BLACK SABBATH: Wir blicken auf "Anno Domini 1989 – 1995"
27.05.2024 | 21:43Wenn wir an die Frontmänner BLACK SABBATHs denken, schießt uns unweigerlich der große Name OZZY OSBOURNE in den Sinn. Nach einem kurzen Zwischenspiel von Dave Walker und OZZYs Ausstieg 1979 trat der ehemalige RAINBOW-Großmeister Ronnie James Dio in dessen Fußstapfen und verhalf den Pionieren des Schwermetalls zu neuem Glanz. Nach ihm war es für Iommi und Co. allerdings schwierig, auch langfristig einen begnadeten Sänger an sich zu binden: Ian Gillan und Glenn Hughes schafften es ein bzw. zwei Jahre, David Donato und Ray Gillen sogar noch kürzere Amtszeiten. Dann trat der damals 29-jährige Brite Tony Martin in das Leben BLACK SABBATHs und verhalf dem Riesen wie einst Dio zu alter Stärke. Inklusive dessen Zwischeneinsatzes brachte es Martin auf stattliche zehn Jahre. Um dieser Zeit einen angemessenen Tribut zu zollen, gelangt nun "Anno Domini 1989 – 1995" auf den Markt, ein opulentes Werk, das zumindest den Großteil von Martins Geschichte bei BLACK SABBATH in Augenschein nimmt.
Die Pfiffigen unter euch wurden bereits stutzig ob der Jahreszahlen, doch tatsächlich lässt diese wirklich tolle Veröffentlichung leider Martins Einstand "The Eternal Idol" sowie "Dehumanizer" mit dem lieben Ronnie an der Mikrofonfront außen vor und beinhaltet die remasterten Versionen jener Tony-Martin-Alben, die über I.R.S. Records herauskamen. Trotz dieser leichten Unvollständigkeit ist "Anno Domini 1989 – 1995" eine wirklich schöne Veröffentlichung, der wir in diesem Artikel auf den Zahn fühlen und näher in Augenschein nehmen.
Hauptaugenmerk dieses Sets sind natürlich die neu remasterten Versionen von "Headless Cross" (1989), "Tyr" (1990) und "Cross Purposes" (1994), sowie eine neue Version vom 1995er Album "Forbidden", die Tony Iommi speziell für diese Sammlung remixte. Zusätzlich enthält die Box auch ein sehr geschmackvolles "Headless Cross"-Poster und ein Replik des Konzertbuches der anschließenden Tour, um noch tiefer in die damalige Zeit einzutauchen. Rare Fotos, alte Artworks und Linernotes sorgen für einen stilechten und authentischen Anstrich dieser Zeit.
Doch wo steht die Legende Ende der 1980er Jahre? Nachdem Ozzy nach "Never Say Die!" die Segel streichen musste, nahmen auch Geezer und Ward ihre Koffer und plötzlich stand mit Iommi das einzige Gründungsmitglied von BLACK SABBATH auf weiter Flur. Selbst eingefleischte Fans kamen irgendwann vor lauter Besatzungswechsel nicht hinterher und nachdem Ray Gillen "The Eternal Idol" schon eingesungen hatte und durch unseren Protagonisten Tony Martin ersetzt wurde, durfte dieser den Gesang noch einmal neu aufnehmen. Dieser rettete somit die Aufnahmen zum 13. BLACK SABBATH-Album, an dem neben ihm und Iommi noch Bob Daisley, Eric Singer, Geoff Nicholis und Bev Bevan mitwirkten und sich das Endergebnis trotz fröhlichen Drehs am Besetzungskarussell wirklich hören lassen konnte. Mit Tony Martin schien ein fester Sänger und Nachfolger Dios und Osbournes gefunden worden sein, sodass im August 1988 Album Nummer 14 in Angriff genommen werden konnte.
Mit an Bord für "Headless Cross" waren zudem Laurence Cottle, der für die anschließende Tour allerdings durch Neil Murray von WHITESNAKE ersetzt wurde, sowie Cozy Powell (RAINBOW, MICHAEL SCHENKER GROUP, CINDERELLA, GARY MOORE) und erneut (!) Geoff Nicholis beteiligt. Zudem durfte sich auch QUEEN-Löckchen Brian May seine Credits abholen, hört man ihn doch beim Gitarrensolo von 'When Death Calls'. Und wie der Titel es schon verrät, ist "Headless Cross" ein verhältnismäßig düsteres BLACK SABBATH-Album geworden, das in Großbritannien auf Platz 31 und in den Staaten zumindest Platz 115 erreichen konnte. Schon das Artwork ist ein Statement, die Atmosphäre mystisch und finster, der Sound kraftvoll und klar. Über allem thronen allerdings Tonys: der eine mit unschlagbaren Jahrhundertriffs und der andere, ein für diese Schwere, Emotionalität und Düsternis prädestinierter Sänger. Nach unheimlichem Gänsehaut-Intro sorgt das Titelstück als erste Single gleich zu Beginn für einen kräftigen Schlag auf den Tisch, obwohl schon früh zum Albumzeitpunkt dessen Empfänglichkeit eine Wohltat für die Ohren ist. Dass die Songs, allen voran das minütlich wachsende 'When Death Calls' und 'Black Moon', auch genügend Raum zur Entfaltung brauchen, spielt der gesamten Scheibe zusätzlich in die Karten. Davon profitiert auch die zweite Single 'Devil And Daughter', sowie das hochmelodische 'Call Of The Wild', ehe mit 'Nightwing' epische und balladeske Töne dieses durch und durch gelungene Gesamtwerk abschließen. Alles in Allem profitiert "Headless Cross" weniger von seiner Härte und Komplexität, sondern entfaltet dank epischer Breite, geschmackvollen Bombast-Momenten und einer tollen Zusammenarbeit zwischen Iommi, Martin und Powell mit dessen so punktgenauen wie markanten Drums. Die Leistungskurve ging nach den mittelklassigen "Born Again" und "Seventh Star" mit "The Eternal Idol" hauchzart nach oben und wurde durch "Headless Cross" bestätigt.
Und weil auch Iommi merkte, dass es doch besser lief als gedacht, ging es in der nahezu gleichen Besetzung (außer am Bass) im Frühjahr 1990 erneut ins Studio, diesmal in die walisischen Rockfield und Woodcray Studios, um sich etwas genauer mit dem germanischen Kriegsgott der nordischen Mythologie zu beschäftigen, die Idee zu "Tyr" war geboren. Erneut besticht Martin dank seiner kraftvollen und mystischen Stimme, die Atmosphäre kommt der des Vorgängers schon recht nahe und mit dem Eröffnungsfeuerwerk 'Anno Mundi' und einem so genialen Zusammenspiel aus Keyboard und Iommis schweren Gitarren, erfährt "Tyr" einen Auftakt nach Maß. Bevor das abschließende, dezent an RAINBOW angelehnte 'Heaven In Black' noch einmal sehr viel Fahrt aufnimmt, öffnen die Briten mit 'Odin's Court' sehr verheißungsvoll die wuchtigen, kraftvollen 'Valhalla'-Tore, ziehen mit 'The Lawmaker' noch einmal die Zügel an und haben mit der Power-Ballade 'Feels Good To Me' eine absolute Jahrhundertmelodie im Ärmel, die vor allem im gesamten Albumkontext ihre volle Pracht entfaltet. Nein, ein Konzeptalbum über den Sohn Odins ist es keineswegs, dafür aber ein starkes BLACK SABBATH-Scheibchen, das in Sachen Tempo im Bandverhältnis überrascht, von einer wunderbaren Mystik umgeben wird und im direkten Vergleich zum Vorgänger nicht ganz so düster, aber dafür noch kraftvoller und pointierter zu Werke geht. Ab und an erfährt die eigene Gänsehaut ganz neue Züge, was vor allem an der effektiven Harmonie zwischen Riffing und Gesang liegt, spielen sich die beiden Tonys doch herrlich die Bälle zu, während auch die glanzvolle Leistung Geoffs nicht unerwähnt bleiben soll. Alles in Allem ist "Tyr" ein in sich stimmiges, teils überraschendes, aber durch die Bank weg starkes Album geworden. Und getreu dem Motto "Never change a winning team" hat Tony Iommi das für ihn so Typische getan und drehte einmal kräftig am Besetzungskarussell.
So erinnerte sich der BLACK SABBATH-Kopf an seine einstigen Weggefährten und den Erfolg der beginnenden 1980er Jahre. So mussten Martin, Murray, Powell und Nicholls ihre Koffer packen und Dio, Gründungsmitglied Butler und Vinny Appice verewigten alle drei mit Iommi "Mob Rules". Weshalb deshalb nicht auch Nicholls bleiben durfte, weiß wohl nur Tony Iommi selbst. Der Schuss in Form des harten, raueren "Dehumanizer" ging nach hinten los und konnte nicht an den Erfolg der Vorgänger und erst recht nicht an den des 1981er Überalbums anknüpfen. Diverse Unstimmigkeiten sorgten zusätzlich für das Ende der "Mob Rules"-Besetzung: Dio und Appice strichen also erneut die Segel.
Dafür kehrten der liebe Herr Martin sowie Geoff für sein warmes Keyboardspiel zurück und bekamen Begleitschutz vom ehemaligen RAINBOW- und BLUE ÖYSTER CULT-Schlagzeuger Bobby Rondinelli. Gemeinsam mit Geezer und Klampfen-Tony wurden die ersten Ideen zu Album Nummer 17 ausgearbeitet, bis es 1993 erneut nach Wales ging, um "Cross Purposes" aufzunehmen. Und tatsächlich gehört das am 31. Januar 1994 veröffentlichte Werk zu meinen meistgehörten BLACK SABBATH-Alben, obwohl oder gerade weil sich der komplette Zauber erst entfalte, wenn man "Cross Purposes" einige Male gehört und ihm die nötige Zeit eingeräumt hat. Iommi und Butler sind nach wie vor eine Bank, Rondinelli veredelt die Songs mit seinem ganz eigenen Schlagzeugspiel und der wiederkehrende Martin singt so souverän, kraftvoll und charmant, als sei "Dehumanizer" mit diesen wirr zusammengehackten Songfragmenten gar nicht existent. Nein, es sollte wieder in die gleichen Fahrwasser wie "Tyr" und "Headless Cross" gehen, was letztendlich auch gut funktionierte: Während 'I Witness' trotz ordentlichem Druck den Faden außer Acht lässt, sind 'Cross Of Thorns', 'Immaculate Deception' und 'Back To Eden' so dermaßen starke wie zwingende, düstere Heavy-Rock-Songs, die diesen besonderen BLACK SABBATH-Zauber mit der Muttermilch aufgesogen haben. Auch wenn 'Dying For Love' vor Kitsch nur so trieft, stellen ein sehr wuchtiger, sauberer Sound, sowie Songs wie 'Cardinal Sin', das auch auf "Headless Cross" hätte stehen können, ebenso wie die für die 70's so typische Nummer 'Virtual Death' und die heimliche DIO-Hommage 'Evil Eye', die mächtige Statue der Heavy-Metal-Prototypen wieder auf. Die Platte ist abwechslungsreich, versprüht bis auf wenige Ausnahmen durch die Bank weg dieses besondere SABBATH-Feeling und läuft völlig zu Unrecht unter dem Radar, wenn wir nach großen, klassischen Rock-Alben der 1990er Jahre suchen. Zugegeben, davon wollte zum damaligen Zeitpunkt fast keiner etwas wissen, doch heute sind wir schlauer und wissen, dass sich zwischen all dem Grunge und Alternative Rock auch richtige Perlen langgedienter Legenden versteckt haben.
Während die drei bis dato besprochenen Alben für diese Box in remasterter Form vorzufinden sind, hat Tony Iommi der folgenden, letzten Platte einen komplett neuen Sound verpasst, was den Songs hörbar guttut. Und da täglich das Murmeltier grüßt, darf auch diesmal nicht die gleiche Besetzung am Folgealbum arbeiten: Butler und Rondinelli raus, Murray und Powell wieder rein und gemeinsam mit Nicholls war die "Tyr"-Besetzung wieder hergestellt. Tatsächlich gibt es auch auf "Forbidden" einige wirklich gute Stücke, die damals ob der verwaschenen Sounds ein wenig vom Tellerrand fielen: 'Get A Grip' hat ein starkes Grundriff und einen famosen Martin'schen Gesang, während 'Guilty As Hell' unverwüstlich umherstampft und der Titeltrack zu den besseren SABBATH-Songs der 1990er Jahre gehört. Doch diesen Highlights stellen sich größtenteils nur mittelmäßige Nummern in den Weg, die das Album am Wachstum hindern: 'Can't Get Close Enough' rockt mit angezogener Handbremse, die balladesken 'I Won't Cry For You' und 'Kiss Of Death' sind leider recht weit vom ursprünglichen SABBATH-Zauber entfernt und 'Sick & Tired' sowie 'Rusty Angels' etwas zu nah an der Radiotauglichkeit konzipiert. Da hilft auch die Kooperation mit ICE-T im eröffnenden 'The Illusion Of Power'-Schwung herzlich wenig. Auch in Sachen Songwriting hat man Iommi schon kreativer und energischer erlebt, doch um einen runden Bogen zu schlagen, ist auch "Forbidden" unverzichtbar für diese Box. Zum einen hieven einzelne Aha-Momente das 18. Langeisen aus der Mittelklassigkeit, zum anderen – auch hier kehren wir zum Ursprung zurück – ist Tony Martin ein grandioser Sänger, was er auch auf seinem letzten Album mit BLACK SABBATH charmant unter Beweis stellt. Auch wenn der Traum aller Metal-Fans 1997 Realität wurde und Iommi zur General-Reunion ansetzte, hätte es mich brennend interessiert, welche Wege die Legende mit dem doppelten Tony eingeschlagen hätte. Die vier vorliegenden Alben jedenfalls lassen wunderbare Spekulationen zu.
Ihr merkt, ich habe selbst nicht nur großen Gefallen an Zeitreisen wie solche. In eine sträflich unterbewertete Phase einer so prägenden Legende wie BLACK SABBATH zu reisen, ist unheimlich lohnenswert und der Weg voller Schätze gepflastert. Tony Martin hat hervorragend zu BLACK SABBATH gepasst und so macht dieses üppige Box-Set nur allzu deutlich, dass er gleich nach Ozzy und Ronnie als dritter BLACK SABBATH-Sänger genannt werden muss und mit dieser so wegweisenden Band hervorragende Alben aufgenommen hat. Auch wenn das Fehlen von "The Eternal Idol" meinen inneren Monk zur Weißglut bringt, lohnt sich ein beherzter Griff zu "Anno Domini 1989 – 1995". Denn es gehören nicht nur die allerersten BLACK SABBATH-Alben sowie die erste Dio-Ära in jede gut sortierte Sammlung, zumal Scheiben wie "Headless Cross" oder "Tyr" ohnehin schwierig zu ergattern sind. Taucht ein in eine mystische, düstere Phase jener Band, ohne die der Heavy Metal eine der prägendsten und wichtigsten Bands nicht sein Eigen nennen könnte.
Anno Domini 1989 - 1995 (Official Unboxing Video)
https://www.youtube.com/watch?v=KaJUhsbvAr8
- Redakteur:
- Marcel Rapp