7th Floor (Blu-ray)
- Regie:
- Patxi Amezcua
- Jahr:
- 2013
- Genre:
- Drama
- Land:
- Spanien
- Originaltitel:
- Séptimo
1 Review(s)
04.07.2014 | 16:50Mehr Konfektionsware als Kunst: Entführungsthriller mit fiesem Dreh
An einem Tag, der nicht der seine ist, will der frisch geschiedene Rechtsanwalt Sebastian Roberti aus Buenos Aires bloß mal schnell die Kinder bei der Ex-Frau abholen, als es zu einem mysteriösen Vorfall kommt. Auf dem Weg vom 7. Stock in die Garage, den Sebastian im Aufzug, die Kinder aber im Treppenhaus zurück legen, verschwinden die Kinder spurlos. Sebastian beginnt sofort mit der Suche, doch niemand hat etwas gesehen oder gehört. Als kurze Zeit darauf ein Erpresseranruf eingeht, entbrennt ein verzweifelter Wettlauf gegen die Zeit. (Videomarkt.de)
Filminfos
O-Titel: Séptimo (Spanien 2013)
Dt. Vertrieb: Ascot Elite
VÖ: 22.7.2014
EAN: 7613059404120
Preis: 12,99 EU
FSK: ab 12
Länge: ca. 94 Min.
Regisseur: Patxi Amezcua
Drehbuch: Patxi Amezcua, Aurelio Flah
Musik: Roque Banos
Darsteller: Ricardo Darín, Belén Rueda, Luis Ziembrowski, Osvaldo Santoro, Guillermo Arengo u.a.
Handlung
Buenos Aires. Der gestresste Anwalt Seabastian Roberti ist auf dem Weg zum wichtigsten Gerichtstermin seines Leben, als er bei seinem Wohnhaus anhält, um seine geliebten Kinder Luca und Luna zur Schule zu bringen. Deren Mutter Delia drängt ihn, endlich die Scheidungspapiere zu unterzeichnen. Die Spanierin hält es in dieser Stadt nicht mehr aus und will mit den Kindern zurück zu ihrer Familie in Spanien ziehen. Natürlich will sie das Sorgerecht für die Kinder, doch das geht ihm völlig gegen den Strich. Er unterzeichnet wieder nicht. Sie gibt ihm noch die Pille für Luna mit und verbietet ihm eindringlich, mit den Kids wieder das Aufzugsspiel zu spielen.
Das Aufzugsspiel besteht darin, dass die Kinder die große Treppe nehmen, während ihr Dad den lahmarschigen und altersschwachen Aufzug nimmt. (Die meisten Aufzüge in Buenos Aires stammen aus der Zeit zwischen 1900 und 1940; sie sind berüchtigt für ihre häufigen Defekte.) Aber als Sebastian unten beim Portier ankommt, fehlt von den Kindern jede Spur.
Nachdem die Suche bei den Nachbarn ergebnislos verlaufen ist, folgt Sebastian dem Rat des Portiers und wendet sich an den Kommissar, der im 3. Stock wohnt. Senor Rosales hat einige gute Tipps. Ein Anruf in der Schule? Dort sind sie nicht. Er lässt einen Wagen der Polizei rufen, denn er hält es für möglich, dass hier eine Entführung im Gange ist. Diese Vorstellung ernüchtert Sebastian: Er muss es Delia sagen, die längst in ihr Büro gegangen ist.
Während der Gerichtstermin drängt, beginnt Sebastian allmählich auszurasten. Er dringt in die Wohnungen der Nachbarn, schließlich sogar bei Rosales. Er wird derart paranoid, dass er den Kommissar vom Verfassungsschutz überprüfen lässt und siehe da: Der Mann hat hohe Schulden. Es ist eben einfach alles möglich, nicht wahr? Ist die ganze Sache eine abgekartete Falle seiner juristischen gegner, um ihm vom Gericht fernzuhalten?
Doch dann bekommt Delia einen Anruf auf ihrem Festnetzanschluss, der das Verschwinden der Kinder erklärt: eine Lösegeldforderung. Aber welcher grausame Mensch steckt dahinter?
Mein Eindruck
Ricardo Darin, der Hauptdarsteller, der mich bereits in "Chinese zum Mitnehmen" überzeugen konnte, spielt hier einen durchdrehenden Anwalt, der voll ins Klischee des gestressten Vaters passt. Auch seine kongeniale Partnerin Belen Rueda, wie Darin ein Star im spanischsprachigen Film und Fernsehen, weiß als verzweifelte Mutter durchaus zu überzeugen. Später zeigt sich, dass sie einen Film im Film spielt - und das bringt uns zu Hitchcock.
Denn schon in Hitchcocks Meisterwerk "Vertigo" wird dem Amateur-Detektiv (James Stewart) vorgespielt, er wohne einem Selbstmord, während es sich in Wahrheit um einen kaltblütigen Mord handelt. Die Schraube der Spannung ("suspense") wird langsam angezogen, was es erlaubt, dass wir als Zuschauer zum Mitwisser des bzw. der Verbrecher werden. Der Begriff des "suspense" lässt dies durchaus zu, denn die Frage lautet nun, welche Konsequenzen sich daraus für die beiden Hauptfiguren ergeben. Es kann eigentlich nur ein dramatisches Ende geben, oder?
Der Regisseur und Autor Patxi Amezcua kennt seinen Hitchcock und seine Agatha Christie. Stetig wird der Kreis der Verdächtigen ausgeweitet, es bleibt nicht bei der labyrinthartigen Verstrickung in die Angelegenheiten des titelgebenden Stockwerks. Vielmehr erpresst Sebastian erst seinen Chef, den Inhaber der Anwalzskanzlei, um das Lösegeld zu bekommen, und dann noch eine andere Person, die nicht verraten werden darf. Er wendet sich sogar an seine Prozessgegner, um sie der Kindesentführung und Erpressung zu beschuldigen.
Die Grenze zwischen "guten" und "bösen" Bürgern beginnt also rasch zu verschwimmen, ja, auf rasante Weise sorgt Sebastian selbst dafür, dass die Grenzlinie vollends ausradiert wird. Er missachtet die Unverletztlichkeit der Wohnung, droht mit körperlicher Gewalt und wird - wen wundert's? - selbst niedergeschlagen. Letzten Endes herrscht also das Faustrecht. Wenn die Kriminalstatistik in den TV-News verlesen und der neueste Anstieg beklagt wird, so ist das pure Augenwischerei bzw. Heuchelei. Die Rechtsverdreher selbst sorgen für die Untergrabung der Gesetze.
Leidtragende sind in diesem Fall nicht nur die Eltern, sondern auch zwei unschuldige Kinder. Das macht diesen Fall allgemeingültig verständlich. Ein Remake aus Amiland dürfte wohl unvermeidbar sein. Die Höhe des Lösegelds macht die Kinder zu einer wertvollen Ware, um deren Besitz sich offenbar nicht nur Vater und Mutter streiten. Das grenzt beinahe schon an Menschenhandel. Und Menschenhandel ist bekanntlich eine Multimilliardenindustrie, die den gesamten Globus erfasst hat. Er ist lukrativer als Waffen- und Drogenhandel, und weitaus weniger riskant.
Schwächen
Die Stärke der Handlung ist ihre Unvorhersehbarkeit (außer für Hitchcock-Experten natürlich). So gibt es zwei Wendungen, die nichts ins Muster "beraubter Vater sieht rot" passen. Aber wenn man überhaupt von einer Schwäche reden kann, so betrifft sie die Bildsprache.
Hitchcock, selbst ein ausgebildeter Kameramann und Bühnenbildner, der in Babelsberg und München lernte, hat sich stets einige ausgefallene Kameraeinstellungen einfallen lassen, um den Zuschauer auch optisch zu fesseln. Man denke nur an die geniale Glockenturm-Szene, in der die Kamera gleichzeitig heranzoomt und zurückfährt (in einem Modell). Das Ergebnis ist - Vertigo, schwindelerregend.
Dieser Blick fürs Besondere fehlt in "Séptimo" fast vollständig. Nur das labyrinthisch gewundene Treppenhaus weckt noch Erinnerungen an "Vertigo", der Rest ist einfach nur 08/15-Bildsprache. Eine vertane Chance, über die die lobhudelnden Produzenten natürlich keine Silbe verlieren. Sie überschlagen sich vielmehr fast dabei, sich selbst zu beglückwünschen, dass sie es schafften, die beiden Stars ins Projekt zu holen.
Die Blu-ray
Technische Infos
Bildformate: 2,35:1 (16:9)
Tonformate: D in DTS-HD 5.1, Spanisch in DTS-HD 5.1
Sprachen: D, Spanisch
Untertitel: D
Extras:
- 2 Trailer
- Featurettes
- Making-of
- Trailershow
Mein Eindruck: die Blu-ray
Bild und Ton sind sowohl optisch als auch akustisch vom Feinsten. Während auf vielen Blu-rays der Surroundsound von DTS nicht ausgenutzt wird, ist hier das Gegenteil der Fall. Immer wieder sprechen Figuren aus dem Off und erklingen aus einem der beiden Seitenlautsprecher - ein feiner, verstörender Effekt. Auch die unterschwellig erklingenden Herztöne tragen zur unbewussten Anspannung des Zuschauers bei. Sie beschleunigen sich untermerklich, wenn man nicht extra darauf achtet.
Bei den Untertiteln war festzustellen, dass ihnen nicht immer auch ein gesprochener Satz in der Synchronisation entspricht. Das war beispielsweise in der Szene mit der Geldübergabe der Fall. Allgemein ist aber zu sagen, dass die Synchronisation weitestgehend mit den Untertitel übereinstimmt und die Sprecher ausgezeichnet zu Darin und Rueda passen. Wenn ich mich nicht täusche, ist der deutsche Stimmbandvertreter von Ricardo Darin der gleiche wie in dessen Hit "Chinese zum Mitnehmen" (vergleiche meinen Bericht).
EXTRAS
1) Deutscher Trailer (2:00 min)
Der Trailer erzählt den Anfang der Geschichte und wetzt den Appetit des Zuschauers, so wie es sich gehört.
2) Original-Trailer (2:00)
Ist inhaltlich identisch mit dem dt. Trailer, nur halt in Spanisch.
3) Making of (27:42 min)
Die Macher und Hauptdarsteller erzählen den Anfang der Handlung, also um was sich der Film dreht. Verweise auf Hitchcock und Agatha Christie fallen. Wertvoll sind die Erklärungen der beiden Hauptfiguren, um zu verstehen, warum sie sich in einem solchen Konflikt befinden. Wenn man sie beide mit dem Wissen des Endes betrachtet, so wird deutlich, stark das Motiv "Film im Film" eine Rolle spielt. Mehr darf nicht verraten werden.
Interessant ist auch, dass das Haus, das als Drehort diente, nie im Studio nachgebaut wurde. Es steht im Stadtteil Palermo in der Stadtmitte von Buenos Aires. Die Tatsache, dass es über zwei Treppenhäuser verfügt, wird beim ersten Anschauen des Films nicht ganz klar, führt aber dazu, das eine gewisse Verwirrung, ein gewisser Schwindel einsetzt: Das Appartementhaus als Irrgarten, in dem hinter jeder Wohnungstür ungeahnte Gefahren lauern können. Hier wird die paranoia, die Sebastian erfasst, sinnfällig. Dieses Element erinnert ein wenig an Roman Polanskis Grusler "Der Mieter".
Der Regisseur mit dem baskischen Namen ist Spanier und war noch nie in Argentinien. Sein Drehbuch wurde für Argentinien umgeschrieben und eine Zwei-Länder-Story daraus gesponnen. Das passt sehr gut in das Konzept des inneren Zerrissenwerdens, das Sebastian schier in den Wahnsinn treibt, während er gleichzeitig unter wachsendem äußeren Druck steht. "Suspense sollte mit allen filmischen Mitteln erzeugt werden", sagt der Regisseur.
4) Featurette: Der Film (2:02)
Die Macher und die Hauptdarsteller erklären die Handlung. Unnötig. Dies ist nur ein aufgeblasener Trailer.
5) Featurette: Die Hauptdarsteller (2:02 min)
Im Mittelpunkt stehen natürlich - wer hätte das gedacht? - die beiden Hauptdarsteller, ihre Zusammenarbeit und die Urteile über sie. Es wäre unhöflich, wenn Darín über Rueda urteilen würde, also tun es die Produzenten. Es sind nicht weniger als drei, die sich vor Lob überschlagen.
6) Featurette: Die Nebendarsteller (2:02 min)
Auch die Nebendarsteller spielen eine wichtige Rolle im Film. Nicht nur, dass sie alle aus Argentinien kommen sollten, um für Authentizität zu sorgen. Sie sollten auch alle ein klein wenig zwielichtig erscheinen, also ambivalent, um so Sebastians wachsende Paranoia zu schüren. Zum Schluss ist ihm absolut nichts mehr heilig: Er dringt selbst beim Kommissar ein - und bekommt dafür eins auf die Nase. Die Lobhudelei der Produzenten ist wirklich penetrant.
7) Trailershow
a) Northmen. A Viking Saga
b) Am Sonntag bist du tot ("Calvary"; mit Brendan Gleeson)
c) Dallas Buyers Club (OSCAR-gekrönt)
d) Mud - Kein Ausweg (vgl. meinen Bericht)
e) Der blinde Fleck (über das Oktoberfest-Attentat)
f) The Philosophers (vgl. meinen Bericht)
g) Passion (vgl. meinen Bericht)
h) Der Blender - The Imposter (vgl. meinen Bericht)
i) Errors of the Human Body (Genetikthriller)
Unterm Strich
Wieviele Thriller mit dem "Floor" im Titel hat es eigentlich schon gegeben? Es sind jedenfalls schon einige. In dieser Kategorie hält der spanische Thriller "7th Floor" wenig Überraschungen bereit. Er hangelt sich abseits von Mietshaus-Gruslern wie "[REC]" durch die üblichen Handlungswendungen, die Paranoia erzeugen, nur um dann der Zuschauern mit einer Szene zu verblüffen, die die Täter preisgibt. Und das schon 20 Minuten vor dem Ende!
Diese Erzähltaktik ergibt nur dann einen Sinn, wenn man Hitchcocks Begriff des "Suspense" kennt und auf den Film anwendet. Wir sollen denken, dass Sebastian, dem unsere Sympathien gehören, von seiner Frau und den Erpressern, die seine Kinder entführten, besiegt worden ist. Er ist am Boden zerstört. Ende der Geschichte? Keineswegs, denn er macht eine Entdeckung, die sämtliche Ereignisse, deren Zeuge er bislang war, in ein neues Licht rücken. Wird es ihm gelingen, seine Kinder zurückzubekommen? Wir drücken ihm sämtliche Daumen.
Ein paar Wendungen mehr hätten dem Film nicht geschadet, etwas mehr Drastik und Humor vielleicht, vor allem aber eine einfallsreichere Bildsprache. Dann wäre der Anspruch, sich mit dem Altmeister vergleichen zu wollen, gerechtfertigt. Doch hier ist mehr Konfektion als Kunst zu finden, wenn auch kompetent gemacht. Für einen spannenden Fernsehabend für die ganze Familie reicht es allemal.
Die Blu-ray
Bis auf das Making-of kann man die Extras alle in der Pfeife rauchen. Immerhin ist das Bild gestochen scharf, und die Ohren des Zuschauers haben ein paar hübsche Stereoeffekte zu bestaunen. Untertitel und Synchronisation stimmen weitgehend überein. Die Untertitel sollte man zuschalten, um ungesagte Sätze mitzubekommen. Man sieht also: Die DVD reicht durchaus.
Michael Matzer (c) 2014ff
- Redakteur:
- Michael Matzer