ANYONE'S DAUGHTER - Wrong
Mehr über Anyone's Daughter
- Genre:
- Prog Rock
- Label:
- Inside Out
- Release:
- 27.09.2004
- Wrong
- Miscellaneous
- Happy Go Lucky
- Far Away
- Fade Out
- Your Time
- Out Of This World
- Without You (The Way It Was)
- Helios Reloaded
- Out Of This World (Radio Edit)
Es war einmal eine Zeit in Deutschland, in der Musikgruppen dichterische Namen wie HÖLDERLIN oder NOVALIS tragen durften, lange ausufernde Stücke schrieben, die mehr Kompositionen als Songs waren und damit – wie das im Märchen so ist - Erfolg hatten. Just in jener Zeit geschah es, dass auch ANYONE’S DAUGHTER viele LPs auf den Markt warfen, die, mit wunderschönen Covern (besonders "Neue Sterne") und Kompositionen geschmückt, angehende Prinzessinen und Prinzen zum Kauf einluden. Da lasen sie wunderbarerweise noch den Hermann Hesse und verarbeiteten das auf einer LP namens "Piktors Verwandlungen" aus dem Jahre 1981. Ups, da hab ich eine Jahreszahl genannt und das geht bekanntlich nicht in einem Märchen. Damit sind wir aus dem Märchen raus und auch ANYONE’S DAUGHTER sind das spätestens seit der letzten Veröffentlichung "Danger World". Denn die Zeiten haben sich gewandelt. Wenn man Erfolg haben will, braucht es astreine Popsongs und nicht dichterische Allüren. Offensichtlich wollen ANYONE’S DAUGHTER diesen Erfolg und so gibt es hier beispielsweise das Stück 'Out Of This World' in einer Radio-Edit-Version nebst einer Textzeile, die da geht: "My heart goes bum-bum-bobo-bum..." Der Text wurde von Michael George Jackson-Clarke geschrieben, der den alten JACKSONS-Hit 'Blame It On The Boogie' mit auf dem Gewissen hat. Ja, sie sind nicht gestorben, sondern leben noch heute. Als Prog- und nicht Pop-Fan stellt sich natürlich die Frage, ob nun in "Ehre" oder in "Schande" ...
Erst mal bleibt festzustellen, dass ANYONE’S DAUGHTER ganz unabhängig von Geschmacksfragen gute Musik machen. Die Songs sind alle stimmig aufgebaut, von differenzierter Klangfärbung sowie instrumental- und gesangstechnisch ohne Makel. Und Prog Rock ist das hier immer noch – allerdings mit weit geöffneten Toren hin zum Pop und Normalrock. Passend dazu spielt Bandinitiator Matthias Ulmer (Keyboards) in der RUDOLF-KUNZE-BAND, während Bassist Raoul Walton ebenda und bei WESTERNHAGEN zugange ist. ANYONE’S DAUGHTER produzieren heutzutage eine Musik, die einerseits sehr modern und eingängig klingt, aber bei vielen Nummern eine progtypische Dramatik aufbaut und die Wurzeln der Musik im Siebziger-Rock nicht verleugnet, was sich z. B. im Einsatz der Hammondorgel zeigt. Von jeglicher Dramatik frei sind allerdings Popsachen wie 'Your Time' oder 'Out Of This World', welche mit ihrer ungetrübten Hitorientierung kaum Akzente in Richtung Tiefgang setzen können. Es handelt sich halt um Radiopop und genau so sollen sie wohl auch funktionieren.
Ganz anders steht es damit bei Stücken wie 'Wrong' oder 'Miscellaneous', die zu den Höhepunkten dieser CD zählen. 'Wrong' darf man mit seinen siebeneinhalb Minuten gar als Epos bezeichnen. Hier schlägt auch die Güte des Sängers Andrè Carswell zu Buche, der zwar ein Herr schwärzerer Hautfärbung ist, auch durchaus einige soulige Untertöne in seiner Stimme mitschwingen lässt, aber ansonsten doch ein kraftvoll-helleres Timbre besitzt als seine "Stammeskollegen". Ruhige Pianotöne tragen einen pathetischen, leicht flehenden Gesang, bevor die Gitarre mächtig im Sound erschallt. Gitarrist Uwe Karpa bildet zusammen mit Matthias Ulmer das einzig noch verbliebene Fossil der eingangs erwähnten Märchenvorzeit. Drängender Pathos kennzeichnet das Stück auch weiterhin, welches ebenfalls einen Raum für schöne virtuose Keyboardpassagen lässt. Teilweise holt man den Knüppel aus dem Sack, der dem Track sogar einige harte Momente verschafft. So schnell wird das auf dem Album nicht wieder passieren. "Born to fight the wrong" heißt es im Text aus der Feder von Jackson-Clarke, der vom 11. September inspiriert wurde, aber viel allgemeiner aufgefasst werden soll. Matthias Ulmer möchte den Album- und Songtitel nicht in der üblichen Übersetzung für "wrong" als "falsch" verstanden wissen, sondern in der Bedeutung als "ungerecht". Ulmer geht es mit dem Titel um die Schwierigkeit eines Kampfes gegen die Ungerechtigkeit, eine Linie, die sich für den Keyboarder durch die gesamte Menschheitsgeschichte zieht. Insofern werden im Songtext – so weit ich das beurteilen kann – Schwarz-Weiß-Schuldzuweisungen vermieden. 'Wrong' stellt jedenfalls gleich zu Anfang den genialsten Song des Albums dar.
Vielschichtige feine Klänge bringen ANYONE’S DAUGHTER auch im folgenden 'Miscellaneous'. Streicher- und Pianotöne leiten den Song ein, denen kurz darauf atmosphärische Gitarrenlicks folgen, die den Gesangspart mit seinen einprägsamen Harmonien verfeinern. Der Song pendelt zwischen Midtempo- und Ruhepassagen, während folkige Akustikgitarren kleine romantische Akzente setzen. Dazu stimmen denn auch die Flötentöne, die 'Miscellaneous' abschliessen. Mit 'Happy Go Lucky' befinden wir uns dann wieder im Bereich des Pop, der hier freilich anspruchsvoller herüberkommt als in den beiden oben genannten Songs. Der Anfang steht mit seinem manischen Keyboardsolo noch ganz in der Tradition retro-orientierten Progs. Die Akustikklampfen machen aber bald klar, dass es doch massentauglicher werden wird, was die zum Mitwippen einladene Melodie des Gesangs gleich noch stärker herausstellt. Die instrumentale Sektion bringt nachwievor viele kleine Details, die den Song eben doch nicht völlig im seichten Gefilden verschwinden lassen. Wirklich langgestreckte technische Eskapaden wie auf den alten Platten von ANYONE’S DAUGHTER sucht man allerdings selbst in den progisten Stücken vergebens.
Bei dem etwas schnulzigen 'Far Away' dürfen dann die Feuerzeuge geschwungen werden, während der pazifistische Text mir ziemlich auf den Keks geht. Ganz so naiv einfach, wie der Text von Jackson-Clarke das formuliert, stellen sich die Dinge für mich nicht dar. Bislang hat das "Niederlegen des Schwertes" die Menschen in keiner Epoche retten können. Meist war es vielmehr das Ende jeder politischen Freiheit. Oder ist ein solcher Text pure Berechnung? So nach dem Motto: wird eh schon jeder gut finden ... Aber bitte, ich hör ja schon auf. Das Zusammenspiel von Gesang und Piano ist jedenfalls schlicht perfekt arrangiert.
Richtig toll kommt 'Fade Out' mit seinem dezenten Latino-Touch, der von prägnanter ruhig fließender Perkussion und akustischen Gitarren gemütlich vorangetrieben wird. Die Gesangslinien fahren wieder so richtig schön unter die Haut. 'Your Time' und 'Out Of This World' bleiben für meinen persönlichen Geschmack die Schwachpunkte dieser CD, obwohl sie wirklich einfach gekonnt gemachte Poptracks darstellen. Für die Radiolandschaft würden sie sicherlich Lichtblicke bedeuten. Ohne ein gewisses Pop-Pathos kommt auch das balladeske 'Without You (The Way It Was)' nicht aus, aber die Band vergisst hier die atmosphärische Tiefenauslostung nicht. Der Prog regiert dann wieder bei 'Helios Reloaded' mit den von Klassik beeinflussten Keyboarddarbietungen und den mehrstimmig kreisenden Gesangsparts, die eine sonnige Stimmung vermitteln. Bei diesem Track sind die Siebziger am stärksten präsent. Auf der Special-Edition beenden nach dem erwähnten Radio-Edit zwei neuere Livestücke das Album.
"Wrong" weckt also nicht in mir den Wunsch, ANYONE’S DAUGHTER wären nach ihrer letzten Achtziger LP "Neue Sterne" besser gestorben. Die zweite Besetzung der Band hat sich eben andere Musik auf die Fahnen geschrieben, die sich von der früheren Schaffensepoche nicht völlig abkoppelt. Trotzdem werden sie weniger die alten Fans von RENAISSANCE, HÖLDERLIN, NOVALIS oder ELOY ansprechen, sondern mehr Liebhaber von KANSAS, NEAL MORSE, SANTANA und eben auch Radiohörer für die progig-popig-rockenden Klänge interessieren können. Das Gestaltung der CD spiegelt übrigens ebenfalls die neue Zeit wider, denn statt der fantasievoll romantischen Cover der frühen Scheiben sehen wir nur noch einen spartanischen schwarzen Einband mit dem rot aufgeprühten Albumtitel: Die harte Zeit des heutigen Musikgeschäfts ist angebrochen. Wie ungerecht!
Anspieltipps: Wrong, Miscellaneous, Fade Out, Out Of This World
- Redakteur:
- Jörg Scholz