M'era Luna 2008 - Hildesheim

25.08.2008 | 20:33

09.08.2008, Flugplatz

Sonntag, 10.08.2008

Die Rückbank holt uns viel zu früh aus dem Schlafland nach Hildesheim zurück. Der Regen trommelt gegen die Scheibe. Wer will raus? Ich nicht. Was muss, das muss, und so entschließen wir uns, zumindest bei END OF GREEN in das Infield zu schauen. Jedoch nimmt der Regen immer stärkere Formen an, und so verstecken wir uns am Kaffeestand. Zwei Fliegen mit einer Klappe oder so ähnlich. Nach einem Ausflug in den trockenen Hangar, wo uns DIN (A) TOD mit annehmbarem Elektro-Pop die Ohren streicheln, geht es zurück vor die Hauptbühne. THE OTHER stellen sich mir vor und warten mit typischer Horror-Punk-Attitüde auf. So richtig zum Gruseln ist die Musik aber nicht. Ob das jetzt positiv gemeint ist, muss jeder für sich entscheiden. 'In The Dead Of Night', 'Tarantula' oder 'We Are The Other Ones' klingen eher nach BLINK 182 mit Schminke. Weißes Make-up macht noch keinen Horror-Punker.

Erneut haben sich die Macher keine Gedanken um Abwechslung gemacht, denn mit BLITZKID stürmen die nächsten Horror-Punker die Bühne. Doch im Gegensatz zu ihren Kollegen von THE OTHER wird hier schon mehr Atmosphäre erzeugt. Sowohl TB Monstrosity als auch Argyle Goolsby beherrschen das Mikro, was auch gesanglich für Abwechslung sorgt und den ersten Moshpit des Wochenendes bewirkt. Argyle Goolsby entledigt sich erstmal seinem Shirt. Die Mädels kreischen, während er mit seinen Händen gen Unterleib unterwegs ist. Nicht noch so einer! Doch er will nur Spaß machen und schenkt allen Ladys 'She Dominates'. Dann wird er jedoch ernst und widmet den nächsten Song seiner verstorbenen Freundin, die erst kürzlich vergewaltigt und getötet wurde. Er berichtet, dass sie niemand identifizieren konnte, bis er eines ihrer Tattoos erkannte. Weil er sich nicht von ihr verabschieden konnte, schrieb er das folgende Lied. The show must go on, und so hauen sie anschließend mit 'Go To The Cemetary' und 'Dementia' zwei reinrassige Horror-'n'-Roll-Nummern in die lauschende Menge. Zur Feier des Tages zerstören sie nach dem Gig auch noch ihre Instrumente. Hat lange keiner mehr gemacht.

Nach einer kleinen Shopping-Tour durch die riesige Händler-Landschaft begrüßen uns THE VISION BLEAK auf der Hauptbühne. Endlich mal eine vernünftige Portion Krach. Ganz ohne Schminke geht es an diesem Sonntag wohl bei keiner Band. Denn wie immer sind die beiden Chefdenker Schwadorf und Konstanz in die Puderdose gefallen. Dazu hat das Schneiderlein noch diverse feine Stoffe aus dem Schrank geholt. Leider reichte es nur für die beiden. Der Rest schlurft in normaler Metaller-Bekleidung über die Bühne. Vielleicht sollte man dieses Konzept nochmals überdenken. Ihre Musik sollten sie jedoch nicht anzweifeln. Die Mischung aus theatralischem Metal, neumodischen Einflüssen und den unnachahmlichen Texten kann beim bleichen Publikum genauso punkten wie bei den langhaarigen Bombenlegern. Bei Songs wie 'Carparthia' oder 'Kutulu!' geht auf jeden Fall einiges.

Was bei den bayrischen Gothic-Metallern von LACRIMAS PROFUNDERE geht, frage ich mich auch. Immerhin mussten sie erst kürzlich einen Wechsel am Mikro verkraften – nicht unbedingt zur Freude jeden Fans. Mit ihrem aktuellen Album "Songs For The Last View" haben sie jedoch ein überzeugendes Argument für ihren neuen Sänger Roberto Vitacca in der Tasche. Dieser zeigt sich auch von seiner besten Seite und glänzt vor allem mit Stücken der aktuellen Scheibe. Sei es 'A Pearl' oder 'We Shouldn't Be Here' – die Gothic-Rock-Nummern treffen direkt ins Mark des Publikums und lassen schnell Atmosphäre aufkommen. Doch auch mit alten Klassikern Marke 'Ave End' können die Fans bei Laune gehalten werden. Schicker Auftritt!

Nun kommen wir zum absoluten Tiefpunkt des Wochenendes. Wer denkt, der Verlust des Schlafplatzes ist nicht zu überbieten, der soll bei SALTATIO MORTIS sein blaues Wunder erleben. Ich sage es mal so: Wenn ich SUBWAY TO SALLY hören möchte, höre ich SUBWAY TO SALLY. Wenn ich die LETZTE INSTANZ hören möchte, höre ich die LETZTE INSTANZ. Und wenn ich IN EXTREMO hören möchte, höre ich IN EXTREMO. Wenn mich der seltsame Wunsch ereilen sollte, diese drei Bands auf einmal hören zu wollen, werde ich trotzdem nicht SALTATIO MORTIS hören. Bisher konnte ich mich von den Live-Qualitäten noch nicht überzeugen, daher war ich umso gespannter, was die "Spielleute" (ich kann es nicht mehr hören) von SALTATIO MORTIS auf Tasche haben. Sie greifen in fremde Taschen, so viel ist sicher. Eigenständigkeit ist offenbar ein Fremdwort, und so bin ich heilfroh, dass mir meine Ohren nach Songs wie 'Worte' oder 'Wirf den ersten Stein' noch nicht abgefallen sind. Die typischen RAMMSTEIN-Gitarren bringen das Fass zum Überlaufen. Ich muss weg. Noch auf dem Weg zum China-Imbiss verfolgt mich 'Uns gehört die Welt'. Toll, wo eben noch ein Hungergefühl war, treiben mich nun gegenteilige Gefühle ganz weit weg.

Dass ich mich im Anschluss auf die Norweger von APOPTYGMA BERZERK freue, hat nicht nur mit ihren Bühnengenossen zu tun, sondern weil sie seit Jahren für energetische Bühnenshows stehen und nicht nur Elektro-Popper zu begeistern wissen. Gerade der erhöhte Gitarrenanteil mag alten Fans übel aufstoßen. Den kleinen Metaller freut es, und so kann beim Opener 'Love Never Dies' mächtig abgetanzt werden. Nicht nur die Fans haben bei diesem Auftritt Grund zur Freude: Sänger Stephan hat heute Geburtstag und bekommt neben der obligatorischen Torte ein kleines Ständchen vom Publikum. Wie süß! Obwohl die Songsauswahl exzellent ist, scheint das Publikum doch etwas erschöpft, und so werden Songs wie 'In This Together', 'Shine On' sowie das megaschöne 'Until The End Of The World' zwar großspurig mitgesungen, aber der Staub wird nicht wirklich aufgewirbelt. Erst beim abschließenden Klassiker 'Non Stop Violence' geraten die Füße ins Wanken, und die Tanzbären werden losgelassen.

Nachdem die Bändiger die letzten läufigen Tiere eingefangen haben, ist es an der Zeit für die Heroen von NEW MODEL ARMY. Justin Sullivan ist immer für ein feines Konzert gut, und so ist es auch nicht verwunderlich, dass die eher szenefremde Formation das Highlight des Wochenendes wird. Mit dem aggressiven 'Here Comes The War' wird eine Show rockig eingeleitet, die dem schwarzen Publikum zeigt, wie man auch ohne Schminke und theatralisches Auftreten eine faszinierende Show abliefern kann. Mal punkig, mal folkig, aber immer authentisch rockt sich Sullivan durch den niedersächsischen Abendhimmel. Die Sonne zeigt seine schönsten Farben, während mit 'Vagabonds' oder 'No Mirror, No Shadow' das Festival ganz langsam, aber wunderschön ausklingt.

Doch bevor es nach Hause geht, wartet noch der Headliner auf uns. Schon beim Wave-Gotik-Treffen konnten FIELDS OF THE NEFILIM zeigen, was noch in den alten Knochen steckt. Offenbar interessiert dies einen Großteil des jungen Publikums mal wieder nicht. Und so haben auch die alten Helden mit dem alten Problem des M'era Luna zu kämpfen, dass der Headliner parallel zu einer großen Abreisewelle den Flugplatz rockt. Wer bleibt, gewinnt, denn Carl McCoy und seine dunkle Cowboy-Schar rocken einen wilden Brocken nach dem nächsten in die Prärie. Der Nebel verhüllt zwar einige Fältchen, doch dem Charme alter Klassiker wie 'Moonchild' oder 'Dawnrazor' kann sich keiner der Dagebliebenen entziehen. Ein würdiger Abschluss eines erneut großartigen Festivals, welches wie immer durch seine großartige Mischung Pluspunkte verdient. Gothic, Elektro, Punk, Metal – alles vereint auf einem Festival. Wo findet man so was? Genau, nur auf dem M'era Luna, und deshalb bleibt das Kult-Festival auch im nächsten Jahr einer der wichtigsten Termin im Festivalkalender. Prost!

Redakteur:
Enrico Ahlig

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