SECRETS OF THE MOON, SÓLSTAFIR - München

23.10.2009 | 15:12

08.10.2009, Backstage

Die Landeshauptstadt wird von einer schwarzen Welle tiefer Verderbnis überrollt - und geht darin auf.

Nach einer Totalsperre auf der A99 komme ich etwas spät in München an, um den Kollegen Julian zu treffen und gemeinsam zum Backstage zu fahren, wo wir einen Termin zum Gespräch mit SECRETS OF THE MOON haben. Das wird zwar knapp, aber letztlich klappt es doch, und so führen wir eine lange und spannende Unterhaltung mit Schlagzeuger T. Thelemnar, bis es schließlich laut wird in der Halle und die erste Band die Bretter besteigt. Das Interview in voller Länge könnt ihr bald im Artikelbereich lesen. An dieser Stelle sei nur darauf hingewiesen, dass Thelemnar sich vom bisherigen Verlauf der Tour äußerst begeistert zeigt. Die Publikumsreaktionen seien bisher großartig, die Bands auf dem Billing würden gut zusammen passen und auch menschlich gut miteinander auskommen. Besonderer Reiz entstehe auch dadurch, dass alle drei Bands gleichberechtigte Headliner seien und die Auftrittsreihenfolge jeden Abend wechsle. Aus meiner Sicht eine tolle Variante, und so ist heute Abend die britisch-skandinavische Freundschaft an der Reihe, den Platz des Openers zu übernehmen.

 

 

Die Band um VOID-Aktivist und Frontmann Kvohst, die bei uns in Redaktion und Leserschaft mit ihren beiden großartigen Alben "Nouveau Gloaming" und "Resplendent Grotesque" schon etliche Leute von ihrer Klasse überzeugen konnte, hat vom Fleck weg einen glänzenden Sound, der es den Fans ermöglicht, die vielschichtigen und bisweilen auch etwas chaotischen Songs aus der Ecke des nicht ganz alltäglichen Black Metals sauber mitzuerleben und aufzusaugen. Dementsprechend ist die Stimmung in der Halle auch vom Intro an ziemlich gut und die Leute gehen zur Musik super mit, als CODE mit 'Smother The Crones', dem Opener der neuen Scheibe, wuchtig in einen tollen Auftritt einsteigen.

Getragen wird die Band vor allem von Kvohsts exzentrischer Bühnenpräsenz, die ein Anwesender mit einem Eichhörnchen auf Speed vergleicht. Auch der langmähnige Gitarrist Andras sorgt mit seinem grimmigen Blick für Aufsehen, der definitiv die hohe Schule der Black-Metal-Posen durchlaufen hat. Interessant, welch eine bizarre Synthese die recht klischeefreie Musik und das doch sehr old-schoolige Outfit ergeben. Exzentrisch ist das sicher, was der gute Mathew McNerney und seine Mitstreiter hier aufführen, aber das macht nichts, denn vor allem ist die Band absolut tight und der Frontmann singt überragend. Die Mischung aus hysterischem Keifen, gelegentlichen Growls und bizarren, cleanen Passagen ist nicht alltäglich und hebt eben deutlich von der Masse ab, und zwar ganz egal, ob die Songs eher in eine straight rockende Richtung gehen, wie beim neuen Stück 'Possession Is The Medicine', ob es mal avantgardistischer und vertrackter zur Sache geht wie beim ebenfalls neuen 'The Rattle Of Black Teeth' oder ob ein garstiger schwarzer Groove 'Aeon In Cinders' vom Debüt ziert.

Einen tollen Auftritt legt auch der nicht minder charismatische norwegische Basser Viper (alias Vicotnik, alias Yusaf Parvez) hin, den mancher von euch vermutlich von VED BUENS ENDE, DØDHEIMSGARD oder einigen anderen Projekten kennt. Die Band regiert jedenfalls sehr zünftig und das Publikum dankt es ihr mit einem gewaltig hohen Prozentsatz an bangenden Köpfen und wehenden Matten.

Setlist: Intro/Smother The Crones, The Rattle Of Black Teeth, I Hold Your Light, Aeon In Cinders, Tyburn, Possession Is The Medicine, Brass Dogs

[Rüdiger Stehle]


 

Mich packt CODE heute leider gar nicht so, die Old-School-Show rockt in Teilen zwar gewaltig, teilweise fällt das Niveau allerdings auch in ein gesteigertes Spiel der Langeweile ab. Umso gespannter bin ich auf SECRETS OF THE MOON, die mit ihrem großartigen Album "Privilegivm" mit Sicherheit eines der besten Alben im dunklen Extremmetal des Jahres abgeliefert haben, was sich nicht zuletzt in einem tollen 6. Platz in unserem September-Soundcheck ausgezahlt hat.

Auf dem Summer Breeze in diesem Jahr war die Show einerseits etwas unglücklich gelaufen, die Spielzeit war zu kurz und die Position als letzte Band des Festivals nicht unbedingt dankbar, andererseits machten SOTM diesen Abend durch eine erhabene, tiefschwarze Show auf beste wett. Doch schon damals war ich mir sehr sicher, dass die Band sG eher für Hallen als für Zelte und Festivals geschaffen sind. Und dieser Eindruck bestätigt sich heute absolut.

Schon mit den ersten Tönen von 'Sulphur' brandet eine tiefschwarze Welle voller Dunkelheit über das Münchner Publikum hinweg, welches mit offenen Mündern und zu Beginn recht statischer Überaschung dem Auftritt der Geheimnistuer hingibt. Die Schwärze sickert allerdings unaufhaltsam in die Nackenmuskulatur und lässt ein Inferno der Begeisterung entbrennen, die zwar nicht in endlose Moshpits führt, das Münchner Publikum allerdings zu andachtsvollem Bangen animiert. Die dunkle Epik, die SECRETS auf ihren Alben entfalten, wird direkt auf die Bretter und damit in den Konzertsaal transportiert, und erschafft eine erhabene Atmosphäre, die weit über das Abgehen bei einem einfachen Rockkonzert hinausgeht.

Stichwort Rock: Im Interview vor dem Gig sagte uns Drummer Thelemnar, dass sich die Band im Laufe des Jahres immer stärker zusammengefunden hat und sich nun mehr als Einheit auf der Bühne präsentieren wird. Tja, genau das ist der Fall: Man merkt, dass sich das Trio mit Live-Gitarrist Ar - übrigens ein Münchner, jaja - gesucht und gefunden hat. Als Einheit werden die Songs gespielt, intensiv interpretiert und gewinnen dadurch immens an Authentizität. 'Queen Among Rats' heißt der letzte Song des Abends von SECRETS OF THE MOON, die in ihrem Set lediglich das aktuelle und das vorangegangene Album anspielen. Das mag man sehen, wie man will, in sich ist die Songauswahl sehr homogen und lässt viele zufriedene Gesichter zurück, die sich nach diesem spannenden Klanggewitter am Bier- oder Merchandisestand gütlich tun.

Setlist: Sulphor, Ghost, I Maldoror, Lucifer Speaks, Ordinance, Seraphim Is Dead, Queen Among Rats

[Julian Rohrer]

 

 

Nach dem wirklich gelungenen Auftritt der deutschen Black-Metal-Institution bin ich gespannt, ob der heutige turnusgemäße Headliner die Stimmung aufrecht erhalten und ebenso auf ganzer Linie überzeugen wird. Um es vorweg zu nehmen: Ich werde nicht enttäuscht! Kennt ihr das Gefühl, dass ihr eine Band schon lange kennt und schätzt, auch schon das eine oder andere Album gehört oder gekauft habt, ihr aber noch nicht vollends mit ihr warm geworden seid? Dann kennt ihr sicher auch das Gefühl, dass ihr ohne besondere Erwartungen zum Konzert einer solchen Band geht, weil es sich eben ergeben hat, und dass ihr dann so dermaßen weggepustet werdet, dass ihr euch von nun an wirkliche Fans nennt und endlich wisst, warum ihr die Scheiben zu Hause stehen habt. Genau so geht es mir heute mit den Isländern von SÓLSTAFIR, die vom Verklingen des Intros 'Náttfari' an aber auch wirklich alles wegblasen.

Das ist längst kein Black oder Viking Metal mehr, was die Band hier zelebriert. An sich ist es überhaupt kein extremer Metal mehr. Klar merkt man hier und da, dass die Jungs von der Insel der Vulkane und Gletscher ursprünglich aus dem Bereich kommen, doch sie haben sich weit von ihren Wurzeln weg bewegt. Was SÓLSTAFIR heute Abend in München abziehen ist schlicht nicht von dieser Welt. Es atmet die kämpferische Seele der Wikinger, aber auch die Trance PINK FLOYDs und das Sphärische und Raumgreifende HAWKWINDs sind omnipräsent. Es ist ein völlig abgefahrener Space-Trip, auf den uns das Quartett aus Reykjavik mitnimmt.

Welche Band vom Bekanntheitsgrad der Isländer kann es sich leisten, mit einem neunminütigen Instrumental wie '78 Days In The Desert' in ein Set einzusteigen, ohne die Stimmung gleich zu Beginn des Konzerts zu sabotieren? Nun, ganz einfach: Eine Band, die es ihren Fans ermöglicht, völlig im unglaublichen Drive ihrer ausufernden, wabernden Instrumentalpassagen zu versinken und dabei zusammen mit den Musikern in eine Art mantrischer Trance zu verfallen, aus der es kein Entkommen gibt. Und genau das ist die ganz große Stärke SÓLSTAFIRs. Schon die Optik der Isländer schreit "Freak!", und es sind sympathische Freaks, die ihre Musik leben und dieses Leben für die Musik so authentisch rüber bringen, wie kaum ein Zweiter. Svavar Austman, der blond bezopfte Recke mit seiner Kawa-Motorradjacke und der nicht minder blonde Rastamann Guðmundur Óli Pálmason breiten einen treibenden, groovenden, mitreißenden Rhythmustepich aus, über den Cowboyhutträger Sæþór Maríus Sæþórsson seine traumwandlerischen Leads und sicher nicht selten improvisierten Soli legt, die zusammen mit der Rhythmusgitarre von Frontmann Aðalbjörn Tryggvason ein prachtvolles Gitarrenfeuerwerk ergeben.

Nach über zehn Minuten instrumentaler Trance erhebt der wirklich sehr speziell auftretende Aðalbjörn dann auch endlich seine schneidende, eindringliche und doch angenehme Stimme zu 'I Myself, The Visionary Head' von "Masterpiece Of Bitterness" und anschließend zum überragenden Titelstück des neuen Albums "Köld". Die Ansagen des Herrn Tryggvason wirken ein wenig desorientiert bis bekifft, mitunter aber auch witzig, besonders als er das Publikum unbedingt dazu überreden möchte, ihn doch davon überzeugen zu wollen KREATOR-Songs zu covern. Das Publikum fordert aber zunächst zaghaft, später stürmisch der Isländer eigene Songs, so dass er schließlich kapituliert und schelmisch 'Flag Of Hate' ankündigt, um dann natürlich doch ein weiteres eigenes Stück anzuspielen. Beim verträumten Intro zum ebenfalls gigantisch dargebotenen 'Pale Rider' setzt sich Aðalbjörn total in die Musik versunken auf den Drumriser, was eine heimelige und verbundene Atmosphäre erzeugt. Als furioses Finale folgt schließlich die fast halbstündige Version von 'Ritual Of Fire', welche die Band und das Publikum in ein nicht enden wollendes und doch unglaublich mitreißendes Jam-Inferno verfallen lässt, bei dem vor allem Basser Svavar durch sein großartiges Spiel begeistern kann. Als dann auch noch das Mitsingspiel im Refrain hervorragend hinhaut, ist die Band sichtlich zufrieden und weite Teile des Publikums strahlen glückselig.

Sicher werden manche Leute im Publikum auch einige Schwierigkeiten mit dem wirklich sehr eigenwilligen und entrückten Sound der Isländer haben, was vielleicht erklärt, warum die Reihen gegen Ende etwas lichter sind. Doch die Mehrzahl der Fans bleibt bis zum Schluss und fordert auch eine Zugabe, die es leider nicht mehr gibt. Der SÓLSTAFIR-Gig war aber auch mit Abstand der längste des Abends. Und der beste unter drei tollen. Mir haben sich die Jungs auf jeden Fall ganz tief ins Herz gespielt, und schon auf der Heimfahrt höre ich "Köld" mit ganz anderen Ohren und dreifacher Begeisterung. Für mich fraglos einer der besten Gigs des Jahres, der mir eine viel zu lange etwas stiefmütterlich behandelte Band richtig schmackhaft gemacht hat und mir sicher unvergessen bleiben wird.

Setlist: Náttfari, 78 Days in the Desert, I Myself the Visionary Head, Köld, Pale Rider, Ritual of Fire

[Rüdiger Stehle]

Ja, dieser Abend wird noch lange im Gedächtnis bleiben! Zumal es einfach toll war, bei gleich zwei Bands in den jeweils erschaffenen Musikkosmos einzutauchen und sich in den Melodien und Disharmonien zu verlieren. Dass sich dabei weniger Fäuste in die Höhe recken als Gedanken auf eine Rundreise durchs eigene Bewusstsein geschickt werden, scheint ebenso klar wie die Tatsache, dass sich die Münchner Extrem-Metal-Szene nahezu vollzählig im Backstage versammelt hat. Und die Tatsache, dass wir ein kleines Powermetal.de-Treffen abgehalten haben, trägt natrülich zu meiner guten Laune und vor allem Erinnerung bei.

[Julian Rohrer]


Redakteur:
Rüdiger Stehle

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