LUPERCALIA - Florilegium
Mehr über Lupercalia
- Genre:
- Medieval / Neoclassical Gothic
- Label:
- Equilibrium Music
- Release:
- 18.05.2004
- Tribe
- Ouroboros
- Aegypto Ad Siciliam
- Personent Hodie
- Sub Specie Aeternitatis
- Praga
- Rebis
- Kundalini
- Curtis
- Axe
- Formis Melara Sanctus Filix
- The Wind That Shakes The Barley
- Pilgrim`s Chant
Der berühmte Basler Geschichtsprofessor Jacob Burckhardt meinte einmal in Bezug auf das Mittelalter: "Unser Leben ist ein Geschäft, das damalige war ein Dasein." Deswegen erscheinen die elf Kompositionen auf dem zweiten Album der Italiener LUPERCALIA wie fest in sich ruhende Monumente, die von keinerlei Hektik angekränkelt werden. Wie eine mittelalterliche Burg thronen sie erhaben in der neuzeitlichen Geschäftigkeit und können es sich schadlos gestatten, auch moderne Einflüsse (dezent natürlich) aufzunehmen. Wer jetzt an DEAD CAN DANCE, ATARAXIA, CAMERATA MEDIOLANENSE, ARCANA oder QNTAL denkt, liegt so falsch nicht. Allerdings kommen LUPERCALIA in erster Linie mit natürlichen Instrumenten aus und die "Orchestral Synths" bleiben ein Element unter vielen.
Insofern ähneln sie eher den Ensembles, die sich auf pure Rekonstruktionen mittelalterlicher Musik spezialisiert haben. Doch auch das trifft nicht ganz zu - denn LUPERCALIA frönen ungeniert dem Synkretismus und lassen neben den mittelalterlichen sowie modernen Klangbildern noch Einflüsse aus Barock und Klassik zu. Letzteres zeigt sich besonders in dem Streicherquartett, das für die Aufnahmen gewonnen werden konnte und in der klassischen Akustikgitarre von Riccardo Prencipe. Um das Maß vollzumachen, gibt es außerdem noch einen Bezug auf die Antike: die Lupercalien wurden in Rom immer am 15. Februar zu Ehren des Hirtengottes Faunus gefeiert, wobei die Priester (die sogenannten Lupercali) einen Hund und einen Bock schlachteten, mit deren Blut (und anschließend mit Milch) sie ihre Mitbrüder tauften, die daraufhin sofort zu lachen beginnen mussten. Die Lupercali schnitten die Haut der Opfertiere zu Riemen und peitschten damit römische Frauen auf der Strasse, die sich dieses gern gefallen ließen, weil es Fruchtbarkeit bewirken sollte. In diese Sinne spiegeln LUPERCALIA ein wenig die Atmosphäre heidnischer Fruchtbarkeitsriten wieder, was in erster Linie den Trommeln und einigen "wilden" Gesangsparts von Claudia Flori zu verdanken ist.
LUPERCALIA ist das Kind von Riccardo Prencipe. Die Arrangements und Kompositionen stammen hauptsächlich von ihm, wobei er sich häufig auf traditionelle Melodien stützt. Er spielt neben der klassischen Gitarre noch die Keyboards und den Dulcimer. Der Dulcimer ist ein eigentümliches Saiteninstrument, bei dem die Saiten so lang wie der Resonanzkörper sind. Dieses Instrument weist eine enge Verwandschaft mit der Griffbrettzither auf. Nach einem rein instrumentalen Album ("Soehrimnir" - mit Mandoline und elektronischer Violine von Pierangelo Fevola) konnte er die Sopransängerin Claudia Flori für "Florilegium" begeistern. Ihre Stimme dürfte für viele gewöhnungsbedürftig sein, insbesondere in den Momenten, wenn sie sich der extremen Stimmkunst von DIAMANDA GALAS annähert. Diese Art kontroverser Gesangstechnik führte schon bei der Sängerin von ATARAXIA Francesca Nicoli zu den unterschiedlichsten Bewertungen. Im Stück 'Ouroboros' klirrt die Stimme von Claudia Flori ordentlich heftig in den Ohren. Um diesen Effekt zu erzielen, bedarf es immerhin einigen Könnens. Mir persönlich gefällt das alles sehr gut, weil es die Musik sozusagen körperlich spürbar macht.
Inspiriert wurde das Album von den mittelalterlichen Studien Riccardo Prencipes und der Beschäftigung mit alchemistischen Lehren, die Claudia Flori einbringt. Entsprechend mystisch, ja manchmal priesterlich entfaltet sich die Atmosphäre der Klänge. Sie erschaffen hier eine komplexe Gothic-Musik, die konzentriertes Zuhören erfordert, damit sich alle Feinheiten erschließen können. Einige traditionelle Stücke mag der geneigte Hörer schon von anderen Alben kennen – so das irische volksliedhafte 'The Wind That Shakes The Barley' vom DCD-Album "Into The Labyrinth" und den bewegten 'Pilgrim`s Chant' aus dem Codex eines spanischen Mönchsklosters von SARBANDs "Liber Vermell".
Der Silberling deckt eine Spannbreite ab, die ungefähr zwischen dem mittelalterlichen 'Personent Hodie' und dem barocken 'Rebis' liegt. Die Kompositionen weisen meist mehrere Parts auf, die sich ineinanderschachteln und wiederkehren. Dadurch entsteht der Eindruck, als würden LUPERCALIA sozusagen um ein Thema kreisen, von dem sie sich manchmal weit entfernen können, aber dessen Umkreis sie nie verlassen. Westliche und östliche Harmonien fließen zusammen - eine Erinnerung an die Kreuzzüge, in deren Folge arabische Melodien ins Abendland gelangten.
Claudia Flori singt oft in Latein oder in der Sprache Dantes, dem mittelalterlichen Italienisch. Der Opener 'Tribe' weist gleich die typischen Merkmale der Musik von LUPERCALIA auf. Er beginnt mit einem lautmalerischen Gesang, dem die trommelnde Percussion nachfolgt. Streicher, Dulcimer und Keyboard setzen gemeinsam ein. Das Ganze bewegt sich jetzt in typisch mittelalterlicher Rhythmik. Die Gesangstechnik geht teils auf die Zeit der Renaissance zurück. Die Violine und der zitherartige Klang des Dulcimer dürfen auch mal allein in voller Pracht erklingen. Das Keyboard intoniert eine erhabene epische Melodie, die der Gesang wenig später übernimmt. Zum Schluss stellen LUPERCALIA die klassische Akustikgitarre heraus, die dann noch von grollenden Trommeln begleitet wird, um letztlich leise auszuklingen.
Auf die alchemistische Symbolik der Schlange, die sich in den Schwanz beißt, bezieht sich das schon erwähnte 'Ouroboros'. Der Gesang ist vibrierend, beschwörend, steht mitten im Raum. Die Percussion bleibt dumpf und rituell monoton. Die Streicher leuchten innerhalb des Halbdunkels auf. Eine orientalische Melodie übernimmt im zweiten Teil die Führung. Der Rhythmus wird heftiger, während der Gesang zu hexenhafter Wildheit entbrennt. Die abend-morgenländische Verbindung wird beispielhaft im Instrumental 'Aegypto Ad Siciliam' vorgeführt. Violine und schnelltrommelnde Percussion lodern auf und ab, während die Gitarre für die besinnlichen Momente sorgt. Das alles gemahnt an den hohenstaufischen Herrscher Friedrich II., der antikes Kaiservorbild und orientalisches Despotentum in einer Person vereinigte, und an dessen Hof Musik in diesem Geiste erklang (im Übrigen soll er sich ja für Geheimlehren interessiert haben, was uns wieder zur Alchemie führt). Das zweite Instrumental 'Praga' setzt dagegen eine stärkere Betonung auf die klassischen Elemente. Geheimnisvoll klingende Gitarrenharmonien, Glockenschläge und Violinen verweisen vielleicht auf das Prag Rudolfs II. im 16. Jahrhundert, der sich stark für Okkultismus und Alchemie einsetzte.
Einen der Höhepunkt dieser CD stellt für mich das neunminütige feierliche 'Sub Specie Aeternitatis' dar. Dunkle wavige Klänge treffen auf eine getragene Stimmführung. Violine und Gitarre sind natürlich mit von der Partie. Der Mittelteil wird von schnellen Trommeln und den orientalisch anmutenden Gesangs- sowie Streicherharmonien dominiert. Danach bereitet die Gitarre eine prägnante Melodie vor, die schließlich von Keyboards und Streichern gemeinsam zu Gehör gebracht wird. Der Gesang kehrt am Ende zur Getragenheit des Anfangs zurück. Wunderschön ist das dynamische 'Axe', das von einer sehnsuchtsvollen Violine eingeleitet wird, um dann in mittelalterliche Lebensfreude überzugehen. Claudia Flori bietet hier mit der fast jubilierenden Stimmlage eine ihrer überzeugendsten Leistungen.
Die CD erscheint im Digipak mit einem sechzehnseitigen Booklett, das Fotos des Künstlers Achim Bednorz von historischen Bauwerken enthält. Auf meiner Promo bekomme ich leider nur das stimmungsvolle Bild einer Burgruine auf dem Cover zu sehen. LUPERCALIA entführen in eine längst versunkene Welt, in der Antike und Mittelalter aufeinandertreffen. Ihre romantische Musik besitzt historische Tiefe und sollte daher all die Nostalgiker, Schwarzkittel und Kunstbesessenen ansprechen, denen es nicht genügt, nur in der profanen Gegenwart zu leben. Im Lichte dieser Klänge geht eine Welt auf. Jeder, der sich auf die Verzauberung durch die Musik einlässt, wird mit einem ungewöhnlichen Hörerlebnis belohnt werden.
Anspieltipps: Tribe, Ouroboros, Aegypto Ad Siciliam, Sub Specie Aeternitatis, Praga, Axe, Pilgrim`s Chant
- Redakteur:
- Jörg Scholz