Motörhead - Wiesbaden

24.10.2005 | 21:49

18.10.2005, Schlachthof

30 Jahre MOTÖRHEAD! Das sind unzählige CDs (wenn man die ganzen Best Ofs und Compilations hinzuzählt) und ebenso viele Konzerte. Genau so eins stand heute abend im Wiesbadener Schlachthof an. Business as usual könnte man meinen, wenn nicht die etablierte Presse zum dreißigjährigen Bandjubiläum sich auf MOTÖRHEAD einschießen würde. Egal ob Focus, Stern oder Max: Wer zum Zeitschriftenhändler seines Vertrauens wackelt, findet in oben genannten Magazinen Interviews mit Lemmy. Neben seinen "Gespielinnen" fanden sich auch nennenswerte Informationen über seinen Gesundheitszustand. Wir erinnern uns, dass der Gig auf dem WITH FULL FORCE abgesagt werden musste, da Lemmy ein deutsches Krankenhaus von innen sehen durfte. Grund: Das Rock'n'Roll-Urviech war dehydriert. Umso gespannter konnten man sein wie er sich auf der aktuellen Jubiliäumstour schlägt, doch dazu später mehr.

Was die Vorgruppen angeht, so mussten CORROSION OF CONFORMITY ihre Teilnahme an der Tour absagen, da der Sturm "Katrina" in ihrem Heimatort New Orleans gewütet hatte, und die Band alles andere im Kopf hat als Abend für Abend die Bühne mit MOTÖRHEAD zu teilen. An ihrer Stelle ist die neue Band von Ex-QUEENS OF THE STONE AGE-Bassist Nick Oliveri, MONDO GENERATOR, eingesprungen. Des Weiteren waren noch SLUNT am Start, die wohl von Lemmy persönlich ausgesucht wurden, wenn man sich die Sängerin und Gitarristin Abby Gennet so anschaut.

SLUNT

Ohne großen Firlefanz kommen die New Yoker/innen SLUNT pünktlich um 19.30 Uhr auf die Bühne, stöpseln ihre Instrumente ein und legen mit dem Doppeldecker 'The Best Thing' und 'Not About You' ordentlich los. Beide Stücke befinden sich auf dem kürzlich von mir reviewten Sampler von Repossession Records, den aber die wenigsten Anwesenden gehört haben. Zwar ist die Bassistin Ilsa Baca beim Chorus von 'Not About You' zu Beginn zu weit weg, aber ansonsten kann die Truppe überzeugen. Gleich zu Beginn fällt die Rollenverteilung in der Band auf: Während Abby Gennet (g., v.) und Ilsa Baca (b.) die (männlichen) Blicke auf sich ziehen, sind die beiden männlichen Bandmitglieder Pat Harrington (lg.) und Charles Ruggiero (dr.) die "Arbeiter" im Line-Up von SLUNT. Dabei posen die beiden so dermaßen um die Wette, dass unser Konzertverantwortlicher ganz trocken meint: "Die (Abby Gennet, d. Verf.) fickt ja ihre Gitarre!" Trotzdem, oder gerade deswegen, kommt der punkige Rock'n'Roll der Mischtruppe gut an und lädt zum gemäßigten Fußwippen an. Die Band wirkt sehr routiniert und mit Songs wie 'Call Us Crazy' (Abby: "This song is about fucking! You like to fuck?") oder 'New York City' (Abby: "This song is about our hometown.") kann man nicht viel falsch machen. Pat Harrington steuert seine Leads an der linken Bühnenhälfte bei, ohne seiner Frontfrau die Show zu stehlen. Dabei erinnert er vom Posen an Izzy Stradlin und Slash (beide Ex-GUNS'N'ROSES). Vom Sound her kann eine punkige Version von alten WARRIOR SOUL gut zur Orientierung dienen. Genau pünktlich zur Tagesschau, nämlich um acht, ist dann Schluss. Sehr netter Auftakt, der zwar nur Höflichkeitsapplaus verdient, aber mit den Vorbands bei MOTÖRHEAD ist es, wie bei MANOWAR, so eine Sache.

MONDO GENERATOR

Pünktlich zum Ende der Tagesschau, nämlich um 20.15, betreten MONDO GENERATOR die Bühne. Der Bassist kommt mir gleich bekannt vor und ich denke mir nur: "Cool, ein wertiger Ersatz für C.O.C.!" Aber leider habe ich mich zu früh gefreut. Zwar ist der Sound von Nick Oliveris Trio an seine Ex-Brötchengeber QOTSA und KYUSS angelehnt, aber der Gesang von Mr. Oliveri ist unter aller Kanone. Der Punkeinschlag ist in dem Sound auch auszumachen, aber das Gekreische geht nicht nur mir voll auf den Senkel. Einige Hartgesottene in der ersten Reihe lässt das völlig kalt, und so wird im kleinen Rahmen ein Moshpit gebildet. Zwar gibt sich das Trio viel Mühe, aber so richtig will der Funken nicht rüberspringen. Ab und zu lässt sich Nick dazu hinreißen "normal" zu singen, was auf jeden Fall erträglich ist. Was die Ansagen angeht, so sind diese absolut unverständlich, da Nick, wenn er mal die Gelegenheit nutzt, richtig zu sprechen, einfach nur ins Mikro reinnuschelt. Um fünf vor neun ist endlich Schluß und die Pausenmusik von HENRY ROLLINS erlöst die Menge von MONDO GENERATOR. Unter den Gesichtspunkten hätten SLUNT besser als zweites auf die Bühne gehen können und haben es nicht verdient als erste "verheizt" zu werden. Vielleicht bei der nächsten Tour.

MOTÖRHEAD

Mittlerweile ist es schön voll geworden und mit Spannung werden die Umbauarbeiten beobachtet. Vor allem Lemmys Gesundheitszustand ist, auch wenn's nicht diskutiert wird, das Thema Nummer eins. Ein Beleg hierfür sind die "Lemmy"-Chöre beim Soundcheck. Kann die lebende Rock'n'Roll-Legende einen kompletten Gig durchstehen? Ist er mittlerweile, wie Mikkey Dee, auf Gatorade umgestiegen? Fragen über Fragen. Und die Antworten lassen nicht lange auf sich warten. Pünktlich um 21.30 erlischt das Hallenlicht und mit einem trockenen "Hello Wiesbaden. We are MOTÖRHEAD and we play Rock'n'Roll" startet das Trio gleich mit 'Doctor Rock'. Schon nach den ersten Tönen wird klar: Das wird ein besonderer Abend. Lemmy sieht blendend aus, Phil Campbell entlockt seiner Gitarre Riffs wie am Fließband und von Mikkey Dee sieht man die Haare wild rumfliegen. Im Vergleich zum BANG YOUR HEAD-Gig ist Lemmy viel besser drauf. Das liegt vor allem am lauten, aber guten Sound, weshalb Mr. Kilmister diesbezüglich nichts zu meckern hat. Weiter geht's mit 'Stay Clean', um danach mit 'Shoot You In The Back' einen Song von "Ace Of Spades" rauszukramen, der schon lange nicht mehr in der Setlist zu aufgetaucht ist. Vor 'Killers' erkundigt sich Lemmy ob's auch laut genug ist, was die Menge bejaht. Apropos Publikum: Im Großen und Ganzen herrscht eine lustige Stimmung, bis auf die eine oder andere unfreiwillige Bierdusche und Spontan-Moshpits. Irgendwie scheint es vor allem bei MOTÖRHEAD-Gigs Volkssport zu sein, leere Bierbecher durch die Gegend zu feuern. Mich hat so ein Ding um ein Haar verpasst, aber der eine oder andere wird bestimmt eine unfreundliche Bekanntschaft mit den Wurfgeschossen gemacht haben.

Doch zurück zum Geschehen. Mit 'Metropolis' ("For the old people") geht's ordentlich weiter. So weit so gut, aber warum sich zwei Tracks vom eher durchwachsenen "Another Perfect Day" ('I Got Mine' und 'Dancing On Your Grave') in der Setlist wiedergefunden haben, ist nicht nur mir ein Rätsel. Lemmy ist aber gut drauf, was wohl an seiner Whiskey-Cola (natürlich mit ein paar mehr Eiswürfeln, versteht sich) und Powerade (!) liegen dürfte. Wobei, das mit dem Powerade glaub' ich nicht so recht. 'R.A.M.O.N.E.S' widmet "Mr. Powerade" den drei verstorbenen RAMONES-Mitgliedern um danach mit 'Sacrifice' ein neueres Stück vor den Latz zu knallen. Natürlich hat Mikkey Dee hier wieder die Gelegenheit sich auszutoben, und liefert ein nettes, aber nicht unbedingt vom Hocker hauendes Drum-Solo. Mit 'Going To Brazil' und vor allem dem Überhit 'Killed By Death' haben die Jungs wieder alle Trümpfe in der Hand. 'Iron Fist' beendet den offiziellen Teil genau um 22.45, aber Wiesbaden hat noch nicht genug.
Der Zugabenteil beinhaltet die erste Überraschung: Einen Unplugged-Song. Wandeln MOTÖRHEAD mittlerweile auf den Pfaden von RUSH? Nicht ganz, denn nach 'Whorehouse Blues', zu dem sich auch Mikkey Dee mit einer Akustikklampfe auf einen Barhocker dazugesellt, nimmt jedes Mitglied seinen ihm zugehörigen Platz ein. 'Ace Of Spade' (of course) und 'Overkill' beenden ein kurzweiliges Vergnügen. Eher unsanft werden wir aus dem "Rock'n'Roll-Schlaf" gerissen, als um 23.05 Uhr das Hallenlicht angeht.

Der "Patient" Lemmy befindet sich auf dem Weg der Besserung, und in der Form würde es mich nicht wundern, wenn demnächst das vierzigjährige Bandjubiläum gefeiert wird. Fürs erste belässt es Lemmy mit einem "see you soon". Das nehme wohl nicht nur ich wörtlich, sondern auch das restliche Publikum. In der Form können uns MOTÖRHEAD immer wieder gerne besuchen. Zwar habe wohl nicht nur ich einige Klassiker wie 'Orgasmatron' vermisst, wie der Zuschauer hinter mir, der direkt nach den letzten Tönen von 'Overkill' den Song gefordert hat, aber das ist nur ein Tropfen Powerade auf Lemmys geschundener Leber.

Setlist
Doctor Rock
Stay Clean
Shoot You In The Back
Killers
Metropolis
Over The Top
No Class
I Got Mine
Twenty See
Dancing On Your Grave
Louie Louie
R.A.M.O.N.E.S
Sacrifice
Drum Solo
We Got The Power, You Got The Right
Going To Brazil
Killed By Death
Iron Fist
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Whorehouse Blues (Unplugged)
Ace Of Spades
Overkill

Redakteur:
Tolga Karabagli

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