National Geographic - Beyond the movie: Der Herr der Ringe - Die Gefährten
- Regie:
- -
- Jahr:
- 2001
- Genre:
- Dokumentarfilm
- Land:
- USA
1 Review(s)
27.06.2005 | 07:08Dem Herrn der Ringe auf die Finger geschaut
Die National Geographic Society hat sich der Erforschung, Dokumentation und Bewahrung der natürlichen und kulturellen Schätze der Erde verschrieben. Mit dem Beitrag auf dieser DVD kann der Zuschauer einen Blick hinter die geistigen und sozialen Kulissen des Films "Der Herr der Ringe: Die Gefährten" werfen, verspricht der Klappentext. Eine Frage ist besonders interessant: Was bewog den Autor Prof. Tolkien zu dieser Geschichte, welche Ereignisse und Erlebnisse prägten ihn?
Filminfos
O-Titel: National Geographic, Beyond the movie: The Lord of the Rings (USA 2001)
DVD: 30.09.2002
ASIN: B00006IX9M
FSK: ab 12
Länge: ca. 60 Min.
Gesprächspartner: Cate Blanchett, Ian McKellen, Christopher Lee, Elijah Wood, Dominic Monaghan, Jussi Huovinen (Runensänger), Prof. Tom Shippey (Literaturwissenschaftler), Rayner Unwin (Verleger) u.a.
Inhalt
Die Dokumentation spürt zunächst den Anfängen und Motiven der Geschichte nach, die J.R.R. Tolkien im "Herr der Ringe" erzählt. Sie zieht Verbindungen zu unserer Welt, unserer Zeit. Aus Tolkiens Leben werden vor allem drei zentrale Erlebnisse zitiert: die ländliche Idylle im Dörfchen Sarehole bei Birmingham, wo er mit seinem Bruder aufwuchs; die Industrialisierung und die mit ihr einhergehende Zerstörung von Natur und Kultur; der Erste Weltkrieg, an dem Tolkien von 1914 bis Mitte 1915 teilnahm, bis er an "Grabenfieber" erkrankte. An der Somme-Offensive, die im Bild so ausführlich gezeigt wird, nahm er gar nicht teil.
~ Parallelen ~
Die Parallelen sind offensichtlich: Sarehole entspricht Hobbingen und seine Bewohner den friedlichen, etwas provinziellen Hobbits. Einzige Ausnahme: der der Außenwelt zugewandte Frodo Beutlin. Von fernher bedroht sie die Industrielle Revolution wie ein Krieg, und wir sehen wieder einmal William Blakes "dark satanic mills" (aus seinem Gedicht "Jerusalem"). Doch was bedeutet der "Ring der Macht", nach dem es den dunklen Herrscher gelüstet? Keine Erklärung wird uns angeboten: ist es der Kapitalismus, die Weltherrschaft, Totalitarismus, das Böse an sich - oder einfach nur der Verbrennungsmotor, den Tolkien als eine der infernalischen Erfindungen des Jahrhunderts geißelte?
~ In den Krieg ~
Eines steht jedoch fest: Frodo muss auf Geheiß der Weisen mit Gefährten hinaus, um den Ring und somit das Fundament des Bösen zu vernichten. Frodo entspricht einem adeligen Offizier, der im 1916 noch mit seinen bürgerlichen und bäuerlichen Untergebenen, den Mannschaften, in den Krieg zog, um edle Taten zu vollbringen. Auf welcher Seite sich Tolkien befand, wird auch nicht klar: Er war bei den Lancashire Fusiliers, was eine Einheit zu sein scheint, die ziemlich demokratisch zusammengesetzt war. Unwichtig - in den vierjährigen Kämpfen fallen sowieso alle Standesunterschiede.
Der Krieg ist eine industrialisierte Vernichtungsmaschinerie - die Soldaten ähneln Sarumans Truppen, die Helms Klamm erstürmen bzw. verteidigen. Bei Tolkien sind sogar Sarumans Soldaten künstlich erzeugt, denn er verfügt über die Magie, auch Leben selbst zu erschaffen, ob nun von Sauron geliehen oder nicht. Sauron verfügt über die gleiche Fähigkeit: Sein Mordor scheint missgestaltete Orcs wie am Fließband zu produzieren. 1939 schien sich für Tolkien der Albtraum zu wiederholen, denn sein Sohn Christopher diente als Soldat.
~ Beowulf und die neue Mythologie ~
Schon 1916 begann Tolkien im Lazarett erste Notizen für seine nationale Mythologie zu machen. Dies waren die ersten Entwürfe für die Geschichten in "Das Silmarillion". Später beschäftigte sich Tolkien intensiv mit dem angelsächsischen Heldenlied "Beowulf", das er übersetzte und kommentierte. Der Grund dafür war, so die Dokumentation, dass er den Verlust ersetzen wollte, den die Angelsachsen erlitten hatten, als die normannischen Eroberer die alte Literaturtradition zum Erliegen brachten.
Dass diese Vergangenheit es wert ist, durch Dichtung wiederbelebt und glorifiziert zu werden, sollen die Bilder von den prächtigen Funden aus Sutton Hoo in Norfolk belegen. In diesem 1939 entdeckten Grabhügel, von dem Tolkien offenbar Kenntnis hatte, wurde ein Fürst in einer Art Wikingerschiff bestattet - mit erstaunlichen Schätzen. Diese Helme und Ausrüstungsgegenstände lieferten das Vorbild für die Kostüme der Reiter von Rohan, die alle Merkmale der alten Angelsachsen tragen.
~ Fasziniert von Sprachen - und dem finnischen Nationalepos ~
Einer der wichtigsten Gründe, warum Tolkien seine Hauptwerke schuf, war seine lebenslange Beschäftigung mit Sprachen. Er kannte die nordischen Sprachen ebenso in- und auswendig wie das Angelsächsische und das Mittel- und Neuenglische, z. B. aus seiner Mitarbeit am epochalen "Oxford English Dictionary", der höchsten sprachlichen Instanz im englischen Sprachraum.
Ein Freund oder Kollege gab ihm das finnische Nationalepos "Kalevala" zu lesen, und hier fand Tolkien eine Fülle von Anregungen. Die Sprache lieferte laut Prof. Shippey die Vorlage für Tolkiens Elbenlatein Quenya, und die Geschichte enthielt Vorbilder für den zu zerstörenden Gegenstand der Macht (hier: der Sampo) und einen weisen Zauberer, der hier Väinamöinen heißt.
Nun folgt eine der faszinierendsten Szenen der Dokumentation: Der uralte Runensänger Jussi Huovinen singt das "Kalevala", das er vollständig auswendig kennt. (Die Buchausgabe hat etliche hundert Seiten!) Die 15.000 Jahre alten Motive des Heldenliedes waren 1830 fast ebenso vollständig in Vergessenheit geraten wie die finnische Sprache, weil unter der schwedischen Besatzung Finnlands von den gebildeten Ständen nur Schwedisch gesprochen wurde. Erst Elias Lönnrot schrieb das Epos um 1830 auf (ähnlich wie die Brüder Grimm in Deutschland) und sortierte seinen Inhalt. Der Erfolg war durchschlagend: Die Finnen hatten etwas Eigenes, das nur ihnen gehörte, und so wird das "Kalevala" noch heute zu jeder Mittsommerfeier gesungen.
~ Quer durch Afrika ~
Das letzte Drittel der Doku bringt eine mittlerweile ziemlich rührende Angelegenheit zur Sprache: die Rettung der ökologischen Schätze der Welt. Bekanntlich liebte Tolkien Wälder und Bäume. Man denke nur an Lothlórien, Fangorn und Ithilien. Diese "grüne" Haltung stellt die Doku als Vorbild hin, um die Tat eines modernen Mannes als Signal hinzustellen. Er durchquerte den Kongo und Gabun, um zum Atlantik zu gelangen. Angesichts der bedrohten Artenvielfalt durch den Raubbau mahnt er zur Rettung des Regenwaldes.
~ Offene Fragen ~
Und Galadriel fragt: "Was werdet ihr mit der Erde tun, wenn wir, die Elben, fortgegangen sind?" Frodo, der Jedermann in "Herr der Ringe", sollte uns als leuchtendes Beispiel dienen. Es wird nicht erwähnt, dass auch Frodo Mittelerde verlassen muss. Und Saruman-Darsteller Christopher Lee stellt die Antwort heischende Frage: "Wo ist der Ringträger?"
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 4:3
Tonformate: DD 5.1
Sprachen: D, Englisch
Untertitel: keine
Extras: keine
Mein Eindruck
Die Dokumentation vertritt durchweg konservative Wertvorstellungen, und das ist im positiven Sinne zu verstehen. 'Konservieren' bedeutet 'bewahren'. Der gläubige Katholik Tolkien (der es als solcher in Englands protestantischer Gesellschaft schwer hatte) erscheint uns als freundlicher und gut verständlicher Bewahrer von a) Sprache (Altfinnisch, Altnordisch, Alt- und Mittelenglisch), b) Natur, c) einer versunkenen Kultur (Sarehole) und d) einer versunkenen Literaturtradition (verkörpert im "Beowulf").
Seine sich daraus ergebende Kritik wird an den unmenschlichen "Errungenschaften" des 19. und 20. Jahrhunderts demonstriert: die Zerstörung von Kultur und Natur, die Industrialisierung der Wirtschaft und des Krieges, die daraus folgende Dehumanisierung und Entwurzelung, die daraus wiederum folgenden Übel von Macht / Sklaverei, Ausbeutung / Vernichtung, Entmenschlichung / Entstellung. Nicht zu vergessen Frodos Verrat an Sméagol / Gollum, seine schlimmste Tat. Weder Liebe noch Loyalität können unter dem Einfluss des Rings der Macht fortbestehen.
Diese Verbindungen hat Tolkien in das Gewand von Fantasy-Erzählungen gekleidet. Doch dafür gibt es eine Erklärung, die von Prof. Tom Shippey und Verleger Rayner Unwin geliefert wird: Diese Fantasy hat ihre Wurzeln in der Wirklichkeit des Lebens, das Tolkien lebte. Warum er ausgerechnet solche Wesen wie die Elben oder die Zwerge erfand, bleibt unklar. Die engelhaften Elben sind die Hüter der Welt, doch auch sie hatten ihren Sündenfall hinter sich, wie im "Silmarillion" nachzulesen ist. Und die Zwerge treten in fast jeder nordischen Saga auf. Tolkiens Mythologie lässt sich mehr auf altnordische und altfinnische Wurzeln zurückführen als auf angelsächsische. Und das soll die modernen Engländer motivieren? Man kann die armen Mädchen, die von ihrer inspirierten Mutter "Galadriel" getauft wurden, nur bedauern.
Auch die "Baumkuschler" kommen uns heute reichlich pathetisch vor. Was machen "Robin Wood" und "Greenpeace" sowie ATTAC, die Globalisierungsgegner, denn heute? Wir erfahren es nicht im Film, sondern nur aus der Zeitung. Sie bekämpfen die Multis mit ihren eigenen Mitteln, indem sie die Finanzierung von umweltschädlichen Projekten torpedieren. Ziemlich clever. Dass die US-Regierung sich seit Jahren weigert, das Kyoto-Abkommen zu unterzeichnen, wird ebenfalls verschwiegen. Sonst könnte man die National Geographic Society ja der Nestbeschmutzung zeihen.
Bleiben also die Biographie Tolkiens und die finnische Episode, die Bestand haben. Mag gut sein, dass seit Elias Lönnrots Zeit weitere 3000 Sprachen verschwunden sind, weil sie nicht mehr an die Nachkommen weitergereicht wurden. Jedes Mal verschwindet dabei ein Stück Welt-Sicht, von der mündlichen Überlieferung und der dadurch vermittelten Identität der Sprecher ganz zu schweigen. Doch für aussterbende Sprachen scheint heute nur noch der Papst zuständig zu sein.
~ Die DVD ~
Bild und Ton entsprechen den modernsten Ansprüchen, da beißt die Maus keinen Faden ab. Über das Bildformat von 4:3 lässt sich streiten, ist doch mittlerweile 16:9 beliebter. Extras gibt es keine, doch die DVD steckt in einem Schuber.
Klappt der Besitzer die DVD-Hülle auf, entdeckt er als Bildmotiv für den Hintergrund Gandalf, wie er den Weg in den Minen von Moria sucht. Und einem Einsteckschlitz lässt sich ein Faltblatt entnehmen. Vorne zeigt es vier Filmszenen: Legolas, Galadriel, Saruman und die Schwarzen Reiter. Innen kann der Betrachter die Biografie J.R.R. Tolkiens nachlesen und sein lächelndes Konterfei bewundern. Dem Text ist eine Karte von Süd-Mittelerde unterlegt.
Unterm Strich
Das Anliegen der Doku ist löblich, und bis zu einem gewissen Punkt liefert sie auch erhellende Fakten. Aber die Parallelen, die sie zieht, greifen manchmal zu kurz, und die Interpretationen, die sie nahe legt, erscheinen mittlerweile schon wieder unzeitgemäß. Frodo als leuchtendes Vorbild - doch wogegen würde er heutzutage kämpfen?
Positiv lässt sich verbuchen, dass Leute, die den Film von Peter Jackson (keine Trilogie, sondern ein Film in drei Teilen, ebenso wie der Roman keine Trilogie darstellt, sondern künstlich aufgeteilt wurde), einige interessante Einzelheiten über den Autor, das Werk, seine Entstehung und sein mögliches Anliegen erfahren.
Ladenpreis: 15,95 EU
Mehr Infos: http://www.nationalgeographic.de
- Redakteur:
- Michael Matzer