RIVERSIDE - Aschaffenburg

16.11.2009 | 21:16

13.11.2009, Colos-Saal

Die südlichste Station der Polen auf ihrem kurzen Deutschlandtrip vor vollem Haus.

Nachdem ihr aktuelles Album "Anno Domini High Definition" allgemein beste Kritiken eingefahren hat - auch bei uns war es im Monat Juni unser Soundcheck-Sieger - scheinen RIVERSIDE alles andere als ein Underground-Tipp zu sein. Denn als ich im Colos-Saal eintreffe, ist der Club sehr ordentlich gefüllt. Natürlich hat auch die Tatsache, dass der Club Aschaffenburgs, ach was, Süddeutschlands Nummer 1 Location für Qualitäts-Prog ist, etwas damit zu tun. Wann immer eine progressive Band durch Deutschland tourt, besteht eine gute Chance darauf, dass ein Auftritt im Colos-Saal stattfinden wird. Und als Sahnehäubchen ist dies auch noch als ECLIPSED-Festival, veranstaltet vom Prog-Magazin, das aus der Region stammt und sich über viele Jahre einen guten Namen unter den Kopfnickern des Landes gemacht hat. Sehr spezialisiert zwar, aber eben zielgruppenorientiert.

Im Laufe des Abends wird der Club sogar noch etwas voller, nicht ganz ausverkauft zwar, aber doch kurz davor. Das ist auch ganz gut so, denn es ist jetzt schon schwierig, allen einen Blick auf die Bühne zu gewährleisten. Das liegt allerdings auch am relativ fortgeschrittenen Alter der Anwesenden, die größeren Wert auf Höflichkeit als auf Drängeln legen und die Musik eher genießen, denn ausrasten. Allerdings auch mehr Wert darauf legen, nicht permanent mit allen Umstehenden auf Tuchfühlung zu sein, was die Platzsituation nicht gerade entspannt.

Zu Beginn des Abends spielen die Holländer KNIGHT AREA (checken!), die schon relativ früh die Bühne entern. Das Colos-Saal veranstaltet nach dem Konzert noch einen Disco-Abend, weswegen die Veranstaltung um etwa 23:00 Uhr zu Ende sein soll, also wird früh begonnen. KNIGHT AREA spielen einen gefälligen Prog irgendwo in der Schnittmenge aus IQ, PENDRAGON und anderen britischen Vorzeige-Progbands. Das ist zwar alles andere als originell, aber trotzdem schön anzuhören. Sänger Mark Smit hat eine sehr angenehme Stimme, die allerdings auch für diesen Stil typisch ist. Alles in allem also eine gute Band, um den Abend zu eröffnen, aber auch nicht genug, um einen Abend selbst zu gestalten. Was von dem Material bei mir hängen bleibt, wo ich es zum ersten Mal höre, ist aber sehr gefällig. Wer die genannten Bands zu schätzen weiß, wird sicher mit dem Erwerb des neuen Albums "Realm Of Shadows" nichts falsch machen. Dass ich dies nur für das aktuelle Album mit Bestimmtheit sagen kann, liegt daran, dass die Band eben dieses vollständig zum Besten gibt.

Was zu KNIGHT AREA allerdings noch anzumerken ist, ist dass das Umhängekeyboard - so eine Art Thomas-Anders-Gedächtnis-Utensil - das Sänger Mark die meiste Zeit vorführt und gelegentlich auch spielt – einmal sogar ein Solo - extrem albern aussieht. Und unnötig erscheint, da der etatmäßige Tastenmann Gerben Klazinga durchaus genug Instrumente aufgebaut hat, um ausreichend Krach zu machen. Ein gewisses Maß an Selbstironie ist wohl vorhanden oder es geht Mark die Fähigkeit völlig ab, das eigene Erscheinungsbild selbst zu reflektieren, denn auch der späte Auftritt in einem dunklen Umhang - sicher lyrisch sehr passend - hat nichtsdestotrotz unfreiwillig etwas von SPINAL TAP. Man erinnere sich an das legendäre 'Stonehenge' der ausgedachten Weltstars. Oder es ist der Versuch, doch etwas Show zu bieten, was nämlich sonst auf der sehr kleinen Bühne schwierig ist. Nicht dass die Bühne im Colos-Saal an sich zu klein wäre, aber heute steht dort bereits das Drumset und das beachtlich große Keyboard-Arrangement des Headliners, so dass für die Instrumente der Holländer wenig Platz bleibt und noch weniger, um den drei theoretisch nicht stationären Musikern an Bass, Gitarre und Mikrophon mehr als einen Schritt vor und einen Schritt zurück zu ermöglichen.

Aber das ist den Anwesenden egal, als KNIGHT AREA die Bühne verlassen, ist der Applaus groß. So groß sogar, dass sie für eine Zugabe noch einmal zurückkehren. Eine feine Sache, die den Status als ECLIPSED-Festival unterstreicht, denn Zugaben der Vorgruppen sind doch selten. Oder RIVERSIDE, die selbst die Zeiten, in denen sie froh waren um jede Minute, die sie irgendwo spielen konnten, noch gut in Erinnerung haben dürften, verhalten sich extrem fair und lassen ihrer Vorband gerne den Ruhm, wohl wissend, dass sie der Headliner sind und das es ihr Publikum hier im Saal ist, dass sie KNIGHT AREA nur kurz leihen.

Nach einer kurzen Umbaupause, die der Grund sein dürfte, warum KNIGHT AREA nur einen eingeschränkten Bewegungsspielraum auf der Bühne hatten - man möge den erwähnten Disco-Betrieb ab 23:00 Uhr bedenken - kommen RIVERSIDE endlich. Um genau zu sein: Sie hätten auch bereits zehn Minuten früher anfangen können, aber wollten scheinbar pünktlich nicht vor 21:30 loslegen, so dass das Publikum in den Genuss einer außergewöhnlichen Pausenmusik aus Lounge-Jazz und klassischen Jazz-Sounds kommt.

Dann aber geht es los! Die Polen spielen ihren Set mit geringer Lichtshow, was die emotionalen und mitreißenden Melodien gut unterstützt. Während des ersten Stücks ist die Bühne vollständig in grünes Licht getaucht, die Musiker kommen gut zur Geltung und man kann Sänger und Bassist Mariusz Duda und Gitarrist Piotr Grudziñski beim Handwerk zusehen. Apropos Gitarrist Piotr: Eine außergewöhnliche Erscheinung mit kahlgeschorenem Schädel, groß und sehr präsent wirkt er dennoch introvertiert im Kontrast zu Mariusz. Das gesamte Set über entlockt er mit geringem Aktionsradius seinem Instrument die großartigsten Melodien, scheint sich dabei aber in seiner eigenen Welt zu befinden. Die Kommunikation mit dem Publikum überlässt er seinem Frontmann und meidet sogar zumeist den Blickkontakt mit den Fans. Trotzdem hat er eine Ausstrahlung, eine Präsenz, die ihn gar nicht dazu zwingt, Showelemente in sein Spiel einzubauen. Es genügt, ihm einfach dabei zuzusehen, wie er versunken in die Songs die linke Bühnenseite einnimmt und allein durch Charisma einen Gegenpol zu Mariusz bildet.

Zuerst spielen RIVERSIDE einige Songs aus dem Backkatalog, darunter gleich an zweiter Stelle den Hit 'Second Life Syndrome', den das Publikum gehörig feiert. Eine gute Wahl, den Song, der sicher für viele Anwesende zu den absoluten Lieblingssongs der Polen gehört, so früh zu bringen und damit die Grundlage zu legen und die Fans zum Feiern zu animieren. Mariusz nimmt die Begeisterung auf und persifliert früh im Set die weitverbreitete Lobeshymne vieler Bands, die niemand mehr wirklich ernst nimmt, mit dem Satz "Ihr wisst wahrscheinlich, dass ihr das bislang beste Publikum dieser Tour seid". Wobei die Band in den folgenden 90 Minuten von einer Welle der Begeisterung getragen wird, so dass es durchaus im Endeffekt richtig gewesen sein mag.

Das Publikum wird aufgefordert, ruhig mitzusingen, und unter anderem mit 'In Two Minds' werden auch die entsprechenden Lieder gespielt. Dann ist es aber Zeit für das aktuelle Album "Anno Domini High Definition", welches vollständig und in der korrekten Reihenfolge aufgeführt wird. Zwar kann man davon reden, dass es das Herzstück des Sets ist, allerdings ist es mit 44 Minuten auch nicht so lang, dass es den Raum für Ausschnitte aus den anderen Werken der Band nehmen würde. Die Performance beweist, dass es tatsächlich kein Füllmaterial darauf gibt, die Dramatik bleibt bis zum letzten Ton erhalten. Unter diesem Gesichtspunkt ist "Anno Domini High Definition" sicher das bislang beste und reifste Werk RIVERSIDEs. Es fehlen vielleicht die ganz großen Hits, obwohl 'Egoist Hedonist' bestimmt ein Standard im Liveset der Band werden wird, aber als Gesamtwerk würde ich es mittlerweile an die Spitze der Discographie setzen.

Gegen 23:00 Uhr ist dann Schluss mit dem regulären Set. RIVERSIDE kehrt natürlich noch einmal zurück, um eine vehement geforderte Zugabe zu geben. 'Stuck Between' wird ausgepackt, ein Klassiker aus dem Repertoire, der ursprünglich auf der allersten EP "Voices In My Head" zu finden war. Ein toller Song und ein Spaß für alle langjährigen Fans der Band, aber  auch deutlich von einem anderen Kaliber als das neue Material. Rockiger, verspielter, aber mit weniger der großartigen, luftigen Gitarrenmelodien ausgestattet, die RIVERSIDE so weit an die Spitze der Prog-Metal-Szene katapultiert haben.

Zehn instrumentale 'Reality Dream'-Minuten später ist endgültig Schluss, das Publikum geht zufrieden nach Haus. RIVERSIDE haben auf der ganzen Linie überzeugt und einen starken Headliner-Gig hingelegt. Die Zeiten als Vorgruppe dürften für sie vorüber sein, außer man bekommt einen Support-Slot für eine der ganze großen Bands der Szene, aber mit der Fülle an starken Songs dürften weniger als 90 Minuten einfach nicht ausreichen, um der Band gerecht zu werden. Und das Colos-Saal könnte beim nächsten Mal eventuell zu klein sein. Aber mit vielen anderen Bands, die eigentlich ebenfalls größere Hallen füllen könnten wie MAGNUM oder FISH, pflegt man ein gutes Verhältnis, so dass diese regelmäßig ausverkaufte Auftritte in Aschaffenburg hinlegen - wer weiß, vielleicht wird ja auch RIVERSIDE Stammgast. Mich würde es freuen, denn eines steht fest: Den nächsten Gig in meiner Nähe werde ich nicht verpassen. Bitte "Anno Domini Nächstes Jahr", okay?

Setlist: 02 Panic Room, Second Life Syndrom, The Same River, In Two Minds, Hyperactive, Driven To Destruction, Egoist Hedonist, Left Out, Hybrid Times, Stuck Between, Reality Dream II, Reality Dream III

Redakteur:
Frank Jaeger

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