Wave Gotik Treffen - Leipzig

09.06.2018 | 18:29

18.05.2018, diverse

Eine Stadt sieht schwarz.

Am frühen Nachmittag geht es bei schönstem Wetter in das Heidnische Dorf. Wie gewohnt bilden sich riesige Schlangen am Kartenverkauf und am Einlass. Dabei geht es recht zügig durch die Kontrolle. Wer den Warte-Marathon hinter sich hat, der kann froh sein, denn besser wird es im Laufe des Tages nicht. Im Gegenteil. Trotz der Masse an Menschen ist es auf dem Gelände noch einigermaßen entspannt. Da war es schon schlimmer. Das könnte durchaus an der Erweiterung im unteren Teil liegen, was ein wenig mehr Raum schafft. Auf der großen Bühne fällt SCHANDMAUL ersatzlos wegen Krankheit aus. Daher wurde den anderen Bands mehr Spielzeit gegeben und die Pausen dazwischen verlängert. Ärgerlich für die Gäste, die nur mit Tageskarte da sind und wegen besagter Band gekommen sind.

Für die breite Masse ist der Auftritt der russischen Band NYTT LAND sicher nichts. Aber eines ist er sicher: Faszinierend! Die drei sibirischen Musiker bekommen nicht nur den ersten Preis für die ausdruckstärksten Kontaktlinsen, nein sie können einen auch musikalisch umhauen! Wäre es jetzt schon ein wenig duster, käme das Ganze noch besser zur Geltung. Betrachtet man die Instrumente genauer, dann ist zu erkennen, dass viele der Marke Eigenbau entstammen. So reicht dem Sänger beispielsweise ein Stück Birkenholz, während die Sängerin unter anderen mit Tierhörnern die Klänge erzeugt. Ihre Stücke sind in altnordisch verfasst. Gemeinsam mit dem eindringlichen Kehlkopfgesang zeichnet das Trio sehr intensive und phantastische Klanglandschaften, so dass man die Weiten Sibiriens glatt vor Augen hat. Ein anderes Mal ist es der schamanisch anmutende Flüstergesang von Natalia, der dem Hörer einen Schauer über den Rücken fahren lässt. Dazu die weit aufgerissenen leeren Augen und die Mischung ist perfekt. Sicher ist diese Musik nicht Jedermanns Geschmack, doch für Freunde dieser Musik ist das ein absolut geniales Live-Erlebnis!

Nach einem Rundgang durch das Dorf steht schon die nächste Premiere an. Mit SULD spielt erstmals eine chinesische Band beim WGT beziehungsweise im Heidnischen Dorf. Genau genommen aus der inneren Mongolei, was jedoch zu China gehört. Das verraten auch die zahlreichen himmelblauen Tücher auf der Bühne und an den Instrumenten, denn diese Farbe ist die Farbe der Mongolei. In traditioneller Gewandung tritt die Band vor die Zuschauer. Sänger Bai wirkt zu Beginn noch ein wenig zurückhaltend, doch als er die Menge zum mitklatschen animiert und das auch super funktioniert, legt sich diese Anspannung recht schnell. Auch hier steht wieder der Kehlkopfgesang im Vordergrund. Natürlich ist der Sound speziell. Aber von reinem mongolischen Folk-Metal zu sprechen, würde SULD nicht gerecht werden, denn es geht ordentlich in Richtung Thrash. Wenn allerdings Xu Xiaochen ein astreines Solo auf seiner Pferdekopfgeige hinlegt, dann wird es schon recht anders. Aber wunderbar und einfach nur toll. Schlagzeuger Su He lugt ab und an hinter seiner Sonnenbrille hervor und sobald er kann, gibt es von ihm die Pommesgabel. Der Auftritt kann die Zuschauer komplett überzeugen und von daher dürfte die Band am heutigen Abend durchaus einige neue Fans gewonnen haben. Am Ende wird kurz der Gangnam-Style angedeutet und die Band lacht verschmitzt. Eine sympathische Truppe.

Wir verlassen das Heidnische Dorf in Richtung Felsenkeller. Dort angekommen, empfängt uns die Band PYOGENESIS. Also jetzt nicht persönlich aber sie spielt bereits als wir eintreffen. Die vorderen Reihen des Felsenkellers sind gut gefüllt, während die Band ihre wilde Mischung aus Metal, Punk und Alternative abliefert. Die Musiker bieten eine energiegeladene Show, die sehr gut beim Publikum ankommt.

Weiter geht es mit zwei Bands aus dem Rock Hard-Festivalprogramm vom Freitag. Erstere ist eine relativ junge Band. "Hallo, wir sind DOOL aus den Niederlanden!", so kündigt Frontfrau Ryanne van Dorst den Auftritt von DOOL an. Und zack geht es auch schon ohne große Umschweife los. Die Formation, die aus Mitgliedern von THE DEVILS BLOOD, GOLD, THE NEW MEDIA und EL BANDITA besteht, legt sich vom ersten Song an mächtig ins Zeug und reißt die Menge mit. Startet die Combo noch mit dem etwas verhaltenden 'The Alpha', so wird mit dem folgenden 'Golden Serpents' die flotte Rock-Geschwindigkeit des Abends festgelegt. Der Saal ist gut gefüllt. Es gibt also viele WGT-Besucher, die sich die DOOL-Show nicht entgehen lassen möchten. Enttäuscht wird davon keiner. Im Gegenteil, die Bandmitglieder legen allesamt eine ungeheure Spielfreude an den Tag, dass es einfach nur Freue macht, ihren Songs zu lauschen. 'In Her Darkest Hour' ist ein sehr gefühlvoller Song, der sich in voller Pracht entwickeln kann. Mit 'Love Like Blood' gibt es bei bester Stimmung noch ein Cover. 'Oweynagat' erklingt zum Ende des Auftrittes einer frischen und unverbrauchten Band, die sich mit ihrem Sound heute in viele neue Fanherzen gesungen und gespielt hat.

Als zweite Band und Headliner hier im Felsenkeller steht TIAMAT auf dem Programm. Der Gig wurde im Vorfeld folgendermaßen angekündigt: TIAMAT spielen Stücke aus den Alben "Wildhoney" und "Clouds". Alleine das hätte gereicht, um hier komplett zu punkten, denn die Fans im total überfüllten und aufgeheizten Felsenkeller warten sehnsüchtig auf dieses Programm, welches es in der Form noch nicht gab. "Ich könnte heulen, wenn ich Johan da vorne so auf der Bühne sehe!“, dies ist jedoch das ernüchternde Fazit eines Hardcore-TIAMAT-Fans der ersten Stunde. Doch der Reihe nach. Nach dem Intro erscheint ein dunkel-düster geschminkter Johan Edlund mit Sonnenbrille. Die Fans beklatschen ihn ordentlich und eigentlich könnte alles gut sein. Eigentlich: Denn im Verlauf des Abends bemerkt man recht schnell, dass von dem Frontmann keinerlei Charisma mehr ausgeht. Er wirkt wie eine leere Hülle und eine Kopie von sich selbst. Vor ein paar Jahren brauchte er nur auf die Bühne zu kommen und füllte diese komplett aus, ohne nur einen Ton von sich geben zu müssen. Aber jetzt ist da absolut nichts mehr. Ich weiß, das lässt sich schwer erklären. Wer aber die Gigs der Band kennt, der kann das sicher nachvollziehen. Mit Werken aus dem Album "Clouds" beginnt die Formation. 'The Sleeping Beauty' erklingt daraus beispielsweise. Hier wird Johan von einem Bandmitglied stimmlich unterstützt. Auch Gitarre spielt er an diesem Abend selbst gar nicht mehr. Auffällig ist auch, dass er sehr oft die Bühne verlässt. Das reißt die ganze Show zusätzlich auseinander. Am Publikum und an der Band liegt das alles aber nicht. Die Fans feiern TIAMAT, als wäre es das letzte Mal, und auch die anderen Musiker legen eine enorme Spielfreude und Sympathie an den Tag. Dazwischen ein verlorener Johan. Ein Trauerspiel. Aus dem folgenden "Wildhoney"-Set hätte 'Gaia' hier am Ende komplett durch die Decke gehen müssen. Tut es aber leider nicht. Wie gesagt, es ist nicht so, dass Johan unmotiviert wirkt, eher müde und fertig. Seine Verabschiedung am Ende ist kurz aber herzlich. Aber als sich die Band von den Fans gemeinsam verabschiedet, fehlt einer... Dafür lässt es sich ein Musiker nicht nehmen, sein Instrument auf der Bühne zu zerlegen. Gab es in der Form auch schon lange nicht mehr. Die Zuschauer jedenfalls applaudieren dazu jedenfalls sehr laut. Ob das jetzt sein Statement zum Gig war, das bleibt offen. Tja, so bleibt der Auftritt von TIAMAT hier in Leipzig in komischer Erinnerung.

Auf dieses Erlebnis hin geht es auf die AGRA zum Mitternachts-Spezial. Da sich mit THE JESUS AND MARY CHAIN quasi eine Legende der Achtziger Jahre angekündigt hat, sollte man sich das auch einmal ansehen. Die Band hat sich ja vor gut zehn Jahren wieder vereinigt und ist gerade auf Europatournee. Da bietet sich ein WGT-Stopp geradezu an. Mit 'Amputation' beginnt die Band um die beiden Brüder Jim und William Reid. Die Halle ist recht gut gefüllt und die Stimmung im Publikum sehr gut. Indie trifft auf Surf-Punk. So in der Art geht es im Verlauf des Abends zur Sache. Mit 'Head On' gibt es schon recht bald einen Band-Klassiker. Dass die Brüder ein wenig exzentrisch veranlagt sind, ist ja bekannt. So ist es auch kein Wunder, dass es keine wirkliche Interaktion mit dem Publikum gibt. Sogar zwei Mal unterbricht der Sänger das Konzert, weil er der Meinung ist, dass seine Band schlecht spielt. Im Zuschauerraum sieht man das aber anders und dort freuen sich die Fans vielmehr über 'Teenage Lust' oder 'Just Like Honey'. So nimmt der Abend doch noch ein versöhnliches Ende.

Weiter geht es zum Montag...

Redakteur:
Swen Reuter

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