ANVIL: Interview mit Lips

01.01.1970 | 01:00

Obwohl das neue Album „Plenty Of Power“ nicht der Überhammer ist, ist es doch ein klassisches ANVIL Album geworden und Frontmann Lips hat eigentlich immer interessante Dinge zu erzählen. Da wir ausserdem ANVIL noch nie interviewt haben, war es quasi schon Pflicht, ein Interview zu machen. Und interessant war es allemal, aber lest selbst...

Herbert: Das neue Album ist ja eigentlich business as usual, typisch ANVIL. Habt ihr irgendwas verändert oder anders gemacht?

Lips: Ich bin nicht der richtige, um so was zu beurteilen(lacht). Ich mache die Scheiben nur. Natürlich gibt es einen Unterschied, wir spielen ja nicht die gleichen Songs. Es gibt unterschiedliche Songtitel und Riffs. Viele Leute fanden, dass sich das neue Album kaum wie unser letztes anhört. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Viele Leute sagen mir: „Ohh ihr seid wieder zu eurem ursprünglichen Stil zurückgekehrt.“ Ich sage dann „Tatsächlich?? Wenn ihr sagt, wir haben uns verändert, dann haben wir uns verändert.“

Herbert: Lass uns mal über die Texte sprechen. Ich kenne zwar nur die Titel, aber einige sahen interessant aus. Was kannst du über „Computer Drone“ sagen?

Lips: Das ist über meine Abhängigkeit vom Internet. Ich liebe es und surfe stundenlang, es gibt ziemlich viele interessante Sachen. Und darüber, dass es einen süchtig macht und so viel Zeit stiehlt, das ist unglaublich. Das ist sicher ein negativer Aspekt. Du verlierst jegliches Zeitgefühl und jeder, der dich beobachtet und seine Computer nicht so intensiv nutzt, dem muss es vorkommen, als wärst du drogenabhängig.

Herbert: Ist es ein positiver oder negativer Text?

Lips: Man kann es von beiden Seiten sehen. Es hängt von den Umständen ab. Wenn man Babys im Internet kauft und verkauft, ist das natürlich negativ. Wenn du dir Sexseiten anguckst, ist das was anderes, das macht sehr viel Spass (lacht dreckig).

Herbert: Ein weiterer Text ist „Pro Wrestling“. Stehst du wirklich auf Wrestling? Ich finde es ziemlich langweilig.

Lips: Ich auch. Es ist eins der langweiligsten Programme, die je im Fernsehen gezeigt werden. Nur klang die Musik, zu der ich die Texte geschrieben habe, für mich ziemlich brutal, also dachte ich ein Song über Wrestling würde dazu passen. Unser Basser steht auf Wrestling, also war es auch einfach darüber einen Text zu machen.

Herbert: Ein anderer Text ist „Real Metal“. Ist das der typische ANVIL Text über Heavy Metal? Auf jeder Platte hab ihr einen Text darüber, oder?

Lips: Nicht wirklich. Ich denke, „Real Metal“ ist der erste Text mit den Wort Metal seit „Metal On Metal“. Der Song ist über mich und die Band und was es bedeutet, „Real Metal“ zu sein.

Herbert:Und was hat es mit „Beat The Law“ auf sich?

Lips: (lacht) „Beat The Law“..das ist ein Text über meine Besessenheit, Law And Order(eine amerikanische Serie – der Red.) zu sehen. Da wird über Mord und andere mysteriöse Dinge berichtet.

Herbert: Also interessierst du dich für Massenmord und diese Sachen?

Lips: Ja, ich mag diese Serie. Ich könnte sogar Rechtsanwalt sein (lacht). Ich finde diese Sachen sehr interessant. Aber was der Song allgemein aussagen will, ist, wenn du ein Krimineller bist und eine Straftat begehst, bist du ein verdammtes Arschloch, grundsätzlich.

Herbert: Wenn wir über Kriminelle sprechen, du lebst in Kanada, in der Nähe der USA. Was hältst du von der Todesstrafe?

Lips: Ich weiß nicht, es muss erst einmal ohne jeden Zweifel bewiesen werden, dass diese Person es getan hat. Ich weiß auch nicht, ob die Todesstrafe als Abschreckung funktioniert. Ich weiß halt nicht, wie ich diese Frage beantworten soll.

Herbert: O.K., und wer ist „Dirty Dorothy“?

Lips: Zigarette rauchen.

Herbert: Ist der Text über das Rauchen? Rauchst du selber?

Lips: Ja, ich bin süchtig nach Zigaretten und ich kann nicht aufhören. Ich habe es ein paar Mal versucht, aber ich bin gescheitert. Davon handelt dieser Song.

Herbert: Du hast über das Internet gesprochen und ihr habt ja auch eine Homepage. Wie wichtig ist das für ANVIL? Was hältst du von Napster?

Lips: Nun, ich habe Napster noch nie benutzt, es hat mich nicht interessant. Wenn ich ein Album hören will, benutze ich nicht Napster. Die Qualität ist richtig schlecht, dir fehlt das Booklet, das Cover fehlt, du weißt nicht, wer in der Band ist. Es ist ein billiger Weg, um an Musik zu kommen. Ich glaube, Napster ist eher eine Werbung für Bands denn ein Platz, wo man Musik stehlen kann. Es ist für eine Band besser, wenn man sie bei Napster findet. Andererseits hängt das Geld, dass du bekommst, von den Verkäufen ab. Man wird sehen, was mit Napster passiert. Ich hätte die Sache aber nicht vor Gericht gebracht wie METALLICA. Das hat Napster nur mehr Aufmerksamkeit gebracht.

Herbert: Da ihr ja keinen US Deal habt, wäre Napster da nicht eine gute Möglichkeit für Fans, ANVIL anzutesten, wenn sie an euch interessiert sind?

Lips: Das hört sich nach einem großartigem Plan an, aber Amerika ist nicht sehr Heavy Metal orientiert heutzutage. Als Metalband einen Plattenvertrag zu bekommen, ist fast unmöglich. Und wenn, dann musst du deine CD der Plattenfirma überlassen und kannst nicht damit rechnen, Geld zu bekommen. Und Touren ist die Hölle. Ich beschäftige mich seit zehn Jahren nicht mehr mit dem amerikanischen Markt. Ich weiß gar nicht, was da im Moment passiert.

Herbert: Aber Firmen wie Metal Blade usw. sind doch eigentlich nicht so ignorant wie die Majors?

Lips: Wenn du mich fragst, sind Metal Blade die größten Diebe im Metal Business. Deren Erfolg basiert darauf, dass sie die Bands bestehlen. Und ich spreche aus Erfahrung. Für unser Live-Album, dass seit über zehn Jahren auf dem Markt ist , haben wir keinen einzigen Cent bekommen.

Herbert: Ihr konzentriert euch ja auf Europa. Wann werdet ihr touren? Habt ihr schon Pläne?

Lips: Wir haben noch keine Pläne. Wir werden auf dem Bang Your Head Festival spielen, aber darüber hinaus steht noch nichts fest.

Herbert: Mit welchen Bands würdest du gerne touren?

Lips: Am besten wäre eine Tour mit MOTÖRHEAD. Oder eine andere Band aus den Achtzigern. Mit RIOT zu touren wäre auch großartig.

Herbert: Auf der letzten Tour haben viele Fans nach „Shadow Zone“ gefragt. Könntest du dir vorstellen, dass ihr auch diese vergessenen Songs spielt, wenn ihr die Zeit habt?

Lips: Es ist für uns wichtiger, neue Songs zu spielen, als alte wieder auszugraben. Das macht nicht sehr viel Sinn. Es ist schon schwer genug, eine Setlist zusammen zu stellen. Ich habe nicht daran gedacht, „Shadow Zone“ zu spielen. Wenn wir von diesem Album noch etwas spielen, dann vielleicht „Free As The Wind“. Wir wollten „Free As The Wind“ auf der letzten Tour eigentlich jeden Abend spielen, aber da ich krank wurde, war ich nicht in guter Verfassung, vor allem meine Stimme. Deshalb haben wir den Song nicht gespielt. Aber wir werden ihn bei der nächsten Gelegenheit spielen, solange ich nicht wieder krank werde. Wir haben den Song aber auf zwei Gigs am Anfang der Tour gespielt.

Herbert: Trotz deiner Krankheit hast du aber dein Bestes gegeben. Das war schon sehr beeindruckend, weil man dir auch angesehen hat, dass du krank warst.

Lips: Wenn ich auf die Bühne steige, ist es egal, wie schlecht es mir geht. Ich will nur Spass haben, dafür bin ich auf Tour. Ich musste mit der Krankheit leben und ich habe mein bestes gegeben, um die Fans zu unterhalten. Nur meine Stimme war nicht so gut in Form. Eine Tour ist wie Ferien für mich, es macht mir Spass, dass ist mein Moment. Ich könnet niemals sagen, dass ich nicht spiele. Ich spiele und wenn sie mich raustragen müssen (lacht).

Herbert: Waren auf eurer letzten Tour eher ältere oder eher jüngere Fans?

Lips: Natürlich sind mehr ältere Fans da, wenn man die Ära bedenkt, aus der ANVIL kommen. Bei unseren Shows sieht man kein Stagediving oder Moshpits, es ist mehr eine traditionelle Metal-Show, wo die Fans headbangen.

Herbert: Aber in Europa interessieren sich seit HAMMERFALL immer mehr Leute für traditionellen Metal und es gab zahllose Reunions. Glaubst du, ihr könnt auch jüngere Fans erreichen?

Lips: Da hätte ich nichts gegen, klar, das wäre großartig, wenn wir jüngere Fans erreichen könnten. Aber die europäischen Fans sind sowieso anders. Was generell in Nordamerika passiert, dass Heavy Metal eine Musik ist, die Eltern hören. Kein Siebzehnjähriger will Musik hören, die seine Eltern auch hören. Es ist nicht cool. In Europa ist das anders. Da sagen die Kids: „Hey, hör dir das an. Das ist cool.“ Das ist phantastisch für Bands wie ANVIL oder RAVEN. Junge Leute kaufen sich die CDs. Dadurch kommen auch neue Fans, je mehr es gibt, desto besser ist das.

Herbert: Mal eine andere Sache. Warum habt ihr jetzt schon zum zweiten Mal mit Pierre Remillard als Produzent gearbeitet?

Lips: Beim ersten Mal war es sehr gut. Er ist sehr schnell beim Mixen und Produzieren und die Kosten sind auch sehr niedrig. Wir bekommen einen sehr guten Sound und müssen dafür nicht viel bezahlen.

Herbert: Bei euren Alben in den Neunzigern gibt es eine Gemeinsamkeit. Es wir immer gesagt, ANVIL haben ein gutes Album aufgenommen, erreichen aber nicht ihre Klassiker „Metal On Metal“ und „Forged In Fire“. Nerven dich diese Vergleiche?

Lips: Bis jetzt sagen alle, dass wir mit dem neuen Album den beiden Klassikern am nächsten gekommen sind. Für mich ist das ein endloses Album. Ich kann das nicht beurteilen. Ich mag die Songs und die Leute sagen, was sie halt sagen. Es denke, dass hängt mit der Zeit zusammen, als diese Alben rauskamen. Aber wegen „Forged In Fire“ haben wir damals unseren Plattenvertrag verloren, deshalb haben wir es nicht geschafft. Wir wurden nicht im Radio gespielt, wir bekamen keine Tour. Das war ein herber Dämpfer, was damals passiert ist. Es ist sehr merkwürdig, wenn die Leute dich fragen, warum du nicht mehr so gut bist wie damals, als wir unseren Plattenvertrag verloren haben. Das interessiert mich nicht und ich verstehe es auch nicht. Ich mag meine Songs und habe Spass, wenn ich sie aufnehme. Ich hoffe immer nur, es reicht, um weiter zu machen.

Herbert: Du kannst ja von ANVIL nicht leben und hast in einem Rock Hard Interview erzählt, dass du mit Pot handelst. Machst du das immer noch?

Lips: Ja (lacht). Wenn du einmal eine gute Sache gefunden hast, willst du sie nicht verlieren, oder? Bis jetzt habe ich auch noch keinen Ärger bekommen. Ich glaube auch nicht, dass es moralisch verwerflich ist, was ich tue. Ich rauche selber und verkaufe es halt an meine Freunde, die ich schon lange kenne. Ich stehe auch nicht an der Ecke und verkaufe Dope.

Herbert: Nach mehr als zwanzig Jahren ANVIL, kommst du zu irgendeinem Fazit Fragst du dich manchmal, warum du auf Tour gehst und Platten aufnimmst, ohne großen Erfolg zu haben?

Lips: Weißt du, was Erfolg ist? Erfolg ist etwas subjektives, für jede Person ist er anders. Für den Durchschnittsbürger bist du nicht erfolgreich, wenn du nicht Millionen scheffelst. Erfolg ist für mich, Songs zu schreiben, aufzunehmen und dann auch noch zu veröffentlichen. Und fähig zu sein, es nicht einmal zu schaffen, sondern elfmal. Und es ist immer noch kein Ende in Sicht. Es geht nicht um das Geld. Du kannst mit einem Album genug Geld machen und dann machst du aber nie wieder eins. Das ist kein Erfolg. Eine lebenslange Karriere, das ist Erfolg und ich bin auf dem bestem Weg. Ich könnte nicht aufhören, ich kann meine Identität nicht aufgeben. Ich bin kreativ und wenn ich nicht mehr kreativ sein könnte, erschieße ich mich. Das wäre weniger schmerzvoll, als dazusitzen und zu wissen, dass ich nicht mehr weitermachen könnte. Die Leute warten darauf, dass ich aufgebe und ANVIL sich auflösen. Da können sie sehr lange warten.

Herbert: Vielen Dank für das Interview, möchtest du noch ein letztes Statement abgeben?

Lips: Ich möchte allen Fans danken, dass sie die ganzen Jahre zu uns gehalten haben. Ich bin sehr dankbar dafür, das sie da sind. Wenn sie wie ich sind, werden sie lange dabei bleiben und ich werde alles tun, um sie zufrieden zu stellen.


Redakteur:
Herbert Chwalek

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