ALCHEMIST: Interview mit Adam Agius

16.11.2007 | 11:52

Dass die Australier ALCHEMIST seit 2003 bei Relapse unter Vertrag stehen und somit halbwegs gesichert ist, dass ihre Platten auf den relevanten Märkten erhältlich sind, konnte ihren Bekanntheitsgrad bislang nicht erhöhen. Der Fluch der Eigenständigkeit verfolgt die Jungs auf Schritt und Tritt. Verkehrte Welt in einer Szene, die immer noch vorgibt, den Mainstream zu hassen, und eigentlich jede Kapelle anchecken müsste, die was völlig Anderes probiert. Bandanführer Adam Agius wirkt trotz allem gelassen. Er ist Musiker durch und durch und bezieht seine Befriedigung aus der Tatsache, dass auch das neueste Wunderwerk eine einzigartige Kombination aus harten Riffs, aggressiven Vocals, psychedelischen Momenten und einer grandiosen Sci-Fi-Atmosphäre ist.


Oliver:
Adam, euer Label legt "Tripsis" OPETH-, STRAPPING YOUNG LAD-, NEUROSIS-, CULT OF LUNA- und GODFLESH-Fans ans Herz. Es gibt allerdings nicht umwerfend viele musikalische Parallelen zwischen den genannten Bands und euch. Was hältst du von diesen Kategorisierungen?

Adam:
Die Kategorisierungen sind absolut okay. Aber du hast Recht: Wir haben nicht viel mit den Bands gemeinsam, was damit zusammenhängt, dass wir sehr originell sind. Relapse und ALCHEMIST haben es beide schwer, ALCHEMIST-Sounds zu vermarkten, weil sie nicht einfach zu beschreiben sind. Und darauf bin ich stolz.

Oliver:
Eine Truppe schwirrt dennoch in demselben Klanguniversum rum wie ihr: VOIVOD. Ihr habt einen vergleichbaren Metal-Ansatz.

Adam:
Ich würde auch sagen, dass der Ansatz ähnlich ist. Ich liebe VOIVOD sehr. 2000 sind wir mit ihnen in Australien getourt. Man muss den VVVVOIVOD lieben.

Oliver:
Im Vergleich zu dem 2003er "Austral Alien" ist "Tripsis" härter, treibender und aggressiver. Schwebte euch diese Ausrichtung von Beginn an vor?

Adam:
Wir versuchen, jedes Album anders klingen zu lassen als das vorige. Wir haben darüber diskutiert, härter zu werden, aber nichts geplant. Es kam sehr natürlich; das ist sicher. Wir wollten ein Album machen, zu dem wir headbangen können, und wir denken, dass alle ALCHEMIST-Elemente noch da sind.

Oliver:
Ein ALCHEMIST-Element ist wieder da: die hohen Schreie. Sind die eine größere Herausforderung für deine Stimme als die Growls?

Adam:
Die Schreie gab es auf "Lunasphere", "Spiritech" und "Organasm" (Alben aus den Jahren 1995, 1997 und 2000 - Anm. d. Verf.), aber nicht auf "Austral Alien". Wir mögen ihren Klang, und deshalb haben wir sie in großem Stil auf "Tripsis" wieder eingeführt. In der Live-Situation ist es manchmal schwer, sie gleichmäßig zu halten. Aber die Fans lieben es, sie zu hören und mich sie machen zu sehen. Sie sind wie eine Waffe.

Oliver:
Hast du mal was von den Avantgarde-Thrashern ANACRUSIS gehört? Deren Sänger Ken Nardi klang genauso, wenn er sich an die hohen Schreie wagte. Eventuell hast du einen Bruder in den USA, von dem du nichts weißt.

Adam:
(lacht) Ja, ich habe von ihnen gehört, aber nie ihre Musik. Vielleicht teilen wir uns eine entfernte Ur-DNA (lacht).

Oliver:
"Tripsis" ist gleichzeitig Kopfhörer- und Durchdreh-Platte. Ist euch diese Mehrdimensionalität wichtig?

Adam:
Ja, ist sie. Wir mögen weite Klanglandschaften, wo viel im Hintergrund abläuft, das zuerst nicht offensichtlich ist.

Oliver:
Für "Austral Alien" spielte euer Heimatland eine große Rolle. Wie sieht's diesmal aus?

Adam:
Für "Tripsis" nicht so sehr, weil es um persönliche Dinge geht. Aber jeder von uns wird von seiner Umgebung beeinflusst. Deshalb finde ich auch australischen Black Metal sehr, sehr witzig. Wie kann man nur so verdammt morbide sein und über dunkle Wälder singen, wenn man aus einem wahren Paradies wie Australien kommt?

Oliver:
Was ist das 'God Shaped Hole'?

Adam:
Das ist das Loch in deiner Seele, wenn du an nichts mehr glaubst. Die heutigen Menschen haben oftmals keinen Weitblick für ihr Leben. Das hat nichts mit Religion zu tun, "Gott" ist nur die Metapher.

Oliver:
'Degenerative Breeding' tendiert textlich in eine ähnliche Richtung.

Adam:
Die Menschen verschwenden ihr Leben. Sie arbeiten, essen, trinken, ficken und sterben. Hey, auch ich mache all diese Dinge, aber ich habe eine Vision und lebe leidenschaftlich. Du brauchst keine Kohle, um dich zu entfalten, nur Liebe und Dankbarkeit für das Leben.

Oliver:
Ein weiteres Gesellschaftsproblem greifst du in 'CommunicHate' auf. Es geht u. a. um den modernen Kommunikationskrüppel.

Adam:
Die Menschen kommunizieren nicht mehr von Angesicht zu Angesicht miteinander; sie verstecken sich hinter 'ner E-Mail. Zudem geht es darum, dass wir durch die moderne Technologie wie Handys und Computer dazu verdammt sind, 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche erreichbar zu sein. Man kann sich einfach nicht mehr zurückziehen oder von dem Stress des Alltags erholen.

Oliver:
Ihr dümpelt nach wie vor im Underground, während zig Klischee-Bands gut verkaufen. Ist die Metalszene zu konservativ und engstirnig, um sich auf was Originelles wie ALCHEMIST einzulassen?

Adam:
Metal ist heutzutage tatsächlich engstirniger als noch vor zehn Jahren. Und viele Tough-guy-Kopisten-Bands verkaufen jede Menge und wir nicht. Aber für uns funktioniert es auch so, weil wir schon immer unseren eigenen Stil haben wollten. Dafür haben wir am Anfang hart gearbeitet, aber mittlerweile kommt er sehr natürlich.

Oliver:
Inwieweit unterscheidet sich der Adam Agius, der im Jahr 1992 'ne völlig abgepfiffene Scheibe wie "Jar Of Kingdom" gemacht hat, von dem Adam Agius, der für "Tripsis" verantwortlich ist?

Adam:
(lacht) Der "Jar Of Kingdom"-Adam dachte, er würde heute ein Rockstar sein und eine Million Dollar auf dem Konto haben. Sein Ehrgeiz war stark, und seine Leidenschaft für Musik führte ihn zu dem heutigen Adam. Deshalb bin ich auf den Ehrgeiz dieses jungen Mannes stolz. Der "Tripsis"-Adam trägt die gleiche Leidenschaft in sich, ist ein besserer Musiker und um ein Vielfaches realistischer.

Oliver:
Also hast du die Hoffnung aufgegeben, dass dir die Musik irgendwann mal den Kühlschrank füllen wird?

Adam:
Ich habe ein Motto: Greife nach den Sternen! Du wirst vielleicht keine Handvoll Sternenstaub kriegen, aber auch hier gilt: Wenn du es versuchst, wird es auch keine Handvoll Scheiße werden.

Oliver:
Zum Schluss noch 'ne Hippie-Frage, die du aber sicher verkraften kannst, da du auch auf Sechziger-Psychedelic-Zeug stehst: Wäre die Welt ein besserer Ort, wenn sich jeder eure Songs anhören würde?

Adam:
(lacht) Hm, nein, ich denke, dass meine Welt besser wäre. Denn wenn jeder ALCHEMIST hören würde, wäre ich reich!

Redakteur:
Oliver Schneider

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