Stoned From The Underground - Possen

01.08.2008 | 13:14

11.07.2008, Freizeitpark

Samstag, es ist halb drei. Der Grill ist bereits viermal ausgegangen und wieder beheizt worden, die im Schatten dämmernden Därme mit sämtlichen Fleischspeisen der umliegenden Discounter gefüllt, da beginnt eine reine Coverband aus der Region mit einem nichtinhalierten langen Namen PANTERA, BLACK SABBATH und Wer-weiß-was-noch in die umliegenden Wälder zu krakeelen. Na ja. Machen wir eben noch ein Hölstelein auf und rekeln uns im Harzer Halbdunkel.
[Mathias Harz]

Es ist der etwas ungelenke Name PRESSURED AIR COMPANY, der zum eröffnenden Gebretter an diesem Samstag gehört. Eine so genannte "Jam-Band", die sich mit rauer Kehle des Herrn Brüllwürfel und knackigem Riffing ausschließlich durch Szeneklassiker derer von MOTÖRHEAD, ROSE TATTOO, PANTERA, PRO-PAIN, BLACK LABEL SOCIETY und Konsorten bolzt. Ursprünglich waren die als Abschluss nach dem Headliner-Auftritt gedacht (und wären da sicherlich auch etwas passender gewesen), aber alles in allem ein gediegener Start in den zweiten Festivaltag, nachdem der erste bereits mit einer Aneinanderreihung von Covern ausgeklungen war. BLACK REUNION hieß da die Truppe und entpuppte sich als BLACK SABBATH-Coverband (übrigens unter dem Namen OZZMOSIS auch mit Ozzy-Solonummern unterwegs durch die Lande), die sich sowohl durch optische als auch akustische Ähnlichkeit des Ozzy-Verschnitts auszeichnete und erwartungsgemäß durch die zahlreichen Klassiker, die namentlich zu nennen hier sicherlich überflüssig ist, der Doom-Legende wummerte. Mit ähnlich entrücktem Blick wie das Original und manchmal ähnlich angestrengten Animierversuchen untermalte dabei der Aushilfs-Madman die durchaus nicht uncoole Performance seiner Combo, auch wenn zugegebenermaßen nicht mehr viel davon im verbimmelten Schädel übrig geblieben ist. Nicht wahr?
[Stephan Voigtländer]

Da, dunkel eine Erinnerung an diesen seltsamen BLACK SABBATH-Klon des ersten Abends, in dem "Ozzy" bis zu dessen originalem Abwesenheitsklatschen nachgespielt wurde. Trotz alkoholischer Fusselbirne war mir das persönlich zu viel. Die Stimmung, aufgeheizt von so viel lecker Ehringsdorfer, verträgt den Harzer Sabbath - lang noch vernimmt das im Dunkel hockende Rabenpack die Auswürfe der Humanoiden. Vom seidigschwarzen Bühnenhemd des Bühnenbassisten träume ich heute noch, als wäre es ein Zeichen. Aber erinnert wird es.
Gestern erst war ein Aufreger gegeben, als hinter dunklem Gehölz ein Hubschrauber auftauchte, laut surrend über der Campinggemeinde kreiste und effektvoll mit grellem Scheinwerfer in die Planenburgen leuchtete. Gefühlte 1500 Mittelfinger werden sich dem Rotorentier entgegengestreckt haben. Wahrscheinlich ein Verkehrsschrapper, der die bunte Ansammlung mit einem Stau verwechselte. Auch Pflicht ist der Besuch und der Zaungaff bei den Gehegen in Sichtweite. Ein Braunbär murrt hier genauso missmutig herum wie die Ansammlung glotzend-bettelnder Ziegen. Stars aber sind die Mitglieder einer mittelgroßen Schweinerotte, die bei den Soundchecks Mittagsschlaf hält und des Nachts die Kleinsten durch die Gitterstäbe und auf Nahrungssuche zwingt. So manchem geht da das Herzchen auf, wie zu beobachten ist. Wildschweine fetzen und sind übrigens sehr sauber! Apropos: Über die Sanitäreinrichtungen kann sich der überblickbaren Menge und des huldvollen Umgangs mit ihnen selbst wegen überhaupt nicht beklagt werden. Beidgeschlechtliches Lob ist die Folge.
[Mathias Harz]

Während die Herren der Schöpfung sich trotz vorhandener Sanitäreinrichtungen gerne mal ein Gebüsch oder Absperrgitter zum Wegschaffen des zuvor konsumierten Bieres suchen, bleibt der Zeltplatz selbst aber glücklicherweise vor zu derbem Rumgesaue verschont. Im Gegensatz zu anderen Festivals landet hier nach vollzogener Sause sogar ein Großteil des produzierten Abfalls in den vorsorglich bereitgestellten Müllsäcken.

Lediglich ein paar Boulespieler sorgen zeitweilig für ein wenig Irritation, denn wenn die nicht mehr ganz nüchternen Zeitgenossen die nicht gerade leichten Boulekugeln zwischen den geparkten Fahrzeugen herumschleudern, halten alle Autobesitzer schon mal vorsorglich die Luft an. Doch ein Blechtreffer bleibt aus, was gut für alle Beteiligten ist, sonst wären die Boulekugeln womöglich zweckentfremdet an deren Besitzern zum Einsatz gekommen. Aber ansonsten ist der Start in die zweite Hälfte des SFTU ein recht gediegener.
[Stephan Voigtländer]

Der Nachfolgetag lässt sich wie gesagt gut gemächlich an, es wird abgehangen, triumphale Gespräche entspinnen sich, deren Mitschnitte heute nur Kopfschütteln hervorrufen würden. Dabei ist zu beachten, dass der lokale Öffner des heutigen Programms die nachfolgenden IGUANA an Intensität trotzdem zu übertrumpfen wissen. Die Chemnitzer hatten mal als Instrumentalkollektiv begonnen. Das war auch besser so. Alle zelteinströmenden Bekanntschaften verlassen den Auftrittsort recht schnell wieder, um sich draußen grämend zu trauben. So bilden wir eine gestikulierende Herde Unzufriedener und halten nach Zeitüberbrückung feige Schau. Der Sänger, der sehr cornellesk dahergurrt, weiß uns nicht zu überzeugen, dessen Habitus gemahnt an einen unverkannten Rockstar. (Es gibt nicht umsonst Kausalketten.) Der überaus fein ziselierten Darbietung der Töner wird regelmäßig der Zahn abgebrochen, sobald diese sich dem Sänger zuliebe bremsen müssen.
[Mathias Harz]

Dem ist uneingeschränkt beizupflichten. Der frickelige Stoner mag in Ansätzen funktionieren (allerdings mit viel zu wenig Pfeffer in der Livedarbietung), insgesamt ist das Ganze jedoch zu gewollt und nicht gekonnt, und der Sänger sorgt da mit seiner Vokalakrobatik nicht für Besserung im Gesamteindruck, von dessen Auftreten auf der Bühne mal ganz zu schweigen. Ein ganz anderes Kaliber rollt da aus Italien heran ...
[Stephan Voigtländer]

Es gibt Verschiebungen im Gespiel: Die holländischen TONER LOW sind hängengeblieben. EL THULE rückt an. Ein italienischer Dreier mit gehörig Wutwurst auf der Stulle. Die werden konsumiert und auch die folgenden ASTEROID werden eingepflegt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die Stimmung des Herrn V. naht sich dem nachmittäglichen Siedezenit, als drei Schweden mit Inbrunst und versiert den wohl feinsten künstlerischen Auftritt bisher ablegen. Er wird das später als seinen Höhepunkt bezeichnen. Schön, dass sämtliche Anwesenden durch reine Anwesenheit und Oeuvre zu überzeugen wissen. Da, da ist er auch das erste Mal zu sehen, die am tiefsten hängenden Augenringe, die ich in meinem bisherigen Leben zu besehen, zu bestaunen bekam. Die Augenringe mit Händen dran reichen dem gestrandeten Schweden von ASTEROID den eigenen Bass - hier wird noch Spontanfreundschaft großgeschrieben. Genau wie wir. Einigen hängt der zersoffene Magen schon wieder in der Beuge, sie wanken augenglitzernd in die Spontanbehausung zurück. Bald schon erkennt man, wie Rauchwolken und Dampfschwaden zwischen die Umherlagernden wallen. Dort verbindet sich das Gekräuch mit weiteren typischen Dünstungen. Wir sättigen uns und hämen bereits wieder, als wir ein wackelndes Individuum in der Hauptausfallstraße wahrnehmen. Es wirkt, als würde es sich sämtliche Zehen herauszupfen, was in unserer Gruppe eine besorgte Troika formt und reagieren lässt. Wir haken nach kurzer Aufnahme der Personalien und versuchter Identifizierung des Schlafplatzes ("Häää, heztrsfegrterebxgeeennhs ... grmuztzh.") unter, kommen aber nicht weit. Eine beheiterte Gruppe Görlitzer verstellt uns mit ihrem Frohgemut den Weg und zieht ob des würzigen Geruches und der angenehmen Lautwallungen unseren Schützling in ihre Mitte. Zwei unserer Lebensretter werden zu Probanden erkoren, was jene gern bejahen und bereuen, denn das Getränk, das gereicht wird, ist nichts anderes als eine Molke aus Chili und Gummibären. Ich bin sogleich schadenfroh und bin es immer wieder, wenn die Probanden zum "Groß-Machen" abschleichen. Recht so, naives Pack! Dem Schützling schien es übrigens wieder gut zu ergehen, nicht lange später sahen wir ihn im überdachten Gras schlummern, wie auch ca. vierzehn Stunden später unbeeindruckt und stellungsgleich.
[Mathias Harz]

Was nichts anderes bedeutet, als dass der bedauernswerte Zeitgenosse einiges verpasst hat. Während EL THULE ihren Hingucker im Drummer haben, der sich als Andre-Agassi-Verschnitt hinter den Drums einen abspielt und einem Derwisch gleich für äußerst prägnantes Schlagzeugspiel sorgt, kann man bei ASTEROID nur noch mit der Zunge schnalzen. Heißa, liebe Leute, was für ein außerordentlich gutes Stücklein Ohrenschmaus in klanglicher Vollendung - filigran und anspruchsvoll inszeniert. Bei dem mit wabernden bis knackfrischen Riffs daherkommenden Space Rock sitzt jede Note, es wird ein heißes Eisen aus eingängigen Melodien, mitreißend wehklagendem Gesang und schnittigen Riffs geschmiedet, das zu solch nachmittäglicher Zeit bereits zum Schwelgen und zur Aufgabe jeglicher abwartender Zurückhaltung gereicht (welche möglicherweise in kausalem Zusammenhang mit den hin und wieder erschnupperten Schwaden hanfgeschwängerten Aromas in der Luft steht - man weiß das nicht).

Nach diesem Highlight muss der Euphoriepegel zwangsläufig wieder etwas abflauen. Über die zweifellos ebenfalls sehr tight und wuchtig agierenden EL THULE geht's zum DEXTER JONES CIRCUS ORCHESTRA, die mit ihrem relativ eingängigen Rock zwar sicherlich niemanden verschrecken, aber ohne ein besonderes Erkennungszeichen lediglich als ordentlich und durchaus bemüht durchgehen können. Der Euphoriepegel wird noch ein bisschen mehr auf den Boden der Tatsachen zurückgeregelt, denn MY UNCLE THE WOLF haben zwar den coolsten und griffigsten Bandnamen des Festivals, aber sind dann musikalisch doch eine Spur zu wüst. Mit wildem Geschrei und metallischen Riffs, welche die hin und wieder eingestreuten getragenen psychedelischen Passagen zerfurchen, legt man zwar ein ordentliches Aggressivitätslevel an den Tag, insgesamt fehlt es aber einfach an filigranem Spiel und durchdachter Struktur. Doch direkt im Anschluss gibt es noch ein absolutes Highlight und die neben ASTEROID beste Band des Festivals zu bewundern. GOMER PYLE begeistern mit psychedelischem Riffrock vom Feinsten - mitreißend, intensiv, packend, richtig stark. Es dröhnt in den Ohren, begierig saugt man die Riffs in sich hinein, verfällt in ekstatische Zuckungen oder steht einfach nur mit offenem Mund da, bis auch der letzte Ton ausgezutscht ist, als die Protagonisten schon längst die Bühne verlassen haben. Einfach ein Rundum-glücklich-Paket, bei dem auch der Herr Harz nicht anders kann, als es in den höchsten Tönen zu loben. Die zum Abschluss dran seienden [uiuiui! - d. Red.] Briten von GENTLEMANS PISTOLS rocken sich dann zwar noch ganz nett durch die Botanik, für den Headliner-Posten hätte es im Nachhinein betrachtet aber doch zwei bis drei andere Kandidaten aus dem Samstags-Billing gegeben.
[Stephan Voigtländer]

BLACK RAINBOW zeichnen sich ein paar Stunden vorher durch ein solides Spiel aus, welches den zurückfließenden Vespergrillern mehrteilig gefällt. Das Ganze wird überstrahlt von den schon erwähnten wulstigen Augenringen, die das Bassmännlein zu tragen weiß. Ach ja, Umbauphase, auf die Wiese und die neuen Bekanntschaften überzeugen, dass man am letzten Abend schon einmal miteinander sprach. "Nee?" - "Na doch, gestern, vor BITCHWAX!" - "Ach so, haste ma' ne Fluppe?" TONER LOW jedoch wirken auf viele Rasengammel magnetisch und machen dermaßen Spaß, dass ein neues Genre gefordert wird: Funny Doom! So viel Freude, wie die nunmehr zweite Frau überhaupt auf dieser Bühne verströmt, ist mitreißend. Das Set ist eindrucksvoll, wie die gesamte Chose dort. Danach ist Schweden angesagt, wir sehen's nicht, da eine gewisse Unruhe sich auftut, was denn GOMER PYLE zu bedeuten hat.

Das, liebe Freunde, ist dann die Spitze des bunten Himalaja, die wohl folgende Speerspitze des Genres. Was da an Spielfreude und Abwechslung, Krach und Wohldosiertheit auf die nebenbei videobebilderten Euphoriker herunterprasselt - meine Güte. Es werden auch bereits Bekannte im Bühnenbild entdeckt: So schlägt der Drummer von 35007 die Stöckchen, und auch das Sängerlein ist kein Unbekannter. Charismatisch, überaus gespannt auf die Platte sollte man sein.

Selig und zufrieden werden auch noch GENTLEMANS PISTOLS abgefeiert. Die Gedanken aber rücken zurück zu GOMER PYLE. Herr V. verdreht die Augen und krächzt zugleich "ASTEROID!". Und da wir so kleinteilig verstritten nicht sind, sehen wir unter dem (schummrigen) Strich auf ein Festival zurück, wie es in dieser Form wohl kein weiteres gibt. Oder doch? Oh ja: Die Familie trifft sich wieder in der Nähe von Potsdam zum South Of Mainstream und im September zum Stoner Hands Of Doom. Die Anwesenheit beider im Kalender sollte zur Pflicht jedes Aufrechten gehören.
[Mathias Harz]

Redakteur:
Stephan Voigtländer

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