Obscene Extreme - Trutnov

21.07.2004 | 05:30

08.07.2004, Na Bojisti

Erster Tag, früh am Morgen. Zielloses Strolchen durch Trutnov. Die Stadt sieht für das tschechische Hinterland typisch aus - viele Häuser sind verblasst, ein kleiner Wohlstand hat sich dennoch breit gemacht, viele neue Geschäfte locken mit bunten Waren. In einem Spielzeugladen gibt es sogar erstklassige Wasserpistolen für geschenkte drei Euro, unverzichtbare Festival-Ausrüstung also. Die örtliche Bank am zentralen Markt ist dafür eine Baustelle. Aber auch ohne viel Geld kann jeder in Tschechien überleben - der Italiener im Stadtzentrum bringt die große Pizza samt Bier für lockere fünf Euro auf den Riesen-Teller.

(Henri Kramer)

Robert und Henri können es sich selbst bei den Preisen nicht nehmen lassen, ihr eigenes Bier mitzubringen, welches dann eine einsame halbe Stunde vor dem Restaurant verbringen muss. Doch die beiden sind recht fürsorglich und schauen alle paar Minuten nach ihren kleinen, nur kurz haltbaren Freunden. Ich bleibe innen sitzen und versuche die Situation durch holländische Fußballwitze zu deeskalieren, was mir nur in Ansätzen gelingt.

(Falk Schweigert)

Wir leben doch noch?! Übrigens: Wie müssen sich bei diesen Preisen erst Festival-Besucher aus dem teuren Schweden fühlen? Ziemlich gut, einer der Nordländer namens Johan steht schon samt Rastas und dreckiger Kutte vor der Bühne und trinkt Gambrinus-Rock-Bier für 66 Cent pro halbem Liter. Das Bezahlen läuft über Coupons. Ein solcher Bon kostet 33 Cent. Einen kräftigen Schluck Rum gibt es schon für zwei Scheine. Das ist fast schon unfair billig. Dazu kommt das Fehlen jeglicher Pfandpflicht - das Gelände wird schnell und effektiv zum größten Gambrinus-Plastik-Becher-Grab Tschechiens.
Auf dem Friedhof der Biertassen, Part VI, spielt 14 Uhr die erste Band. Sie heißt DEFORMED kommt aus Polen und spielt Gore Grind. Das machen ganz schön viele andere Bands auf diesem Festival auch. Zur optischen Unterscheidung tragen DEFORMED deshalb Arztkittel, ihr Sänger Wojciech stößt immer wieder männliche Weiber-Schreie aus. Sonstige musikalische Finessen: Fehlanzeige. Es schrammelt und schreddert eben so vor sich hin.

(Henri Kramer)

Henri, du erntest meine volle Zustimmung, die Kittel sind wirklich unbeschreiblich originell und dann nicht einmal richtig zugebunden. Die spitzen Schreie tun sehr weh, sind lächerlich, lockern die ganze Chose zu meinem Erschrecken aber noch auf.

(Falk Schweigert)

Die meisten Festival-Besucher sitzen denn auch alle noch recht ruhig auf ihren Plätzen, trinken Bier und quatschen. Die Band vorne lärmt vor rund 40 Fans, die dafür schon einmal diven üben. DEFORMED sind nach 20 Minuten fertig. Da muss der Zeltaufbau jetzt echt fix gehen!
Zehn Minuten Umbaupause später spielen MINCING FURY AND GUTTURAL CLAMOUR OF QUEER DECAY und haben damit zumindest den Rekord für den längsten Namen beim Obscene Extreme souverän an sich gerissen. Mit einem Drum-Computer im Rücken tollen fünf Leute über die Bühne, grinden die paar Fans davor in Grund und Boden. Für den besonderen Lacher am frühen Nachmittag ertönen zwischen den Songs ein paar kurze tschechische Volkslieder. Ansonsten bleiben die 20 Minuten Musik im bodenständigen Geschwindigkeits-Rausch, wirkt dieser in seiner schnellen Monotonie fast beruhigend. Philosophische Diskussionen über die mögliche heilsame Wirkung von Grindcore in der Betreuung von chronisch nervösen Patienten erstickt das nächste Bier. Prost.

(Henri Kramer)

Schnell manifestiert sich der Gedanke, dass auf dem Obscene Extreme die Scheißbands glücklicherweise nur 20 Minuten spielen dürfen. Sorry, das muss mal gesagt werden, aber bei 19 Bands am ersten und 27 Bands am zweiten Tag sind logischerweise mehr Filler als Killer dabei.

(Falk Schweigert)

Nun ein witziges Ratespiel: Was für Musik macht eine Band, die FLESHGORE heißt und aus der Ukraine kommt? Ein kleiner Tipp: Es klingt nicht wie eiererschütternder Power Metal. Es ist derber US Death Metal mit einer ordentlichen Schlagseite Grindcore. 20 Minuten lang, die Spielzeit reicht für ein Bier.
Die Hamburger von SUFFERAGE sind da schon origineller und dürfen deswegen gleich 25 Minuten lang kontrollierten Krach machen. Und wie! "Sängerin" Jasmin röhrt wie eine atomverstrahlter Elchkuh ins Mikro und sieht dabei noch tausend Mal besser aus als alle NIGHTWISH-Tussies dieser Welt. Ob es an ihrem Bekenntnis auf der SUFFERAGE-Homepage unter dem Stichwort "Kippen" liegt? Jasmin an dieser Stelle: "Ich variier da immer zwischen Gauloises blau und rot, Luckies und Nil. Notfalls auch alles andre..." Auf der Bühne raucht sie nicht, dafür bedankt sie sich beim tschechischen Publikum: "Wir waren immer schon als Gäste da. Es ist ein geiles Gefühl nun hier zu stehen!" Dementsprechend motiviert legen SUFFERAGE los, ordentlichster Old School Death Metal röhrt aus den Boxen. Leider gibt es leichte Technik-Probleme, zwischendrin funktionieren nur noch die Monitor-Boxen auf der Bühne. Die Band, in ihrem musikalischen Zerstörungswahn gefangen, merkt davon nichts - nur noch leise Soundfetzen dringen über das Gelände, fast erinnern SUFFERAGE nun an eine extreme Pantomime-Gruppe. Doch bald ist die volle Dröhnung wieder da - und ein "Ein-Wort-Fazit": Geil!

(Henri Kramer)

Ja, in der Tat ein treffendes Fazit. Nicht umsonst vernehmen meine biergetrübten Augen die ersten Stage Diver. Obwohl Bassist Olli gar nicht nüchtern gewesen sein kann, zocken SUFFERAGE einen hochmotivierten und präzisen Set. Sie spielen sich fast schon in einen tranceartigen Zustand, schließlich bekommen sie von dem Soundausfall nichts mit und ernten sogar dafür noch Applaus. SUFF und RAGE eben.

(Falk Schweigert)

Warnung für den objektiven Leser: Jetzt kommen zwei völlig subjektive Kurz-Verisse zu:

a) DETRIMENTUM aus England

und b) vor allem GUTTED aus Ungarn.

Beiden fallen gegen den Auftritt von SUFFERAGE ganz schön ab. Zweimal Death Metal, aber besonders bei den Ungarn herrscht pure Langweile - Zeit für den Metal Markt.

(Henri Kramer)

Halt! So ganz kann ich das nicht stehen lassen, obwohl Henri so ganz falsch auch nicht liegt. Sicher haben es die meisten Bands im diesjährigen Billing schwer nach dem Auftritt von SUFFERAGE. Doch glaube ich, dass DETRIMENTUM auch durch den einsetzenden Regen benachteiligt werden, der einen Teil des Publikums von der Bühne wegscheucht. Die Engländer spielen routiniert - vielleicht zu routiniert, denn der Funke will nicht so recht auf die noch Anwesenden überspringen. Als dann GUTTED anfangen zu grinden, beobachte ich vom Bierzelt aus ein kleines Kind im Sand spielen. Es scheint wohl von den Ungarn ähnlich angetan zu sein, wie ein Großteil der Meute inklusive meiner Wenigkeit. Also widme ich meine Aufmerksamkeit erneut unserem treuesten Begleiter in diesen harten Stunden: dem Biere. Die einzigen Impressionen, die ich aus dem Party-Zelt mitnehmen kann, sind die Zitate anwesender Fans: "...und ein schneidender Wind fegt den Belag vom Butterbrot, das kommt wohl von der Nässe hier!" und "Beim Ficken muss er stehen.". Entschuldige Henri, ich hab dich nur ungern unterbrochen. Wo warst du noch mal? Ach ja, auf dem Metal-Markt...

(Falk Schweigert)

Dort verkaufen Bands wie GRONIBARD oder BUTCHER ABC ihre Sachen gleich selbst und bereiten sich schon mal mental und mit Pils auf ihre Auftritte vor. Die Preise sind sensationell. Ein nachgemachtes T-Shirt von Klassiker-Bands wie TERRORIZER oder MESSIAH kostet nicht mehr als sieben Euro. Auch die Japaner BUTCHER ABC verkaufen Shirts. Auf denen steht das kultige Logo: "Heavy Metal is law, Death Metal is low, Gore Grind is raw." Daneben post ein Zombie mit Kettensäge. Cool! Ansonsten gibt es auf dem Markt jede Menge Platten, CDs und Kassetten, durchweg derbster Underground-Stoff. Selbstgenähte und gedruckte Aufnäher gibt es sogar für nur einen Euro - von geilen Sturm-Kommandos wie ANGEL CORPSE, BOLT THROWER oder CARCASS. Auch ein paar Punks aus Deutschland sitzen hinter ihrem Stand - ein Grindcore-Festival ist im Grunde zwar unpolitisch, im Zweifelsfall aber links. Bekennende und von außen sichtbare Nazis hätten hier sehr schwere Tage...
Dagegen haben PSYCHOFAGIST überhaupt keine Schwierigkeiten erste Hirn-Synapsen ins vorzeitige Existenz-Nirvana zu trümmern. Die Italiener spielen "Psycho Death Metal" und sind gleichzeitig eine der technischsten Bands des gesamten Festivals. Die Burschen entwickeln eine atemberaubende Brillanz und liegen irgendwo zwischen den seligen Andenken von DISHARMONIC ORCHESTRA und ATHEIST, klingen nur noch um ein paar CRYPTOPSY-Härtegrade brachialer. Vollkommen abgedreht, diese Jungs aus dem Land der Eier-Nudel. Auf ihrer Homepage gibt's sogar eine komplette Promo-CD zum Runterladen, die ist nicht minder genial als dieser 25-Minuten-Zaubergig.

(Henri Kramer)

Hüstel. Technisch sind sie unbestritten, ich gehe noch weiter und werfe mit Adjektiven wie wild, zerfahren oder strukturlos um mich. PSYCHOFAGIST sind überhaupt nicht mein Fall. Mag sein, dass es eine Fangruppe für solch eine Art von Musik gibt, aber ich habe schon vor längerer Zeit für mich beschlossen, dass Bands wie CRYPTOPSY und NILE Dreck sind. (Ignorant! - Anm. von H.K.) Wenn ich Metal höre, will ich bangkompatible Riffs, da will ich fetten Rock'n'Roll oder wenigstens erheiternde Brutalität, welche mir hier einfach abgeht. Ich geh' erst mal etwas essen, damit ich zum BIRDFLESH-Gig wieder durch physische Anwesenheit glänzen kann.

(Falk Schweigert)

Der echte PSYCHOFAGIST-Maniac mosht dafür bis zum Ende weiter. Dagegen danach MINDFLAIR - naja. Ganz netter Grindcore, aber nun auch nicht so genial. Die Jungs kiffen wohl ganz gerne mal einen, können aber dennoch wie Gummibälle über die Bühne hirschen. Ansonsten bleibt der Gig ohne große Langzeit-Wirkung. Die Fans vor der Bühne feiern trotzdem wie irre, tschechische Fans sind so hungrig wie Löwen nach einer Woche Wüsten-Sandsturm - Wahnsinn! Deshalb gehen MINDFLAIR auch sichtlich glücklich von der Bühne und bleiben gleich davor stehen - die Jungs sehen sich fast alle Bands des Festivals an, anstatt sich wie so viele andere Musiker hier zu entmenschlichen. (Die Jungs sind so überzeugt von sich, dass sie am nächsten Tag ihre Playlist für 3,- Euro zum Verkauf anbieten - Anm. von F.S.).

(Henri Kramer)

Nachdem ich ein Riesenschnitzel mit Pommes und Bier verdrückt habe und das Gelände erneut entere, treffe ich alte Bekannte vom Vorabend wieder. Thomas Kessel, Patte und Arthur sind drei erzlustige Bayern, die sich in der olympischen Disziplin "Druckbetankung" üben. Sie nehmen mich in ihren Kreis auf, wir lachen herzlich die ein oder andere Band aus und führen tiefschürfende Gespräche, wie sie nur nach 15 Bier oder wahlweise auch Weinschorle entstehen können. Die drei sind nur aus einem einzigen Grund hier: "Weil hier immer alles so billig ist!"

(Falk Schweigert)

Das stimmt. Die Eintrittskarte kostet 20 Euro, zum Ticket gibt es noch einen Sampler mit den meisten Bands des Festivals gratis dazu. Für das Geld spielen schon am Freitag 19 Bands, weitere 27 Gruppen folgen am Samstag. Neben den billigen Alk-Preisen ist das Essen ebenfalls vernichtend billig - ein vegetarischer Burger kostet drei Gutscheine oder einen Euro. In der Tat, auf dem Obscene Extreme gibt es nur veganes oder vegetarisches Mampfen - Veranstalter Curby setzt aus Überzeugung kein Fleisch auf seinen Speiseplan (O-Ton: "We support animal rights!"). Echten "Gulasch-mit-Knödel"-Fetischisten bleibt da nur ein Restaurant direkt am Festivalgelände, weitere Gaststätten haben in der Nähe geöffnet. Der Besuch in einem der Braten-Tempel lässt PATHOLOGY STENCH ohne Bericht spielen. Veranstalter Curby bewirbt sie so: "Slovakian brutal death killers PATHOLOGY STENCH that released brilliant album 'Nezpyred'. We are more than sure that they will unleash real brutal death inferno!!!"
Auch WASTEFORM müssen ohne Report auskommen. Umso frischer und gestärkter springen FLESHLESS bei vollem Schreiber-Bewusstsein auf die Bühne. Dort metzeln sie los - kein Wunder, dass diese Jungs in der tschechischen Death-Metal-Szene längst einen Sonderstatus für brutal-technisches Hacken haben. Außerdem spielen sie 'I Will Grind Your Fingers' von einem ihrer ersten Demos - völlige Ekstase vor der Bühne und in der Luft. Jetzt hupfen die Diver gleich in Fünfer-Packs in Richtung harter Beton-Boden unter dem Fan-Pulk. Die Verhaltensregeln dazu stehen im Festival-Programm: Um leichter fliegen zu können, ist der erste Meter der Bühne für Sprung-Willige vorgesehen. Sie dürfen aber nicht über diese gedachte Linie kommen, nicht die Musiker umarmen oder die Monitor-Boxen bespringen. Als Security sind Bands aus der näheren Umgebung eingeteilt, also Musiker von ultimativen Krach-Kapellen wie ISACAARUM oder MALIGNANT TUMOUR - die wissen aus eigener Erfahrung, was ein entfesselter Tschechen-Moshpit ist. Erzählt das mal den Sicherheits-Typen bei anderen Festivals...!
Zurück zu FLESHLESS: Sänger Vladimir ist der gewohnte Fels in einer höllischen Brandung aus brutalem Sound und donnernden Drum-Anschlägen. Das Ergebnis lautet: "Rockbar!" Gegen dieses Vernichtungskommando sieht manche Ami-Band fast schon arm aus...

Es bleibt laut, es bleibt hart, es bleibt höllisch schnell. BIRDFLESH kommen. Die Burschen aus Schweden sind die heimlichen Headliner des Tages, selten hat Grindcore soviel Spaß gemacht. BIRDFLESH versprühen viel, viel kranken Charme, ins allgemeine Inferno ihrer Musik hauen sie auch gerne mal ein klassisches Metal-Riff. Der Sänger widmet den Auftritt folgerichtig "all victims of the grind". Die Fans übernehmen gerne die Rolle der Opferlamm-Herde und blöken wie wild durch die Gegend, springen von der Bühne, pogen umher. Nach einer halben Stunde BIRDFLESH gibt es 'ne krasse Farbveränderung - nach diesem Auftritt sieht die Grindcore-Welt für die meisten Besucher des Obscene Extreme erst einmal gänzlich rosa aus. (Tja Henri, was soll ich da noch sagen? Du hast den Gig perfekt beschrieben. Grindcore, wie er im Buche steht. - Anm. von F.S.)
Dagegen wirkt eine Band wie BRODEQUIN so gänzlich uninspiriert und schlichtweg müllig, dass sogar das Bier im Becher fast verfault. Schnell austrinken und wegrennen, solch stupides Sinnlos-Ami-Gehacke braucht keine Sau.

(Henri Kramer)

Doch, ich! Mir gefällt der Auftritt sehr gut, doch bin ich da anscheinend der Einzige. Die Österreicher Patte, Arthur und Thomas sind ebenfalls schnell mit einem vernichtenden Urteil zur Stelle. Mir gefällt es umso mehr, weil ich vor einigen Wochen die Band wegen des vielen heißen Mets auf dem Fuck The Commerce verpasst habe. Die Amis sind schnell, hart, tief, präzise und unglaublich brutal; ich bin so geschockt, dass ich darüber nachdenke, einen der vegetarischen Burger zu probieren, lege dieses Projekt aber nach kurzem Dialog mit meinem Magen wieder auf Eis. Und: Schade, dass in meiner Umgebung BRODEQUIN bei nur so wenigen Menschen oder deren Überresten Anklang finden.

(Falk Schweigert)

Stichwort: BRODEQUIN versus Überreste. Bei diesem Lärm ist das Betrachten der langsam einsetzenden Entmenschlichung am Bierstand viel interessanter. Ein Freak pierct sich dort zum Beispiel selber mit einer Büroklammer in die Lippe und rennt weithin grinsend und total besoffen herum. Ein anderer Kunde ist ebenfalls auf dem Durchmarsch in Richtung LaLa-Land und liegt schon am Boden - eine böse Falle beim Obscene Extreme. Denn der Dreck dort ist böse, sehr böse und extrem rot-braun. Es ist die Sorte Schmutz, die du auf jeder Hose siehst, ob blau oder schwarz. Deshalb: Wer hier hinklatscht, hat verloren, zum Glück aber nur seine Reinheit. Am Ende sind fast alle Besucher mal gefallen... Ein paar erwischt es auch bei GRONIBARD, die wohl genialste Band des ersten Tages. Warum? Read the weiblichen Zwischenruf!

(Henri Kramer)

"Obscene Extreme, das Festival der nackten und halbnackten Menschen. Ehrlich, so viele Unbekleidete gibt's nirgendwo sonst. Mir ist noch auf keinem Festival in Deutschland auch nur ein Nackter über den Weg gelaufen. Vergangenes Jahr war es nur einer unserer schwedischen Freunde, der sich im Adamskostüm grinsend vor die Bühne stellte. Wobei: Ganz nackt war er damals nicht, immerhin muss man eine Jeansjacke als Kleidungsstück gelten lassen. Doch dieses Jahr gibt es schon ein paar mehr unbekleidete Männlichkeiten zu begucken. Zum Beispiel GRONIBARD, die außer ihren Gitarren und den Schuhen nichts anhaben. Nur der spärlich bekleidete Sänger ist wohl zu Beginn etwas schüchtern. Aber auch das währt nicht lange, er entledigt sich seiner supersexy Unterhose und trällert im Hemdchen und Blümchenstrümpflingen fröhlich weiter. Allgemein wird ja immer behauptet, Franzosen seien schöne Männer. Hmmm, naja, darüber lässt sich streiten..."

(Bianca Schneider)

In der Tat treten GRONIBARD komplett nackt auf. Die Bühne gleicht dadurch einem Christopher Street-Gay-Day auf Grindcore-Basis. Die Fans rasten reihenweise aus. Einige Diver tun es ihren französischen Helden gleich, lassen ihre Hosen komplett herunter - Brunftszenen on stage and below. Mehr Pimmelmänner gab's nie, ein besonders verrückter Fan pullert während seines Sturzes von der Bühne los...

(Henri Kramer)

Ach Mensch, so richtig einig werden wir uns heute nicht mehr. Ich verstehe bis heute nicht, warum Grindcore unbedingt von nackten Männern gespielt werden muss. Anscheinend kann man so von der eigenen Musik ablenken. Logischerweise geht der Mob ab nachts halb elf mit jeder Band mit, aber für mich sind GRONIBARD eher belanglos. Sie reihen Riff an Riff aneinander, die für sich vielleicht nicht mal schlecht sind. Aber das macht noch keine guten Songs aus.

(Falk Schweigert)

Nach so viel kurzweiliger Unterhaltung (häh? - Anm. von F.S.) auf Fäkal-Basis ist der Auftritt von BLOOD denkbar unspektakulär. Eine der dienstältesten Death-Metal-Kapellen aus deutschen Landen geht ziemlich routiniert zur Sache, die Stücke klingen allesamt oldschoolig druckvoll und berstend, der barbarisch grunzende Sänger gibt sich sichtlich Mühe. Doch macht sich gleichzeitig eine gewisse Langeweile breit, an die Wahnsinns-Show von GRONIBARD kommen BLOOD in keiner Weise heran. (Wahnsinns-Show ist ein guter Ausdruck, ja. - Anm. von F.S.) Auch musikalisch klingen BLOOD sicherlich nicht schlecht, doch hypergeniale deutsche Todesblei-Bands wie SINNERS BLEED oder NECROPHAGIST liegen inzwischen schon kilometerweit vor BLOOD. Traurig für die blutigen Zerstörer, aber wahr. So bleibt wieder einmal Zeit für Spekulationen: Ein gefundener Flyer lädt ein zur "Fekal Party V6.0." Das kulturell sicherlich hochwertige Event findet am 28. August in der Nähe von Prag statt und glänzt mit Bands wie STERBEHILFE oder FEHLGEBURT. Im Gegensatz zu den vielen Dixies beim Obscene Extreme steht dort wahrscheinlich nur ein großes Klo - das Gelände. Wüüüürrrrrgs.
Die Headliner sind endlich da: EXTREME NOISE TERROR. Leider spielen sie viel später, als sie eigentlich dran sind - es gab wohl Probleme bei der Anfahrt. Der Stress scheint den Jungs in den Knochen zu sitzen. Denn EXTREME NOISE TERROR machen bei ihrem ersten Auftritt in Tschechien alles, nur eben nicht richtig abrocken. Und das, obwohl die zwei Sänger um die Wette keifen, grunzen und grinden.
Wenig Freunde machen sich die ehemaligen Anführer der Grindcore-Bewegung mit arroganten Statements wie: "We are the real fucking punk! We are the real fucking grind!" So etwas passt vielleicht auf Festivals der Marke Wacken oder Full Force, aber nicht aufs Obscene Extreme. Auch wenn die Jungs von EXTREME NOISE TERROR zur Zeit noch so viele private Probleme haben, hier passt nur ein Prädikat: Enttäuschend. Den allermeisten Festival-Besuchern geht es da ähnlich, richtig gut findet die Briten niemand. Außerdem sind inzwischen schon ganz viele Leute im totalen Delirium angekommen, immerhin zeigt die Zeitzwiebel schon kurz vor ein Uhr nachts. So bleiben denn auch SCREAMING AFTERBIRTH, die INSANE ASSHOLES und BLOODY DIARRHOEA ohne Bericht - wer sich einmal im Party-Zelt festsäuft, der kommt nicht mehr aus dieser Hölle heraus. Letzter Eintrag im Trinker-Buch: Der überall und nirgends anwesende Metal-"Rentner" mit Turban namens Singh ist völlig begeistert vom ersten Tag: "Ich könnte jetzt nicht sagen, wer hier besser war. Mir hat fast alles richtig gut gefallen." Schön, wenn es noch solche Fans gibt!

(Henri Kramer)

Redakteur:
Henri Kramer

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