ATROCITY: Interview mit Alex Krull & Thorsten Bauer
16.03.2008 | 10:55Gut zehn Jahre nach ihrem unglaublich erfolgreichen "Werk 80" schreiben die Chamäleons der Metalszene ein weiteres Kapitel in ihrem musikalischen Schaffen. Für uns natürlich mehr als ein Grund, genauer nach den Hintergründen von "Werk 80 II" zu fragen. Alex und Thorsten gaben äußerst detailreiche Infos, die wir euch, auch in der Länge, nicht vorenthalten wollen. Viel Spaß!
Enrico:
Was war der Anlass jetzt im Jahr 2008 das neue "Werk 80"-Album auf die Öffentlichkeit loszulassen?
Alex:
Irgendwie lag es eine lange Zeit in der Luft, dass wir einen "Werk 80"-Nachfolger angehen würden. Schon in der Produktionsphase von "Atlantis" haben wir beschlossen, im Anschluss eine neue "Werk 80"-Scheibe aufzunehmen. Wir haben uns auch gedacht, nach zehn Jahren ist es ein guter Anlass wieder einmal so ein Album herauszubringen, auf dem wir Fremdkompositionen in unserem Bandstil spielen. Als wir damals die erste "Werk 80" gemacht haben, gab es sofort Wunschlisten von Fans, DJs und den verschiedensten Leuten aus dem Musikbiz für ein weiteres Album in dieser Art. Viele Bands und Musiker haben uns auf das ungewöhnliche Projekt angesprochen, und ob wir nicht aufgrund des Erfolges einen Nachfolger machen wollten. Das wollten wir aber zu dieser Zeit nicht machen. Uns war damals schon klar, falls wir wieder so etwas machen würden, dann müsste es auch mit einem gewissen Abstand und neuen musikalischen Inputs passieren. Die Idee den klassischen Anteil auf dem Album zu verstärken und die elektronischen Elemente dadurch zu ersetzen, hat sich trotz des enormen Aufwands völlig ausgezahlt!
Enrico:
Seit wann war "Werk 80 II" in der Mache? Ich hab gelesen, dass es doch ein sehr langer Weg war, bis das Album vollständig im Kasten war.
Thorsten:
Das kann man wohl sagen. Die Produktionszeit umfasste schlappe zwei Jahre, wobei man aber auch sagen muss, dass wir 2006 und 2007 monatelang weltweit getourt haben. Es gab also immer wieder Unterbrechungen zwischen den Aufnahmen. Wie üblich haben wir auch bei dieser Produktion alles in Eigenregie gemacht, was diesmal eine Schweinearbeit bedeutete. Alleine die Erstellung der Orchester- und Chorarrangements und deren Aufnahmen, die Absprachen mit so vielen involvierten Musikern, der Endmix mit einer Armada an beteiligten Spuren. "Werk 80 II" ist in jeglicher Hinsicht ein Monsteralbum. Glücklicherweise hat es uns nicht verschlungen, sondern wir haben es gebändigt, haha.
Enrico:
Warum habt ihr euch diesmal für einen Chor und ein Orchester entschieden?
Alex:
Vom Konzept her sollte es die "Dark Side Of Werk 80" werden. Die Elektronik sollte gänzlich dem Orchester und den Chören weichen. Außer ein paar Loops sind eigentlich keine Synthies oder Keys zu hören.
Thorsten:
Auf der ersten "Werk 80"-Platte hatten wir neben dem Sound einer reinen Metal-Band auch einige elektronische Elemente und klassische Elemente eingebaut. Diesmal wollten wir noch einen draufsetzen, mehr Bombast, mehr Symphonik, mehr Organik. Da lag es natürlich nahe, Aufnahmen mit Chor und Orchester zu machen.
Enrico:
Was waren die Hauptunterschiede in der Herangehensweise?
Alex:
Wir haben bei der ersten "Werk 80" noch sehr viel aus Jamsessions heraus komponiert, diesmal mussten wir durch die Einbindung eines Symphonie-Orchesters und eines Chors ein wenig aufpassen, und von vorneherein alles klar strukturieren, da natürlich die Partituren und spezielle Noten für die Klassik-Fraktion nicht so schnell und einfach geändert werden können. Das war aber eigentlich ganz gut so, da die Platte dadurch sehr homogen klingt!
Thosten:
Eigentlich gibt es in jeglicher Hinsicht "mehr" auf der neuen Werkplatte als auf der ersten. So hat der Gesang von Alex immens an Bandbreite hinzugewonnen, von knochenhart geshouteten Songs wie 'Relax' oder 'Keine Heimat' bis hin zu sehr gefühlvollen Songs wie 'Forever Young'. Die Platte hat zudem einen sehr organischen und dynamischen Touch.
Enrico:
Was habt ihr bei der Annäherung an die Songs verändert? Immerhin seid ihr ja auch wieder zehn Jahre reifer und habt gerade durch Part 1 reichlich Erfahrung gewonnen, was man bei Coverversionen machen kann und was man lieber lassen sollte.
Thorsten:
Erst einmal haben wir schon versucht, die Stärken des Originalsongs beizubehalten, also wichtige Rhythmusgeschichten oder Melodien nicht unter den Tisch fallen zu lassen. Dann ging es aber im zweiten Schritt auch darum, eine Idee zu haben, in welche Richtung wir den Song entwickeln wollen. So haben wir beispielsweise 'Don't You Forget About Me' schneller als im Original gespielt, um es richtig druckvoll und heavy zu machen. 'Feels Like Heaven', den Bonustrack, haben wir hingegen verlangsamt, um es in einen hymnischeren Kontext zu stellen. Als bekennender NDW-Fan und Anhänger von fetten Gitarrensounds bin ich aber auch sehr zufrieden, wie wir die Maultrommel aus dem Original von 'Keine Heimat' in ein brachiales Riff verwandelt haben.
Enrico:
Gibt es Songs, die ursprünglich schon für Part 1 vorgesehen waren, es aber durch verschiedene Gründe nicht auf das erste Album, dafür aber jetzt auf das zweite Werk schafften?
Thorsten:
Klar, Songs wie 'Relax' oder 'Fade To Grey' standen auch 1997 bei uns bereits hoch im Kurs. DEPECHE MODE wollten wird damals nicht covern, weil das einige Bands zu der Zeit bereits taten. Deshalb haben wir uns 'People Are People' für "Werk 80 II" aufgehoben.
Alex:
Damals wollten wir nach dem Motto vorgehen, dass keine der Bands, von denen wir Songs spielen, noch existieren sollten. Mittlerweile gab es so viele Reunions, dass wir diese Vorgabe komplett über Bord geworfen haben!
Enrico:
Wer hat entschieden, welche Songs für die neue Scheibe gecovert werden? Wie viel Einfluss hat der Einzelne bei euch in der Band gehabt, dass gerade sein Favorit gespielt wird?
Thorsten:
Wir sind da eine recht demokratische Band, wo jeder seine Meinung und Ideen einbringt. Es gab einen Pool von Songs, den wir gemeinsam zusammenstellten und von dem es etwa die Hälfte aufs Album geschafft hat. Aber es ist erstmal keine "Werk 80 III"-Platte zu erwarten. In zehn Jahren vielleicht wieder, haha.
Enrico:
Welche Songs mussten außen vor bleiben?
Alex:
Die Auswahl der Songs war anfangs schon etwas umfangreicher, aber eigentlich nur auf dem Papier. Nachdem klar war, dass wir mit Orchester und Chor arbeiten würden, haben wir uns ziemlich schnell auf eine bestimmte Titelauswahl festgelegt und mit denen das Projekt von A bis Z durchgestartet. Es gab noch eine andere Idee zu "Werk 80 II", die ich aber nicht verraten möchte, wer weiß, vielleicht machen wir das noch in Zukunft irgendwann einmal.
Enrico:
Was ist euer ganz persönliches Lieblingsstück auf der neuen Scheibe - und warum?
Alex:
Sehr schwierige Frage, auweia, das kann ich nicht 100%ig beantworten. Ich habe insgeheim 'Forever Young' meinem Sohn Leon Alexander gewidmet. Als ich den Song gemischt habe, überkam mich dabei ein sehr emotionales Gefühl. Aber mir gefallen andere Stücke genauso gut.
Thorsten:
Das ist natürlich ganz schwer. Das ist ein bisschen wie wenn man eine Mutter fragt, welches ihr Lieblingskind ist, haha. Ich finde Songs wie 'Fade To Grey', 'Relax' und 'People Are People' äußerst gelungen. Mir ist aber bereits aufgefallen, dass auch diesmal, wie bei der ersten Scheibe, jeder, mit dem ich über die Scheibe rede, andere Lieblingsstücke hat. Von daher ist das alles recht subjektiv.
Enrico:
Für mich persönlich war es eine Überraschung, deine Frau Liv nur in 'The Sun Always Shines On TV' zu hören. Gab's Überlegungen noch weitere Duette aufzunehmen?
Alex:
Liv ist auch bei 'Feels Like Heaven' mit dabei, das war ja "unser" Song, als sie vor ca. elf Jahren von Norwegen nach Deutschland gezogen ist, haha. Kurioserweise wurde dieses Lied zu der Zeit wieder öfters im Radio gespielt. Liv meinte dann mal zu mir, den müssten wir dann unbedingt machen, falls wir tatsächlich noch mal einen "Werk 80"-Nachfolger machen würden. Und so kam es jetzt tatsächlich. Liv ist aber auch bei anderen Songs als Backgroundsängerin dabei.
Enrico:
Ich finde, deine Stimme hat sich gegenüber "Werk 80" doch verändert, bzw. kommt der Gesang viel weicher durch die Boxen. War das beabsichtigt oder doch nur eine natürliche Weiterentwicklung deiner Stimme?
Alex:
Keine Ahnung, vermutlich. Es ist ja ein wenig Zeit vergangen. Ich wollte eben einige der prägnanten Melodiegesänge gerne in einer tieferen Lage singen als in den Originalen, was ich für unseren Musikstil auch sehr passend finde. Aber weicher? Ich weiß nicht, haha. Es sind bei der neuen "Werk 80 II" auch einige sehr extreme Vocals dabei, die sind vielleicht nicht ganz so im Vordergrund, aber die Stimmbänder habe ich deswegen nicht weniger strapaziert.
Enrico:
Ihr habt mit 'Keine Heimat' auch einen alten NDW-Klassiker ins Boot geholt. Warum gerade dieser Song und war der aktuelle Bezug, die kritische Auseinandersetzung mit der Ära Bush ("Beschütz mich vor Amerika") ausschlaggebend?
Thorsten:
Wir hatten auf der ersten Platte und den Singles Songs von DAF ('Mussolini', 'Verschwende deine Jugend', 'Ein letztes Mal') gecovert. In dieser Tradition steht auch 'Keine Heimat'. IDEAL waren wie DAF eine absolut geniale Vorreiterband und hatten eine gewisse aggressive und provozierende Attitüde, wie man sie heute bei "Popbands" eher selten findet. Der Text des Songs passt witzigerweise perfekt in unsere heutige Zeit .Zwar ist der Kalte Krieg zu Ende, dafür tobt weltweit eine Art "Wirtschaftskrieg". So könnte man auch die Frage "Oder kommen die Chinesen - oder kommen die Russen?" verstehen. Dennoch ist ATROCITY keine politische Band.
Enrico:
War Nicholas Barker bei den Aufnahmen eigentlich schon mit von der Partie?
Thorsten:
Nein. Unsere ersten Rehearsals mit Nick fanden im Mastersound Studio zu einer Zeit statt, als die Platte bereits im Kasten war. Nick ist aber seit seinem Einstieg ein vollwertiges Mitglied in allen Belangen der Band und wird sich in Zukunft auch musikalisch voll mit einbringen. Wir sind sehr froh und stolz diesen Killerdrummer in unseren Reihen zu haben. Dieser Gentleman spielt mit einem Fuß teilweise schneller als andere Drummer mit 2 Füßen die Double Bass treten. Wenn ich an die fünf bis zehn aktuellen Top-Drummer in der Metal-Szene denke, wäre Nick definitiv dabei.
Enrico:
Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Nicholas?
Alex:
Als wir 1992 mit DEICIDE auf unserer gemeinsamen Europatour in UK spielten, war Nick Drumtech bei der britischen Support Combo CANCER. Wir haben uns dann immer wieder mal getroffen, als Nick mit CRADLE OF FILTH oder DIMMU BORGIR unterwegs war. Eigentlich hätten wir Nick schon viel früher mal gefragt, allerdings wusste ich nicht so recht, ob er auch gleichzeitig bei LEAVES' EYES spielen würde, da die musikalische Ausrichtung doch ganz anders ist als das, was Nick bislang gemacht hatte. Das stellte sich jetzt im Nachhinein als völlig unberechtigte Sorge dar. Nick ist ein sehr großer Fan von Liv's Stimme und der Musik von LEAVES’ EYES und will hier richtig Vollgas geben. Als wir uns bei den Metal Hammer UK Awards in London letztes Jahr getroffen hatten, kamen wir wieder ins Gespräch und an Weihnachten haben wir bereits im Mastersound Studio zusammen gejammt.
Enrico:
Spürt ihr jetzt einen gewissen Druck, immerhin war Part 1 äußerst erfolgreich und man will sicher ähnliches erreichen?
Thorsten:
Nö, also ich persönlich spür da gar keinen Druck. Es gab nur Ziele, die wir uns selbst mit dem Album gesetzt haben. Und da sind wir jetzt nach der Fertigstellung sehr zufrieden. Allein der Sound des Albums ist ja mal echt der Knüller. Alles Weitere liegt eh an den Fans, wie das Album einzuordnen ist. Wir fühlen uns jedenfalls sehr gut mit dem neuen Album.
Alex:
Anscheinend haben wieder sehr viele Fans an dieser Platte Gefallen gefunden, wir haben gestern erfahren, dass wir auf Platz 19 in den deutschen Albumcharts eingestiegen sind. Wir möchten uns an dieser Stelle bei allen Fans für diese hervorragende Unterstützung bedanken!
Enrico:
Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Dita von Teese?
Alex:
Ich hatte Dita von Beginn an als Wunschmodel im Kopf. Das Coverartwork sollte ja im Kontrast zur ersten "Werk 80" sehr düster und dunkel sein und trotzdem sehr ästhetisch, glamourös und klassisch aussehen. Und welches Erotik-Model wäre dafür wohl dafür besser geeignet als Dita? Im Übrigen finde ich das gesamte Artwork sehr gelungen, der düstere Opernsaal mit dem Fetischclubambiente gefällt mir ausgezeichnet und ist die ideale Auftrittsstätte für unsere "Werk 80"-Performance - alles in allem eine runde
Sache.
Enrico:
Wie schaut es mit Live-Auftritten aus? Wann werden die Fans "Werk 80 II" live erleben können?
Thorsten:
Nachdem unsere Mexiko-Livepremiere durch Stromausfall und viele andere technische Probleme leider komplett ins Wasser gefallen ist, werden wir das jetzt in Asien (China und Taiwan) angehen, wo wir Songs aus der neuen "Werk 80"-Platte ins Set einbauen werden. Dort wird auch erstmals unsere Session Bassistin Alla Fedynitch (Ex-PAIN, EYES OF EDEN, ENEMY OF THE SUN) in den Fünf-und Sechssaiter greifen. Dann folgen einige Festivalgigs im Sommer (z.B. Headliner beim Castle Rock in Mülheim) und gegen Ende des Jahres ist dann eine größere Tour geplant.
Alex:
Die Mexikoreise stand leider unter keinem guten Stern und wir hätten auf dem "Mandragora's Fest" eigentlich mit unseren beiden Bands ATROCITY und LEAVES’ EYES als Headliner und mit den beiden neuen Mitgliedern auftreten sollen. Am Ende haben uns die immensen technischen und organisatorischen Probleme auf dem Festivalgelände einen Strich durch die Rechnung gemacht. Als der Strom komplett ausgefallen ist, hat es Stromkonverter und anderes Gerät verblasen und das war's dann für uns, nachdem zuvor schon einiges schief lief und alle Bands durch die chaotischen Verhältnisse Sets kürzen mussten usw. Es gab ein paar tumultartige Szenen der vielen mexikanischen Fans die angereist und natürlich enttäuscht waren, uns nicht sehen zu können. Ich bin dann auf die Bühne gegangen und habe mit den Fans gesprochen und ihnen die Lage mittels Dolmetscher geschildert, das war dann zumindest ein wenig versöhnlich - auch als Liv und ich auf Zuruf etwas a capella vorgetragen haben.
Was allerdings noch sehr negativ hängen geblieben ist, ist die Tatsache wie der schwachsinnige Sänger von CLAN OF XYMOX die Situation völlig unnötig und fahrlässig angestachelt hat! Er hat die Veranstalter angegriffen, zum Boykott des gesamten Festivals aufgerufen und uns zu guter Letzt als "Scheiß Deutsche" und "Nazis" beschimpft. Nur weil er, wie alle anderen Bands, ein wenig das Set kürzen musste. Auch wir waren bereit, Songs zu streichen, damit fairerweise alle Bands auftreten konnten. Als er nicht den Schedule befolgt hatte, haben sie ihm den Saft abgedreht. Das wäre in Europa auf jedem halbwegs professionellen Festival genauso passiert. Unglaublich, der Typ wohnt auch noch selbst in Deutschland und beschimpft uns, weil wir größtenteils Deutsche sind! Bei Interesse könnt ihr bei uns auf http://www.atrocity.de die komplette Horrorstory lesen.
Enrico:
Können sich die Fans wieder auf eine unterhaltsame Show mit attraktiven Mädels freuen?
Alex:
Wir werden unser bestes geben, dass es unterhaltsam wird, haha. Es gab schon eine Anfrage von einem großen Open Air-Veranstalter, ob Dita nicht mit uns auf die Bühne kommen könnte. Haha, ich glaube kaum, dass sich das jemand leisten kann, ich habe gehört, ihre Liveauftritte sind nicht ganz so billig.
Enrico:
Habt ihr vor ein Video zu drehen bzw. ist schon eins im Kasten?
Thorsten:
Ja, wir werden bald das Video zu 'The Sun Always Shines On TV' veröffentlichen. Das dürfte ziemlich cool werden, allein die Location für den Clip ist schon mal sehr beeindruckend. Mehr kann ich im Moment noch nicht verraten.
Enrico:
Warum gerade dieser Song?
Alex:
Wir fanden den Song sehr geeignet und hatten gleich ein schönes Videokonzept dafür. Außerdem wird der Song gerade auch in den Clubs gespielt und ist auf einigen Samplern zu hören, nachdem die erste Clubsingle 'Smalltown Boy' ja auch schon sehr erfolgreich gelaufen ist und sich in den DAC's behaupten konnte.
Enrico:
Werden die Fans irgendwann die Chance auf "Werk 80 III" erhalten? Immerhin passt ja die Zeile in 'Forever Young' wie die Faust aufs Auge: "so many songs we've forget to play".
Thorsten:
Haha, wie gesagt, es stehen jetzt noch in diesem Jahr die Recordings für eine ATROCITY-Platte mit Alex' Schwester Yasmin im Stile der "Calling The Rain"-MCD an. Das heißt, auf diesem Album werden viele Akustikgitarren, Percussionsinstrumente und Yassis einzigartiger Gesang zu hören sein. Mit der Hinzunahme von Nick am Schlagzeug werden wir dann 2009 das nächste reguläre ATROCITY-Album, ein brachial-bombastisches Werk an den Start bringen, das in die Kerbe der "Atlantis"-Platte schlagen wird. Von daher sehe ich derzeit keine Chance für eine "Werk 80 III"-Platte.
Alex:
Die nächste reguläre ATROCITY-Scheibe ist gleichzeitig auch der Auftakt zu einer düsteren epischen Trilogie, was mir persönlich sehr am Herzen liegt. Ich freue mich aber natürlich auch sehr auf die Zusammenarbeit für ein weiteres Projekt mit meiner Schwester Yasmin! "Calling The Rain" war echt sehr besonders!
Enrico:
Habt ihr in den letzten Jahren mal darüber nachgedacht, statt "Werk 80 II" mal ein "Werk 90" einzuspielen? Würde es überhaupt gelingen, zehn Songs aus den 90er zu finden, die es wert wären, auf so einer Veröffentlichung Platz zu finden?
Thorsten:
Haha, eine sehr interessante Frage. Die 90er-Jahre finde ich persönlich musikalisch schwieriger und nicht so begeisternd wie die 80er. Techno, Eurodance und Hip Hop bahnten sich ihren Weg. Ich sehe uns beispielsweise noch 1998 zu unserer Show auf dem "With Full Force" fahren und um uns herum auf der Autobahn nur pilgernde Heerscharen, die zur Love Parade strömten. Es gab auch in den 90er Jahren deutlich weniger Pop-Songs, die einen romantischen, dunklen Wave-Touch hatten. Dennoch gab es aber auch zu dieser Zeit hervorragende "Pop"-Songs. 'Zombie' von den CRANBERRIES finde ich z.B. genial.
Enrico:
Was war eigentlich damals der ausschlaggebende Punkt, sich speziell nur mit den 80ern zu beschäftigen?
Alex:
Tatsächlich entstand das Ganze aus einer verrückten Idee heraus, wie es sich wohl anhören würde, wenn wir derartige Songs spielen würden. Da gab es niemals einen kommerziellen Hintergedanken oder ähnliches. Wir hatten ja bereits 1992 schon eine Metal-Coverversion von DEATHs Demosong 'Arch Angel' auf der "Todessehnsucht"-Platte gemacht. Die Idee ein Album komplett nur mit stilfremden Songs zu machen, hat sich manifestiert, als wir sehr gute Erfahrungen damit gemacht haben, auch mal mit Musikern aus einem komplett anderen musikalischen Bereich zusammenzuarbeiten. Ein erster Schritt war bestimmt die Akustik-Ethno-Metal-Scheibe "Calling The Rain" mit meiner Schwester Yasmin, die für eine Death-Metal-Band völlig außergewöhnlich war. Bei "Werk 80" kommt noch dazu, dass es auf uns einen großen Reiz ausübt, einfach ganz andere Musik neu zu vertonen. Dass eine Metalband eine andere Metalband covert, ist im Grunde genommen nichts Besonderes mehr und musikalisch betrachtet ist für uns die Herausforderung ein neues und gutes Ergebnis mit einem Song zu erzielen, der sich sonst stilistisch von dem unterscheidet was man normalerweise macht, sehr viel größer.
Als wir 1995 mit der Dark-Wave-Band DAS ICH uns gegenseitig auf "Die Liebe" gecovert haben bzw. zusammen neue Versionen unserer eigenen Songs eingespielt haben, war das einerseits ein riesiger Schritt, dass die Metal- und Gothic-Szene zusammengewachsen ist, andererseits hat es uns als Musiker auch gezeigt, dass es super funktioniert, wenn wir als Band ATROCITY etwas in der Art machen. Lustigerweise haben wir damals bezeichnenderweise LAIBACH gemeinsam gecovert, die ja selbst für ihre Neuinterpretationen bekannt sind. Jedenfalls kurz danach haben wir erfolgreich mit der Gothic-Band LACRIMOSA zusammengearbeitet und mit der Synthie-Band SILKE BISCHOFF. Das machte uns richtig Spaß und es gab auf einmal eine Menge Leute aus der schwarzen Szene, die auf uns aufmerksam geworden sind und mit uns etwas gemeinsam machen wollten. Die Idee zu einer "Werk 80"-Platte entstand in unseren Köpfen allerdings schon viel früher, nur schien bis dahin die Zeit noch nicht dafür reif zu sein. Als wir uns damals im Studio eingeschlossen haben, um nach der "regulären" und brachialen "Willenskraft"-Scheibe, auf der ein paar richtig harte Nummern wie 'Scorching Breath', 'Bloodstained Prophecy' oder 'The Hunt' vertreten sind, ein weiteres Album mit Projektcharakter aufzunehmen, rätselten viele, was wir als nächstes machen würden. Als Kinder der 80er dachten wir uns einfach die Idee aus, wie würden sich solche Megahits wie 'Shout' anhören, wenn wir sie spielen würden? Und als herauskam, dass wir mit "Werk 80" ein komplettes Album mit 80er-Jahre-Hits aufnehmen würden, erklärten uns viele Leute schon im Vorfeld, bevor sie nur einen Ton gehört hatten, für völlig verrückt. Viele fragten sich, warum zur Hölle spielt eine Metal-Band 80er-Jahre-Pop- und Wave-Klassiker ein? Aber DAS ist es doch gerade, das macht doch den Reiz bei der Geschichte aus! Viele Ignoranten haben das bis jetzt immer noch nicht begriffen. Es ist garantiert nicht so, dass wir eine Popband sein wollten oder uns vom Metal lösen wollten. Das ist sowieso absoluter Quatsch, und im Prinzip machen wir ja damit genau das Gegenteil! Wir machen Pop und Wavesongs zu Metalsongs und nicht anders herum. Wir ziehen einfach unser Ding durch und wir sind nicht eine Band, die immer wieder nur dasselbe aufnehmen möchte.
Ich kenne einige Musiker, die uns geradezu beneiden, dass wir die "Werk 80" gemacht haben. Als das Album dann entgegen aller Unkenrufe und Miesmacher zum Trotz zu einem absoluten Verkaufsschlager wurde und wir in die Charts eingestiegen sind, waren auf einmal sehr viele Leute begeistert, die zuvor noch den Kopf über uns geschüttelt haben. Es gab von verschiedenen Seiten Anfragen, ob ich nicht Lust hätte mit anderen Gruppen derartige Projekte aufzuziehen und zu produzieren. Und viele Bands haben dann im Anschluss auch versucht ähnliche Coverversionen zu spielen, so wie heutzutage, seit vor zwei Jahren unsere Arbeit an der 'Werk 80 II" bekannt wurde. Was soll's, das war und ist uns alles egal. Wir fanden es vielmehr cool, dass beispielsweise in Wacken Tausende von Nietenarmbändern und geballte Fäuste von den Metal-Fans aus aller Welt in der Luft waren, die mit uns 'Shout' und die anderen Songs mitgegröhlt haben oder als wir Headliner beim größten Gothic-Event der Welt waren, dem Wave Gotik Treffen in Leipzig, und dort ebenfalls voll abgeräumt haben. Wer hätte das zuvor gedacht?
Enrico:
Was war das Besondere an der Musik der 80er? Was war das Besondere an diesem Jahrzehnt insgesamt?
Thorsten:
Speziell die erste Hälfte der 80er Jahre finde ich superwichtig und spannend. Da gab es ganz neue Impulse. Hier in Deutschland sind Bands wie DAF, SPLIFF oder auch MALARIA angetreten, um ein neues Verständnis von eigenständiger deutscher Musik zu schaffen, abseits von den amerikanischen Vorbildern. Parallel dazu auch die Entwicklung in der Metal-Szene: die NWOBHM, Thrash Metal von METALLICA und SLAYER. Die 80er Jahre waren einfach vielfältig und aufregend. Zudem war meine Jugendzeit in den 80er Jahren. Das prägt natürlich gewaltig.
Enrico:
Wo siehst die du die Ursache für die anhaltende Faszination der Musik der 80er, besonders in der schwarzen Szene?
Alex:
Ach, ich denke in der Metalszene ist das nicht viel anders. Das liegt hauptsächlich daran, dass sich in den 80ern Jahren diese Musikstile erst so richtig formiert haben. Es gab natürlich Hard Rock oder Punk und auch vor der New-Wave-Szene schon elektronische Musik, allerdings sind die richtige Metal- und Gothic-Subkulturen, so wie man sie heute kennt und wahrnimmt, erst in den 80ern entstanden. Viele der ursprünglichen Trendsetter und die damit verbundenen Kultalben sind natürlich aus den 80ern. Es ist umso erstaunlicher, wie lange sich diese Szenen letztendlich gehalten haben und auch zusammengerückt sind, nachdem man sowohl Metal als auch Gothic schon x-mal für tot erklärt hat. Es zeigt eben, dass sich hinter der Musik auch noch eine Lebenseinstellung verbirgt, und dass man gegen alle anderen Trends bestehen kann!
Enrico:
Was hat sich deiner Meinung nach in den letzten 20 Jahren in der Musikkultur verändert? Ist es überhaupt noch Kunst oder mittlerweile nur noch zur reinen Industrie geworden?
Alex:
Ich denke, man kann das nicht ohne weiteres pauschalisieren. Klar gibt es eine große Industriemaschine hinter erfolgreichen Megasellern, das war vor 20 Jahren genau gleich. Und die bescheuerten Castingshows dürfen kein Maßstab sein! In den 80ern waren viele der Mainstream-Bands wirkliche Gruppen, die auch selbst die Musik und ihre Texte gemacht haben, und nicht wie heute allzu oft musikalische Marionetten. Es gibt genügend Künstler, die durch ihren Erfolg ausgeschlachtet, um nicht zu sagen ausgebeutet werden. Wird etwas erfolgreich, stürzen sich immer alle drauf, wenn es floppt, will keiner mehr etwas damit zu tun haben. Erfolg bedeutet also nicht gleich, dass die Musiker davon reich werden können. Oft verdienen andere erst einmal bevor ein Musiker etwas davon ab bekommt. Ich arbeite ja als Produzent oft mit anderen Musikern zusammen, die mit viel Leidenschaft und Idealismus an die Sache herangehen und sehr viel selbst investieren.
Bei uns ist das im Übrigen ganz genauso. Wir sehen uns als Künstler, die vielschichtig und ohne Einengungen, sondern mit unbegrenzter Kreativität eigene musikalischen Ideen ausarbeiten wollen. Charterfolge können ein angenehmer Nebeneffekt sein, aber die musikalische Idee sollte immer an erster Stelle stehen. Bei uns ist das ja eine ziemlich ungewöhnliche Geschichte, da wir als Metalband nicht so richtig in eine bestimmte Schublade passen und als Chamäleon des Metals gelten, haha. Nicht jedem gefällt das. Ich sage mir aber, dass ein guter Schauspieler auch verschiedene Rollen spielen können muss, ein erfolgreicher Drehbuchautor oder Regisseur sollte fähig sein, sowohl ein Drama zu inszenieren als auch einen actiongeladenen Thriller. So sehe ich das bei uns als Metalmusiker, die einen Blick über den Tellerrand hinaus wagen, wie man ja bei der neuen "Werk 80 II" sehr gut sehen kann, indem wir bewusst keine Metalsongs neu interpretieren, sondern 80er-Pop- und Wave-Klassiker. Wir trauen uns Dinge, an denen sich viele andere Bands nicht die Finger verbrennen wollen. Wir hingegen lieben musikalische Herausforderungen, auch wenn manche Leute die Bandphilosophie von ATROCITY nie verstehen werden und uns deshalb völligen Bullshit anhängen wollen. Das ist uns egal, denn wir haben unsere eigenen Visionen wie unsere Musik zu klingen hat. Künstlerische Vielseitigkeit ist eine Bereicherung und ganz bestimmt kein Makel. Bestes Beispiel sind die großen klassischen Komponisten und Komponisten heutiger Filmmusik, die fähig sind, selbst mit vorgegebenen Konzepten immer wieder neue beeindruckende Werke zu erschaffen, die emotional und atmosphärisch völlig unterschiedlich sein können.
Enrico:
Was erwartest du von der zukünftigen Entwicklung der Musik(-industrie)?
Alex:
Wenn man völlig pessimistisch sein möchte und das so weiter geht mit illegalen Downloads und der gleichzeitigen ignoranten Firmenpolitik der großen Majors, könnte man denken, dass Musik zum völligen Freiwild verkommt und Musiker zu mittellosen Spielfiguren werden und das wäre somit auch der Todesstoß für die musikalische Kreativität. Ich glaube aber, dass dies in unserem Bereich nicht passieren wird. Zum Glück schauen die Musikliebhaber der so genannten Randgruppenmusik auf Qualität und wollen auch weiterhin ein hochwertiges Produkt kaufen. Ich denke, der größte Fehler war es, das großartige LP-Format einfach sterben zu lassen, anstatt es neu zu modifizieren. Da haben sich ein paar Schlaumeier gedacht, sie würden etwas ganz schickes "Rationalisiertes" an den Start bringen, indem man kurzerhand das Format einer CD und das dazugehörige Coverartwork "schick" verkleinert hat. Das mag ja auch dem Zeitgeist entsprechen und okay sein, aber wenn ich nur daran denke, wie genial das neue Artwork von der "Werk 80 II" als Gatefold-LP ausschauen würde... Ich hoffe, die Plattenfirma überlegt sich das noch, und bringt die Scheibe noch als Vinyl raus!
Enrico;
Welches hältst du für das künstlerisch ausgefeilteste Jahrzehnt, was die Musik anbelangt?
Thorsten:
Haha, ganz im Stile von ATROCITY würde ich mich da auch persönlich nicht festlegen lassen, sondern mir jeweils das Beste rauspicken. Ich stehe zum Beispiel sehr auf den Sound von GLEN MILLER (40er Jahre). Aus den 60er Jahren würde ich mir die BEATLES, den Surf Sound und JIMY HENDRIX rauspicken. Zurzeit stehe ich auch sehr auf die großen Hard-Rock-Bands aus den 70er Jahren, allen voran DEEP PURPLE und LED ZEPPELIN, weil deren Musik eine Dynamik hat, die ich stellenweise bei aktueller Musik vermisse. Die 80er Jahre und das jetzige Jahrzehnt hätten aber definitiv auch einen großen Platz in meinem musikalischen Herzen.
Enrico:
So, zum Abschluss noch die Frage, welcher Song oder welches Album haben euch geprägt und veranlasst, selbst Musik zu machen?
Alex:
DEEP PURPLE und PINK FLOYD waren meine Helden der Kindheit! Als ich sechs Jahre alt war habe ich meine ersten DEEP PURPLE-Scheiben angehört. "Made In Japan" ist ein Klassiker!
Thorsten:
Bei mir war das am Anfang ganz klar CHUCK BERRY und ab dem elften Lebensjahr VAN HALEN, die mich zur Gitarre greifen ließen. Ab meinem zwölften Lebensjahr kamen dann recht schnell METALLICA, SLAYER und MEGADETH hinzu und die Tür in das Reich der Metalmusik stand für mich weit offen.
- Redakteur:
- Enrico Ahlig