ANVIL: Interview mit Lips

01.01.1970 | 01:00

Über die kanadischen Holzfäller ANVIL großartig Worte in einem Metalmagazin zu verlieren, käme dem Transport von großen Nachtvögeln in die griechische Hauptstadt gleich. Deshalb gleich Butter bei die Fische, wie man bei uns im Norden so schön sagt. Guckst du:


Holger:
Einstiegsfrage: Wie betrachtest du rückblickend euer Debüt "Hard 'n' Heavy"?

Lips:
Über so etwas denke ich überhaupt nicht nach. Das ist Vergangenheit und daran kann ich nichts mehr ändern und ich möchte daran auch nichts verändern. Es erinnert mich an unsere ganz frühen Tage, wo wir wochenlang in kleinen Clubs aufgetreten sind und vier Sets am Stück gespielt haben.

Holger:
Viele sehen in euch die Pioniere des Speed Metal, da ihr lange vor "Kill 'Em All" bereits Scheiben veröffentlicht habt. Wie fühlt sich das an?

Lips:
Ich fühle gar nichts dabei. So etwas ist den meisten Leuten doch völlig egal. Ich bin an einem Punkt angekommen, wo ich mir darüber keinen Kopf mehr mache. Ändern kann ich eh nichts daran.

Holger:
Das ist zwar leider richtig, aber man muss ja deshalb nicht den Kopf in den Sand stecken. Bleiben wir aber bei den nostalgischen alten Zeiten. Gibt es irgendwelche Storys über andere kanadische Bands wie VOIVOD, RAZOR, SLAUGHTER, EXCITER oder auch TRIUMPH und RUSH?

Lips:
Von den genannten Bands kenne ich lediglich EXCITER. Mit denen waren wir mehrfach gemeinsam auf Tour. RUSH und TRIUMPH waren unerreichbar für Bands unseres Kalibers. VOIVOD haben wir vor sieben Jahren einmal ganz kurz im Studio getroffen. RAZOR haben unzählige Male für uns eröffnet, aber wir hatten nie engeren Kontakt zu den Jungs. Und bei SLAUGHTER wusste ich gar nicht, dass die aus Kanada stammen – was ich auch nicht glaube – außer es gibt noch eine andere Band mit gleichem Namen.

Holger:
Also ich meinte nicht die Hairspray-Kapelle, sondern die Thrasher, bei denen gar Chuck Schuldiner kurzzeitig mitwirkte. Aber egal, man kann ja nicht alles wissen. Anderes Thema: Bist du neidisch auf Rockstars, die als Metalbands angefangen haben?

Lips:
Nein, bin ich nicht. Ich kümmere mich nur um meine eigenen Angelegenheiten.

Holger:
Aber gab es nicht den Zeitpunkt in der Karriere von ANVIL, an dem du dachtest, jetzt können wir durchstarten und groß werden?

Lips:
NEIN. Und ich denke auch immer noch nicht in diesen Kategorien. REAL METAL bedeutet NIEMALS ausverkaufen.

Holger:
Klare Ansicht. Viele – mich eingeschlossen – halten "Forged In Fire" für euer absolutes Meisterwerk. Nun habe ich aber gelesen, dass du selbst gar nicht zufrieden mit der Produktion der Scheibe bist.

Lips:
Yeah, das Ding klingt fürchterlich! Musikalisch ist die Scheibe natürlich großartig (natürlich – der Verf.), aber die Produktion ist eine Katastrophe. Die Gitarren sind viel zu leise aufgenommen worden und es fehlt an Transparenz. Ich weiß natürlich, dass dies nicht auschließlich die Schuld des Produzenten war, denn Robb (Reiner (dr.) – der Verf.) hatte sein Kid mit Fellen bespannt, die fast keine Resonanz hatten und es somit sehr schwierig machten, sie gut abzunehmen. Hinzu kam, dass Daves Gitarrenspiel nicht besonders präzise war, so dass da einige Unsauberheiten ausgebessert werden mussten, was zu Lasten des Sounds ging. Immer wenn ich nach dem Album gefragt werde, werde ich frustriert, weil wir danach nicht nur unseren Plattendeal, sondern auch noch unseren Popularität verloren haben. Damals bekamen wir viel Negativ-Presse (wo das denn? – der Verf.) und viele meinten, dass "Metal On Metal" weitaus gelungener klingen würde. Allerdings muss ich auch sagen, wenn man unsere Entwicklung über die Jahre hinweg konstant verfolgt hat, wird man bemerkt haben, dass wir den Stand von "Forged In Fire"' lange hinter uns gelassen haben.

Holger :
Da klingt dann ja doch einiges an angesammelter Frustration heraus. Wessen Wahl war es denn damals, Chris Tsangarides als Produzenten zu nehmen?

Lips:
Unsere und die unseres Labels Attic.

Holger:
Würdest du das Album heute nochmal neu aufnehmen wollen?

Lips:
Nein.

Holger:
Bist du eigentlich am heutigen Heavy Metal interessiert? Gibt es aktuelle Bands/Alben, die du magst?

Lips:
Nein.

Holger:
Klare Antworten. In meinem Review habe ich einige Parallelen zwischen ANVIL und MOTÖRHEAD gezogen. Außer dem Fakt, dass es euch beide schon extrem lange gibt, habt ihr wohl ähnliche Einflüsse, die ich im Rhythm & Blues ansiedeln würde. Würdest du mir da zustimmen?

Lips:
Lemmy und ich haben viele gemeinsame Einflüsse. Obwohl er zehn Jahre älter ist als ich, höre ich die gleiche Musik, wie er. Ich habe einen älteren Bruder, der mich auf den ganzen Kram aus den 50ern gebracht hat, den wahren Rock 'n' Roll. Zwei absolute Pflichtbands sind hierbei natürlich ZZ TOP und THE BEATLES.

Holger:
Dachte ich es doch. Kannst du dir ANVIL ohne Robb Reiner vorstellen?

Lips:
Nein.

Holger:
Wie war es denn, als Dave und Ian nach all den Jahren die Band verließen?

Lips:
Zuerst war ich natürlich geschockt. Nach ein paar Tagen war das aber vergessen.

Holger :
Stehst du noch in Kontakt mit ihnen?

Lips:
Nein.

Holger:
Eine andere Sache, die ich immer etwas schräg fand, war deine Unterstützung für die Band KILLERDWARFS. Ich erinnere mich an ein Interview im deutschen AARDSHOK-Magazin, in dem du meintest, sie wären die einzige Band, die euch härtetechnisch das Wasser reichen könnten . Und das war zu "Forged In Fire"-Zeiten. Als ich daraufhin das Debüt der Truppe zuhause auflegte, war ich doch etwas entttäuscht.

Lips:
Ich veranlasste Chris Tsangarides sich die Band anzusehen. Er riet daraufhin Attic, sie zu signen, was dann ja auch geschah.

Holger:
Jeder erwartete ein Speed-Metal-Album.

Lips:
Die DWARFS sind eine Rockband .... kein METAL.

Holger:
Das hättest du ja auch schon mal eher erwähnen können. Schwenken wir aber wieder den Blick auf ANVIL zurück. Ich finde es etwas schräg, dass viele euerer Alben momentan nicht in den USA zu erhalten sind. Wie kommt es dazu und welche Alben gibt es zur Zeit drüben?

Lips:
Wie du richtig erkannt hast, ist ein Großteil unserer Scheiben nicht in den USA erhältlich. Um ehrlich zu sein, ist dieses Jahr das erste Jahr seit 1989, in welchem ein neues Album in den Staaten veröffentlicht wird. Wenn man halt keinen Deal bekommt, muss man sich auch nicht wundern. Allgemein gesprochen, alles ist ein Ripp-off.

Holger:
Zurück zu angenehmeren Themen: Erinnerst du dich an die Tour mit TITAN FORCE? Gibt es da irgendwelche nette Geschichten zu berichten?

Lips:
Natürlich erinnere ich mich daran. Harry ist ein toller Typ und ich wünsche ihm alles Gute mit JAG PANZER.

Holger:
Schöne Geschichte. Beschreibe doch mal die Person Lips.

Lips:
kläglich, unglücklich, unzufrieden

Holger:
Dein normaler Tag beginnt mit ...?

Lips:
Arbeit, Arbeit, Rehearsal

Holger:
...und endet mit?

Lips:
Schlaf.

Holger:
Logisch. Kommen wir nun mal zum aktuellen Album "Back To Basics". Es gab nicht wenige Stimmen, die sich über den Sound beschwert haben. Dein Kommentar dazu?

Lips:
Viele Leute haben die meiste Zeit ihres Lebens ihren Kopf in ihrem Arsch. Ab und an ziehen sie ihn mal heraus und merken, dass sie 12 Jahre verpasst haben. Der Sound der neuen CD ist der absolute Killer! Man sollte sie natürlich auf einer großen Anlage hören. Viele Leute hören ihre CDs auf kleinen Anlagen, so dass sie die Feinheiten gar nicht wahrnehmen können. Das Teil ist in einem digitalen Studio aufgenommen worden, besser kann das gar nicht klingen. Ich weiß sowieso nicht, warum manche Leute Reviews lesen. Was wissen schon irgendwelche Kinder mit einer schlechten Attitüde über Musik? Man muss sich eine eigene Meinung bilden und in die Sachen reinhören.

Holger:
Wie der Titel ja schon andeutet, wollt ihr mit dem Rundling zu euren Wurzeln zurück. Wart ihr es leid, immer nur dieses schnelle Zeugs zu spielen?

Lips:
Nicht wirklich leid, aber es wurde langweilig mit der Zeit. Wie viele Songs, die alle gleich klingen, kann ein Mensch schreiben? Abwechslung ist das Salz in der Suppe.

Holger:
War es also eine bewusste Entscheidung, ein Album einzuspielen, das nach "Hard'n'Heavy" klingt?

Lips:
Es war unsere Absicht ein Album zu produzieren, das die Zeit nach 1983 vergessen macht. Diese Scheibe ist in vielerlei Hinsicht ein Tribut an unsere frühen Einflüsse.

Holger:
Die Scheiben, die ihr in den 90ern gemacht habt, sind alle sehr aggressiv. Wolltet ihr beweisen, dass ihr es noch drauf habt oder warum sind die Dinger so extrem heftig ausgefallen?

Lips:
Bis zu einem bestimmten Grad war es Selbstbestätigung. Aber wir wollten natürlich auch den Leuten beweisen, dass man im Alter nicht zwingend langsamer werden muss.

Holger:
Es gibt auch einige Stimmen, die meinen, dein Gesang wäre nicht gerade überzeugend. Diesen Vorwurf verstehe ich nicht ganz, da ANVIL noch nie eine gesangsorientierte Band wie IRON MAIDEN oder QUEENSRYCHE waren. Wie siehst du das?

Lips:
Das ist wohl die ignoranteste Frage, die mir jemals gestellt wurde! Spielen diese Sänger auch noch Gitarre? Beschweren sich die Leute auch darüber? Singt Lemmy gut? Oder James Hetfield oder Dave Mustaine? Ich singe wie ich singe und das kann niemand kopieren. Wenn das nicht gut genug ist, fuck you ...

Holger:
Hast du jemals darüber nachgedacht, einen festen Sänger in die Band zu holen, um ein größeres Publikum zu erreichen ?

Lips:
Ich will gar kein größeres Publikum. Ich mache richtigen Metal und richtiger Metal spricht halt kein großes Publikum an!

Holger:
Ich denke "Strength Of Steel" hatte ein paar Airplaysongs an Bord ...

Lips:
Es hatte vielleicht ein paar Ambitionen in dieser Richtung, hat aber niemals Airplay erhalten. Und das gilt für all unsere CDs.

Holger:
Man mag nun auch sagen, dass 'The Chainsaw' ein Klon von 'Rapid Fire' (JUDAS PRIEST-der Verf.) sei.

Lips:
Ist das eine Beobachtung? Es ist weit entfernt von einem Klon. Gut, es gibt ähnliche Arrangements, aber das war Absicht. Leute glauben immer, sie wären toll, weil sie Ähnlichkeiten zu bekannten Songs entdeckt haben. Wenn sie wirklich toll wären, hätten sie auch all die anderen kleinen Ähnlichkeiten auf dem Album entdeckt, denn es handelt sich um unser Tribut an unsere Helden. Es ist eine Verbeugung vor ihnen, kein Kopieren.

Holger:
Um das Ganze jetzt mal friedlich abzuschließen, bitte mal kurz deine Top-10-Alben.

Lips:
"Montrose", "Ace Of Spades", "Deep Purple In Rock", "Rubber Soul", "Masters Of Reality", "Assault Attack", "Force It", "Tokyo Tapes", Tres Ombre", "Stained Class"

Holger:
Vielen Dank für deine Zeit.

Redakteur:
Holger Andrae

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