ABANDONED: Interview mit Holger

01.06.2007 | 18:29

Wer mehr von harter Musik als von Geographie versteht, musste in den letzten beiden Jahren den Eindruck bekommen, die legendäre Bay Area läge in der Mitte Deutschlands. Kaum eine Band tönt nämlich derzeit mehr nach den großen Namen, die diesen Ort seinerzeit mit gewaltigen und zugleich melodischen Riff-Ungetümen zu einem der populärsten Schlagworte im amerikanischen Metal-Lexikon gemacht haben, als ABANDONED. Gitarrist Holger spricht im Interview über das neue Sägeblatt "Thrash You!", das – wie sollte es anders sein – erneut lupenreinen Old-School-Thrash serviert.

Thomas:
Holger, am 01.06. erscheint euer zweites Album "Thrash You!". Wie fühlt man sich jetzt, wo alles im Kasten ist?

Holger:
Also ein paar Reviews habe ich schon gelesen und bis jetzt klingen sie alle ähnlich positiv wie bei unserer letzten Scheibe. Man rechnet natürlich immer irgendwo damit bzw. hofft, dass das Gesamturteil noch ein Stück besser ausfällt als beim Vorgänger. Gerade am Sound haben wir in meinen Augen noch sehr viel verbessern können, sodass "Thrash You!" wesentlich mehr knallt als "Thrash Notes", die ja in dieser Hinsicht schon noch Potenzial nach oben offengelassen hat. Ich hätte eigentlich gedacht, dass das noch mehr herauskommt in den Rezensionen. Andererseits habe ich auch sehr viel Positives gelesen und bin zufrieden mit dem Verlauf bis jetzt, mit noch besseren Kritiken wären wir ja schon fast im Bereich "Album des Monats" gelandet. Das kommt dann halt mit der nächsten CD, haha! Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Man fühlt sich schon echt geil. Wir stehen alle voll hinter dem Album.

Thomas:
Den verbesserten Sound hast du schon angesprochen. Was ist noch neu oder anders auf "Thrash You!"?

Holger:
Oh, zum Beispiel war dieses Mal ein neuer Mischer mit an Bord, der mit Metal etwas mehr Erfahrung hat als der vorherige. Bisher haben wir mit jemanden gearbeitet, der zwar schon Hard-Rock-Bands gemischt, aber noch nie Thrash oder noch Schlimmeres gemacht hatte. Unser neuer Mann hat dagegen schon Erfahrungen mit Gebolze durch den kompletten Garten von Black Metal bis Metalcore. Selbst CREMATORY hat der schon gemischt! Mit so jemandem ist ein ganz anderes Arbeiten möglich, weil du nicht jedes Mal bei Adam und Eva wieder anfangen musst, um ihm zu erklären, wie du eigentlich klingen willst. Diese ganze Geschichte lief also schon mal wesentlich entspannter.
Dazu kommt, dass wir dieses Mal wesentlich besser vorbereitet ins Studio gekommen sind, letztes Jahr war's doch zwischenzeitlich arg hektisch. Immerhin ging es damals um die erste richtige CD. Das ist doch etwas völlig anderes, als ein Demo aufzunehmen. Beim zweiten Anlauf weiß man dann schon wesentlich besser, wie der Hase läuft.
Mit Zeitdruck muss man auch erstmal umgehen lernen. Die Demos haben wir im Studio von unserem Drummer Konrad aufgenommen, da spielt Zeit ja noch keine Rolle und wenn mal was schief geht, dann macht man's eben nächste Woche – was so im Studio natürlich nicht geht.
Mit diesem Wissen haben wir dieses Mal eine Vorproduktion gemacht – wiederum im privaten Studio - und als wir schließlich zu den Aufnahmen gingen, waren die meisten Sachen schon im Kasten, sodass wir uns wirklich hundertprozentig auf das Einspielen konzentrieren konnten.

Thomas:
Ihr habt eure Live-Qualitäten ja bereits auf zahllosen Gigs bewiesen. Trotzdem kann ich mir manchmal den Gedanken nicht verkneifen, ob nicht der eine oder andere beim Plattenkauf nach wie vor zu den Mega-Sellern und Klassikern im Thrash-Bereich greift und live weiterhin zu euren sehr unterhaltsamen und zudem preiswerten Shows pilgert. Wo liegen – besonders auf CD - eure Alleinstellungsmerkmale?

Holger:
Ach was! Wenn du wirklich Fan von solcher Musik bist, holst du dir CDs doch nicht nur, weil sie nun extrem innovativ oder neu wären. Ich besorg mir auch eine Menge Scheiben, bei denen man sagen könnte, "Ok, das gab es alles schon mal", sonst käme doch kein Mensch auf Sammlungen von 1200 oder noch mehr Tonträgern. Selbst an "Reign In Blood" oder "Bonded By Blood" oder dem ganzen FORBIDDEN-Kram hast du dich irgendwann satt gehört und willst mal was Neues haben!
Auch wenn bei uns die Vergleiche mit den älteren Thrash-Bands durchaus angebracht sind, ist die Musik ja auch nicht 1:1 austauschbar, kleinere Unterschiede gibt es immer. Oder kannst du mir sonst erklären, wieso sich Metalcore so gut verkauft? Bis auf eine Handvoll Ausnahmen unterscheidet sich da eine Band doch auch kaum von der anderen!

Thomas:
Wie viele Experimente dürfen denn bei ABANDONED sein? Gibt es noch andere Einflüsse für euch, außer den unüberhörbaren?

Holger:
Wir verfolgen auf keinen Fall ganz stur und streng die Achtziger-Schiene. Was du auf dem Album hörst, entsteht ganz natürlich, wenn wir uns Songs überlegen und da sind auch immer wieder moderne Sachen dazwischen. Die von dir angesprochenen Parallelen liegen einfach darin begründet, dass wir mit dieser Musik groß geworden sind. Klar hören wir zwischendurch auch andere Sachen, aber hörbaren Einfluss auf das Endergebnis haben die so gut wie keinen.

Thomas:
Meiner Promo-CD lag leider kein Booklet bei, darum konnte ich mir im Vorfeld lediglich die Tracks, aber nicht die Lyrics ansehen. Interessiert hätte mich das allerdings schon. Was verbirgt sich hinter Titeln wie 'Visions Of Death' oder 'Damned For All Times'?

Holger:
Unser Fronter Kalli hat auch diesmal wieder alle Texte bis auf den von 'In Search For Sanity' gemacht. Er versucht es meistens so zu erklären, dass die Songs um den Titel herum entstehen. Wenn ihm irgendwas cooles einfällt, wird dazu nach und nach ein Textgerüst zusammengebaut. Auf "Thrash Notes" gab es allerdings auch einige Stücke mit einem aktuellen Bezug. 'Return To One' z.B. stammt von Konrad und befasst sich mit den Anschlägen vom 11. September. Kalli hatte damals auch zwei oder drei Ideen in diese Richtung.
Bei der neuen Scheibe hat sich diesmal nichts dergleichen ergeben. Böse Zungen würden das vielleicht Metal-Klischee-Texte nennen. Uns ist es halt wichtig, dass es gut klingt und die Refrains schön eingängig sind. Ein Text ist allerdings von mir: 'In Search Of Sanity'. Der wurde von irgend so einem SciFi/Fantasy-Streifen inspiriert, den ich mal gesehen habe. Die Urversion dieses Songs ist schon über zehn Jahre alt und stammt noch von einer meiner ehemaligen Bands. Wir haben das Ganze dann nochmal ordentlich durch den Wolf gedreht und neu aufgenommen.

Thomas:
In eurer Studio-Doku freut sich Kalli über neue metallverstärkte Handgelenke, die ihr ihm angeblich habt implantieren lassen, damit ihr die neue Rekordgeschwindigkeitsgrenze von 260 bpm hinbekommt. Versuch doch mal einem Nicht-Gitarristen zu erklären, wie schwer das wirklich ist.

Holger:
Natürlich ist das lediglich unsere persönliche Rekordgrenze. Die 260 bpm bezogen sich auch eher auf das Drumming. Wenn du tatsächlich 260 Anschläge pro Minute auf der Gitarre schaffen wolltest, das wäre allerdings schon ganz schön heftig.

Thomas:
Lass uns noch abschließend über den Gesang auf "Thrash You!" sprechen. In der Vergangenheit hatten damit einige Leute so ihre Problemchen, ich habe sogar mal gelesen, dass Worte wie "eindimensional" verwendet wurden. Wie geht Kalli damit um?

Holger:
Ach, der Gesang wird doch immer am meisten kritisiert, das ist nicht nur bei uns so. Deswegen liegt der Kalli jetzt nicht nachts wach.

Thomas:
Demnach war ein anderer Sänger also auch nie ein Thema?

Holger:
Am Anfang haben wir allerdings jemanden für den Posten am Mikro gesucht, aber schlicht und ergreifend niemanden gefunden. Kalli war zu Beginn nicht unbedingt versessen auf den Sängerposten, da er schon bei seinen beiden vorherigen Bands immer die Doppelbelastung mit Gesang und Gitarre hatte. Als sich dann aber keine Alternativen boten, blieb es halt dabei und es läuft ja auch sehr rund. Kalli ist grade live ein bärenstarker Frontmann.

Thomas:
Auch im Studio scheint ihr ja richtig Spaß gehabt zu haben. Eure bereits angesprochene Videodokumentation aus dem Studio fand ich jedenfalls umwerfend komisch. Wer zeichnet denn für den Blödsinn verantwortlich?

Holger:
Wir haben über einen Zeitraum von drei Wochen alles nacheinander aufgenommen, beginnend mit dem Schlagzeug, dann den Bass und danach die Gitarren. So mussten nicht alle über die komplette Zeit Urlaub nehmen und ununterbrochen im Studio sein. Konrad und Günt waren also relativ früh fertig mit ihren Parts und haben sich dann mit der Kamera vergnügt. Ich bin eh immer etwas zurückhaltend, was das Rumalbern vor Kameras angeht, darum bin ich wohl kaum zu sehen.

Thomas:
2005 war ein sehr erfolgreiches Jahr. Ihr habt den Contest gewonnen, der euch den Slot auf dem Rock Hard Festival eingebracht hat und wurdet dadurch in allen größeren Magazinen als ganz heiße Newcomer gehandelt. Viele wollten euch im Jahr darauf in Gelsenkirchen auf der Hauptbühne sehen. Nun da sich die Rauchschwaden dieser Bekannheits-Explosion langsam verziehen: Welche Hoffnungen und Erwartungen von damals sind eingetreten? Welche vielleicht auch nicht?

Holger:
Der größte Erfolg war ganz klar der Plattenvertrag und die professionelle Aufnahme von unserem Debüt-Album mit Label-Unterstützung. Nach dem Album und der ausgedehnten Tour mit guten Resonanzen hätte ich allerdings gedacht, es würde in diesem Jahr mit der zweiten Scheibe im Rücken schon etwas leichter sein, Auftritte auf den größeren Festivals zu bekommen und auch vielleicht mal nicht "nur" die Zeltbühnen. Das scheint nach wie vor nicht immer ganz einfach zu sein, aber wir arbeiten daran.

Thomas:
Kommen eigentlich auch jugendliche Fans zu euren Shows, oder ist Old-School-Thrash im neuen Jahrtausend etwas für die Ü-30 Fraktion, die mit der Musik groß geworden ist?

Holger:
Auf keinen Fall nur das! Wir haben auch einen Haufen junger Fans. Sowas ist doch heutzutage keine Frage des Alters mehr. Natürlich mag sich der eine oder andere an seine Jugendhelden erinnern, aber wir haben schon noch mehr als das in der Pipeline.

Thomas:
Schmeißt ihr eure Jobs, wenn euch von heute auf morgen ein Deal auf den Tisch flattert, der ein Auskommen mit der Musik ermöglicht?

Holger:
Das halte ich für so unwahrscheinlich, dass ich mir darüber gar nicht erst Gedanken mache. So ein Popularitätsschub wäre natürlich Wahnsinn. Andererseits geht man, wenn man erstmal finanziell von der Musik abhängig ist, unter Umständen auch anders zu Werke. Möglicherweise kommt dann etwas ganz anderes raus, als das was man ursprünglich ganz frei und ohne Kalkül komponieren kann. Wenn man diesen Druck nicht hat, kann man manchmal auch viel freier und unverkrampfter Musik machen.

Thomas:
Da ist wohl was dran. Nun erstmal vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg bei den Release-Parties!

Holger:
Danke! Das wird sicher klasse!

Wenige Tage nach dem Interview treffe ich einige Bandmitglieder von ABANDONED auf dem Rock Hard Festival, wo man sich unter das Metaller-Volk mischt und gemeinsam mit den übrigen Metalfans eine dreitägige Party feiert. Mit Sicherheit hätten viele Anwesende die Jungs gerne auch dort auf der Bühne gesehen.

Redakteur:
Thomas van der Laan

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