1914: Ein böser Traum, aus dem man nicht erwacht...

13.11.2025 | 17:50

Einmal mehr schaffen es die Ukrainer von 1914, ihre Chronik des Ersten Weltkrieges authentisch und bedrückend fortzusetzen und melden sich mit ihrem vierten Langdreher "Viribus Unitis" zurück. Doch anders als bei den drei Vorgängern verlagert die Black’n’Death-Formation ihren Fokus hierbei hin zu Themen wie Kameradschaft, Ausdauer und menschliche Bande. So kommt es, dass die Mannen um Ditmar Kumarberg melodischer denn je agieren ohne dabei jedoch ihre Identität – die brutale Mischung aus pechschwarzem Death- und erbarmungslosem Doom Metal – ad acta zu legen. Wir baten den Frontmann um ein Gespräch, welches wir euch nicht vorenthalten möchten. Vorab sei gesagt: Es wird bedrückend...

Hallo Ditmar, wie geht es dir?

Die traditionelle Antwort auf die Frage "Wie geht es dir?" lautet heutzutage: Hallo, ich komme aus der Ukraine. Ich denke, das sagt schon alles.

Was meine Stimmung angeht – ich bin am Leben, habe beide Arme und Beine und sitze in einem warmen Haus, während ich dieses Interview mache. Das ist schon viel. Hunderttausende meiner Landsleute haben nicht einmal das.

Das stimmt leider. Ich möchte heute mit dir über den aktuellen Stand bei 1914 sprechen. Seit "Where Fear And Weapons Meet" sind vier lange Jahre vergangen. Ihr habt einen neuen Schlagzeuger, Ihor. Wie habt ihr ihn gefunden und warum hat Rostyslav die Band verlassen?

Ihor spielte früher in der Kiewer Band SECTORIAL, aber vor Jahren – vor der Pandemie – zog er mit seiner Familie auf der Suche nach einem besseren Leben nach Frankreich. Wir kannten uns bereits, und als unser Schlagzeuger für eine kurze Tournee 2024 nicht ausreisen durfte, haben wir ihn kontaktiert, und Ihor hat uns freundlicherweise ausgeholfen. Er ist ein großartiger Musiker.

Was Rostyslav betrifft – er unterzog sich im Oktober 2024 einer schweren Operation und schaffte es gerade noch, die Aufnahmen für das Album mit uns zu beenden. Das Schlagzeugspielen wurde für ihn körperlich zu anstrengend und er brauchte Zeit für seine Rehabilitation. Außerdem heiratete er im Sommer 2024 und wollte sich auf seine junge Familie und sein Tattoo-Studio konzentrieren. Vielleicht arbeiten wir eines Tages wieder zusammen – wer weiß.

Anfang des Jahres habt ihr ein Cover von 'Invaders Must Die' von THE PRODIGY veröffentlicht. Wie kam es zu dieser Idee und welchen Einfluss hatte THE PRODIGY auf 1914, auf euch?

Ich betone oft, dass ich nicht wirklich Teil der "Metal-Welt" bin. Ich bin tief in Punk, Elektronic und Industrial verwurzelt. THE PRODIGY ist eine der wichtigsten und beliebtesten Bands meines Lebens – ich höre sie seit 1996 ständig. Als wir beschlossen, einen Track zum Jahrestag der vollständigen Invasion aufzunehmen – als Tribut und Geschenk an alle unsere Soldaten –, schien dieser Song perfekt zu sein. Allein schon der Titel sagt alles, was gesagt werden muss.

Das ist wahr. Aber schauen wir in die Zukunft, wo euer viertes Album "Viribus Unitis" vor der Tür steht. Was waren eure Ziele, als ihr mit der Arbeit daran begonnen habt, und hat sich im Vergleich zu euren früheren Alben etwas geändert?

Ehrlich gesagt hatten wir keine "Ziele", als wir anfingen. Es gab viel Verzweiflung, Wut, Trauer. Der Krieg geht weiter. Ich habe viele Freunde begraben. Ich lebe seit mehr als drei Jahren getrennt von meiner Tochter – sie muss wegen des Krieges in Europa leben. Jeden Tag gibt es Raketen- und Drohnenangriffe in der ganzen Ukraine. Welche Ziele kann man in einer solchen Realität haben? Wir haben einfach das getan, was in uns steckte – Wut und Zorn.

Ich habe mich mit dem Thema Ukrainer an der italienischen Front und im Ersten Weltkrieg im Allgemeinen beschäftigt. Ich habe Texte geschrieben. Die Jungs haben an der Musik gearbeitet. Wir haben viel diskutiert. Ich habe wahrscheinlich 99% dessen abgelehnt, was die Gitarristen zur Probe mitgebracht haben – es passte einfach nicht, bis es plötzlich Klick machte, bis ich das Gefühl hatte, dass ein Riff oder ein Akkord die Texte wirklich untermauerte und die Geschichte zusammenhielt.

Im Vergleich zu früheren Alben bin ich viel anspruchsvoller geworden – mehr historische Recherche, mehr Zeit für Konsultationen mit Historikern. Bei dieser Platte geht es nicht um Musik – es geht um Geschichten und Emotionen.

Verstehe. Du setzt deine Chronik des Ersten Weltkriegs fort und konzentrierst dich weniger auf den nackten Tod und die Zerstörung als vielmehr auf Kameradschaft, Ausdauer und die Gefühlswelt derer, die ihn durchlebt haben. Was hat dich zu diesem Ansatz bewogen?

Ich wollte das Leben eines Mannes während des Krieges zeigen – seine Reise, seine Ängste, seine Liebe und seine Hoffnung.

Im Zuge dessen: Im Vergleich zu seinem Vorgänger klingt "Viribus Unitis" melodischer, dramatischer und emotionaler – mit orchestralen Texturen und eindringlichen klaren Vocals, die einen Kontrast zur Härte bilden. War das eine bewusste Veränderung?

Ich bin mir nicht sicher. Ich habe einfach das gemacht, was ich in meinem Kopf gehört habe. Ich stelle mir immer vorher das komplette Album vor – mit allen Sounds, Samples, Schreien und Geschichten. Dieses Album ist so geworden, wie ich es mir vorgestellt habe, durch das Prisma meiner persönlichen Erfahrungen – Angst, Wut, Verzweiflung. Mein Ziel ist es nicht, ein weiteres Metal-Album zu machen. Das ist langweilig. Mein Ziel ist es, eine Geschichte zu erzählen, die man fühlen kann, sodass man beim Zuhören Teil davon wird. Wenn der Zuhörer nicht Teil des Albums wird, habe ich versagt.

Das Album folgt einer Zeitachse von 1914 bis 1919, basierend auf realen Ereignissen und den persönlichen Aufzeichnungen eines ukrainischen Soldaten der österreichisch-ungarischen Armee. Wie tief haben dich diese Berichte beeinflusst?

Das ist Teil unserer Geschichte – hier in Erinnerung und geehrt, trotz jahrzehntelanger sowjetischer Zensur und Unterdrückung, die versuchte, jede Erinnerung an den Ersten Weltkrieg, an den ukrainischen Heroismus und an unseren ersten unabhängigen Staat im Jahr 1917 auszulöschen.

Mein Urgroßvater hat in diesem Krieg gekämpft und einen ähnlichen Weg zurückgelegt, daher ist das Thema für mich sehr persönlich. Ich möchte die Welt auch an die Ostfront erinnern – Europa kennt Verdun, Passchendaele, die Somme, vergisst aber die massiven Schlachten, die hier in der Ukraine ausgetragen wurden und in denen Millionen Menschen starben. Vielleicht hilft dieses Album den Menschen, etwas Neues zu lernen.

Davon bin ich überzeugt. Am meisten bewegt mich '1919 (The Home Where I Died)'. Es handelt von einem Mann, der aus der Gefangenschaft flieht, um zu seiner Frau und seiner Tochter zurückzukehren – nur um kurz darauf zu sterben. Ist dies das Herzstück des Albums, vielleicht sogar des gesamten Werks von 1914?

Ja, es ist ein wichtiger Song – und sehr persönlich. Er handelt von Liebe, von der Trennung von seinem Kind. Das ist meine derzeitige Realität – ich bin seit Jahren von meiner Tochter getrennt und vermisse sie schrecklich. Deshalb bedeutet mir dieser Track sehr viel. Die Mitwirkung von Jérôme Reuter hat ihn noch kraftvoller gemacht. Er ist eine traurige Zusammenfassung dessen, was Krieg wirklich ist: Trennung, Angst, Schmerz, Tod. Deshalb bildet er den Abschluss des Albums.

Liebe – insbesondere die Liebe zu deinem Kind – ist eine Kraft, die zu unglaublichen Dingen befähigt.

Auf '1918 Pt. 3: ADE (A Duty To Escape)' hast du mit Aaron Stainthorpe zusammengearbeitet, der bis vor kurzem bei MY DYING BRIDE war. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit und wie sehr hat MY DYING BRIDE dich beeinflusst?

Alles begann mit Punk – die Szenen von '77 und UK82 haben mich geprägt. Von dort aus entdeckte ich die britische Metal-Szene: NAPALM DEATH, DISCHARGE, EXTREME NOISE TERROR, DOOM, ELECTRO HIPPIES, AMEBIX, BOLT THROWER, BENEDICTION, CARCASS, CATHEDRAL, PARADISE LOST, ANATHEMA und auch MY DYING BRIDE. Diese Szene hat mich geprägt – und tut es immer noch. Ich habe auch schon immer elektronische und Industrial-Musik geliebt – auch hier wieder hauptsächlich britische: COIL, CURRENT 93, THROBBING GRISTLE, NURSE WITH WOUND, DEATH IN JUNE, CABARET VOLTAIRE.

Die Zusammenarbeit mit Aaron war also ein Kindheitstraum, der wahr geworden ist, und eine große Ehre. Seine Stimme hat etwas Liturgisches, Tragisches und Eschatologisches – unverwechselbar und unersetzlich.

Das Artwork ist sehr beeindruckend. Wer hat es entworfen und wie passt es zu den Themen des Albums?

Wir haben uns von "Karpathenwacht" (1914–1915) des österreichischen Malers Alois Hans Schram inspirieren lassen, das noch immer in Wien aufbewahrt wird. Die Karpaten liegen natürlich teilweise in der heutigen Ukraine. Im Original ist die zentrale Figur der Schutzengel der Karpaten mit einem flammenden Schwert – ein Verweis auf die Vertreibung aus dem Garten Eden. In unserer Version haben wir den Sensenmann hinzugefügt – diesen stillen Beobachter, der immer darauf wartet, seine Ernte einzubringen. Das Motto "Viribus Unitis" – mit vereinten Kräften – symbolisiert hier den Engel und den Tod als Verbündete, Waffenbrüder, Komplizen in derselben Tragödie. Zwischen Himmel und Hölle gibt es den Schützengraben und den stillen Tod.

Sehr aussagekräftig und passend. Was wird nach der Veröffentlichung dieses besonderen Albums passieren? Gibt es Pläne für Live-Shows oder eine Tournee? Und da ich euch noch nie live gesehen habe – was kann man von einem 1914-Konzert erwarten?

Der Krieg geht weiter. Wir sind ständig mit Reisebeschränkungen konfrontiert, und das Interesse der Veranstalter ist fast gleich null. Sie glauben einfach nicht an uns – sie wollen kein Geld riskieren, indem sie eine Band aus der Ukraine buchen. Während andere europäische Bands ihr bestes Leben leben, wachsen, touren, auf großen Festivals spielen und riesige Shows auf die Beine stellen, schauen wir nur von der Seitenlinie zu und fühlen uns festgefahren. Manchmal fühlt es sich an wie ein böser Traum, aus dem man irgendwann aufwachen wird. Aber das tut man nicht.

Ich hoffe sehr, dass sich das ändern wird. Es sei euch gegönnt. Möchtest du abschließend noch etwas loswerden?

Ich glaube, ich habe schon genug gesagt. Danke.

 

Fotocredits: Sofiia Ruda

Redakteur:
Marcel Rapp

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