BORKNAGAR: Interview mit Jens F. Ryland

01.01.1970 | 01:00

Norwegen einmal anders: Während das Land der tausend Fjorde früher für knallharten, eiskalten und nicht sonderlich abwechslungsreichen Black Metal bekannt war, so frönen die Szenegrössen heutzutage deutlich progressiveren, ja sogar avantgardistischen Klängen. Neben dem Aushängeschild EMPEROR konnten sich auch BORKNAGAR im Vergleich zum Vorgängeralbum nochmals steigern und präsentieren mit "Empirircism" ein Feuerwerk an Einfallsreichtum, musikalischer Vielfalt und wunderschönen Melodien.
Gitarrist Jens erwies sich zudem als äusserst witziger und recht gesprächsfreudiger Interviewpartner, also als völlig untypisch für einen Nordmann:

Rouven:
Habt ihr bisher schon Feedback zu "Empiricism" erhalten?

Jens:
Ja, und bisher immer nur sehr positive Äusserungen! Das freut uns wirklich, denn man weiss ja nie, wie das Album so aufgenommen wird. Insbesondere in Norwegen hat uns die Presse mit Lob geradezu überhäuft, das war schon ein kleiner Triumph!

Rouven:
Wie kam es eigentlich dazu, dass Andreas Hedlund (VINTERSORG) die Vocals auf "Empiricism" übernommen hat?

Jens:
Andreas und Oystein (Brun, BORKNAGAR-Bandkopf und Gitarrero) sind schon seit langem befreundet. Die beiden haben schon seit Ewigkeiten Tapes ihrer Bands ausgetauscht und darüber gefachsimpelt. Dass Andreas aber wirklich für uns singt, ist eine Art glücklicher Zufall: Als Simen (ex-Sänger, jetzt bei DIMMU BORGIR) ausgestiegen ist, hat Oystein ihn einfach mal angerufen und gefragt, ob er nicht Lust hätte, mit BORKNAGAR ein paar Sessions zu singen. Das hat ihm - und vor allem uns - so gut gefallen, dass er jetzt dabei ist. Ich glaube, uns hätte nichts besseres passieren können, er ist einfach ein grossartiger Sänger!

Rouven:
Und wie kam das mit Basser Tyr zustande? Er spielt einfach unglaublich gut, war das nicht schwer, einen der besten Viersaiter Norwegens an Bord zu holen?

Jens:
Um genau zu sein, ich kenne nur einen Bassisten, der besser ist, und der macht keinen Metal, haha!
Tyr kenne ich schon recht lange, er hat ja vorher bei EMPEROR und auch bei SATYRICON gespielt, mit denen waren wir jeweils in den USA auf Tour.
Als es dann mit dem Songwriting und den Aufnahmen zu "Empiricism" losging, kontaktierte Oystein auch Tyr. Und was soll ich sagen, der Typ ist einfach Wahnsinn! Er hat sich die Songs vom neuen Album ein paar Mal angehört und konnte dann schon fast alles spielen, wir brauchten glaube ich drei Proben, dann konnte er sämtliche BORKNAGAR-Songs! Und beibringen mussten wir ihm gar nichts...
Sein Spiel verleiht "Empiricism" eine ganz besondere Note, genau wie Andreas´ Lyrics, und ich hoffe wirklich, dass er auch weiterhin mit BORKNAGAR zusammenarbeiten wird.

Rouven:
Soweit ich das beurteilen kann handeln die Lyrics von der Natur und der Mythologie Skandinaviens, ist das richtig?

Jens:
Oh ja, das sind mal wieder die typischen BORKNAGAR-Lyrics (lacht)! Ich glaube, das ist der einzige Punkt, an dem wir uns wohl nie weiterentwickeln werden. Aber es macht trotzdem Spass, über solche Sachen Songs zu schreiben.

Rouven:
Wenn man sich "Empiricism" anhört fühlt man sich im ersten Moment völlig erschlagen von der unglaublichen Stilvielfalt, die ihr dort bietet. Welche Bands oder Stile würdest du als Haupteinfluss bezeichnen?

Jens:
Das ist bei jedem in der Band unterschiedlich. Oystein hat da ein sehr breites Spektrum, und Lars, unser Keyboarder, fährt ziemlich auf abgefahrene Prog-Sachen ab. Meine persönlichen Haupteinflüsse sind allerdings eher im Black Metal angesiedelt, auf jeden Fall meine Vorbilder EMPEROR - die Tour mit ihnen war einfach genial! - oder auch MAYHEM. Und eben ´ne Menge an klassischem Metal wie z.B. MAIDEN. Und JIMI HENDRIX nicht zu vergessen!
Allerdings schau ich mir auch gerne mal ein BRITNEY SPEARS-Video an.

Rouven:
Bitte wie? Aber doch bestimmt nur wegen der optischen Reize, oder?

Jens:
(lacht) Klar, was dachtest du denn? Ich kauf´ mir doch nicht so einen Scheiss!
MADONNA höre ich auch gerne, die macht meiner Meinung nach wirklich gute Musik. Allerdings ist sie nicht wirklich ein Einfluss für BORKNAGAR.

Rouven:
Äh, nein.
Wenn man sich die norwegische BM-Szene so anschaut, dann fällt einem doch ins Auge, dass die Basis, also Bands wie EMPEROR, IMMORTAL, MAYHEM oder SATYRICON sich ständig weiterentwickelt. Daneben gibt es sicherlich auch noch einige Traditionalisten, die unbedingt "true"-Black Metal spielen wollen. Was hältst du davon, und wie beurteilst du diese Entwicklung?

Jens:
Ich denke, diese Entwicklung ist selbstverständlich und normal. THE KOVENANT klingen jetzt wie RAMMSTEIN, SATYRICON freunden sich mit Industrial-Klängen an, MAYHEM haben den Jazz entdeckt, DIMMU BORGIR den Bombast und das Orchester, ENSLAVED spielen bald nur noch Stoner-Rock und EMPEROR werden mit jedem Album technischer. Mir gefällt das alles, weil es zeigt, wie kreativ diese Szene doch sein kann, wenn man die Bands nur lässt. Natürlich gibt es auch noch Acts wie GORGOROTH, die treu die Fahne des klassischen Black Metals hochhalten, somit ist die Basis an sich auch nicht gefährdet. Ausserdem gibt es noch eine Unmenge an neuen Bands, die allesamt ihren Idolen nacheifern oder tolle, eigene Ideen haben. Ich würde sagen, der Szene geht´s bestens!

Rouven:
Wie sieht´s bei euch denn in Sachen Tour aus? Mit VINTERSORG seid ihr ja nicht on the Road gegangen, ist da jetzt etwas geplant?

Jens:
An dieser Tour wollten wir eigentlich nie teilnehmen. Ich weiss auch nicht, wieso das schon in irgendwelchen Magazinen gestanden hat. Andreas wollte nicht unbedingt zwei Mal am Abend singen müssen, das wären sicherlich zwei Stunden insgesamt geworden, was seiner Meinung nach nicht über die ganze Tour hinweg tragbar gewesen wäre. Ausserdem haben uns die anderen Bands ausser VINTERSORG nicht sonderlich zugesagt, und wir wollen auch endlich mal eine Headliner-Tour haben. Dafür ist es langsam mal an der Zeit.
Allerdings wird das wohl vor Sommer oder Herbst 2002 nichts werden, weil wir vorher noch in den USA touren werden und vielleicht auf einigen Festivals spielen. Aber wir kommen definitiv nächstes Jahr, immerhin ist die letzte Tour schon wieder drei Jahre her!

Rouven:
Kann man davon ausgehen, dass das nächste BORKNAGAR-Album wieder in diese Richtung gehen wird, evtl. sogar einen noch progressiveren Touch erhält? Oder habt ihr manchmal auch Lust, ein etwas roheres, brutaleres und musikalisch nicht so anspruchsvolles Album einzuspielen?

Jens:
Keine Ahnung, wie das nächste Album wird! Oystein kommt zwar jeden Tag mit den Worten "Hey, ich hab´ grad wieder einen geilen Song geschrieben!" an, aber ich weiss wirklich nicht, in welche Richtung das Ganze geht. Ich glaube, er hat Material für zwei oder drei weitere Alben (lacht).
Wir haben jetzt bei "Empiricism" gemerkt, dass ein Album auch sehr vom Studio abhängig ist. Bei "Quintessence" hatten wir zwar einen guten, druckvollen Sound, aber dafür war er auch sehr undifferenziert. Die Gitarren waren eine einzige Wand, und obwohl "Quintessence" meiner Meinung nach schwerer zu spielen war, hört man dadurch leider nix von diesen kleinen technischen Spielereien. Oder nimm mal das Drumming: Asgeir spielt ja hauptberuflich bei SPIRAL ARCHITECT, das heisst, er ist ein herausragender Schlagzeuger. Natürlich kann er nicht so abgefahren spielen bei BORKNAGAR, aber er hatte schon bei "Quintessence" tolle Einfälle, die im Sound untergegangen sind.
Bei "Empiricism" hingegen haben wir einen tollen Drumsound, was das Album noch viel abwechslungsreicher macht, da er stellenweise schon fast zaubert, haha!

Rouven:
Wird Andreas eigentlich auch auf dem nächsten Album zu hören sein, oder ist diesbezüglich noch nichts geplant?

Jens:
Ich gehe davon aus, dass er das tun wird. Er fühlt sich bei BORKNAGAR sichtlich wohl, und wenn er mit VINTERSORG nicht gerade in METALLICA-Verkaufsregionen vorstösst, sollte der Sache eigentlich nichts im Wege stehen.
Er ist ein unheimlich kreativer Mensch und ergänzt sich mit Oystein unheimlich gut. Ich glaube mit ihm blicken BORKNAGAR in eine goldene Zukunft!

Rouven:
Jetzt muss ich dich als Szene-Insider nochmal bemühen: Kann man wirklich davon ausgehen, dass sich EMPEROR, das norwegische Aushängeschild schlechthin und mittlerweile längst Kultband, wirklich und endgültig auflösen werden?

Jens:
Ja, das werden sie. Ich organisiere das "Infernal Festival" in Norwegen, und wir hatten eigentlich geplant, dass EMPEROR dort nochmal auftreten. Sie wollten zumindest eine kleine Abschiedstour in Norwegen machen. Das war alles mit Samoth (EMPEROR-Gitarrist) abgesprochen. Kurze Zeit später rief er aber an und sagte ab. Ihsahn (Vocals) mag das ganze Touren sowieso nicht so sehr, und Samoth ist ziemlich beschäftigt mit seinem Projekt ZYKLON. Also gibt´s keine Abschiedstour. Und aufgelöst haben sich EMPEROR eigentlich ja schon. Ob eine Reunion kommen wird, kann man nie wissen, aber sicherlich nicht in absehbarer Zeit!

Rouven:
Wo siehst du die Black Metal-Szene in zehn Jahren?

Jens:
Nun, die Basis schreitet voran, wie du ja schon gesagt hast. Es gibt immer neue Bands, die zum Teil die alten musikalischen Traditionen wahren werden, zum Teil aber auch ihr eigenes Ding machen. Und es gibt auch jetzt noch einige Bands die sich dem typischen Black Metal verschrieben haben. Die grossen Namen von heute machen allesamt ihre eigene Sache, Weiterentwicklung ist dabei ganz wichtig. Wie die STONE TEMPLE PILOTS wird wohl keiner klingen, aber wir entfernen uns immer weiter von den Wurzeln des Black Metal. Es gibt eine Menge Wände, die wir verschieben können, und zumindest der norwegische Black Metal ist meiner Meinung nach stilistisch nicht limitiert. Das ist eine verdammt gute Sache, und hier denkt auch keiner über das Geld nach. Wir wollen unsere musikalischen Visionen verwirklichen und nicht etwa die Charts stürmen.
Es ist nicht die Aufgabe von BORKNAGAR, die Szene an ihre Traditionen zu binden, und das werden wir auch nicht tun. Wir wollen nach vorne schauen. Vielleicht wird man in Zukunft wieder ein paar Schritte zurückgehen, wer weiss? Aber wir sicherlich nicht!

Rouven:
So, als letztes würde mich noch deine aktuelle Top 5 interessieren, dann bist du erlöst.

Jens:
Verdammt, ich ertrinke hier in CDs! Das wird schwierig, aber lass mich mal überlegen. An die ersten beiden Stellen kommen die letzten Alben von EMPEROR, auf jeden Fall. Dann noch CYBELE und WINDIR, das sind relativ unbekannte und junge Bands aus Norwegen, die aber sehr eigenständige und schöne Musik machen. Und als letztes die neue AETERNUS, die hab´ ich erst vor ein paar Tagen bekommen. Ein echter Killer!

Rouven:
Dann danke ich dir für deine Zeit und für das kurzweilige Interview, und lasst euch mal bald in Germany blicken!

Jens:
Ja, früher oder später auf jeden Fall, haha!
Vielen Dank auch für dein nettes Review, sowas liest man immer gerne. Und Grüsse an die deutschen Metalheads da draussen!

Redakteur:
Rouven Dorn

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