Lacuna Coil - Berlin

05.11.2006 | 12:53

30.10.2006, Columbia Club

LACUNA COIL haben sich durch beharrliches Album veröffentlichen, Touren, Album veröffentlichen und Touren Stück für Stück nach oben gearbeitet und können mit dem aktuellen Werk "Karmacode" endlich die Früchte ihres Schaffens ernten, ist es doch das bisher erfolgreichste ihrer inzwischen zehnjährigen Karriere.

Trotzdem müssen sie samt Tour-Gefolgschaft - POISONBLACK und LACRIMAS PROFUNDERE - in Berlin vom Huxleys in den deutlich kleineren Columbia Club ausweichen und füllen auch diesen nur zu gut zwei Dritteln. Über die Gründe kann man lediglich spekulieren: Liegt es an der Tatsache, dass der Gig an einem Montag stattfindet, wo viele noch platt vom Wochenende sind, oder daran, dass der Ticketpreis mit um die 25 Euro an der Abendkasse nur noch knapp im unteren Bereich des Üblichen liegt?

Ich persönlich muss sagen, dass ich LACUNA COIL bisher nie als "headlinerwürdig" angesehen habe - auf der Tour mit MOONSPELL, PASSENGER und (mal wieder) POISONBLACK vor zwei Jahren war ihr Auftritt gefällig, aber eben nicht spektakulär. Möglicherweise empfinden das andere ebenso und glänzen auch deswegen durch Abwesenheit. Und verpassen so die beste Performance, die ich von den Italienern bisher gesehen habe!

Doch zunächst fällt POISONBLACK die undankbare Aufgabe zu, die noch ziemlich leere Halle in Schwung zu bringen. Moment mal - POISONBLACK als Opener? Gut, der Backkatalog der neuen Haupt-Formation von Ex-SENTENCED-Chef Ville Laihiala mag nicht so umfangreich sein wie der von LACRIMAS PROFUNDERE, aber Villes Status in der Szene ist ungleich größer, und etliche Fans, die eigentlich nur deswegen später kommen, um die vermeintlich als erste aufspielenden Bayern zu umgehen, kucken bei ihrem Eintreffen zu den letzten POISONBLACK-Klängen in die Röhre. Aufgrund der äußerst knapp bemessenen Spielzeit von 30 Minuten geizt der attraktive Finne mit Ansagen, weshalb die überhaupt nicht Setlist-feste Rezensentin leider nicht mit Songtiteln dienen kann. Doch seine markante Stimme, seine sympathische Ausstrahlung und auch das immer mehr an SENTENCED erinnernde Material kommen verdammt gut an. Auch die Begleitband - allen voran das haarige Lockenviech Marco Sneck hinter dem nach vorne geneigten Keyboard - zeigt sich motiviert bis in die langen Haarspitzen. Lediglich das extrem rotstichige und schummrige Scheinwerferlicht mag nicht so ganz zu der energiegeladenen Show passen und macht obendrein das Fotografieren (ohne Blitz und mit einer eher handlichen Digi-Cam) unmöglich, weshalb ich auch für den Rest des Abends davon Abstand nehme.

LACRIMAS PROFUNDERE schließlich sind der perfekte Beweis dafür, dass man allein dadurch erfolgreich sein kann, dass man auf einen fahrenden Zug aufspringt. Spätestens seit "Ave End" haben sie für mich jegliche Faszination verloren, denn statt den leicht doomigen Klängen der Frühwerke gibt es nur noch massentauglichen Gothic Rock, der den Bayern aber leider auch den Weg über MTViVa in die Teenie-Herzen geebnet hat. Leider vor allem deswegen, weil den Songs der Abwechslungsreichtum mehr und mehr abhanden geht - gut, die Setlist enthält die eine oder andere Ballade, aber der Großteil zelebriert den in radiotauglicher Länge gehaltenen "Rock'n Sad"-Sound, wie die Band selbst ihren Stil inzwischen bezeichnet und in dem sich die einzelnen Stücke kaum noch voneinander unterscheiden. Leider aber auch, weil Sänger Christopher Schmidt trotz inzwischen über zehnjähriger Praxis immer noch ziemlich nasal singt und Ausstrahlung mit arrogantem Gehabe, witzige Ansagen mit dummem Gequatsche sowie Show mit albernem Rumgehampel verwechselt. Die Stimmung im Publikum ist merklich verhaltener als kurz zuvor bei POISONBLACK und die Reihenfolge im Billing, wie eingangs vermutet, daher denkbar schlecht gewählt.

Setlist:
My Velvet Little Darkness
Sarah Lou
Ambergirl
To Love Her On Knees
I Did It For You
Sweet Caroline
For Bad Times
One Hope's Evening (?)
Again It's Over
Ave End

Auch LACUNA COIL überlassen nichts mehr dem Zufall, befinden sich dabei jedoch auf dem richtigen Weg. Der Sound des neuen Albums "Karmacode" klingt härter, dunkler und moderner als je zuvor, was die Songs aber gleichzeitig sehr viel live-tauglicher und mitreißender macht, so dass ich die fast komplett ausgeklammerten Frühwerke der ersten beiden Alben eigentlich gar nicht vermisse. Und die Bühnenshow ist durchgestylt bis ins kleinste Detail und dabei trotzdem weder überzogen noch unnatürlich. Sänger Andrea Ferro wirkt selbstbewusster, als ich ihn in Erinnerung hatte, und versteckt sich nicht mehr im Schatten seiner wie immer bezaubernden Kollegin Cristina Scabbia, sondern beansprucht den ihm zustehenden Raum genau wie jedes andere Bandmitglied auch. Während die beiden Stimmen zu schwarzem Beinkleid weiße Hemden kombiniert mit schwarzen Krawatten tragen und somit stets die Blicke auf sich ziehen, vermitteln die anderen Musiker in ihrem schwarzen Einheits-Outfit mit dezenten Nadelstreifen-Hemden auch optisch eine Geschlossenheit, die man in ihrer perfekt durchchoreografierten Bühnenshow gleichsam wiederfindet. Dazu gehören beispielsweise das kollektive Headbanging zu 'Swamped' sowie die wechselnden Positionen zu '1.19', bei denen abwechselnd die Gitarren- und Bassfraktion in Reih und Glied am Bühnenrand steht, während Andrea und Cristina das Schlagzeug flankieren, oder umgekehrt.

Die Stimmung im Publikum ist von der ersten bis zur letzten Reihe phantastisch, viel besser, als ich sie je zuvor auf einem LACUNA COIL-Konzert erlebt habe. Kein Wunder, denn die Menge frisst der Band aus der Hand, springt auf Kommando zu 'Fragile' auf und ab, macht artig "Welche Hallenhälfte schreit lauter?"-Spielchen zu 'To The Edge' mit oder zückt kollektiv die Handys, weil diese - laut Cristina - doch viel praktischer für die richtige Stimmung zur Ballade 'Virtual Environment' seien als die antiquierten Feuerzeuge.

Auch die von einem Schlagzeugsolo eingeläuteten Zugaben - das von vielen lauthals mitgesungene DEPECHE MODE-Cover 'Enjoy The Silence' sowie die bisher größten Hits der Band, 'Heaven's A Lie' und 'Our Truth' - sind exzellent gewählt und runden das kurzweilige, wenn auch mit 75 Minuten etwas zu kurze Konzert perfekt ab. LACUNA COIL sind kein würdiger Headliner? So kann man sich irren ...

Setlist:
What I See
Fragments Of Faith
Swamped
Fragile
In Visible Light
1.19
Closer
Devoted
To Live Is To Hide
Entwined
To The Edge
Daylight Dancer
Virtual Environment
---
Enjoy The Silence
Heaven's A Lie
Our Truth

Redakteur:
Elke Huber

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