Sziget 2009 - Budapest

29.09.2009 | 12:20

12.08.2009, Obudai Sziget

Sziget 2009 - ein Festival der Superlative. Zig Tausende Besucher täglich, eine tolle Stimmung, wundervolle Workshops, riesige Auswahl an Essen, Musik, Feiermöglichkeiten und garantiert für jeden Geschmack etwas dabei.

Das Sziget 2010 in Budapest ist Geschichte - und wir fangen bei einem der Höhepunkte der knappen Open-Air-Woche an: Die Kult-Hexer BRUJERIA, die bunt zusammengewürfelt unterschiedlichste Mitglieder in ihrem Gefüge haben, waren dieses Jahr in Ungarn das, was letztes Jahr CARCASS darstellten; ein selten gesehenes Ereignis, das man einmal in seinem Metal-Leben mit einem Häkchen versehen haben sollte. Der mexikanischen Mannschaft dürfte es allerdings äußerst übel aufstoßen, wenn sie ihre Ankündigung in den Programmheften gesehen hätten, legen sie doch größten Wert darauf, eben Mexikaner zu sein - und keine Spanier! Nun gut, dazu später mehr...

... und zunächst allgemein. Wie auch Budapest als möglicherweise bald amtierende europäische Kulturhauptstadt 2010 präsentierte sich das Festival auf der Donauinsel Obudai im Zeichen des Friedens, der Freiheit und ganz und gar gegen Rassismus. Passend, dass die französischen Cover-Helden NOUVELLE VAGUE am ersten Tag eines ihrer Lieder mit den Worten "Lasst uns feiern, dass wir nicht in Amerika sind" anstimmten, sonst jedoch wenig politisch daherkamen, sich vielmehr lasziv gaben - die beiden Sängerinnen zumindest. Und ihr Bestes versuchten sie dazu, um ihre atmosphärischen Grundzüge auch ab 16:30 Uhr vor 13.000 Menschen auf der Hauptbühne zu kolportieren. Denn was NOUVELLE VAGUE ausmacht, sind ihre Vielfältigkeit, ihr Ideenreichtum in der sehr speziellen Art der Umsetzung ihrer ausgewählten Lieder und ihre Performancekünste. Diese kommen ganz besonders gut und positiv zum Tragen in kleinen Clubs, wenn es dunkel (!) und abends (!!) ist, nicht quasi als Opener am Mittag. Wer diesen Programmplatz vergeben hat, gehört auch jetzt noch gefeuert. Und so kam es für NOUVELLE VAGUE bitter: Man nahm das Publikum zwar mit dem provozierenden 'Too Drunk To Fuck' auf eine Reise, spielte mit 'Guns Of Brixton' zu gewohnter Höhe auf, konnte jedoch schlussendlich nicht überzeugen.

Danach trommelten SKA-P: Der spanische Achtermann mit intelligenten, politischen Texten, die alles Übel dieser Zeit aufs Korn nehmen und sich in eine Wahnsinns-Bühnenshow integrieren, den Rhythmus aus Ska-Punk-Rock-n-Roll in den Leib hinein schraubend. Mit von der Partie während des Gigs waren beispielsweise der prügelnde Polizeibeamte mit Sturmhaube, der sinnlos Gewalt vorherrschen ließ, und der gute alte Papst, der samt seiner Gefolgschaft den güldenen Mantel des Schweigens über die Vorfälle von Kindesmissbrauch rund um das Organ Kirche hüllte. Dann noch Uncle Sam persönlich auf Stelzen und in prachtvoller Uniform - eine Ode an den Frieden und gegen den Krieg. Die sympathischen Spanier zeigten in jeder Minute ihres Auftritts, wofür sie einstehen und dass es ihnen sichtlich Spaß bereitet. Die Fans wussten es zu würdigen, kamen in Scharen, feierten, divten, tanzten und siegten.


Es folgte Tag 2 ... und nun ein kurzer Einblick in Dinge, die man über das Sziget wissen sollte. Verlässt man seinen Zeltplatz von wo auch immer, läuft man bis zu fünf Minuten - grob geschätzt - bis zu einem der Hauptwege. Der führt um das gesamte Festivalgelände herum und beinhaltet auf dem Weg insgesamt dreizehn Hauptbühnen. Dazwischen gibt es für Münder und Mägen allerhand Fressi, bis man es nicht mehr riechen kann. Ebenso gibt es einen so genannten Ability Park, in dem Spiele veranstaltet werden, bei denen man in die Rolle eines beispielsweise Gehbehinderten schlüpfen kann. Aber auch Bungee-Jumping, Yoga, einen Spiele- und Skulpturenpark, die Möglichkeit, einfach abzuspannen und zu meditieren oder sich ausgiebig der Techno-24-Stunden-Quälerei hinzugeben, was einen auch - ob man will oder nicht - bis in den Schlaf begleitet. Und doch verspürt man auch an den hektischsten Orten Wohlbehagen und Frieden. Es gibt keinerlei aggressive Stimmungen, man schlendert von einem Erlebnis zum nächsten. Man muss sich nur treiben lassen, denn es ist wichtig, sich auf die Vielfalt einzulassen.

So also begab ich mich an diesem zweiten Tag zu einer Live-Performance des einzig wahren BUENA VISTA SOCIAL CLUB, und danach, um den Culture Clash perfekt zu machen, warteten SATYRICON. Die heizten dem Publikum noch mehr ein, als die Hitze des Zeltes ohnehin schon hergab. Und die Norweger wechselten behänd zwischen schnellen und groovigen Songs und hatten das Publikum jederzeit im Griff, Must-Plays wie 'Mother North' und 'Die By My Hand' versetzten die Fans im vorderen Drittel des Zelts in einen Pogo-Rausch, der einem sämtliche Spucke aus dem Rachen trieb und auf einen nahe gelegenen Wasserspender hoffen ließ. Frontmann Satyr verstand es ungemein gut, das Publikum zu animieren und war auch nicht kleinlich in Dankesgesten, was beim Metalvolk auf große Gegenliebe stieß.


Der inzwischen dritte Tag begann gar nicht mal so schön; es regnete sich ein. Dennoch gab es eine dieser Entdeckungen, wie sie so Sziget-typisch sind: HAYDAMAKY aus der Ukraine, die Kosaken-Rock zelebrierten. Was man sich darunter vorstellen kann: Folklore-Punk-Rock mit Metal-Einflüssen, was ideale Party- und Tanz-Stimmung verbreitete und bald schon die Wolken vertrieb. Wie die Derwische tanzten die sieben Musiker mit einer neidisch machenden Ausdauer über die Bühne und coverten sogar noch MOTÖRHEADs 'Ace Of Spades' mit Flöte, Posaune, Trompete und etwas, das wie eine Zirkustrommel aussah.

Und nun BRUJERIA: Gewohnt vermummt und mit einer geballten Ladung Energie und Hass begannen sie ihren Hexentanz mit dem druckvoll-aggressiven 'Pito Wilson', arbeiteten sich über volle 60 Minuten Spielzeit von einem Hit zum nächsten. 'Sacrificio', 'Sensos Humanos', 'Misas Negras' und wie sie alle heißen. Die Stimmung konnte besser nicht sein, ein harter Pogo nach dem anderen, blaue Schienbeine und Stürze inklusive! Bei 'Matando Gueros' packte Juan Brujo auch noch eine Machete aus, die er im Drum-Takt auf den vor ihm aufgestellten Verstärker niedersausen ließ, was hörbare Resonanzen hervor rief. Selbst die Securities, die mit dem Rücken zu ihm vor der Bühne standen, sahen ängstlich aus. NAPALM DEATHs Shane Embury, der seit der Gründung 1989 mit von der BRUJERIA-Party ist, gab gewohnt grimmig und unbewegt alles. Einfach geil.

Da dies leider der einzige Metal-Gig von Belang an diesem Tag war, galt es, die Zeit am Abend so sinnvoll wie möglich zu nutzen - der Auftritt des neunköpfigen Kreativteams aus Spanien namens MUCHACHITO BOMBO INFIERNO war da die einzige Alternative. Kreativteam vor allem daher, weil neben Posaune, Trompete, Cello auch ein Künstler auf der Bühne vertreten war, der während der knapp 90-minütigen Spielzeit ein Stillleben auf eine 2x2-Meter-Wand zauberte, die ein tanzendes Paar zeigte. Und am Ende sang er auch noch ein Lied mit, und das mit voller Stimme. Dazu kamen wahnsinnige spanische Fans, die hier die Bude abrissen - ein Fest, dieses mit anzusehen. Und dann war leider fast schon wieder Abreisetag, tausende Erinnerungen und ihre Träger auf dem Heimweg, in Gedanken noch bei den unzähligen anderen Bands, die dort so spielten: THE PRODIGY, PLACEBO, THE OFFSPRING, FAITH NO MORE, FATBOY SLIM...

[Gastautor: Yazid Benfeghoul]

Redakteur:
Henri Kramer

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