ANATHEMA Tourbericht
13.11.2008 | 07:02Zwei Stunden große Hits, große Emotionen und großartige Musik: ANATHEMA sind wieder auf Tour - Eine Zusammenfassung der Konzerte in München, Mailand, Rom und Wien!
München, Backstage 22.10.2008
Es regnet in München und das Taxi schlängelt sich quälend lahm durch den Feierabendverkehr, bis zu einem Schutthaufen der einmal das Backstage war... "Wo ist denn nun der Club" fragt mich der freundliche Taxifahrer. Ich weiß es leider auch nicht und so stürze ich mich erst einmal in den kalten Regen, um wenig später ein Schild zum Übergangs-Backsatge zu finden. Der Club ist von den Dimensionen etwa gleich wie sein abgerissener Vorgänger und auch das Nichtraucher-Zeichen lässt auf eine angenehme Atmosphäre hoffen. Allerdings ist es einer dieser Wochentage im Oktober, in denen München anscheinend Konzertüberflutet ist, denn kaum 150 Nasen erscheinen an diesem Abend, um den großartigen ANATHEMA zu huldigen – Sicher ein Negativrekord der bisherigen tour!
Als die mir bislang unbekannten Franzosen von DEMIANS auf die Bühne gehen, sind kaum Leute da und so spielt die talentierte Band um Mastermind Nicolas Chapel ihre sanften Prog-Töne mit viel Gefühl und noch mehr Emotionen vor einer Handvoll Nasen, die sich für diese doch nicht so einfache Musikkost begeistern kann. Wunderschön dringen die wabernden Melodien in die traurig leere Halle und ich bin vom ersten Ton an begeistert von dieser Neuentdeckung.
Auch bei ANATHEMA scheint die Stimmung nicht viel besser zu werden, immerhin haben sich jetzt etwas mehr Leute in die Mitte der Halle verirrt, darunter aber wohl mehr auswärtige Fans als Münchner, denn im Laufe des Abends höre ich einen bunten Sprachenmix aus Spanisch, Französisch und mehr. Sogar Fans aus dem Iran sind angereist und diese machen Stimmung für zehn, sodass Danny sich von der Bühne aus immer wieder mit ihnen unterhält und bald feststellt, dass ANATHEMA doch auch mal im Iran spielen sollten. Natürlich widmet er den weit angereisten auch noch einen Song und freut sich, dass zumindest ein paar Leute begeistert mitgehen. Die Setliste lässt aber auch nichts zu wünschen übrig, lediglich 'A Dying Wish' fehlt irgendwie bei den fast zwei Stunden an großen Emotionen. Die Cavanagh Brüder, in ein blaues Lichtspektakel gehüllt, scheinen viel Spaß an der Sache zu haben, freuen sich, auch wenn nicht so viele Fans erschienen sind und scherzen beim ersten Song 'Deep' auch mal gerne über Drummer John der irgendwie zu schnell loslegt. Aber die Band ist ein eingespieltes Team und so wird ab 'Closer' ein Feuerwerk der Gefühle freigesetzt, das sich unglaublich intensiv ausbreitet und die Fans in eine wahre Trance versetzt.
Mit neuen Songs wie 'Angels Walk Among Us', den "Alternative 4"-Hits 'Empty' oder 'Shroud Of False', der Traumballade 'Temporary Peace' und der neuen Bandhymne 'Flying' haben die Liverpooler die kleine aber feine Fangemeinde schnell im Griff. Als die Band von der Bühne geht, bleibt nur noch Danny zurück, um eine kleine Solo-Akustik-Einlage darzubieten und da kommt 'Are You There' in der "Hindsight"-Version besonders gut an. Beim zweiten Akustik-Song kommt sein Bruder Vincent wieder auf die Bühne und Danny geht ans Keyboard, um die fragilen Töne von 'One Last Goodbye' anzuspielen – Wunderschön! Nach diesem kurzen Akustik-Intermezzo besinnen sich ANATHEMA auf ihre alten Tage und bringen mit 'Angelica' und 'Sleepless' zwei headbangfreundliche Klassiker, bevor mit dem neuen Song 'Hindsight' und dem Überhit 'Fragile Dreams' endgültig schluss ist. Danny Cavanagh zeigt sich gleich nach dem Konzert bei den Fans, plaudert mit einigen, lässt geduldig Foto- und Autogrammwünsche über sich ergehen und bittet die eher unfreundlichen Securities, die uns alle sofort nach dem Gig rauskehren wollen, die Fans doch noch etwas bleiben zu lassen. Eine sympathische Geste, die zeigt dass ANATHEMA keinesfalls zu denjenigen gehören, denen der Erfolg zu Kopf gestiegen ist!
Mailand, Rolling Stone - 25.10.2008
Wie oft war ich jetzt schon in Mailand? Sicher vier- oder fünfmal und gesehen habe ich von der Stadt nie mehr als den Bahnhof und ein paar dreckige Seitengassen, was sich auch am heutigen Tag nicht ändern sollte. Immerhin reichen meine Italienisch-Kenntnisse gerade noch aus, um dem Taxifahrer klar zu machen, wo ich hin will und obwohl es erst fünf Uhr Nachmittags ist, stehen vor dem Rolling Stone Club schon einige Fans und warten auf ANATHEMA. Die Italiener sind eben sehr leidenschaftlich, wenn es um ihre Lieblingsbands geht. Der nette Security des Clubs lässt mich gerade rechtzeitig zum Soundcheck in den beeindruckend schönen Club, der im Gegensatz zu den sonst eher heruntergekommenen Venues wirklich sauber und elegant ist.
Als DEMIANS auf die Bühne gehen und mit ihren schönen, verträumten Songs wie 'Sapphire' oder 'Naive' für eine Menge Gänsehaut sorgen, ist der Club bereits gut gefüllt. Kein Vergleich zum Konzert in München, denn hier wird auch die Vorband gebührend abgefeiert und auch wenn DEMIANS heute relativ im Dunkeln stehen (ihr Lichttechniker leidet an einer Magenverstimmung), so überzeugen sie musikalisch auf ganzer Linie. Je öfter man die verträumten und doch komplexen Songs hört, desto besser werden sie. DEMIANS sind eben eine dieser Bands, die bei jedem Hören wächst.
ANATHEMA haben eine musikhungrige Meute von circa 600 Fans vor sich und präsentieren sich bestens gelaunt dem italienischen Publikum. Die Fans singen dabei jede Zeile mit, machen Stimmung ohne Ende und feiern die Jungs von Anfang bis Ende begeistert ab. Vor allem bei 'Flying' wird klar, dass die Italiener sich von ihrer Leidenschaft treiben lassen, denn Vincent braucht hier gar nicht zu singen, das übernimmt das Publikum für ihn. Und so steht der charismatische Frontman nur begeistert und verwundert vor einem Chor aus 600 Leuten und dirigiert die Fans sogar, um den richtigen Einsatz zu erwischen – Toll! Das Mailänder Publikum scheint die Band dermaßen zu beeindrucken, dass sie ausnahmsweise noch 'A Dying Wish' ausgraben, ein Song der sonst gar nicht auf der Setliste steht. Die Fans danken es mit einem kleinen Moshpit und als Jamie dann, gleich wie am Summer Breeze Festival, mitten im Song zum Vocoder geht um ein paar Zeilen von PINK FLOYD’S 'The Wall' zu singen, sind alle erst einmal überrascht... und dann sofort begeistert von diesem originellen Break im Song. So kann man hundert mal gespielte Klassiker eben auch aufwerten!
Nach dem grandiosen Gig verwandelt sich das Rolling Stone schnell in eine trendy Disco und die Metaller werden auf die Straße hinausgebeten. Derweil sitzen die Franzosen schon inmitten von einem riesigen Haufen Equipment im Vorhof des Clubs und warten auf den Tourbus, der sich aufgrund von Platzmangel heute einen anderen Parkplatz suchen musste. Kaum ist Busfahrer Lloyd, die "gute Seele der Tourcrew" mit dem riesen Bus aufgetaucht, wird das Problem ersichtlich: Der Bus parkt mitten auf der Straße und der italienische Verkehr ist nicht gerade der Sicherste, sodass sich die Einlade-Aktion als ein wahres Abenteuer entpuppt. Noch abenteuerlich ist allerdings, dass die Bustür der Straße zugewandt ist, und so müssen einige Band- und Crewmitglieder den Verkehr komplett stoppen, um überhaupt in den Bus zu gelangen - Italienisches Chaos live!
Rome, Alpheus - 26.10.2008
In Rom erwartet uns der Sommer. Schon in den Morgenstunden entwickeln sich die Schlafkojen zu kleinen Sauna-Zellen und so setzen sich einige Crew-Mitglieder schon vor der Öffnung des Clubs in die Sonne: Straßencamping! Antoine und Gael von den DEMIANS und ich nutzen das schöne Wetter um römische Kultur zu entdecken und machen uns zu Fuß auf, um das Colosseum zu finden. Um uns auch ja nicht zu verlaufen, dokumentieren die Jungs den Weg mit ihrer Kamera und wir sinnieren dabei über den Nutzen von Mülltonnen, der in Rom anscheinend noch nicht anerkannt wurde. So dreckige Straßen habe ich selten erlebt! Auf halbem Wege fällt uns dann auch noch ein, dass wir dank der Zeitumstellung auf die Winterzeit eine Stunde früher als gedacht unterwegs sind und verlaufen uns auch noch fast. Zum Glück reichen unsere Italienischkenntnisse aus, um nach dem Weg zu fragen und als wir endlich am Ort des Geschehens angekommen sind, staunen wir nicht schlecht. Rom ist eben nicht nur laut und dreckig, sondern auch verdammt beeindruckend mit seiner historischen Altstadt. Eine Pizza, ein Glas Rotwein und einen Espresso später (wir graben heute alle Klischees aus) nehmen wir ein Taxi zurück zum Alpheus Club. ANATHEMA haben es sich derweil vor einem Laptop gemütlich gemacht, verfolgen gebannt ein Fußballspiel und freuen sich wie die kleinen Kinder, als Liverpool dann auch noch gewinnt (Jamies Freudentanz ist wirklich lustig anzusehen).
Im Gegensatz zum wirklich schönen Rolling Stone in Mailand ist das Alpheus eher eine heruntergekommene Baracke mit einer Mini-Bühne, doch das machen die Römer wieder mit ihrem unbändigen Enthusiasmus wett. Schon bei den DEMIANS wird gefeiert bis zum Umfallen, die erste Reihe kennt sogar die neuen Songs und singt brav mit und die Franzosen sind sichtlich erfreut über so viel positive Resonanz. Wohl so sehr, dass ich die Jungs heute das erste mal mit einer etwas bewegteren Bühnenshow als sonst erlebe. Dieses Publikum weiß wie man feiert und transportiert eine unglaubliche Energie auf die Bühne.
Kaum sind ANATHEMA dran, verwandelt sich das Alpheus in einen wahren Hexenkessel und das Gekreische mancher Mädels ist fast lauter als der Gesang von Vincent. In Italien haben die Liverpooler anscheinend echt einen einmaligen Status und die gute Stimmung schwappt schnell auf die Jungs über. Vincent kann sich einen Dauergrinser nicht verkneifen und selbst als die Saite seiner Akustikklampfe reißt, scheint ihn das nicht aus der Ruhe zu bringen. Als dies dann wenig später noch einmal passiert, scherzt er nur mehr darüber und ist am Ende so voller Energie, dass er und sein Zwillingsbruder Jamie die Römer zum albernen Posen auffordern. Wunderbar! Doch trotz der vielen lustigen Momente, treffen ANATHEMA die Fans mit ihren traurigen Melodien mitten ins Herz und schaffen es sogar einen großen Metaller in der ersten Reihe zum heulen zu bringen. Bei 'Flying' singt wieder jeder mit und die Römer bekommen dank ihrer enthusiastischen Rufe noch eine Zugabe in Form von PINK FLOYD's 'Comfortably Numb'.
Noch eine Stunde später ist der Tourbus von Fans umzingelt, die immer wieder die Crew bitten, CDs zum Signieren mit rein zu nehmen. Vor dem Tourtross liegt eine lange Reise, 1300 km und circa 15 Stunden Busfahrt stehen uns bevor, denn jetzt geht es ab nach Wien und Les motiviert die Crew auf seinem Tour-Schedule mit lustigen Sprüchen wie "Tomorrow: Vienna, day off, arrive in time for sausage, beer and a quick waltz." - Schön dass er die guten Klischees des Landes kennt ;-) Zum Glück vergeht auch diese Fahrt schnell, dank diverser lustiger Filme und einer noch lustigeren Feier mit Gitarre, Gesang, Vodka und Bier bis in die frühen Morgenstunden. Als ich am Nachmittag irgendwann aufwache sind wir schon in Österreich und jeder freut sich auf einen freien Tag, der mit schlafen, Wäsche waschen und co. auch gut genutzt wird.
Wien, Szene - 28.10.2008
Eigentlich hatte ich mir nach diesen grandiosen Shows in Italien nicht so viel vom Wiener Publikum erwartet, doch es sollte anders kommen! Die Szene Wien ist verhältnismäßig gut gefüllt, vor allem wenn man bedenkt dass das Konzert an einem Dienstag stattfindet und auch die Wiener schon langsam an Konzertübersättigung leiden. Doch erstaunlich viele ANATHEMA-Jünger sind heute angereist und das auch von etwas weiter her. Viele Fans aus den Osteuropäischen Nachbarländern haben auch ihren Weg in die Szene gefunden, was auch schon beim letzten Auftritt von ANATHEMA auf der Tour mit PORCUPINE TREE so war.
DEMIANS ernten heute zwar "nur" Höflichkeitsapplaus, trotzdem können sie einige neue Fans dazugewinnen und spielen sich in die Herzen der Wiener. Nach dem Gig sind selbst die drei Musiker überrascht, dass in Wien doch vergleichsweise viel los sei und sie wirklich gut aufgenommen wurde. Schön, denn das haben sich die Talente auch verdient und ich bin fast traurig, als das Set der Jungs viel zu schnell vorbei geht, dann das war für mich der letzte Gig auf dieser Tour.
ANATHEMA werden begeistert begrüßt, die Wiener machen gut Stimmung und die Setliste präsentiert sich heute ohne Extras oder Zugaben. Auch Der Mitsing-Chor zu 'Flying' fehlt, selbst wenn Vincent zuerst versucht, das Publikum zu motivieren, aber scheinbar sind die Wiener etwas schüchterner als die Italiener und so singt heute Vincent den Song ganz alleine. Besonders schön kommt heute mein Favorit 'Temporary Peace' aus den Boxen, den Danny netterweise ihrem Roadie Mick widmet (der auch bei der letzten Tour teilweise Drummer John ersetzt hatte). Jamie und Vincent versuchen sich wieder im albernen Posen und ziehen immer wieder alberne Gesichter, was Vincent zur schönen Aussage verleitet, dass die Musik zwar ernst sei, sie selbst aber immer gerne lachen und scherzen würden. Die erfrischende und herzliche Art der Band begeistert alle Anwesenden und als Danny gerade seinen Akustikpart spielt, wird sogar noch Bruder Jamie am Merchandise-Stand gesichtet, der sich das ganze mal aus einer anderen Perspektive ansehen wollte.
Nach einem weiteren grandiosen Konzert ist es leider an der Zeit sich zu verabschieden, doch ANATHEMA werden auch mit ihrem neuen Meisterwerk wieder auf Tour gehen und die Massen begeistern. Die Freude, mit der die Band über dieses längst überfällige Album redet, lässt auf jeden Fall auf Großes hoffen! Wir sehen uns dann 2009 wieder :-)
- Redakteur:
- Caroline Traitler