In Extremo - Wiesbaden

27.10.2016 | 11:53

21.10.2016, Schlachthof

Feuertaufe in der Kurstadt.

Das Konzert von IN EXTREMO begann für mich - schon zwei Tage vor der Veranstaltung - erst einmal mit einer dicken, fetten Enttäuschung: NORD, der Sänger des Supports HÄMATOM, war erkrankt und die bärbeißigen Freaks mussten ihre Auftritte bei den verbleibenden Tour-Stops absagen. Verständlich, aber dennoch ärgerlich. Nachdem die Jungs mich auf dem MERA LUNA mit ihrer energiegeladenen Show echt begeistert hatten, hatte ich mich schon riesig auf HÄMATOM im Schlachthof in Wiesbaden gefreut. Ersatz fanden Micha Rhein und seine Mannen in der Band MANNTRA. Schon beim Jubiläumsfestival von IN EXTREMO "20 wahre Jahre" im vergangenen Jahr auf der Loreley traten sie mit den Spielmännern auf. Die Kroaten haben mit ihrem folkloristisch angehauchten Hard-Rock in ihrer Muttersprache allerdings einen schweren Stand bei den Zuhörern, von denen einige nach einiger Aussage "die Tickets nur wegen HÄMATOM gekauft" hatten. Anfangs versucht man noch einigermaßen offen den Aufforderungen des Sängers Marko Matijević Sekul in seinem wadenlangen Militärmantel nachzukommen, doch richtig Stimmung kommt nur bei Wenigen auf. Als dieser die Menge "marschieren sehen will" und den Wiesbadenern dabei als Vorbild den Hampelmann auf der Bühne macht, erntet Marko nur noch offene Verweigerung. Die merkwürdigen Synthesizer-Klänge, die zum Ende hin immer mehr an Überhand gewinnen, machen die skurille Grusel-Performance auf der Bühne auch nicht wirklich besser. Dennoch - MANNTRA wird nach ihrem Auftritt mit einem höflichen Applaus von Seiten der Wiesbadener von der Bühne komplimentiert. Ein wirklicher Ersatz für die Party-Löwen von HÄMATOM sind die Osteuropäer jedoch leider nicht.

Nach einer kurzen Umbaupause geben sich die Headliner schließlich selbst die Ehre: Wie immer spart IN EXTREMO nicht an Effekten. Es knallt, es sprühen Funken - da haben Micha Rhein und Co die Bühne noch gar nicht betreten. Als dann noch das Intro von 'Quid Pro Quo', dem titelgebenden Song des gleichnamigen Albums erklingt, rastet das Publikum vorsorglich schon einmal aus. Stilecht in zerrissener Fleckenhose und dem breiten Gürtel mit den klimpernden Münzen fegt der blonde Frontmann von Anfang an wie ein Wirbelwind über die Bühne des Wiesbadener Schlachthofes. So stürmisch und ausgelassen, dass ihm bereits beim zweiten Song, 'Feuertaufe', das Haar so klitschnass geschwitzt ist, dass es nur so tropft. Oder sind es doch die hohen Flammensäulen, die zum Refrain im Takt in die Höhe schießen? So oder so: Das Publikum dankt es den Gastgebern. Sie haben noch keine drei Songs gespielt und schon setzt die schon Wochen im Voraus ausverkaufte große Halle zu "In Extremo"-Sprechchören an. Die Stimmung vor der Bühne steht der Show auf der Bühne dabei in gar nichts nach: Die erste Show von IN EXTREMO ist in Wiesbaden sehnsüchtig erwartet worden und die Gekommenen singen auch die neuen Songs der Gruppe so enthusiastisch mit, dass sie in manchen Momenten Micha Rhein in Sachen Lautstärke richtig Konkurrenz machen. Kleine Verspieler wie zum Beispiel bei der Piraten-Hymne 'Störtebeker' werden achtlos weggefeiert, es wird nonstop gejubelt und geklatscht. Derart verausgabt sich auch "Das letzte Einhorn" selbst - der Sänger headbangt, springt und schreit sich vor allem bei dem Song 'Gaukler' die Seele aus dem Leib. Respekt auch für diese enorme Ausdauerleistung, denn von Anfang an tönt die Reibeisen-Stimme von Micha so präsent und satt durch die Halle, dass man meinen könnte, die "Quid Pro Quo"-Tour hätte mit diesem Gig erst begonnen und die Band nicht schon einige Auftritte hinter sich. Den Appell des Abends gibt es von ihm dabei zur Liebeserklärung an Russland, 'Roter Stern': "Glaubt nicht alles, was die Medien immer erzählen - es ist ein fantastisches Land mit fantastischen Menschen!"

Als der Abend schon etwas fortgeschritten ist, packt IN EXTREMO - endlich - auch die fremdsprachigen Titel der Bandgeschichte aus. Angefangen bei 'Ave Maria', folgt danach das altbekannte Spielmannslied 'Ai Vis Lo Lop'. Beeindruckend, wie textsicher sich das Publikum auch im Refrain der okzitanischen Nummer zeigt, den Micha Rhein im Wechsel mit den Zuschauern singt. Ein Mitgröl-Lied der anderen Art schließlich der Gassenhauer 'Sternhagelvoll'. Mit diesem Song schafften es die Spielmänner erst vor Kurzen zu zweifelhafter Ehre: Nämlich auf die "Ballermann Hits 2016". Und auch wenn sich weder Fans noch die Bands selbst mit dieser Tatsache brüsten, kann ich es doch nicht verleugnen: Gerade live ist der Song einfach DIE Schunkelnummer, zu der die Wiesbadener natürlich stolz die hoch erhobenen Biergläser im Takt schwenken. Zum Finale packt IN EXTREMO dazu noch die Konfetti-Kanone aus - da kommt schon etwas von 'An Tagen wie diesen'-Stimmung im Schlachthof auf. Ausgebuht werden die Veteranen des Mittelalter-Rocks an diesem Abend nur ein einziges Mal: Nämlich als Micha das Ende des Konzerts mit dem 'Moonshiner' ankündigt, eine Hommage an Schwarzbrenner in den Bergen. Natürlich setzt IN EXTREMO da eine ausgedehnte Zugabe drauf - angefangen bei 'Himmel und Hölle' bis hin zum neuen 'Pikse Palve' mit seinen grandiosen Dudelsack-Einlagen. Mit ihrem ersten Konzert im Wiesbadener Schlachthof haben die Jungs die Latte für (hoffentlich) folgende Besuche in der Kurstadt ordentlich hoch gehängt - und die Feuerprobe im wahrsten Sinne des Wortes bestanden.

Setliste: Quid Pro Quo; Feuertaufe; Zigeunerskat; Vollmond; Störtebeker; Gaukler; Unsichtbar; Sängerkrieg; Lieb Vaterland, magst ruhig sein; Rasend Herz; Roter Stern; Frei zu sein; Spielmannsfluch; Ave Maria; Ai Vis Lo Lop; Sternhagelvoll; Küss mich; Black Raven; Moonshiner; Zugabe: Himmel und Hölle; Nur ihr allein; Liam; Belladonna; Pikse Palve

Redakteur:
Leoni Dowidat

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