Mudvayne - Berlin

02.03.2005 | 06:41

23.02.2005, Columbia Club

Berlin ist elegant. Dort kommt man nicht in einem Wildschweinkostüm zum MUDVAYNE-Konzert. Man trägt auch nicht das verruchteste Bandshirt, das man je auf dem Polenmarkt gekauft hat, nein, hier geht man schick neutral oder, wie es ein auffälliges Pärchen hinter mir machte, in Schlips und Kragen. Aber nicht nur deshalb ist diese Stadt elegant. Sie richtet weiterhin das MUDVAYNE-Konzert im stilvollen Columbia Club aus, und letztlich war auch das Benehmen in der Halle geprägt von hauptstädtischer Gepflegtheit. So stand ich bis zum Beginn von MUDVAYNE vollkommen relaxt in der ersten Reihe, ohne einen Anflug von Druck.

Aber der Reihe nach. Ich hatte mich gerade von dem Bochum-Konzert erholt, das mir wirklich alles an Kraft gekostet hatte. Nein, es ist nicht normal, dass ich Bands hinterher reise, das gibt es wirklich nur bei MUDVAYNE. Aber diesmal war es anders. Ich verspürte nicht den Antrieb, den ich vor zwei Jahren hatte, als ich von Konzert zu Konzert süchtiger wurde die Band live zu sehen. Nein, ich musste mich mit dem alten Motto "Man bereut meist nur das, was man nicht getan hat" aufraffen. Und so nahm ich die 400 Kilometer in Angriff und kämpfte mich in der fettesten Rush-Hour mal wieder allein durch Berlin. Am Eingang zum Columbia Club lernte ich dann Verena kennen, mit der ich den Altersdurchschnitt der Besucher wohl etwas anhob. Dank ihr verging jegliche künftige Wartepause wie im Flug. Beim Einlass hatte ich dann noch nie so sehr das Gefühl offene Türen einzurennen. Der Columbia Club war noch geradezu friedlich und leer und man konnte sich ganz gemütlich in die erste Reihe stellen. Eigentlich änderte sich daran bis zu den ersten Tönen von MUDVAYNE nichts. Doch erstmal stand eine Vorband an, von der mir absolut niemand den Namen nennen konnte.

Lediglich dass sie aus Frankreich stammen, fand ich zunächst heraus. SHAKA PONK nannte sich diese eigentümliche Truppe aus vier Musikern und fast noch interessanter als ihre Musik war die Tatsache, das wir nur deshalb in den Genuss ihres Auftritts kamen, da ein französisches Gesetzes den nationalen Bands wohl scheinbar eine gewisse Anzahl französischsprachiger Lieder vorschreibt. Davon weiß ich nur vom Hörensagen, aber was Fakt ist: die eigene Sprache mit dem Vorschlaghammer zu pushen lässt wohl eher so Phänomene wie diese Band im Einhergang mit einem allgemeinen feiwilligen Exilbedürfnis entstehen, statt wirklich seinen eigentlichen Zweck zu erfüllen. SHAKA PONK jedenfalls sind nur in Deutschland, weil sie hier ihre komplett englischen Texte durchziehen können, so sagt man. Dass gute, muttersprachlich orientierte Musik von ganz allein entsteht, wird vielleicht auch Frankreich irgendwann verstehen. In Deutschland geht’s ja auch.
Was nun aber die Musik von SHAKA PONK angeht, so erinnerte sie entfernt, und jetzt bitte alle gut festhalten, an STATIC-X! Klar hat der Sänger nicht das Geringste mit dem Frontshouter der Kalifornier gemeinsam, doch die Musik in ihrem sterilen Gewand umso mehr. Besonders, weil man fast genauso gut genau den Mittelweg zwischen groovigen Beatspielereien und harten Riffs findet. Auch wenn der Schönling von Sänger mit seinen teilweise wild zappelnden Bewegungen schon für einige amüsierte Blicke sorgte, und der Gitarrist eine erschreckende Ähnlichkeit mit Sportmoderator Frank Buschmann hat, so war der Gesamteindruck doch recht fett. Am besten beschreibt man die Band und ihre Lieder aber wohl als "frech"! Mit einem kleinen Projektor, der immer wieder animierte kleine Filmchen auf einer kleinen runden Leinwand ablaufen ließ, unterhielt man das Publikum sehr gut. Sicherlich hat diese Band auch das Zeug dazu ohne solch ein Gimmick zu überzeugen, doch in dieser Situation vor erst 20 Leuten (Tendenz mit dem Einlass gemächlich steigend) war es ein sehr willkommenes Feature.
Frech waren sie auch in ihren Texten. Mit Sprüchen wie "Techno Kills" konnten sie viel Sympathie gewinnen. Etwas nervig waren nur die zu stark in "fuck" getränkten Ansagen des Sängers. Diese wollten so gar nicht zu der Schlaghose und dem engen T-Shirt passen. Einen gelungenen Abgang hatte man dennoch parat, als man auf dem Projektor während eines instrumentalen Parts einen Satz ablaufen ließ, der in etwa "Sorry, aber das ist der langweilig Teil der Show, ohne Schreien und Hüpfen, aber wir müssen den hier einbauen, wegen dieses neuen Gesetzes, das vorschreibt, dass in 10% jeder Rock-Show weder geschrieen noch gehüpft werden darf." lautete. Das war cool. SHAKA PONK sind cool, und waren eine absolut gelungene Vorband.

Wie lang die Wartepause war, kann ich kaum nachvollziehen, da ich das Glück hatte mich die ganze Zeit unterhalten zu können. Auffällig war nur, dass man auch hier, wie in Köln keinen "Grabenabfluss" hatte. Soll heißen, wer hier erstmal surft steht dann im Graben, und weiß nicht wohin. Vielleicht rechnete man hier auch nicht mit so was, denn bis zu diesem Zeitpunkt standen alle ganz brav an ihrem Platz, als warteten sie auf INCUBUS, statt auf MUDVAYNE. Kurz bevor es losging, ein erster kleiner Rückschlag: einer der Roadies streicht zwei Lieder von den bereits angebrachten Setlists! Das ist echt Mist, aber zu verkraften, solange denn die Show gut wird. Und das wurde sie.
MUDVAYNE betraten, unter noch relativ zahmen Jubel, die Bühne.

Durchgestartet wurde, wie schon zwei Tage zuvor mit 'Determined', um die Location möglichst schnell in einen Hexenkessel zu verwandeln. Gewissermaßen war dies ein Moment der Wahrheit. Auch bei METALLICA hatte ich damals auf dem ultimativen Ansturm von hinten gewartet, und letztlich stand ich förmlich allein gelassen an meinem Platz. Hier aber entwickelte sich das Publikum, wie es kaum hätte besser kommen können. Innerhalb weniger Sekunden legte das bis dato prüde wirkende Publikum seine Zurückhaltung ab und huldigte der Band, für die es gekommen war. Das man dabei derbst gegen die Absperrung gedrückt wird war mir nicht neu. Außerdem überwog die Situation in der ersten Reihe zu stehen und ewig Luft zu bekommen.
Die Setlist brachte, bis auf die beiden Streichungen, absolut nichts Neues, aber es bildeten sich kleine, aber feine Unterschiede zu Bochum heraus die, ob man es glauben mag oder nicht, dieses Konzert zum besseren der beiden machte. Erwartungsgemäß schlug man mit dem Livekracher 'Internal Primates Forever' erneut an die Oberkante MUDVAYNE'scher Liveatmosphäre an. Nun aber kristallisierte sich heraus, dass sich die einzelnen Lieder in dieser Halle sehr viel besser zelebrieren ließen. Der Opener der "The End Of All Things To Come" - 'Silenced' - schien Mauern einzuschlagen und das neue Stück 'IMN' bestach noch stärker durch sein instrumentales, mitreißendes Ende. Dieses Lied ist schon jetzt ein Ohrwurm.
Die anfänglichen Soundprobleme von Bochum blieben dank des tollen Veranstaltungsortes völlig aus. Mehr noch, sie ließen den Auftritt in der Matrix wie ein einziges Tonproblem wirken. Hier jedoch konnte man mit glasklarem Sound überzeugen.
Leider wurde, wie sich herausstellte, auf die Songs 'Skrying' und 'Rain.Sun.Gone' verzichtet. Wie mir später Mathias Blühdorn von Sony berichtete, muss es vor der Show wohl zu technischen Problemen gekommen sein, die dann womöglich die Kürzung der Setlist zur Folge hatten. Wenn man aber bedenkt, das MUDVAYNE 2003 generell nur 12 Lieder zum Besten gaben und nun, nach zwei Kürzungen immer noch 13 Stück spielten, dann ist dies absolut kein Beinbruch. Dennoch ist es um die beiden Songs schade, da 'Skrying' extra für diese Tour in die Setlist aufgenommen wurde, und 'Rain.Sun.Gone' nicht nur eine Art Bass-Solo beherbergt, sondern aufgrund seiner Lyrics eine Art Titeltrack des neuen Albums ist. Egal, wenn es etwas gibt, womit man so einiges wieder gut machen kann, dann ist das Spielfreude und Publikumsnähe! Und davon zeigten MUDVAYNE jede Menge. Der Columbia Club hat ohnehin ein sehr familiäres Ambiente und besonders Sänger Chad kam dem entgegen, indem er sich sehr häufig am Bühnenrand hinhockte, die Hände von Fans in den ersten Reihen ergriff und zu fast jedem Lied eine authentische Ansage machte. Anerkennend sei an dieser Stelle mal erwähnt dass er, nicht wie jeder andere Hampel, einen Stecker im Ohr hatte, sondern seiner Lieder ganz old-school präsentierte.

Doch mehr noch, dieses Konzert war ein Geben und Nehmen, denn die Fans dankten es ihrer Band, indem sie lauthals quasi jedes Lied mitsangen. Besonders auffällig wurde dies bei Liedern wie '-1', an das sich erneut nahtlos 'Death Blooms' anschloss, bei denen der Gesang Hunderter Chads Stimme losgelöst von allen Instrumenten begleitete. Bei 'Nothing To Gain' ließ er die Zeile "One of my own in my life…" aus der ersten Strophe sogar vollständig das Publikum singen und der Abschluss dieses Liedes wirkte wie immer nicht von dieser Welt.

Eindruckvoll war auch, dass so viele Leute bereits 'Happy?' nahezu vollständig mitsingen konnten. In jedem Fall machte dieses Lied, als auch das hier schier unglaublich wirkende 'World So Cold' dieses Konzert zu einem unglaublichen Erlebnis, und dem schlimmsten Alptraum für die Stimmbänder aller Anwesenden. Spätestens in diesem Moment hatten MUDVAYNE bereits alles gewonnen, was es zu holen gab. Chad Gray bewies einmal mehr, warum er einer der besten Sänger überhaupt ist, ob mit weichem Gesang oder unzähligen unerreichbaren Schreiattacken an diesem Abend.
Zu den beiden Rausschmeißern 'Not Falling' und 'Dig' gab es dann noch mal ordentlich zu tun für die beiden Möchtegern-Securities im Graben, die es nicht mal ansatzweise gebacken kriegten, die Surfer auf die Menge zurückzudrängen.

Alles in allem war dieses Konzert die beste Werbung, die man als Band nur für ein neues Album und für sich selbst im Allgemeinen nur machen kann. Außerdem erlebte zumindest ich es als eines der angenehmsten überhaupt, ohne das es auch nur einen Bruchteil an Intensität und Kraft eingebüsste. Nun bin ich wieder süchtig, und kann nur hoffen, dass die Band ihren Worten Taten folgen lässt und noch weitere Deutschland-Konzerte dieses Jahr gibt. MUDVAYNE haben nichts von ihrer Magie verloren, und nicht nur MUDVAYNE hatten Magie an diesem Abend.

Setlist:
Determined
Internal Primates Forever
Silenced
IMN
-1
Death Blooms
Pushing Though
Nothing To Gain
Happy?
Cradle
World So Cold
Not Falling
Dig

Redakteur:
Michael Langlotz

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