Als Metalhead im Iran

17.02.2010 | 13:50

Der Drummer der iranischen Death-Metal-Kapelle ARSAMES gewährt Einblick in sein Leben als Metalhead in der islamischen Republik.

Von der Stadt Mashhad im Iran habe ich noch nie etwas gehört. Wikipedia muss her, um meinen schmalen westeuropäischen Horizont zu erweitern. Auf diese Weise erfahre ich, dass die 2,5 Mio. Einwohner umfassende zweitgrößte Stadt der islamischen Republik Iran im äußersten Nordosten des Landes liegt und die Hauptstadt der Provinz Razavi-Chorasan ist. Im Netz finde ich ein paar Bilder mit Stadtansichten von Mashhad. Darauf sind verhüllte Frauen in Burkas zu sehen, aber auch wunderschöne Moscheebauten mit beeindruckender Architektur. Eben das, was man sich so vorstellt, wenn man als unbedarfter EU-Bürger an Vorderasien und den Nahen Osten denkt.

Seit Mitte des Jahres denke ich bei der Erwähnung Irans auch immer an politische Unruhen, Straßenschlachten und Wahlbetrug. "Where is my vote" hat im Sommer eine mutige junge Frau in ihr Profilbild des internationalen sozialen Netzwerkes Myspace gesetzt. Am 6. Februar schreibt SPIEGEL-Online: "Die Iran-Krise droht den Nahen Osten in Brand zu setzen". Am Vortag ist bekannt geworden, dass der iranische Außenminister zur Sicherheitskonferenz nach München kommt und daraus Spekulationen um ein Einlenken Irans im Atomkonflikt genährt werden.

Angesichts dessen sind Freiheit und Selbstverwirklichung das Letzte, was mir zum Iran einfällt. Und schon gar nicht das Austoben in Rockmusik und Heavy Metal.
Und dennoch: Auch im Iran gibt es eine kleine unentwegte Metalszene, die im Verborgenen blüht und einige Idealisten zu den ihren zählt, die es sich nicht nehmen lassen, im restriktiven Klima der islamischen Republik ihre Musik hochzuhalten.

Einer von ihnen ist Ali Madarshahi. Er ist 40 Jahre alt und lebt in Mashhad. Mit seiner Band ARSAMES, die eine Mischung aus Thrash und Death Metal spielt, bemüht er sich gerade um einen Gig auf dem österreichischen Metalfest Open Air auf Schloss Mamling.

"Metal ist im Iran verboten", berichtet Madarshahi mit Bedauern. Seine Kontakte zu anderen Musikern finden in einer kleinen Underground-Szene statt und da es im Iran keine Musikkneipen für die Hartwurstfraktion gibt, profitiert Madarshahi besonders von internationalen Netzwerken wie Myspace und Facebook. Der Drummer, aufgewachsen in einer Familie, in der ein starker Bezug zur traditionellen iranischen Musik herrschte, hat Rockmusik im Alter von 14 Jahren entdeckt.
"Ein Verwandter hat mir "The Dark Side Of The Moon" von PINK FLOYD auf einer Kassette in die Hand gedrückt und später noch "More Than A Feeling" von BOSTON", erinnert sich Madarshahi. "Es war ein großartiger Moment in meinem Leben, diese Art von Musik zu hören, die völlig anders war als das, was ich immer im Radio gehört habe, und ich beschloss, mehr davon kennen zu lernen."

So ist Madarshahi auf die Spur all der bekannten Helden gekommen: BLACK SABBATH, IRON MAIDEN, JUDAS PRIEST, METALLICA, SODOM, TESTAMENT, MEGADETH, KREATOR, VENOM, EXODUS.
"Meine Familie und meine Freunde haben zuerst gedacht, ich sei bescheuert", erzählt Madarshahi. "Du musst bedenken, dass vor 25 Jahren nur wenige Leute im Iran überhaupt Ahnung vom Metal hatten. Aber Schritt für Schritt habe ich meine Familie damit vertraut gemacht bis sie es akzeptierten. Es gibt ein Photo von mir und meiner Mutter. Da ist sie 71 Jahre alt und wir beide machen das Metalzeichen 'Horns up'. Sie freut sich immer über meine langen Haare."

Trotz der ungünstigen Bedingungen als Metalhead im Iran hat Madarshahi sich für ein Leben als Berufsmusiker entschieden. Ein Studium hat er nicht abgeschlossen, obwohl die große Stadt Mashhad zahlreiche Fachbereiche an einer namhaften Universität aufzubieten hat.
"Für Metaller und Rockmusiker gibt's keine Universität im Iran", ist Madarshahis trockener Kommentar hierzu. Seine Leidenschaft hingegen gehört seiner Band  ARSAMES, die er 2002 gegründet hat. Arsames war der Name eines persischen Königs um 520 v. Chr. Er war der Großvater von Cyrus dem Großen, dem die Band einen Song widmet. Im vergangenen Jahr konnte Madarshahi mit ARSAMES auf dem Desert Rock Festival in Dubai und dem Unirock-Festival in Istanbul auftreten. Hier hat Madarshahi die Gelegenheit genutzt, internationale Acts wie ARCH ENEMY, KREATOR oder AMON AMARTH zu treffen.

Während Heavy Metal in seinen Anfängen in den USA und in Westeuropa durchaus für Widerstand gegen das Establishment stand und sich die Fans auch heute noch gerne damit identifizieren, Teil einer Gruppe zu sein, die nicht zum Mainstream gehört, muss man bei Lichte betrachtet wohl zugeben, dass es in unseren Breitengraden kein revolutionärer Akt mehr ist, als Metalhead die Birne durchs Leben zu schütteln. Im Gegenteil, zumindest in Deutschland dürften wohl die meisten Metalfans inzwischen - abgesehen von der pubertären Suche in jungen Jahren - eine eher bürgerliche Existenz führen.

Im Iran hingegen gehört noch eine erhebliche Portion Widerstandsgeist dazu, sich zum Metal zu bekennen. Das erklärt wahrscheinlich auch Madarshahis zuweilen pathetische Formulierungen, wenn er von sich behauptet: "Metal ist meine Mission. Ich glaube, ich bin dazu geboren, den Metal im Iran zu befreien. Und das gebe ich niemals auf!" Ich drücke ihm die Daumen, dass er es schafft.

Redakteur:
Erika Becker
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