BLACK SABBATH: Die "Technical Ecstasy"-Deluxe-Edition

07.10.2021 | 15:20

Vor sage und schreibe 45 Jahren kam mit "Technical Ecstasy" ein Album auf den Markt, das die Fanschar enorm spalten sollte. Das BLACK SABBATH-Album Nummer sieben war ein in vielen Belangen besonderes Album, entfernten sich Osbourne, Iommi, Butler und Ward nicht nur noch weiter von ihrem doomigen, unheilvollen Ursprungssound und gingen äußerst verkopft an die neuen Arbeiten heran, sondern sorgten auch interne Unstimmigkeiten für enorm viel Würze. Doch warum "Technical Ecstasy" trotz oder gerade aufgrund dieser Gegebenheiten ein besonderes Album in der langen Geschichte BLACK SABBATHs ist, erfahrt ihr in den folgenden Zeilen.

Wir schreiben das Jahr 1976: Der sechste BLACK SABBATH-Geniestreich hatte ein halbes Jahr auf dem Buckel und entfaltete allmählich seinen Zauber. Obwohl sich die Briten bei ihrem bis dahin teuersten Album erneut selbst übertreffen konnten, brodelte es in ihrer Küche: Nach dem Ärger mit Patrick Meehan, ihrem ehemaligen Manager, der auch entscheidend für die "Sabotage"-Namensgebung war, beschlossen die vier Schwermetallmagier, sich selbst zu managen und verschiedene Sounds auf ihrem kommenden Album ausprobieren. Dass sich Ozzy und Tony ein ums andere Mal in die Haare bekamen und auch Geezer von Herrn Osbournes wechselhaftem Gemüt in Mitleidenschaft gezogen wurde, ist nur eine Erklärung, warum "Technical Ecstasy" so klingt, wie es klingt. Dennoch rauften sich die vier Protagonisten zusammen und enterten im Juni 1976 die Criteria Studios im sonnigen Miami, um "Sabotage" einen würdigen Nachfolger zu bescheren. Angetrieben von der "Sabotage"-Welttournee war mit Gerald Woodruffe ein Keyboarder mit von der Partie, der mit seinen Synthies den Stil von "Technical Ecstasy" noch zusätzlich aufpeppen und modernisieren sollte. Das Ergebnis wurde am 25. September 1976 veröffentlicht.

Bekamen schon die vorangegangenen BLACK SABBATH-Alben eine Deluxe-Vollbedienung, kann sich auch das 1976er Werk "Technical Ecstasy" nicht wehren. Als üppige 4-CD-Version erscheint das 7. Studioalbum der Urväter des Heavy Metals in einer mehr als aufwändigen Aufmachung: BMG veröffentlicht es mit einer neu gemasterten Version des Originalalbums, einem brandneuen Mix von Multitalent STEVEN WILSON, bis dato unveröffentlichten Outtakes und alternativen Mixen sowie einiger Live-Tracks, die während der Welttournee 1976-77 mitgeschnitten wurden. Wir öffnen für euch die Deluxe-Edition und schauen, mit welchen Perlen "Technical Ecstasy" glänzen kann.

Wie auch die letzten Boxsets sorgt auch bei "Technical Ecstasy" eine Hardcover-Box für eine hohe Wertigkeit und erneut enthält uns ein 60-seitiges Buch kein Rahmendetail der Entstehungsgeschichte vor. Zahlreiche Illustrationen, alte Konzertplakate, rare Fotos – ja, nicht nur in den 1990er Jahren war der Schnauzbart eine absolute Modeerscheinung – Liner-Notes und Originalkommentare der vier Musiker sorgen für ein Höchstmaß an Authentizität inmitten dieser spannenden Zeitreise. Fein säuberlich wurden alle seltenen Memorabilia digitalisiert und in diesem Büchlein verewigt. Da dürfen verschiedene Abbildungen der Single-Auskopplungen ebenso wenig fehlen wie Zeitungsberichte der einschlägigen Fachpresse. Dank sehr viel Liebe zum Detail also eine sehr wertvolle Zusammenstellung verschiedenster Relikte, die 45 Jahre auf dem Buckel haben.

Neben einem farbigen "Technical Ecstasy"-Poster ist das umfangreiche Buch nicht das einzige, in dem man bei dieser Deluxe-Edition blättern kann: Als Zugabe sorgt erneut ein Replika des Programmheftes, das zur BLACK SABBATH-Welttournee '76-77 herausgegeben wurde, für den gewissen Mehrwert. Teils reale, teils nachgezeichnete Bilder der einzelnen Protagonisten, einzelne Beschreibungen ihrer Persönlichkeiten sowie ein kurzer Schwenk in die vorangegangenen Jahre sind eine mehr als nette Zugabe, verleihen der Platte noch mehr Tiefgang und Hintergrundinformationen, in denen man sich bei dieser Deluxe-Version schnell verlieren kann. So sorgt die Buch-Programmreplika-Kombination für ein Höchstmaß an Nostalgie, in die man problemlos eintauchen kann. Doch kommen wir nun endlich zur Musik.

Und die dürfte der damals eingeschworenen BLACK SABBATH-Fanschar vor den Kopf gestoßen haben, sorgt nicht nur der immer präsentere Keyboard- und Synthiesound, sondern die teils viel zu verkopften Passagen für viele Fragezeichen. Dennoch lohnt es sich, etwas genauer auf das hier gemasterte Album zu schauen. Zumindest kann man BLACK SABBATH nicht vorwerfen, nicht detailverliebt und abwechslungsreich an das siebte Album herangegangen zu sein. Das eröffnende 'Back Street Kids' ist ein rhythmischer, etwas schnellerer Rocker, bei dem die Synthies geschmackvoll eingesetzt wurden, 'You Won't Change Me' schlägt eine wunderbare Brücke zwischen der einstigen Schwere und neugewonnener Experimentierfreudigkeit und die von Bill Ward eingesungene Ballade 'It's Alright' ist auch nicht von schlechten Eltern – auch wenn man zunächst nicht BLACK SABBATH dahinter vermutet. Und hier kommen wir direkt zum Streitpunkt, sorgten doch die Keyboards und die stilistische Vielfältigkeit dafür, dass die vier Birmingham-Jungs ihre eigene musikalische Duftmarke der letzten sechs, teils legendären Alben verwässerten. Obwohl 'Gypsy' noch dank seiner Progressivität in Form vieler Breaks, und dieser unterhaltsamen Percussion-Spielereien zu gefallen weiß und BLACK SABBATH mit 'All Moving Parts (Stand Still)' im Funk nicht die schlechteste Figur macht, ist es speziell das letzte Songtrio, dem Fans kritisch gegenüberstehen. 'Rock'n'Roll Doctor' wirkt trotz des coolen Blues eher wie ein Praktikant, die Ballade 'She's Gone' plätschert recht belanglos vor sich hin und das abschließende 'Dirty Women' wird zumindest von Tonys virtuosem Gitarrenspiel zum Ende hin noch gerettet, kann aber auch nicht in Gänze überzeugen. Speziell an den letzten drei Stücken wird das verkopfte Element des 1976er BLACK SABBATH-Sounds sehr deutlich: Anstatt ausgetrampelte Pfade zu durchqueren, sollte ein neuer, frischerer Sound für die Weiterentwicklung sorgen. Doch wenn inmitten dieses wichtigen Schritts der eigene Kopf sowie interne Unstimmigkeiten zwischen der Stimme und dem Riff herrschen, kommt letztendlich ein Album heraus, das neben erstklassigem Material auch Durchschnittskost zu bieten hat, obwohl die vorliegende gemasterte Version auch um einiges fetter daherkommt als das einstige Original. Zumal – und das möchte ich hier klar unterstreichen – es keine schlechten Songs sind, sondern Liedgut, mit dem sich eingefleischte SABBATH-Jünger zunächst arrangieren mussten. Das macht die Deluxe-Version des Albums aber nicht minder wertvoll, was die weiteren Rundlinge beweisen.

Ein paar Worte zum STEVEN WILSON-Stereomix auf der zweiten CD, bei dem die Gitarren ein wenig erblassen und die restlichen Instrumente in den Vordergrund drängen. Dadurch wirkt überraschenderweise das Album in sich noch stimmiger, ausgereifter, wenn Progressivität und Härte zu gleichen Teilen Hand in Hand gehen und dadurch anfangs unsichtbare Details mehr und mehr ans Tageslicht kommen. Speziell 'You Won't Change Me', sowie der schwungvolle 'Gypsy'- und 'All Moving Parts (Stand Still)'-Doppelrocker klingen dadurch wesentlich ausgeglichener. STEVEN WILSON hat erwartungsgemäß wieder gute Arbeit geleistet.

Im krassen Kontrast hierzu legt die dritte CD den Wert teils auf alternative Mixe, teils auf eine wesentlich rohere Grundstruktur, was die einzelnen Songs erneut in einem anderen Licht zeigt. Warum es sowohl eine Instrumental- als auch eine Outtake-Version von 'She's Gone' sein musste, weiß ich zwar bis heute nicht, doch dafür sind der 'All Moving Parts (Stand Still)'-Rough-Mix sowie die alternative Version von 'You Won't Change Me' absolute Hinhörer und das veränderte 'Rock'n'Roll Doctor' kommt hier auch um einiges knackiger und spielfreudiger als das Original daher. Insofern sorgen die beiden Rundlinge sowohl bei den etwas traditionsbewussteren BLACK SABBATH-Fans als auch bei Freunden hochprogressiver Töne für zufriedene Gesichter.

Wie auch schon bei der "Sabotage"-Geschichte sorgt ein abschließendes Live-Dokument für den krönenden Abschluss eines für sich genommen sehr wertvollen und hochwertigen Stücks Musikgeschichte. Bei der Welttour 1976-77 wurden insgesamt zehn Stücke mitgeschnitten, die nun, 45 Jahre später, zum ersten Mal ans Tageslicht kommen. Zu meckern gibt es an diesem Zehnerpack überhaupt nichts, sorgen sowohl ein klarer, druckvoller Sound als auch eine mehr als ausgewogene Setliste für ein mehr als würdiges Ende. Wie gut sich zuvor in verschiedenen Versionen dargebotene Songs wie 'Gypsy', 'All Moving Parts (Stand Still)' und 'Dirty Women' mit bandeigenen Evergreens der Marke 'War Pigs', 'Black Sabbath' und 'Snowblind' vertragen und wie flüssig das komplette Set vom beginnenden 'Symptom Of The Universe' bis zum 'Children Of The Grave'-Finale aus den Boxen dröhnt, ist eine wahre Wonne. Im Hier und Jetzt wissen wir, wie selten "Technical Ecstasy"-Songs in den darauffolgenden Jahren live berücksichtigt wurden. Genau aus diesem Grund ist es eine hochinteressante Erfahrung, auch anfänglich vielleicht nicht so wohlwollend aufgenommene Songs auch mit entsprechendem Bühnenfeeling zu hören. Eine durch und durch runde Sache.

Das ist die Deluxe-Version von "Technical Ecstasy" auch im Allgemeinen. Inklusive Poster, Buch und Programmheft-Replika machen die vier CDs dieser Edition auf unterschiedlichste Art und Weise sehr viel Freude und bieten mir wie auch euch einen guten Anlass, ein anfangs eher stiefmütterlich behandeltes Album wie "Technical Ecstasy" inklusive üppiger Rahmenhandlung einmal genauer unter die Lupe zu nehmen und sich die Rosinen einzeln herauszupicken.

Dieses Boxset ist seit dem 1. Oktober 2021 erhältlich und kommt in einem 4-CD Set und 5-LPs auf 180-Gramm schwarzem Vinyl.

Redakteur:
Marcel Rapp

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