Rock Hard Festival 2022: Der Bericht - Gelsenkirchen

09.06.2022 | 15:14

03.06.2022, Amphitheater

Endlich!

Auf INDIAN NIGHTMARE hatte ich mich im Vorfeld sehr gefreut, fand ich das "By Ancient Force"-Album der Multi-Kulti-Truppe erfrischend stark. Richtig, der Rock-Hard-Festival-Samstag eröffnet mit einer kräftigen Brise Punk'n'Roll, der dank des starken Speed-Metal-Anteils schon früh die müden Männer munter macht. Hier fällt der Mikroständer um, dort wirkt Frontmann Poison Snake etwas übereifrig, und dennoch ist es schön, die Männer aus Indonesien, Italien, der Türkei und Mexiko auf der Gelsenkirchener Bühne zu sehen. In knapp 40 Minuten gibt es einen lauten, schnörkellosen und durch und durch herrlich-ruppigen Einheitsbrei, der mit Songs wie 'Mengapa', 'Bastions Of Nightmares' und 'Incursions Of Death' auch durchaus hängenzubleiben weiß. Und dank entsprechender Spikes-and-Leather-Outfits bekommt das Prozedere auch einen sympathischen Touch. Kurzum: Die fünf in Berlin ansässigen Herrschaften sollte man künftig im Auge behalten, hier und jetzt erspielen sie sich den einen oder anderen künftigen Fan. Die Menge freuts.

Und die kommt auch im weiteren Verlauf aus dem Headbangen nicht heraus, entern nun die Griechen von SUICIDAL ANGELS mit einer amtlichen Portion Thrash die Bretter. Beinah pünktlich um 13:30 Uhr sitzen wir also mit unserem ersten Eis, dem nicht-ersten Bier und einer Menge Vorfreude ob des schlagfertigen Gigs der Südeuropäer in den Rängen und bewundern einen energiegeladenen und bockstarken Gig bestehend aus allerlei Knüppelriffs, jeder Menge Tempoattacken und dem treibenden Drumming eines Orpheas Tzortzopoulos. Doch auch Frontmann Nick Melissourgos ist heute sehr gut bei Stimme und pfeffert zu den üblichen Verdächtigen wie 'Bloodbath' und 'Apokathilosis' nicht nur messerscharfe Riffs sondern auch feurig-keifende Lyrics ins Publikum. Dieses nimmt das bei langsam steigenden Temperaturen dankbar auf, genehmigt sich bei druckvollem Sound und vielen freundlichen Gesichtern die nächsten Biere und freut sich ob der Highlights, die heute noch kommen.

Bevor es episch einerseits und partytauglich andererseits wird, bleiben wir geografisch in Griechenland und holen VILLAGERS OF IOANNINA CITY auf die Bühne. Gelsenkirchen wird von Minute zu Minute wärmer, sodass der Stoner-Rock-Act mit kräftigem Folklore-Einschlag, einigen psychedelischen Momenten und einer gewissen Atmosphäre nicht unpassend erscheint, um nach dem Punk'n'Roll- und Thrash-Geballer ein wenig zur Ruhe zu kommen. 'Age Of Aquarius', 'Dance Of Night' und 'Arrival' haben genauso wie das finale 'For The Innocent' eine einlullende, hypnotische Wirkung und rückblickend betrachtet lässt sich der Gig vier Jungs in Sachen Atmosphäre und Stimmung innerhalb des Amphitheaters mit LONG DISTANCE CALLING oder KADAVAR vergleichen. Die Sonne scheint, die Bierverkäufer haben die Hände voll zu tun und die vier VILLAGERS OF IOANNINA CITY-Jungs kommen nicht schlecht bei den Besuchern an.

Nun aber wird ein Highlight dem nächsten folgen, denn die Vorfreude auf ATLANTEAN KODEX ist bei den Besuchern kaum zu bändigen. Und nicht nur die Haare von Markus Becker sind länger geworden, hat sich die Underground-Perle, die mit dem goldenen Ast, der weißen Göttin und dem glorreichen Kurs des Reiches absolute Meilensteine im epischen Doom Metal kreierte, auch die Klampfendienste von Coralie Baier gesichert, die Herrn Koch an der Lead-Gitarre mehr als würdig vertritt. Die Band um Manuel Trummer muss man nicht weiter einleiten, sondern wie die Anwesenden bei weiterhin wunderschönstem Sonnenschein schlichtweg genießen. Der Gesang ist anmutig, die Riffs und Soli sind eine Pracht und anbetungswürdige Songs wie 'Sol Invictus', 'Lion Of Chaldea' und 'Heresiarch' schlichtweg großartig. Bei diesem Auftritt stimmt alles bis auf die Tatsache, dass 'Pilgrim' ebenso fehlte wie mein "The Course Of Empire"-Highlight 'Chariots'. Doch bei lediglich 50 Minuten Spielzeit ist klar, dass man es nicht jedem ATLANTEAN KODEX-Anhänger recht machen kann, obwohl die Sprechchöre für die Band nicht aufhören wollen. Am Ende gibt es noch die selbstbetitelte Bandhymne und die Anmut macht nun Platz für den ultimativen Party- und Tanzfaktor.

Der Höhenflug geht weiter – im wahrsten Sinne des Wortes. Neben ATLANTEAN KODEX war THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA meine persönliche Augen-auf-Entdeckung der vergangenen zehn Jahre. Über Björn Strid und seinen Nachtflug habe ich in Reviews schon alles gesagt, was ich loswerden wollte. Ich liebe diese Band einfach. Mit ihrem nostalgischen, mit Synthies und dem Zauber der guten Laune durchzogenen Stadionrock sind die Songs durch die Bank weg Ohrwürmer, die Musiker allesamt mit Herzblut, Elan und jeder Menge Freude dabei und dass Speed selbst ein Entertainer vor dem Herrn ist, beweist er auch in der folgenden Stunde. Stewardess Anna-Mia Bonde und Gitarrist David Andersson sind diesmal nicht mit an Bord, werden aber mehr als würdig vertreten. Und selbst ich – faule Sau – erhebe mich vor dem Auftritt von meinem Stammplatz und tausche diesen mit einem Aufenthalt in der vierten Reihe. Richtig, ich bin bei hingebungswürdigen Dancefloor-Granaten wie 'Gemini', 'Burn For Me' und 'Divinyls' ganz vorne mit dabei, singe und hüpfe mir bei 'This Boys Last Summer' und dem neuen 'How Long' die Seele aus dem Leib, verinnerliche den wunderbaren Glanz einer 'White Jeans' und 'Satellite'-Perle jedoch nicht allein, denn dutzende beinharte Metaller haben sich mit mir vorne versammelt, um dem Ende hin bei 'West Ruth Ave' in einer riesigen Polonaise durch die Reihen zu feiern. Alle Anwesenden werden von der superben Laune der Musik, dem durch und durch positiven Geist der Band und nicht zuletzt auch aufgrund des dazu mehr als passenden Sommerwetters angesteckt. Ein Auftritt wie aus dem Bilderbuch, meine Damen und Herren.

Ich bin aus der Puste, mein Shirt ist durchgeschwitzt und meine Füße platt getrampelt. Und dennoch und gerade aus diesen Gründen bin ich glücklich. Denn nach solch einer langen Zeit sind Momente wie diese wertvoller denn je. Doch bevor ich weiterhin dem Schwärmen verfalle, schaue ich Richtung Bühne und sehe eine gelb-rote Flagge. Richtig, GRAVE DIGGER kündigt sich an und hat eine etwas speziellere, da schottisch angehauchte Show mit im Gepäck. Da verwundert es auch nicht, dass die Truppe von Baul Muluy Pipes & Drums aus Hamburg die Show der Grabschaufler einläutet. Leider sind nicht alle Songs mit schottischem Flair durchzogen, sodass die Musiker aus dem hohen Norden nur bei 'The Clans Will Rise Again', 'The Ballad Of Mary (Queen Of Scots)' – diesmal ohne DORO – sowie 'The Heart Of Scotland' und 'Highland Farewell' eingesetzt werden. Doch wenn wir einmal ehrlich sind, ist eine GRAVE DIGGER-Show keine GRAVE DIGGER-Show, wenn nicht auch 'The Dark Of The Sun' und 'Excalibur' und das 'Heavy Metal Breakdown'-Finale zum Zuge kommen. Unterstützt von WOLFEN-Sänger Andreas von Lipinski werden die Freunde des Gladbeck'schen Schwermetalls auch Zeuge der neuen 'Hell Of My Purgatory'-Single und des 'Rebellion (The Clans Are Marching)'-Lieblings, das lautstark mitgesungen wird. Die Band selbst ist aktiv wie eh und je und Chris rockt die Luftgitarre, was das Zeug hält. Ein GRAVE DIGGER-Auftritt also, der die Erwartungen definitiv erfüllt, jedoch nicht an die Magie des 2010er "Tunes Of War"-Specials auf dem Wacken Open Air herankommt. Doch aus der einstündigen Spielzeit holen die Jungs sehr viel heraus.

Trotz dieses gelungenen Tages vermeldet das Team des Rock Hard Festivals die krankheitsbedingte Absage von PHIL CAMPBELL AND THE BASTARD SONS inklusive speziellem MOTÖRHEAD-Set. Doch die Veranstalter wären nicht alte, erfahrene Hasen im Geschäft, wenn sie mit ASPHYX nicht ein selbiges Häschen im Death'n'Thrash-Mäntelchen aus dem Hut zaubern würden. Und so kommt es, wie es kommen muss: Die Niederländer zünden ein Feuerwerk nach dem nächsten. Getreu dem Motto "denen zeigen wir's" sind van Drunen und Co. von Beginn an hochmotiviert, mit sehr viel Eifer und Spielfreude bei der Sache und verwandeln das ach so schmucke Amphitheater in einen Tempel aus zerstörerischen Riffs, einem teils höllisch-schnellen, teils bedrohlich langsamen, unheilvollen Tempos und einer Atmosphäre, als kehre der Gehörnte persönlich in den Zuschauerpulk zurück. Zwischendurch gibt es amüsante Ansagen, weitere Kaltgetränke und Kracher der Marke 'Death The Brutal Way', natürlich 'Deathhammer' oder auch 'Knights Templar Stand' und zu guter Letzt 'Last One On Earth'. So spontan die Band auch eingesetzt wurde, so bravourös meistert sie ihre Aufgabe. Hätten Husky und Co. noch zu 'Overkill' oder 'Ace Of Spades' angesetzt, wäre das Publikum komplett ausgeflippt, aber vielleicht folgt solch ein Querverweis noch am Folgetag. Heute – Samstagabend – jedenfalls gibt es nur eine Wuchtbrumme. Und die heißt ASPHYX.

Nach diesem krachenden Rundumschlag wird es Zeit für anmutige Hymnen aus Mittelerde, dem Glanz der Fantasie und eine Premiere. Die Krefelder von BLIND GUARDIAN sind nicht das erste Mal zu Gast, haben mit der Live-Darbietung des kompletten "Somewhere Far Beyond"-Albums zum 30-jährigen Plattenjubiläums allerdings ein nicht alltägliches Bonbon mit im Gepäck. Bevor wir mit den Barden also ins Jahr 1992 zurückreisen, nehmen uns Hansi und Konsorten pünktlich um 21:30 Uhr erst einmal an die Hand und leiten ihren Headliner-Auftritt mit 'Into The Storm' und dem dynamischen 'Welcome To Dying' ein. Im Amphitheater herrschen Spannung und eine magische Aura: Die Sonne geht unter, die Nacht bricht langsam ein und wird mit 'Nightfall' mehr als würdig eingeläutet. Auch beim folgenden 'Time Stands Still (At The Iron Hill)' singt Gelsenkirchen lautstark mit und entlockt selbst Hansi ein breites Grinsen. Nun geht ein besonderer Funke über ins Publikum als im "Somewhere Far Beyond"-Set das erste Mal seit 2003 'Theater Of Pain' und seit 2010 die folgenden 'The Quest Of Tanelorn'- und 'Ashes To Ashes'-Monumente zum Besten gegeben werden. Ich selbst habe schon viele BLIND GUARDIAN-Auftritte gesehen, aber sowohl für mich als auch für die Band ist es etwas Besonderes, vom obligatorischen Kurs der Marke 'Bright Eyes', 'Majesty' und 'Born In A Mourning Hall', so gut die Evergreens auch sind, abzuweichen und nicht nur ihrer jahrelangen Fanschar sondern auch sich selbst mit Festlichkeiten zu beschenken. Doch auf keiner BLIND GUARDIAN-Show, so wie auch heute, darf 'The Bard's Song', diesmal allerdings inklusive des 'The Hobbit'-Parts, nicht fehlen und spätestens in der Zugabe brechen einmal mehr alle Dämme, als minutenlang der 'Valhalla'-Nachhall über das Festivalgelände schallt und 'Mirror Mirror' einen denkwürdigen Auftritt sehr lautstark beendet. Hinzu kommen ein toller, transparenter Sound, ein textsicheres Publikum und eine Band, die auch nach all den Jahren noch für Überraschungen gut ist. So sind wir nicht nur alle auf das kommende "The God Machine"-Album gespannt, sondern behalten den Auftritt auf dem diesjährigen Rock Hard Festival in sehr guter Erinnerung.

Redakteur:
Marcel Rapp

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