DEFTONES - Gore
Mehr über Deftones
- Genre:
- Alternative Metal
- ∅-Note:
- 8.00
- Label:
- Warner Music
- Release:
- 08.04.2016
- Prayers/Triangles
- Acid Hologram
- Doomed User
- Geometric Headdress
- Hearts/Wires
- Pittura Infamante
- Xenon
- (L)MIRL
- Gore
- Phantom Bride
- Rubicon
Verstörend wie nie, zeitgemäß und zeitlos wie immer.
Ein DEFTONES-Album anzugehen war schon immer eine besondere Herausforderung, doch diesmal machen es uns die Alternative-Metal-Veteranen besonders schwer: Der Fünfer aus Sacramento legt mit dem nun mehr achten Studioalbum "Gore" einen rauen, kantigen Brocken vor, der einzig mit dem Opener 'Prayers/Triangles' (zugleich die erste Singleauskopplung) einen eingängigen Appetitanreger bietet. Danach wird's ziemlich sperrig – doch wie so oft bei den DEFTONES wird die Geduld des Hörers durch die Tiefenwirkung der Musik belohnt.
'Prayers/Triangles' verstärkte im Vorfeld die Befürchtungen einiger Die-Hard-Fans, die Band würde sich noch weiter den Dream-Pop-Einflüssen von Chino Morenos Nebenprojekten öffnen. Dabei ist der Song im Prinzip ein sehr repräsentativer Vertreter des bandeigenen Sounds, mit seinen sphärisch-melancholischen Versen, aggressiven Ausbrüchen, und einem Refrain, der hierzulande kaum im Radio laufen würde, und dennoch als Ohrwurm taugt. So klingt die Band seit "White Pony" - also keine Sorge.
Und dann... Dann wird es erst einmal anstrengend. Mit 'Acid Hologram' folgt zunächst einer jener atmosphärischen Lückenfüller, wie sie auf jedem DEFTONES-Album zu finden sind, also eine zerfasernde, scheinbar strukturlose Nummer, die man sich kaum einzeln anhören würde, die aber die Atmosphäre des Albums als Ganzes entwickelt und für den Spannungsbogen unerlässlich ist. Die zweite Single 'Doomed User' enttäuscht mich allerdings auch nach mehreren Durchläufen, weil hier einmal mehr eine jener simplen "absteigenden Rifffolgen" verwendet wird, wie wir sie von den Amis einfach schon zu oft gehört haben.
Mit dem knackigen 'Geometric Headdress' wird die Hörerschaft wieder aufgefangen, 'Hearts/Wires' liefert sphärisch-rockigen Dream Pop, ehe die Herrschaften im weiteren Verlauf eine turbulente emotionale Achterbahnfahrt starten: Ein ungewöhnliches Gute-Laune-Lick zu Beginn von 'Pittura Infamente', bei dem sich Gitarrist Stephen Carpenter mit lässigem Riffing in den Vordergrund spielen darf, ein entrückter Midtempo-Rocker namens 'Xenon', der das Album im Prinzip schon abrunden könnte, ehe jedoch noch weitere ungewöhnliche Highlights folgen: Der schmerzhafte, brutale Titeltrack, ein direkter Artverwandter des "White-Pony"-Übersongs 'Knife Party', ein fragiles, intimes, zugleich orgiastisch eruptives Stück, das einem die Nackenhaare zu Berge stehen lässt. Oder das im scharfen Kontrast dazu friedliche, sehnsuchtsvolle 'Phantom Bride', bei dem ALICE IN CHAINS-Gitarrist Jerry Cantrell als Gastmusiker ein Solo hervorzaubert, das dem vertrauten DEFTONES-Sound gänzlich entgegengesetzt ist, diesem Kleinod aber dennoch auf unvergleichliche Weise die Krone aufsetzt. 'Rubicon' ist schließlich der ausladende, treibende Abschlusssong, wie wir ihn von den meisten bisherigen Alben der Band schon gewohnt sind.
Stellen wir fest: Weder spielt Steph Carpenter auf "Gore" eine untergeordnete oder gar lustlose Rolle, wie in einem aus dem Zusammenhang gerissenen Interview kolportiert wurde, noch hat die lange Entwicklungszeit dem Album geschadet. Im Gegensatz zum positiven, druckvollen Vorgänger "Koi No Yokan", das auf mich wie eine zusammenfassende Rückschau der bisherigen DEFTONES-Werke wirkt, steht "Gore" weitestgehend für sich: Ein ungewöhnliches, unbequemes Stück progressiv-alternativer Rockmusik. Das Songwriting für das Album war zwar bereits abgeschlossen, ehe einige der Bandmitglieder vergangenen November im Bataclan in Paris um Haaresbreite dem Blutbad beim EAGLES OF DEATH METAL-Konzert entronnen sind, und dennoch passt sowohl der Titel, als auch der erfrischend raue Ton (für den Matt Hyde verantwortlich zeichnet) hervorragend in unsere unsichere Zeit, eine Zeit, in der die Berichterstattung westlicher Medien zwischen sensationsgeilen Katastrophenmeldungen und Zerrbildern aktueller Geschehnisse pendelt, einer Zeit, in der der Wahrheitsbegriff zunehmend unter Druck gerät und doch umso klarer und leuchtender zu Wachsamkeit und Bewusstheit mahnt. "Gore" ist ein Album für die Zeit nach der Postmoderne, aufwühlend, sperrig, herausfordernd, bisweilen verstörend und schmerzhaft. Es sticht aus der bisherigen Banddiskografie hervor als das wahrscheinlich kompromissloseste Werk seit "Around The Fur". Und liefert damit den eindeutigen Beweis, dass mit den DEFTONES auch nach über 25 Jahren noch zu rechnen ist.
Anspieltipps: Prayers/Triangles, Geometric Headdress, Gore
- Note:
- 8.00
- Redakteur:
- Timon Krause