Mutabor - Potsdam

16.03.2005 | 11:19

11.03.2005, Lindenpark

Nüchtern-altphilologisch betrachtet, bedeutet MUTABOR nichts anderes als die lateinische erste Person Singular Passiv Futur Eins von "mutare" und heißt "ich werde verwandelt werden" oder reflexiv gebraucht "ich verändere mich". Doch bei der Band MUTABOR, die an diesem Freitagabend im Lindenpark spielt, ist eine derart bierernste Betrachtung nicht angebracht.

Vor dem Einmarsch der Lokalmatadore aus Berlin sind jedoch erst einmal PLENTY ENUFF dran. Die achtköpfige Band aus der Schweiz spielt eine Mischung aus Reggae und Ska, die ziemlich weit vom Klangempfinden eines dauernd von Drums und Gitarren verwöhnten Ohres entfernt liegt. Dem Otto-Normal-Metaller würden zu so einer Band wohl Begriffe wie "Hippie-Kacke" einfallen, die Fans im Lindenpark tanzen sich dagegen schon einmal warm und feiern die Eidgenossen lautstark ab. Kein Wunder, zeigt sich das Publikum doch wild gemischt, wobei die alternative Studentenschaft aus Potsdam und Berlin in der absoluten Überzahl ist. Deshalb an diese Stelle: Keine Wertung, über so eine Band kann kein Metal-Head oder Rockfanat objektiv urteilen...

Bei MUTABOR klappt dies schon einfacher: Ihr Stil heißt "Punky Reggae Party", eine wilde Mischung aus Rock, Punk, Ska, Folk, Reggae und Pop, inspiriert von Vorbildern wie BOB MARLEY, THE STOOGES oder den DEAD KENNEDYS. Mit diesem Konzept tingeln sie seit 1997 durch Deutschland, haben seitdem schon mehr als 500 Konzerte gegeben. Die Songs der sechs Musiker hören auf klangvolle Namen wie 'Maria Huana' oder 'Masturbation in der Sonne'. Doch geht es bei MUTABOR nicht nur um die bestmöglichste Form der Party in der Spaßgesellschaft, sie sehen sich gleichzeitig als politische Band mit einem durchaus gewollten Anarcho-Touch der Sorte "jeder kann alles machen, ohne die Freiheit anderer zu beeinträchtigen." Die aktuelle Platte der Jungs heißt passenderweise "Individuum" und erschien 2004. Behandelt werden die Befindlichkeiten des Menschseins. "Das Individuum liebt, hofft, leidet, rebelliert, träumt...", so MUTABOR-Sänger Axel Steinhagen in Interview. So klingt auch die Musik der Scheibe in Songs wie 'High' oder 'Fisch' um Längen melancholischer als in den Anfangszeiten der Band, um jedoch bei Krachern wie 'Karneval' wieder pure Lebensfreude zu versprühen. Veredelt werden solche Stücke durch Violinistin Helen Bauernfeind und Juliane Kissner, die den Sound mit Saxophon, Flöte und Akkordeon beschwingt. Live bietet sich dabei ein durchaus beeindruckendes Bild. Der Lindenpark ist bis zum letzten Platz voll, gut 500 Nasen sind in Richtung Bühne gerichtet. Bis zur Mitte des Saals springen die Fans, in den hinteren Reihen tanzen sie. Ihr Antreiber ist ebenjener Axel, der das Fitness-Center für seinen durchtrainierten Körper auf die Bühne verlegt hat. Dort springt er auf und ab, legt Kilometer um Kilometer zurück, schwitzt und schafft es doch noch, jedes Stück seiner Truppe fehlerfrei mit seiner markanten Stimme zu singen. Stationen eines langen Konzertabends: ein heftig-cooles 'Karneval' sorgt schon für erste Massendiveaktionen - später erzählt Axel, dass MUTABOR demnächst mit ihren Fans "mal nach Amsterdam kiffen" fahren wollen - die neue Live-DVD wird verlost, bei der fünften Scheibe dauert es allerdings länger, weil die Besitzer der Losnummern nicht reagieren... Kurzweil pur. Eine wesentliche Beobachtung im Publikumsverhalten: Es springen unheimlich viele Frauen von der Bühne, aber wenn, dann oft gleich zu zweit - Rückschlüsse auf das Verhalten im Toilettenfall? Anyway, der Knaller des Abends ist "Es gibt keine Liebe", das in der Maximal-Länge-Version von gut zehn Minuten für ausgelassenen Antiliebeskummer-Pogo sorgt. Während des Hits kommt Axel die gute Idee, dass Publikum räumlich zu trennen: Alle Mädels müssen sich rechts der Bühne aufstellen, die Kerle auf der anderen Seite. Nun sollen sie um die Wette "Es gibt keine Liebe auf dieser Welt" schreien. Der verblüffte Besucher stellt fest: Ein MUTABOR-Konzert trägt durch die Verteilung des Publikums durchaus dazu bei, dass die Götter der Fruchtbarkeit wieder Arbeit bekommen, sind doch Männlein und Weiblein zu je 50 Prozent vertreten. So wird denn auch eine zentrale Botschaft der Philosophie dieser Band bewusst: Menschen aus verschiedenen Musikstilen zusammenbringen und sie auf einem extrem Schweiß treibenden Gig zusammen Spaß haben lassen. Oder, wie es im Song 'Magana' heißt: "Wir schließen den Kreis und lassen los - alleine so klein, zusammen so groß." Schickes Konzert, obwohl sicher nicht für jeden Metal-Head dauerhaft ertragbar...

Redakteur:
Henri Kramer

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