ARCH/MATHEOS: Interview mit John Arch

10.05.2019 | 20:18

Haustiere, Tschernobyl und andere Themen werden mit John Arch ausführlich besprochen.

Ein Gespräch mit John Arch ist ein echtes Privileg. Nicht etwa, weil er ein fantastischer Sänger ist, der mit seiner Musik mein Leben geprägt hat. Nein, das ist es gar nicht so sehr. Es ist viel mehr die Tatsache, dass John Arch einer der nettesten und offensten Gesprächspartner ist, die ich je hatte. Das war mir schon bei unserem Gespräch vor fast acht Jahren klar, als "Sympathetic Resonance" erschien und bestätigt sich dieses Mal mehr als deutlich. Schon eine halbe Stunde vor der vereinbarten Zeit pingt mich John via Skype an und sagt, dass er jederzeit bereit ist. Und so beginnt ein einstündiges Gespräch, das in vielen Momenten über die Musik hinaus geht.

john arch

Bevor wir auf das neue Album zu sprechen kommen, müssen wir natürlich über die zwei fantastischen Shows beim "Keep It True"-Festival reden, die den Traum vieler Fans haben in Erfülllung gehen lassen. "Ja, das waren schon auch für mich sehr besondere Erlebnisse. Ich muss zugeben, dass ich den ersten Gig gar nicht so richtig mitbekommen habe. Es war für mich schon eine große Überwindung und nach den ersten Tönen fiel es dann von mir ab und ich wusste, dass ich das schaffen würde. Aber es war ein wenig wie Ekstase und jetzt ist alles einfach verschwommen. Beim zweiten Mal habe ich es sehr viel bewusster erlebt und ich kann dir nicht beschreiben, wie unglaublich glücklich und stolz ich war, all diese glücklichen Gesichter vor mir zu sehen, die jede Zeile von "Awaken The Guardian" und den anderen Songs mitsangen. Das war unglaublich befriedigend für mich." Die Anwesenden dürften genau verstehen, wie sich John Arch gefühlt hat. Ob es zu einer Wiederholung kommt, ist sehr fraglich, gänzlich schließt sie John aber nicht aus. "Nun, ich glaube, in den nächsten Jahren ist das schon sehr unwahrscheinlich. Jim arbeitet bald mit FATES WARNING an einem neuen Album, ich muss mich um meine Familie kümmern, werde zudem bald auch 60, da kann ich nicht sagen, dass das klappt. Aber ich habe auch gelernt, dass man niemals nie sagen soll. Es ist, wie es mit diesem Album war oder einem nächsten Album ist: Wenn alle Faktoren in Jims und meinem Leben passen, dann ist das möglich. Derzeit sehe ich das aber gerade in Bezug auf Live-Auftritte nicht passieren und auch bei einem weiteren Album bin ich eher skeptisch."

Damit wir haben einen Übergang zu "Winter Ethereal", dem fantastischen zweiten Album der Kollaboration ARCH/MATHEOS, das in meinen Ohren vor allem organischer und harmonischer erscheint als der immer eher kühl erscheinende Vorgänger. "Ja, das sind tolle Vokabeln, die du für die Beschreibung benutzt, denn so empfinde ich es auch.", beginnt John. "Weißt du, Peter, es ist eben doch ein Unterschied, dass dieses Mal die Songs speziell für mich und mit mir geschrieben wurden und wir nicht FATES WARNING-Material benutzt haben. Ich hatte auch klare Vorstellungen, was ich auf diesem Album wollte und habe Jim gleich gesagt, wenn wir ein Album machen, dann richtig. Ich wollte also so acht, neun, zehn Songs, die variabler sind als das, was wir auf "Sympathetic Resonance" hatten. Außerdem bin ich ja bekannt dafür, etwas zu viele Silben in eine Melodie zu packen und darum habe ich zu Jim gesagt, dass wir etwas Luft zum Atmen brauchen, etwas dynamischer sein sollten. Und Jim hat einfach die Gabe, solche Dinge dann fantastisch umzusetzen.", erläutert John weiter. "Ich meine, bei ein paar Songs bin ich dann schon wieder ein wenig in meine Routine zurückgekehrt, wo ich mehr singen will als Raum dafür da ist, aber das war eher dem Song geschuldet, der das dann irgendwie eingefordert hat. Zudem finde ich, dass das Album trotz der Länge von fast 70 Minuten sehr fließt und alles sehr ineinandergreift, was auch an der perfekten Songreihenfolge liegt, die Jim gewählt hat. Ich denke, das ist es, was du als "organischer und harmonischer" empfindest.", trifft John den Nagel auf dem Kopf.

arch matheos winter ethereal cover

Die Tendenz mit den Vocals eine gewisse Leere zu füllen, könnte bei 'Straight And Narrow' der Fall sein, wo doch in kurzer Zeit extrem viel vokal passiert. "Haha, ich verstehe, warum das denkst, aber hier empfinde ich das gar nicht so. 'Straight And Narrow' ist einer der Songs, wo ich schon eine Idee zu Musik und Lyics hatte, denn ich mag einfach dieses Phrase 'I could never fly the straight and narrow'. Und so habe ich Jim gefragt, ob er einen sehr geradlinigen Song schreiben könnte, so vier, fünf Minuten lang, denn ich hätte schon eine Idee dazu. Und natürlich konnte er das.", erzählt John, um dann noch ein wenig auf die Geschichte des Textes einzugehen. "Der Song ist so halb-autobiographisch, denn ich bin als Bi-Polar diagnostiziert und so handelt der Song eben auch von meinen Erfahrungen damit, vor allem als Kind. Heute würde man das wohl hyperaktiv nennen, denn ich war immer voller Energie, voller Neugierde und konnte nie wirklich den Regeln und Normen folgen. Das war auf einer katholischen Schule natürlich alles andere als gern gesehen und so hatte ich eigentlich ständig Ärger. 'Fly the straight and narrow', das konnte ich einfach nicht.", lacht John.

Mein persönlicher Favorit hört auf den Namen 'Kindred Spirits', der meinem Verständnis nach von einem Kind und seinem sterbenden Haustier handelt. Oder? "Haha, ja, die Interpretation ist nicht total falsch, aber auch nicht ganz richtig. Es geht eher generell um unser Verhältnis zu Tieren und vor allem eben zu Haustieren. Ich hatte mein Leben lang Hunde, deutsche Schäferhunde vor allem und sie sind wirklich die besten Freunde des Menschen. Es ist unglaublich, wie viel man an Aufmerksamkeit und Liebe zurückbekommt, wenn man ein Tier gut behandelt. Der erste Teil des Songs handelt entsprechend davon, wie jemand ein missbrauchtes Tier mit nach Hause nimmt und es pflegt.", klärt John auf und fährt fort: "Der Song insgesamt ist im Grunde die Geschichte eines Tiers von dem Zeitpunkt, an dem es aus diesem Missbrauch in gute Hände kommt, bis zu dem Zeitpunkt, wo wir es wieder gehen lassen müssen." Bei all der Liebe für Tiere stellt sich natürlich die Frage, ob John Vegetarier oder Veganer ist. "Nein, das bin ich nicht. Aber ich esse nicht besonders viel Fleisch. Mir ist aber bewusst, dass es für Menschen richtig und wichtig ist, Fleisch zu essen. Ich sehe jede Mahlzeit als einen Segen. Ich mag es, wie die amerikanischen Ureinwohner da gedacht haben. Für sie war das Töten und Essen eines Tieres etwas Spirituelles. Es wurde sehr nachhaltig gelebt. Auch die Idee, was mit dem Geist eines Lebewesen nach seinem Tod passiert, hat mir immer gefallen."

Diese Aussage und ein Song wie 'Cheyenne' von der "A Twist Of Fate"-EP von 2004 führen natürlich zu der Frage, ob die "Natives" (wie es korrekt im Englischen heißt) ein spezielles Interesse Johns sind. "Nun, wie ich vorhin ja schon erzählt habe, bin ich auf eine katholische Schule gegangen und bin auch katholisch erzogen worden, aber ich würde mich nicht katholisch nennen. Ich respektiere jeden Glauben, aber ja, ich finde die Art, wie damals gelebt wurde, durchaus nachahmenswert. Man war sehr dankbar, respektvoll gegenüber Älteren und vor allem seinen Eltern, man hat nur gehabt, was man wirklich brauchte. Außerdem mag ich ihre Fabeln und Geschichten und eben auch, wie sie mit dem Tod umgegangen sind. Es war ein minimalistisches Leben, das ich in Zeiten des Überflusses mehr und mehr zu schätzen gelernt habe. Hier in Amerika gibt es Leute, die mir dann erzählen, dass die Stämme sich ja untereinander bekriegt hätten und das schlecht wäre, aber ich denke dann immer, sie sollten vielleicht mal in Geschichtsbücher schauen, um zu sehen, wo das denn nicht passiert ist. Nein, wenn ich in einer anderen Zeit wiedergeboren werden könnte, würde ich wohl diese Zeit wählen. Dann würde ich auf dem Land leben und Himmel und Sterne betrachten. Es wäre ein einfaches Leben. Vielleicht ein Leben, wie es ursprünglich mal gedacht war."

john arch live at keep it true 2016

Ein weiterer Song mit einer interessanten Geschichte ist 'Pitch Black Prism'. "Ja, da muss ich ein bisschen ausholen.", lacht John. "Wenn Jim einen Song schreibt, dann höre ich ihn wieder und wieder und versuche, die richtigen Emotionen zu der Komposition zu finden. Und hier wollte ich ursprünglich nur über eine Frau schreiben, die Tschernobyl miterlebt hat und der Song hätte dann 'Chernobyl Dame' geheißen. Ich fing also an über Tschernobyl zu recherchieren und stieß dabei auf einen Bericht über einen Ukrainer namens Juri. Dieser war damals ein Musiker, der bei der Regierung unter Vertrag stand. Am Tag nach dem Vorfall wurde er dann mit einigen Kollegen nach Tschernobyl beordert. Sie alle wussten natürlich bereits, was dort vor sich ging und dass dies wie eine Todesstrafe war. Er wurde zusammen mit seiner Band und einer Ballerina zu einer großen Halle gefahren, wo sie dann die schon sehr kranken Leute unterhalten sollte. Ein bisschen wie das Streichquartett auf der Titanic. Juri beschreibt in diesem Bericht, dass ihre Performance die beste Performance ihres Lebens war und es gibt einige unfassbare Details dazu. So sind zum Beispiel einige Kinder rausgelaufen, um Blumen für die Balllerina zu pflücken. Als sie wiederkamen, war bereits das Licht ausgegangen und Yuri beschreibt, wie sowohl die Blumen als auch die Kinder regelrecht strahlten durch die Radioaktivität und ihnen bereits Haare und Zähne ausfielen. Nach ihrem Auftritt ging die Band Backstage und dort entschloss sich Juri, zu flüchten. Er wurde zwar von einem russischen Soldaten aufgehalten, aber da beide wussten, dass sie sterben würden, ließ der Soldat ihn gehen. Er stahl ein Auto und fuhr Tage und Nächte, vermied dabei alle Kontrollpunkte und wie durch ein Wunder hat er überlebt und konnte seine unglaubliche Geschichte erzählen. Und das ist jetzt bloss der Chorus des Songs. Eine wirklich faszinierende Story, wie so vieles zum Thema Tschernobyl. Wer sich dafür interessiert, sollte auch unbedingt die Dokumentation "The Russian Woodpecker" aus dem Jahr 2015 ansehen, wo ein russischer Dokumentarfilmer Indizien zeigt, dass Tschernobyl nur inszeniert war. Auch das ist übrigens Teil des Songs, der versucht all diese Teile miteinander zu verknüpfen.", schließt John.

Positive Geschichten sind das irgendwie nicht. "Nun, man kann natürlich auch etwas Positives in dieser Geschichte sehen. Die Musiker haben viele Menschen, die dem Tod geweiht waren, noch einmal glücklich gemacht. Zudem ist es auch eine Geschichte von Mut, denn sie alle wussten, dass sie sterben würden und haben trotzdem für die Menschen gespielt. Und zu sterben, während du tust, was du liebst, ist sicher einer der besten Wege, dieses Leben zu verlassen. Entweder das oder friedlich im Schlaf nach einem langen, erfüllten Leben.", sinniert John.

Redakteur:
Peter Kubaschk

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