36 CRAZYFISTS: Interview mit Steve Holt
26.06.2006 | 17:13Obwohl die 36 CRAZYFISTS mit ihrem letzten Album ein weiteres Hammerwerk eingespielt haben, mussten die Kanadier einige Kritik für "A Snow Capped Romance" einstecken. Besonders die Fans der ersten Stunde fanden die deutliche Abkehr vom Hardcore nicht so prickelnd und fürchteten eine zu starke Kommerzialisierung. Die Band hat sich davon allerdings nicht abbringen lassen, mit dem neuen Album "Rest Inside The Flames" allerdings auch die genau passende Antwort parat. Das Album befindet sich in der genauen Schnittmenge der ersten beiden Platten und sollte damit alle Fans dieser Band zufrieden stellen. Zumindest ist Gitarrist Steve Holt da sehr optimistisch.
Björn:
Hi Steve! Vor zwei Jahren hatten wir ja schon einmal das Vergnügen. Was ist seitdem geschehen?
Steve:
Nun, die meiste Zeit ging tatsächlich dafür drauf, die Tournee abzuschließen und am neuen Album zu arbeiten. Es gab nicht wirklich viel Freizeit, zumal wir ein bisschen länger fürs Songwriting benötigen als die meisten Bands.
Björn.
Habt ihr denn unterwegs schon an neuen Songs gearbeitet, oder ist dies erst im Nachhinein passiert?
Steve:
Wir bevorzugen es, die Alben am Stück zu komponieren. Es ist in etwa so, als wenn man ein Buch oder einen Film kreiert. Sowohl für unsere Seelen als auch für die Alben ist diese Arbeitsweise deutlich von Vorteil.
Björn:
Euer Material ist oftmals sehr emotional. Wäre es denn überhaupt möglich, so etwas in einem stinkenden, verschwitzten Tourbus zu schreiben?
Steve:
Nein, ich denke nicht. Ab und zu entsteht hier mal ein Riff, aber wir komponieren generell nicht während einer Tour.
Björn:
Haben denn eure Erfahrungen auf der Bühne einen Einfluss auf diesen Prozess gehabt? Meiner Meinung nach ist "Rest Inside The Flames" nämlich wieder ein ganzes Stück straighter als die Songs vom letzten Album.
Steve:
Ja, absolut. Ich bin froh, dass du dieses Thema aufgegriffen hast! Wir hatten nämlich schon im Hinterkopf, Songs zu schreiben, die vor allem live gut funktionieren. Also schrieben wir Sachen, die in uns das Gefühl loslösten: "Wow, ich kann es gar nicht mehr abwarten, das live zu spielen". Und so entstanden Songs, die ziemlich direkt auf den Punkt kommen.
Björn:
Hatten denn die Statements eurer Die-Hard-Fans, die den etwas softeren Ansatz und das phasenweise Verleugnen eurer Hardcore-Wurzeln auf "A Snow Capped Romance" nicht so ganz mochten, auch einen Einfluss auf diese Entwicklung? Hattet ihr das im Hinterkopf, als ihr Nummern wie 'Will This Pull In By My Hand' komponiert habt?
Steve:
Das kann man schwer sagen. Ich liebe unser letztes Album nach wie vor und halte es für ein großartiges Statement dieser Band zu jener Zeit. Wir wollten schließlich nur, dass unser Material die Leute bewegte, und ich denke, das ist uns trotz alldem gelungen.
Björn:
Das kann ich unterstreichen. Wie sieht demzufolge deine Meinung zur derzeitigen Hardcore-Szene aus? Kannst du dich noch immer damit identifizieren, oder bevorzugst du eher die neue Schule bzw. den Emo-Stoff?
Steve:
Ich denke, dass es von Beginn an sehr schwierig war, uns überhaupt in eine dieser Kategorien zu stecken. Das war jedoch sowohl Segen, als auch gleichzeitig ein Fluch für uns. Wir lieben Hardcore-Bands und den eher emotionalen Teil der Szene. Selber jedoch sehen wir uns einfach nur als Rock-Band. Wir mögen Sänger und Hardcore-Screamer, aber ich denke nicht, dass wir jemals wie eine Emo-Band geklungen haben.
Björn:
Ich hatte auch nicht vor, euch irgendeinen Stempel aufzudrücken. Daher wäre es aber auch mal interessant, deine Beschreibung eurer Musik zu hören.
Steve:
Unsere Musik ist zu einem großen Teil basischer Rock mit einer leichten Prise Metal – nicht überwiegend melodisch, aber auch nicht vordergründig metallisch.
Björn:
In meinem Review habe ich geschrieben, dass ihr die Heavyness eures Debüts mit den melodischen Ansätzen eures Zweitwerks auf "Rest Inside The Flames" kombiniert, euch dabei aber trotzdem auf eine neue Stufe entwickelt habt. Würdest du sagen, das trifft es?
Steve:
Ja, du hast es ganz genau verstanden! Wir haben eine gesunde Mischung gefunden und trotzdem ein höheres Level erreicht. Doch ich muss sagen, dass sich diese Progression für uns ganz natürlich anfühlt.
Björn:
Bisher habe ich die 36 CRAZYFISTS noch nie live gesehen, weshalb ich auch keine Vorstellung davon habe, wie ihr diese melodischen, emotionalen Parts auf der Bühne reproduziert. Und ich weiß auch nicht, was passiert, wenn ihr zwischen den beiden Extremen balanciert. Vielleicht kannst du mir da mal Näheres zu sagen?
Steve:
Wie eigentlich üblich sagen auch uns die meisten Leute nach, dass wir live ein wenig härter als auf dem Album klingen, und ich denke, dass dies auch in unserem neuen Material reflektiert wird. Wenn wir live spielen, sind wir sehr emotional und ehrlich, und genau das werden dir die Fans auch bestätigen können.
Björn:
Hältst du es denn generell für möglich, die Gefühle, die beim Komponieren eines Songs auftauchen, auf der Bühne mit derselben Leidenschaft darzubieten?
Steve:
Auf jeden Fall! Wie ich schon sagte: Live leben wir diese Gefühle voll und ganz aus, und deshalb berührt uns dies auch immer und immer wieder!
Björn:
Inwiefern glaubst du denn, halten die Fans eure Texte für relevant? Falls du mal schätzen müsstest, welcher Prozentsatz eurer Fans sich wirklich intensiv mit den Texten auseinandersetzt, was würde dabei herauskommen?
Steve:
Es ist ja schon ein sehr wichtiger Teil der Musik und die Fans beziehen sich schon sehr stark darauf. Prozentzahlen? Keine Ahnung. Auf jeden Fall haben die Leute die Chance, die Texte selber zu interpretieren und sich das Wichtigste für sich selber herauszusuchen. Und das ist meiner Meinung nach auch sehr wichtig.
Björn:
Würdest du denn sagen, dass man eure Band erst vollständig genießen kann, wenn man auch den Inhalt der Texte begriffen hat?
Steve:
Ja, das sehe ich schon so. Wie gesagt; wir lassen dem Hörer einige Freiräume zur freien Interpretation, und diese kann er schlussendlich sogar auf sein eigenes Leben beziehen.
Björn:
Hat es denn schon mal Diskussionen mit Fans über die Inhalte eurer Texte gegeben?
Steve:
Ja, und das ist immer besonders schön, wenn die Leute dir sagen, dass ihnen ein bestimmter Text über eine schwierige Lebenssituation hinweggeholfen hat. Wir lieben es, uns mit unseren Fans über so etwas zu unterhalten, gerade eben weil wir ihnen indirekt haben helfen können.
Björn:
Worum geht es denn genau in den Texten von "Rest Inside The Flames"?
Steve:
Es geht in erster Linie um Sachen wie Hoffnung und Selbstverwirklichung, also Dinge, die sich sehr positiv auf das eigene Leben auswirken können.
Björn:
Welcher dieser Songs hat denn für dich persönlich eines besonders große Bedeutung?
Steve:
Eigentlich fühle ich mich vom gesamten Album sehr berührt, aber ich bin wohl auch ein wenig vorbelastet, haha!
Björn:
Insgesamt sind die Songs auf musikalischer Ebene wieder ein bisschen eingängiger geworden. Wie ist es dazu gekommen?
Steve:
Ich denke, dass einen die Entwicklung dorthin bringt, dass man irgendwann seine Vorlieben besser kennen lernt und auch in Erfahrung bringt, welche Position man in der Musikwelt eingenommen hat. Wir selber lieben ja auch die Songs, die einem sofort im Kopf hängen bleiben, so dass man sie immer wieder singt und hören möchte.
Björn:
Liebst du auch die Konzerte, bei denen die Fans die Refrains alleine übernehmen? War dies so etwas wie ein erklärtes Ziel für euch?
Steve:
Ja, natürlich liebe ich das! Diese Gefühl der Verbrüderung mit den Fans ist etwas absolut Großartiges. Es macht jeden so enorm lebendig. Wenn die Leute dies bei unseren Shows machen, ist dies das beste Kompliment, das sie uns machen können. Es fühlt sich einfach spitze an!
Björn:
Stimmst du denn zu, dass es bei "Rest Inside The Flames" in erster Linie um Hooklines geht?
Steve:
Darum, und um Vielschichtigkeit. Dadurch stellen wir auch sicher, dass die Fans bei den Konzerten singen und in Bewegung bleiben.
Björn:
Wie würdest du die Atmosphäre beschreiben, die von der ersten bis zur letzten Sekunde vorherrscht?
Steve:
Ich denke, dass ist einfach die Verbindung zwischen den Bandmitgliedern, die wir hiermit ausdrücken und auf die Hörer übertragen wollen. Wir würden auch nie einen Song in der Mitte unterbrechen, denn die Musik ist uns ebenso wichtig wie unseren Fans, und wir wissen genau, was die Leute von uns hören wollen.
Björn:
Wenn in Deutschland über Metalcore geredet wird, fallen meistens solche Namen wie KILLSWITCH ENGAGE oder HEAVEN SHALL BURN. Selbst wenn die Leute deine Band kennen, wird sie nur selten erwähnt, obwohl ihr eigentlich auf einem viel höheren Level spielt als so manch erfolgreichere Band. Inwieweit beeinflusst dies eure allgemeine Stimmung?
Steve:
Hm... wir würden natürlich auch gerne so erfolgreich sein, sind aber mit unserer momentanen Situation sehr zufrieden. Wir bevorzugen es eben, den ruhigen Gegenpol darzustellen. Vielleicht klingt das ein wenig zu allgemein, aber im Prinzip verlieren genau diese Bands im Normalfall auch genauso schnell wieder ihre Fans, wie sie sie gewonnen haben. Langlebigkeit ist daher auch unsere persönliche Maxime. Wir haben nie danach gestrebt, auf irgendeinen Trend aufzuspringen. Vielleicht können wir deshalb ja eines Tages eine Art Vorreiter eines bestimmten Genres werden.
Björn:
Aber ist dies nicht ungleich schwerer, jetzt wo ihr mit eurem dritten Album schon in der Szene etabliert seid?
Steve:
Nun, es wäre natürlich ziemlich cool, wenn da noch etwas gehen würde, doch wie gesagt: mit unserer aktuellen Lage sind wir mehr als glücklich. Ein drittes Album auf den Markt zu bringen ist schließlich etwas, für das sehr viele Bands nicht einmal die Gelegenheit bekommen.
Björn:
Spielt Erfolg denn überhaupt eine Rolle bei den 36 CRAZYFISTS?
Steve:
Jeder möchte mit dem Erfolg haben mit dem, was er macht, und das ist bei uns natürlich nicht anders. Wir haben ja in gewisser Weise auch Erfolg, und deshalb möchte ich mich jetzt auch nicht beklagen.
Björn:
Wie definierst du diesen Begriff dann?
Steve:
Erfolg ist nicht gleichzusetzen mit Popularität. Es geht vielmehr darum, die Ziele zu erreichen, die man sich selber gesteckt hat.
Björn:
Für mich persönlich wäre es indes schon ein Erfolg euch live zu sehen. Wann ist es denn so weit?
Steve:
Wir werden im Sommer einige Festivals spielen, zwischendurch aber auch einige Off Dates mit DEVILDRIVER und TRIVIUM bei euch in Europa haben. Haltet einfach mal die Augen offen!
Björn:
Haben wir noch etwas vergessen?
Steve:
Ich möchte einfach jedem danken, der uns unterstützt und unsere Platten kauft. Es bedeutet uns unheimlich viel, dass ihr da seid, und wenn wir uns auf einer unserer Shows treffen, dann sagt einfach mal "Hallo", und wir trinken ein Bier zusammen.
- Redakteur:
- Björn Backes