einzige Krach kommt vom Mühlrad her. Ansonsten ist es mucksmäuschenstill in dem Tal, wo die Band das neue Material aufnimmt. Die märchenhafte Gegend scheint unbedingt darauf abzufärben. Die Keyboard-Passagen hören sich an wie der Soundtrack zu einem Fantasy-Streifen. Veröffentlicht wird das noch namenlose Album voraussichtlich im August. Doch zurückgeschweift zum Inferno…

Leider kann ich mir nicht alle Bands anschauen und auch nur von den letzten zwei Festivaltagen berichten. So kommt es, dass ich zumindest ein verdammt wichtiges Ereignis verpasse: MORBID ANGEL spielen am Festivaldonnerstag in alter Besetzung mit David Vincent am Mikro fast alle alten Songs. Als wären die letzten zehn Jahre nicht gewesen, soll die Death-Metal-Legende das archetypisch dämonische Feeling von "Altars Of Madness" tatsächlich wieder auf die Bühne gebracht haben. Die Norweger sind noch Tage nach dem Auftritt beseelt davon zu schwärmen.

Dafür kann ich mir am Freitag eine andere Reunion angucken. CANDLEMASS spielen vor einer erstaunlich lichten Zuhörerschaft. Wo sind die nur alle? Betrunken natürlich! Zu schade, denn Messiah Marcolin zertrümmert sowohl mit den Füßen als auch der übermächtigen Stimme nach wie vor beinahe die Bühne. (Andernorts hat er ja tatsächlich mal den Bühnenboden durchbrochen.) Allerdings muss auch ich gestehen, dass man bei den bekannten Songs wie 'Mirror Mirror' oder 'Solitude' zwar gerne vor Begeisterung beim Bangen sterben möchte. Doch auf die Dauer bietet die Musik der Doom-Metaller nicht allzu viel Abwechslung, sodass man nach einer Stunde CANDLEMASS froh ist aus dem Saal zu kommen. Leider überzeugen mich auch die neuen Songs nur halb: 'Black Dwarf' ist zu schnell runtergespielt und erscheint eher wie ein Versuch auf den Zug modernen Nu Metal aufzuspringen. Wenigstens das heavy dröhnende 'Witches' kommt an die Dunkelheit der alten Songs heran und lässt Hoffnung aufkeimen, dass das neue CANDLEMASS-Album vielleicht zu Recht den Bandnamen als Titel trägt.

Setlist CANDLEMASS:
Dark Reflections
Under The Oak
Solitude
Black Dwarf
Crystall Ball
Bewitched
Witches
At The Gallow's End
Well Of Souls
Mirror Mirror

Vor CANDLEMASS spielen die Franzosen von SETH auf der kleinen Bühne im John Dee. Vor allem Frauen okkupieren die vorderen Plätze im Saal, weil französische Extrem-Metaller ja allgemein besonders gut aussehen. Immer kommen die in Lack und Nietenfesseln daher, sind schlank und muskulös und spielen obendrein auch noch schnellen finsteren Black Metal. Daneben muss man dieser Band aber auch echte Live-Qualitäten zugestehen. Gegen ihre eher mittelmäßig interessanten Alben ist die SETH-Bande im Konzert das reinste Energiebündel und fegt mit Haar und Gitarre alles weg, was ihr in den Wege kommt. Übrigens gehen auch mindestens genauso viele Männer frenetisch dazu ab. SETH gehören beim Inferno auf jeden Fall zu den Siegerbands.

Am Karfreitag geht aber noch einiges mehr. Der Konzerttag beginnt mit einer Band namens SLOGSTORM. Ihr Sänger kommt mit einem Beilchen auf die Bühne, hat rot-weiße Schminke im Gesicht und wirkt insgesamt ziemlich albern. Genauso peinlich nimmt sich der Versuch aus harten Horror-Death-Metal zu spielen. Mag ja sein, dass die Jungs auf kranke Filme stehen, aber ihre eigene Darbietung wirkt alles andere als Angst einflößend. Ich gehe nach den ersten zwei Songs.

VREID sind heute die erste Band auf der großen Bühne im Rockefeller. Das erste, was man von ihnen zu sehen bekommt, ist ein Hirschschädel mit Geweih und Zigarette im Maul, welcher am Mikro befestigt ist. Dahinter steht der VREID-Sänger oberkörperfrei und mit Bierflasche in der Hand, die er nur gegen seine Gitarre eintauscht. VREID sind eine echte Party-Band. Selten macht Black Metal soviel Spaß wie mit den Norwegern. Aber auch spielerisch kann sich der Verein sehen lassen. Dank eines ordentlichen Sounds wummern die Lieder von "Kraft" wirklich kraftvoll aus den Boxen. Die Fans wummern mit.

Als nächstes ist eine junge Band mit dem eigenwilligen Namen SHE SAID DESTROY im John Dee dran. Auch sie spielen Death Metal, aber in frischer, technisch anspruchsvoller und melodiegeladener Weise. Da bekommt man nach VREID noch mehr gute Laune. Ob sich Norwegen ein Beispiel nimmt an den Energiebündeln der deutschen Death-Metaller SINNERS BLEED, welche letztes Jahr beim Inferno heftig abgeräumt haben? Ein wenig erinnern mich SHE SAID DESTROY an die so genannte Berliner Schule. Vielleicht macht das auch nur das jugendliche Alter der vier Musiker. Es macht Freude wieder mal ein paar freie Köpfe zu sehen, die Talent haben und ungehemmt drauf losspielen. Respekt!

Leider verpasse ich GRIMFIST. Vom Hören Sagen her soll der Gig aber eher enttäuschend gewesen sein. Drummer Horgh von IMMORTAL ist ja nun auch nicht mehr dabei.

Ich betrete das Rockefeller erst wieder, als gerade das Chaoskommando von MTV, DIRTY SANCHEZ, die Bühne entweiht. Die verdrogt wirkende blonde Skaterfigur Mathew Pritchard in karierten Boxershorts und süffigem Morgenmantel ist als erste dran: mit einem Fleischhammer haut der Mann, welcher aussieht, als wäre er direkt aus dem Film "The Big Lebowski" entflohen, stumpfsinnig auf seinen Oberschenkel ein, bis dieser von Blut überströmt ist. Danach wird dem kleingewachsenem Pancho ein Nagel durch die Hand gebohrt. Richtig, es ist Karfreitag. Besteht hier eine Parallele zur Kreuzigung Jesu Christi? Heute wird das jüngste Glied in der DIRTY SANCHEZ-Truppe zunächst auf einer Tischplatte festgenagelt und dann wieder unsanft davon befreit, indem der Rest der Truppe mit einem Hammer den Nagel entfernt. Pancho schreit. Als nächstes bekommt der Profi-Skateboarder Lee Dainon drei Piercings an seinem Unterarm verpasst. Pritchard pinkelt darauf. Das ist wohl die Strafe dafür, wenn man unschuldige Kleintiere an Bäume nagelt. Das wird Dainon zumindest nachgesagt. Die Krönung der Unannehmlichkeiten erfolgt aber kurz darauf und zwar rektal: Pritchard bekommt reichlich zwei Liter Bier über einen langen Schlauch in seinen Enddarm eingeführt. Die Fontäne aus seinem Arsch nach dem Herausziehen der Leitung entzieht sich jeglicher Beschreibung. Dan Joyce bekommt dann die ganze Schweinerei in sein Gesicht. Damit findet der Auftritt der auf Europa-Tour befindlichen MTV-Produktion einen recht Appetit verderbenden Abschluss. Auch das Publikum nimmt diese Art der Perversion eher gedämpft auf. Muss das wirklich sein? Die vier DIRTY SANCHEZ-Figuren sind wohl die einzigen, welche wirklich Spaß dabei haben.

Danach wirkt der Auftritt von ARCTURUS regelrecht seelenheilend. Nicht, dass die einzelnen Mitstreiter in der Band minder durchgeknallt wären als die DIRTY SANCHEZ-Typen. Aber bei ihnen fließt die gesamte Abgedrehtheit in die Musik und eine wohl durchdachte Show. Ein wichtiges Thema bei ihnen ist das Versteckspiel hinter Masken und das Verbergen des wahren Ich. Dazu passen die zwei Harlekintänzerinnen mit ihren weißen Masken, hinter denen sie ihre blutigen Gesichter verstecken. Ebenso kehrt die Band immer wieder zum Chaos zurück. Bei dem Song 'Chaospath' versucht man entsprechend eine echte Freakshow auf die Bühne zu bringen mit obskuren Tänzern und Artisten, was zum Teil auch gelingt. Eine fette Dame in Tütü tanzt mit einem Plastikgerippchen, ein weißer Zottelbär wird von einer Domina ausgepeitscht, eine Bauchtänzerin mit Bart wirbelt alles durcheinander. Mittendrin ist die Band bemüht sich aufs Spielen zu konzentrieren. Manchmal wirkt der ganze Trubel etwas zu sehr gespielt. Man merkt den Artisten an, dass sie keine Profis sind oder nicht so recht mit ihrer Rolle verschmelzen wollen. Nicht so die bereits bei anderen Auftritten erprobte Harlekintänzerin auf der linken Bühnenseite. Sie scheint sich völlig in der Musik zu vergessen und schüttelt sich wie in Trance zu den Blastbeats im Song 'Deception'. Als sie schließlich die Maske abwirft und ihre dämonische Fratze hinter den grellen Pyros auf der ansonsten dunklen Bühne hervorstarrt, jagen einem Gruselschauer über die Haut, besonders wenn man wenige Tage zuvor "The Grudge" in der japanischen Originalversion gesehen hat, denn irgendwie erinnert die geschminkte Tänzerin stark an die verfluchte Mädchengestalt in diesem Horrorfilm. Weniger gruselig, dafür aber höchst obskur sieht der neue Sänger von ARCTURUS aus. Simen hat von DIMMU BORGIR weg auf das Narrenschiff ARCTURUS gewechselt und fühlt sich sichtlich wohl in seiner neuen Rolle. Das heißt, so ganz neu ist er nicht in der Band. Schon früher hat er hier und da Vocals beigesteuert. Erstaunlich ist: Mit Teufelsmaske und Barock-Schminke im Gesicht bringt er live tatsächlich dieselbe Gesangsleistung wie auf CD. Und auch der eine neue Song, welcher heute Abend dem Publikum präsentiert wird, unterstreicht, dass Simen endlich seinen Platz gefunden hat. 'Demon Painter' heißt das Stück. Es beginnt erst mal enttäuschend langsam und eingängig. Von der Band ist man eigentlich Komplizierteres gewohnt. Doch steigert sich der Song allmählich hin zu einem undurchsichtigen Gitarren- und Drum-Teppich, der nur von Simens heller Sirenenstimme und Tores göttlichem, endlosen Solo übertönt wird. Jetzt darf man wirklich neugierig sein, wie das neue Album klingen wird.

Setlist ARCTURUS:
Ad Absurdum
Nightmare Heaven
Master Of Disguise
Alone
Chaos Path (Freak Show)
Deception
Painting My Horror
Demon Painter
Raudt Og Svart

Soweit die gute Seite des Festivalfreitags. Leider wird die Nacht danach von einem tragischen Unfall überschattet. Der Drummer von AURA NOIR fällt bei einem Nachspiel aus dem dritten Stock eines Apartments. Er muss mehrere Stunden operiert werden und bleibt Informationen seitens anderer Festivalbesucher zu Folge bewusstlos. Ganz so tragisch sieht es dann doch nicht aus: Aggressor hat sich zwar einen Knöchel zertrümmert, ist aber ansonsten okay. Wie sich das freilich auf seine Obsession des Schlagzeugbeackerns auswirkt, bleibt abzuwarten. Er gehört zu den wichtigsten Drummern in der norwegischen Metal-Szene.

Redakteur:
Wiebke Rost

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