Bram Stoker's Dracula
- Regie:
- Francis Ford Coppola
- Jahr:
- 1992
- Genre:
- Horror
- Land:
- USA
1 Review(s)
06.05.2004 | 15:27Dracula. Vlad Tepes. Graf Dracul.
Bram Stokers Romanfigur war der Sprung eines Mythos ins 19. Jahrhundert. Wo vorher noch Großvaters Geschichten, Dorftratsch und verstaubte Bücher dem (Un)Leben von Vampiren Wirklichkeit einhauchten, war es nun ein kompletter Roman über den größten aller Söhne Kains.
Stoker tat genau das, was nötig war, um eine antike Figur in die Neuzeit zu katapultieren: Er verpasste ihr einen modernen Schliff (das Streben danach, aus dem ländlichen Transsylvanien in das moderne London zu ziehen), behielt die klassischen Merkmale, die schon immer fasziniert haben (Blutsauger mit übermenschlicher Kraft, der nur der Dunkelheit frönt), verpasste dem Ganzen noch eine der größten Liebesgeschichten der Weltliteratur und packte das in die Erzählform von Tagebucheinträgen und Briefen. Fertig war der (wegen marketingtechnischen Problemen etwas spät zündende) Welthit.
Dass Stokers Werk "Dracula" die Filmkunst inspirierte wie kaum ein anderes literarisches Werk, ist unbestritten. Hunderte Draculaverfilmungen wurden in den letzten hundert Jahren auf Zelluloid gebannt, doch nur wenige schafften es, diesen Stoff so eindringlich und überwältigend darzubieten wie die Romanvorlage.
Ironischerweise gilt die allererste Draculaverfilmung "Nosferatu" aus dem Jahre 1921 als die bisher beste Umsetzung des Stoffs. Der Film ist sowohl ein episches Meisterwerk als auch eine der größten Copyrightverletzungen aller Zeiten. Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau bekam die Rechte am Buch nicht und benannte Orte und Charaktere einfach um, sonst blieb alles beim Plot des Dracula-Romans. Murnau schaffte es trotz technisch urzeitlicher Zustände durch die schauspielerisch fantastische Leistung seines Hauptdarstellers und einem Kameramann, dem heute noch alle Kameramänner (und –frauen) der Welt Tribut zollen, ein tonloses, aber unglaublich bildgewaltiges Epos zu kreieren, das noch heutzutage seines Gleichen sucht.
Knapp 71 Jahre später macht sich der durch Klassiker wie "Apocalypse Now" und die "Der Pate"-Filme weltberühmte Regisseur Francis Ford Coppola an die Arbeit, eine möglichst werkgetreue Verfilmung des Dracula-Stoffs in die Kinos zu bringen. Woran schon viele Regisseure gescheitert sind und ihren Dracula teils der Lächerlichkeit oder Belanglosigkeit preisgaben, wollte Coppola das richtige Rezept haben, um einen Film zu schaffen, der dem großen Vorbild würdig sei.
Ein nicht ganz einfaches Vorhaben. Murnau hatte das Glück, dass er sich durch die tonlose Schwarzweiß-Filmerei nur auf die Wirkung seiner Bilder und seine Schauspieler konzentrieren musste. Publikumsdruck und Publicity waren kein Problem, denn jeder Film war ein kleines Wunderwerk.
So viel künstlerische Freiheit besaß Coppola dann doch nicht. Das actionverwöhnte Publikum konnte mit schwierigen Literaturverfilmungen wenig anfangen, und allein schauspielerische Leistung und eine gekonnte Kameraführung machten noch keinen Kassenschlager.
Um die Gefährlichkeit dieses Vorhabens wissend, holte Coppola sich ein Aufgebot an Schauspielern ins Boot, das keine Fragen offen ließ. Neben Charaktergranden wie Sir Anthony Hopkins und Gary Oldman, verpflichtete er aufstrebende Publikumslieblinge wie Keanu Reeves, Wyona Ryder und Cary Elwes.
Mit diesen Polstern an Zuschauermagneten machte sich Coppola ans Werk, und brachte die wohl populärste Bruchlandung der Filmgeschichte zustande.
Die Story hält sich beinhart an die Romanvorlage: Der Jungmakler Jonathan Harker wird im Auftrag seines Chefs ins ferne Rumänien geschickt, um den Wünschen des Grafen Dracula entgegenzukommen, ein Anwesen in London zu kaufen. Während seines Aufenthalts im Schloss des Grafen kommt Jonathan der düsteren Seite seines Gastgebers auf die Schliche und findet sich prompt als Gefangener und Blutbank einem Trio von Vampirinnen wieder, während Graf Dracula in einer Kiste voll mit Heimaterde (Stoker hielt sich streng an den Mythos) nach London reist, um dort, in einer Umgebung, die ihn nicht wie die Pest meidet, wieder als lebhafter Vampir sein Unwesen zu treiben. Dracula lernt die Verlobte Harkers kennen, Mina Murray, die seiner ehemaligen Frau wie aus dem Gesicht geschnitten erscheint. Während Harker verzweifelt versucht, den Vampirinnen zu entkommen, begreift Dracula, dass es sich bei Mina tatsächlich um seine wiedergeborene Frau Elisabetha handelt, die vor vierhundert Jahren durch einen Trick der feindlichen Türken ihr Heil im Selbstmord suchte. Dracula, damals von der Kirche enttäuscht, wandelte sich zum Vampir und befindet sich seitdem im Kriegszustand mit allem, was mit Gottes Segen zu tun hat. Auch Mina scheint sich wundersamerweise an ihr Leben als Elisabetha zu erinnern, und eine unvergleichliche Liebesgeschichte nimmt ihren Lauf, die nur von dem entkommenen Jonathan und dem Vampirjäger Van Helsing gestört wird.
Coppola beging bei diesem Film den Fehler, sich ZU SEHR an den Roman zu halten. Der Ablauf des Films besteht beinahe nur aus Filmzitaten und Szenen, die auch im Buch vorkommen. Das Ganze wäre natürlich nicht so schlimm gewesen, wäre der Verlauf des Films nicht komplett kaputt geschnitten. So wirkt die Geschichte unglaublich sprunghaft und hölzern, was man bei so einem Schauspieleraufgebot eigentlich nicht erwarten dürfte.
Natürlich werden sich die Menschen, die das Original gelesen haben, freuen, immer wieder Passagen aus dem Buch wiederzuerkennen, jedoch schadet dies dem Film immens. Wo in einem Film normalerweise ein Erzählfluss stattfindet und sich die Geschichte von sich heraus entwickelt, wirkt die Erzählung von Drehbuchschreiber James Hart unglaublich konstruiert. Das Ganze wirkt unglaublich dilletantisch, und man hat extreme Schwierigkeiten, sich in den Film hineinzudenken.
Selbst die Leistung der Schauspieler scheint davon betroffen, so erscheint es manchmal, als würden die Akteure sich sehr an dem Drehbuch stören, als könnten sie selber sich nicht richtig in die Geschichte hineinversetzen. Der Film ist quasi einfach nur eine Aneinanderreihung von Szenen aus dem Buch.
Dazu kommen die sehr, sehr gezwungenen Spezialeffekte im Film, die manchmal echt billig wirken, und für einen Film der neunziger Jahre enttäuschen. Ein Flammenring, der das Irrlicht darstellen soll, ist so billig in den Film kopiert, der würde selbst aus Krepppapier besser aussehen.
Warum ist dieser Film also nicht verrissen worden? Keine goldene Himbeere? Warum gerade die Oskars für die Effekte?
Die Erklärung liegt auf der Hand: Der Film, der durch ein desaströses Drehbuch, billige Spezialeffekte und eine holprige Schnittfolge eigentlich total kaputt gemacht wurde, wird durch die Liebesgeschichte zwischen Graf Dracula und Mina wieder aus dem Dreck gerissen. Ich kenne keinen Film, dessen Liebesgeschichte so nahe geht wie die zwischen dem Untoten und der wiedergeborenen Prinzessin. Gerade in der Geschichte zwischen Graf Dracula und Mina fahren die beiden Schauspieler (ein fantastischer Gary Oldman als Graf Dracula und eine bezaubernde Wyona Ryder) ihr volles Können auf. Alleine der vor Liebe und Überraschung über seine wiedergeborene Liebe verwirrte Dracula ist eine Augenweide, Oldman mimt den Grafen im Liebestaumel derart mitreißend und zugleich fesselnd, dass es einem die Sprache verschlägt. Zu den großartigsten Szenen der Filmgeschichte gehören sicherlich die, in denen Mina und Dracula, beide noch verunsichert und zweifelnd über die eigenen Gefühle, sich verbal abtasten und dann vom Strudel der Gefühle mitgerissen werden. Diese Liebesgeschichte schlägt einen in den Bann und lässt die nebensächliche Hintergrundgeschichte zwischen verkorkster Literaturverfilmung und tollem Actionstreifen verblassen. Schon die Dialoge zwischen Dracula und Mina schnüren einem die Kehle zu, und als es sich dem tragischen Ende nähert, ist der eigene Bauch nichts anderes als ein Klumpen Eis. Da stört das etwas unpässliche Finale auch nicht mehr (Der ultimative Liebestöter? Dem Geliebten den Kopf abschlagen!), und man bleibt noch den kompletten Abspann durch sitzen, um erst einmal die Flirts zwischen Vampir und Sterblicher zu verarbeiten.
Filmisch mittelmäßig, für den Regisseur enttäuschend, aber die Liebesgeschichte zähle ich zu den besten und eindringlichsten aller Zeiten (aber bitte auf Englisch).
Die DVD umfasst außerdem die Sprachen Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch und eine Unzahl an Untertiteln. Zudem ist ein umfassendes Making-of mit dabei (absolut sehenswert durch seinen großen Informationsgehalt und die Tatsache, dass man hier auch wirklich sieht, wie der Film gemacht wurde), Infos über Schauspieler und die talentierte Kostümdesignerin (die für ihre Meisterleistung dann auch den Oskar erhielt, den einzigen, den dieser Film auch wirklich verdient hatte). Technisch ist die DVD mit Dolby Digital und 5.1 Surround versehen, auch das Widescreenformat fehlt nicht.
Filmisch mittelmäßig, gehört dieser Film dennoch zu den besten, die sich jemals mit der düsteren Seite der Mystik befasst haben. Ein Klassiker der Neuzeit, und mein persönlicher Lieblings-Liebesfilm.
- Redakteur:
- Michael Kulueke