Negative - Leipzig

14.11.2006 | 00:12

04.11.2006, Anker

Pornogestöhne. Seltsame Laute dringen aus dem Backstage-Raum von NEGATIVE, Finnlands wohl heißester Newcomer-Band im Goth-Rock-Bereich. Ihr Gitarrist Larry hebt den von einer mächtigen Mähne verzierten Kopf und grinst entschuldigend. Tourleben. Im Interview vor dem Auftritt in Leipzig hat er einige Geschichten davon zu erzählen. Jeder Tag ihrer bisherigen Reise durch Deutschland war ausverkauft, heute werden 900 Fans erwartet - und dies nur wegen des aktuellen NEGATIVE-Albums "Anorectic", einem auch für Finnland-Skeptiker recht tauglichem Werk zwischen unbekümmerter Rock-Attitüde und klischeemäßigem Herzschmerz. "Wir hatten eine echte Vision für dieses Werk und haben sehr hart dafür gearbeitet - es ist nun umso schöner, wenn die Fans schon alle Texte auswendig singen können", sagt Larry.
[Henri Kramer]

Und viele warten. Menschenmassen oder vielmehr Teenies im Überfluss drängen sich an diesem Abend vor dem "Anker"-Club in Leipzig, und dabei ist es noch nicht einmal eine Stunde vor dem offiziellen Einlass. Spätestens seit dem vergangenen Jahr, als NEGATIVE die Vorband ihrer Nachbarn HIM waren, sind sie in Deutschland bekannt. Der Durchbruch mit ihrem aktuellen Album scheint dank "Bravo" und Co. auch mehr als geglückt zu sein. Stundenlang stehen sich manche Fans an dem Abend in der Kälte schon die Füße in den Bauch. Langes Warten, das kurz nach 20 Uhr endlich belohnt wird. Um sich auch einen Platz genau mittig in der ersten Reihe der Konzerthalle zu sichern, rennen die 13- bis 16-jährigen Mädchen durch den Raum. Die ersten Minuten passiert immer wieder dasselbe: Ein neuer Fan passiert den Eingang, beginnt schneller zu laufen, beschleunigt noch mehr um dann an der Bande zum Stoppen zu kommen. Doch Hauptsache der gute Ausblick auf Sänger Jonne und seine Bandkollegen ist sichergestellt. Leider halten es aber bis zu diesem Anblick nicht alle aus. Der Notarzt kommt bereits gegen 20:30 Uhr das erste Mal zum Einsatz. Der Rest hält sich tapfer vorn. Wer bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht weit genug vorn steht, hat keine Chance mehr sich zwischen Teenies nach vorn durchzuschmuggeln, denn sie verteidigen ihre Plätze zähneknirschend mit großen Eifer. Dafür gibt es keine langen Schlangen an der kleinen Bar.
[Franziska Böhl]

NEGATIVE selbst geben sich dagegen als Rocker. Die Story seines Tages erzählt Larry: Früh hat er duschen wollen, doch Leute aus seiner Crew waren schneller. "Das Wasser war eiskalt", schmunzelt Larry. Und legt plötzlich los: "Ich habe das auf mich genommen und mich gefühlt wie der Terminator - ich habe keinen Schmerz gespürt." Im Interview lässt er öfters solche Sätze fallen, erzählt auch von der einen Sache, die ihm beim Aufnehmen von "Anorectic" besonders im Kopf geblieben ist: "Im Frühjahr hat mich meine Freundin verlassen", sagt er. Doch jetzt gehe es ihm wieder gut. Doch viele seiner beigesteuerten Melodien seien von diesem Erlebnis mit aufs Album gelangt. Doch jetzt, wie gesagt, sei alles kein Problem mehr. Maximal der tägliche Alkoholkonsum sei gefährlich und auf Dauer nicht gesund ...

Vielleicht gibt sich Larry auch deswegen so locker, weil er seinen Traum verwirklich hat, von der Musik leben zu können. "Ich habe die Schule geschmissen, weil sonst die Arbeit mit der Band zu sehr gelitten hätte", gibt er zu Protokoll. Natürlich, seine Eltern seien über diesen Schritt nicht glücklich gewesen. "Aber man lebt nur einmal - und man wird depressiv, wenn man nicht die Sache tut, die man eigentlich machen möchte", ist Larry überzeugt von seinem Lebensentwurf. Auch die Vorband des Abends, JANN WILDE & ROSE AVENUE, wird solche Träume haben. Sie kommen laut Larry auch aus Tampere und sind "gute Freunde" von NEGATIVE, nur eben ein wenig poppiger, wie er sagt: "Das passt gut, denn dann rocken wir danach um so mehr - wie die Hölle."
[Henri Kramer]


Szenenwechsel: Endlich ist es kurz nach 21 Uhr. Vier Typen betreten die Bühne, JANN WILDE & ROSE AVENUE. Noch sind sie in Deutschland eigentlich kaum bekannt, aber sie verursachen im Publikum ein wildes Kreischen als wären sie große Superstars. Mir ihrer sehr eingängigen und rockigen Musik können die Jungs das Publikum auch so gut motivieren, dass alle brav mitklatschen und mitsingen, so wie bei der Textzeile "I want you". Zwischendrin werden noch kurz die Headliner des heutigen Abends erwähnt und dann wird weiter eine so gute Stimmung fabriziert. Vielleicht liegt der Erfolg von JANN WILDE & ROSE AVENUE auch darin, dass deren Sänger Jann Wilde (sic!) Ähnlichkeiten mit TOKIO HOTEL-Sänger Bill aufweist. Die jungen Mädels sind sichtlich begeistert von dem Quartett, das im Durchschnitt wohl auch nur wenige Jahre älter ist als ihre neu gewonnenen Fans, die ihnen kräftig applaudieren. Zum Abschluss wird von Jann noch einmal "The greatest band in the universe: NEGATIVE!" angekündigt.
[Franziska Böhl]

Larry gibt sich indes bescheidener. "Wir sind gerade dabei, unsere eigenen Sound zu entwickeln", sagt er, auch mit Blick auf die häufigen Vergleiche mit HIM. Solche Meinungen seien grundsätzlich erlaubt, "es ist eine Ehre mit so einer großartigen Band verglichen zu werden." Doch eines stehe fest: "Wir sind keine Kopie." Er selbst fühlt sich von Bands wie GUNS'N'ROSES beeinflusst und dem Werk von IGGY POP, im Tourbus läuft dagegen PINK FLOYD. Und er freut sich auf die Zeit nach der Tour: Dann geht die Band geschlossen zu einer Geburtstagsfeier von HIM, dort wollen sie feiern. Alkohol wird dann auch wieder eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen: "Mit Rock 'n' Roll und Jack Daniel ist alles gut." Soviel zu Vorbildsfunktion von Musikern für ihre jungen Fans ...
[Henri Kramer]

Draußen steigert sich inzwischen die Atmosphäre, die Begeisterung wächst: Und noch vor Beginn des Auftritts von NEGATIVE haben die Sanitäter wieder einiges zu tun, denn mancher junger Fan hyperventiliert bereits davor. Als es wieder dunkel wird, folgt ein Intro, und nun betreten nach und nach die Jungs die Bühne. Eine symbolische Vorstellung. Bereits mit den ersten Tönen von 'Glory Of The Shame' kocht die Stimmung im Saal: Rockige, mitreißende Musik und dazu die gutaussehenden, jungen Musiker. Kein Wunder, dass da auch viele Rosen und Kuscheltiere auf die Bühne fliegen oder der ein oder andere Fan kurz aufkreischen muss, vor allem wenn Sänger Jonne wieder einen sexy Blick in Richtung des Publikums wirft. Dabei ist er eigentlich krank, doch dank der Schminke bekommt das Publikum davon nichts mit. Auch mit seinen kurzen Haaren kann er begeistern. In einer kurzen Pausen stellt er die Band noch einmal komplett vor. Später präsentiert er sogar seine Deutschkenntnisse. Das "Ich liebe dich" kommt dabei besonders gut bei den Teenies an. Sie lieben NEGATIVE auch. So lässt sich das Publikum ohne Schwierigkeiten zum Mitsingen motivieren, so zum Beispiel bei 'Moment'. Aktionen wie in den Schritt greifen oder kurze Küsse zwischen Jonne und Larry steigern die Begeisterung weiter. Auch die eher schleimigen Worte, "Let me see you, beautiful girls" erhöhen scheinbar die Beliebtheit der Jungs. Es folgt das traurige Stück 'A Song For The Broken Hearted'. Die Sentimentalität des Songs wird durch die Lichter der Feuerzeuge im Publikum noch einmal unterstrichen. Hinzu kommt bei diesem Lied eine protzige Doppellauf-Balladengitarre mit einem langen Solo. Zum Abschluss wirft Jonne noch Rosen ins Publikum. Doch ganz zu Ende ist ihr heutiger Auftritt nicht, denn die Fans wollen mehr von ihnen hören. Von den hunderten erhobenen Händen machen NEGATIVE gleich ein Foto, bevor dann die Zugabe mit den Songs 'Fading Yourself' und 'Inspiration' gespielt wird. Aber irgendwann ist auch das schönste Konzert. Zum Abschied wird ein WITHIN TEMPTATION-Song aus der Konserve abgespielt, damit sich die Jungs gebührend feiern lassen können. Lange kosten die Jungs den Applaus der Mädels aus den vorderen Reihen aus, werfen Rosen ins Publikum. Und wenigstens ein Mädchen kann sogar ein vollgeschwitztes Handtuch der Band mit nach Hause nehmen. Nicht waschen!
[Franziska Böhl]

Redakteur:
Franziska Böhl

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