CORVUS CORAX: Interview mit Meister Selbfried

17.07.2005 | 18:20

CORVUS CORAX sind seit Jahren ein Marmorstein in der Mittelalter-Szene und gehören sozusagen zu den Pionieren dieser Musik. 15 Alben und faszinierende Auftritte, die ursprünglich auch in den Straßen stattfanden, sprechen eine deutliche Sprache. Nun beschreiten sie den experimentellen Pfad und haben ihre Version der Carmina Burana mit klassischen Musikern eingespielt, die am 8.8.2005 zuerst als CD und im nächsten Jahr dann gar als DVD veröffentlicht werden soll. Die Uraufführung wird es auf dem diesjährigen Wacken-Open-Air zu bestaunen geben, wo die Band mit einem symphonischen Orchester sowie einem Opernchor auftreten wird. Ausreichend Gesprächsstoff also, den mein Partner Meister Selbfried auch geduldig beantwortete.


Holger:
Was hat es mit eurer Version der Carmina Burana auf sich? Man könnte ja vermuten, es handle sich um eure Interpretation der Orff-Kompositionen, stattdessen habt ihr die Musik komplett selbst verfasst. Sehe ich das richtig?

Meister Selbfried:
Genau – wir haben alle Tracks neu komponiert. Die Carmina Burana ist ursprünglich eine Sammlung mittelalterlicher Lieder. Eine Handschrift aus dem 13. Jahrhundert, in der ein Querschnitt europäischer Liedkunst zu finden ist. Das macht auch die Sammlung so bedeutsam. Carl Orff hatte sich in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts daraus bedient, wir tun das seit Anbeginn von CORVUS CORAX auch. Nur eben jetzt haben wir auch die Melodien neu gemacht. Und – dies vielleicht eine Inspiration von Orffs Werk – das ganze Werk für Orchester, Chor und in unserem Falle mittelalterliches Ensemble geschrieben.

Holger:
Die Uraufführung wird in Wacken stattfinden. Weshalb dort?

Meister Selbfried:
Weil Wacken einfach vor dem 19.August liegt. Ursprünglich war tatsächlich der Termin auf der Berliner Museumsinsel als Premiere gedacht. Aber die Wacken-Veranstalter wollten unbedingt diese Carmina Burana in diesem Jahr beim Festival haben. Wir sind da flexibel...

Holger:
Was darf man von der geplanten DVD erwarten?

Meister Selbfried:
Die DVD wird der Mitschnitt der Carmina Burana-Aufführung auf der Museumsinsel in Berlin werden. Vor der schönen Kulisse der Alten Nationalgalerie wird das ziemlich grandios sein. Was dann an Bonusmaterial draufkommt, ist noch nicht komplett entschieden. Jetzt zur Veröffentlichung der Studio-CD am 08.08. 2005 wird es eine Limited Edition geben, auf der wir neben einem kleinen Filmchen von der öffentlichen Generalprobe im Januar einen 5.1 Studiomix drauf haben werden und das ist wirklich ein Highlight. Man sitzt dann förmlich mitten im Orchester und die Sounds passieren um einen herum, das ist wie eine Droge.

Holger:
Das klingt spannend. Schwenken wir aber das Thema einmal auf die Mittelalter-Szene. Ihr seid zusammen mit den GEYERS wohl die dienstälteste Mittelalter-Truppe. Habt ihr Kontakt zu ihnen?

Meister Selbfried:
Ja, gelegentlich. Wir treffen sie ja mindestens einmal im Jahr beim Kaltenberger Ritterturnier.

Holger:
Wie beurteilt ihr den leichten Boom mit Bands wie SUBWAY TO SALLY und IN EXTREMO?

Meister Selbfried:
Wir sind da doch zu sehr Musiker und weniger Analysten. Eigentlich sollte man sich schon auch ein bisschen für die Strömungen auf dem Musikmarkt interessieren. Andererseits, wenn man sich zu sehr damit beschäftigt, kommt man am Ende auf die Idee, die Gesetzmäßigkeiten am Markt zu bedienen, und spätestens dann fängt man vermutlich an, sich zu verkaufen. Ich will da nichts beurteilen. Ich sehe auch weniger einen Boom als eine kontinuierliche Aufwärtsbewegung – gar nicht mal soooo steil. Wir haben – ich zähl uns CORVUS CORAX und TANZWUT da mal mit, also wir zusammen mit IN EXTREMO und SUBWAY - vor ca. 10 bis 15 Jahren damit angefangen und jetzt ist eine Höhe erreicht, die tatsächlich auch wahrgenommen wird. Das ist wie ein Berg, der ganz allmählich aufgefüllt wurde, aber weil die Meisten hinter einer Mauer sitzen, nehmen sie ihn erst jetzt wahr.

Holger:
Hat sich im Laufe der Zeit euer Publikum verändert? Und ich meine jetzt nicht, dass die Fans gealtert sind, Bärte bekommen haben und so. Kommen immer mehr Metaller zu eueren Konzerten?

Meister Selbfried:
Das Durchschnittalter lag schon immer bei ca. 49 ½ Jahren, weil wir Fans im Alter von 0 – 99 Jahren haben. ;-) Ja, es gibt schon eine Menge junger Leute, die Metal-T-Shirts anhaben. Ich hab in der Tat den Eindruck, dass die Tendenz steigend ist.

Holger:
Fühlt ihr euch irgendeiner Szene verbunden? Wenn ja, welcher?

Meister Selbfried:
Nein, eigentlich nicht.

Holger:
Etwas verwunderlich fand ich die Tatsache, dass ihr eure Songs von DJs habt remixen lassen. Wie seid ihr auf diese Idee gekommen? (Ich nehme hier Bezug auf die letzte CORVUS CORAX-CD - Anm. d. Red.)

Meister Selbfried:
Wir wurden von DJs darauf angesprochen und fanden die Idee gar nicht schlecht und haben dann ja auch einen TANZWUT-Remix beigesteuert und einige Kollegen in der Band haben dann auch noch allein ein paar Tracks beigesteuert.

Holger:
Was haltet ihr von der Idee, Metalbands eure Songs neu interpretieren zu lassen? Welchen Bands würdet ihr das zutrauen?

Meister Selbfried:
Eine gute Idee – muss man aber mal nachdenken. Die Frage wäre dann wirklich, sind Metal-Bands so open minded, dass sie darauf Bock hätten...

Holger:
Im Gegensatz zu anderen Mittelalterbands habt ihr offensichtlich keine Berührungsängste mit anderen Musikstilen. Gab es da schon Kritik aus der Fanbase?

Meister Selbfried:
Nein. Zumindest ist nichts dergleichen bis zu uns gedrungen.

Holger:
Ist daraus eigentlich die Idee zu TANZWUT entstanden?

Meister Selbfried:
Das hängt sicher damit zusammen. TANZWUT entstand, als wir im siebten Jahr unser Bandbiographie eine kleine Kreativitätskrise hatten. Da haben wir einfach mit Computer, Synthesizer und E-Gitarre ein bisschen herum experimentiert. Daraus ist dann TANZWUT entstanden. Erst war es ja nur eine Single die unter dem Bandnamen CORVUS CORAX und dem CD-Namen "Tanzwut" erschien. Dann fiel uns aber ein Song nach dem anderen ein und wir nannten dann das Seitenprojekt so. inzwischen ist es eine gleichberechtigte Band neben CORVUS CORAX. Im 14. Jahr der Bandgeschichte haben wir dann angefangen, die Stücke für die Carmina Burana zu schreiben. – also alle sieben Jahre neue Projekte, das hält eine Band jung. ;-)

Holger:
Habt ihr eigentlich auch Erfolg im englischsprachigen Raum?

Meister Selbfried:
Mit CORVUS CORAX gibt es kein sprachliches Problem. Die eh wenigen Texte sind Mittelhochdeutsch, Latein oder Altfranzösisch. Das sind alles ausgestorbene Sprachen, die man heute nirgends mehr spricht. Von daher haben wir noch in keinem Land Schwierigkeiten gehabt. Unsere CDs sind weltweit im Handel und im Herbst werden wir das erste Mal in den USA spielen. Dann könnten wir noch mal darüber reden. ;-)

Holger:
Was mich total fasziniert, ist die Tatsache, dass ihr auch eure Instrumente selber baut. Habt ihr das studiert?

Meister Selbfried:
Wim hat das tatsächlich gelernt. Anfänglich als Autodidakt aber dann hat er überall die Dudelsackbauer besucht und ihnen auf die Finger geschaut: In Schottland, in Böhmen, in Ungarn, in Spanien...

Holger:
Verdient ihr damit euren Lebensunterhalt? Wo lernt man überhaupt heute noch so etwas? Wie viel Freizeit bleibt euch neben CC, TW und dem Instrumentenbau? Oder ist das eure Freizeit?

Meister Selbfried:
Wir sind in der glücklichen Lage, von der Musik auch leben zu können. Als das Geld von den Gagen noch nicht dafür gereicht hatte, haben wir nebenbei Straßenmusik gemacht. Inzwischen betreiben wir unser eigenes Studio und eine eigene Plattenfirma. Na klar, ist das jetzt nun nicht mehr nur fröhliches Musikerleben mit reichlich Bier im Probenraum, jetzt ist auch viel Büroarbeit dazugekommen. Und echte Freizeit ist tatsächlich rar geworden. Da muss man dann auch noch Interviews geben...

Holger:
Gibt es Musiker, mit denen ihr gerne mal zusammen arbeiten würdet?

Meister Selbfried:
Sowas ist schwer zu sagen, solche Zusammenarbeiten ergeben sich immer. Man lernt sich kennen – auf 'nem Festival oder so – quatscht miteinander und stellt fest, dass man miteinander kann. Das ist das Wichtigste.

Holger:
Ihr seit früher direkt auf der Straße aufgetreten und hattet so direkten Kontakt zu den Fans. Vermisst man so etwas? Gibt es eigentlich noch Fans der ersten Stunde?

Meister Selbfried:
Ja, gibt es. Das macht einen natürlich schon auch ein bisschen stolz. Es gibt ja nach wie Veranstaltungen, wo man uns anfassen kann. Solche Mittelaltermärkte wie zu Pfingsten auf der Neuenburg bei Freiburg/Unstrut oder das Kaltenberger Ritterturnier. Da setzen wir uns mit unseren Fans und solchen, die es vielleicht erst noch werden wollen, zusammen an 'nen Biertisch. Dann gibt es fast jährlich ein Fanclubtreffen, wo wir mit den eingefleischten Fans feiern. Also der Kontakt zu den Fans ist uns wichtig und wird uns wichtig bleiben. Wir werden darauf achten, dass es immer Möglichkeiten geben wird, dass man das auch pflegen kann.

Holger:
Wie seid ihr damals eigentlich auf die Künstlernamen gekommen?

Meister Selbfried:
Oh je. Da kann sich doch keiner mehr dran erinnern. Jedenfalls entstehen solche Namen irgendwann zufällig.

Holger:
Wieso spielen Wim und Castus zurzeit auch bei SCHANDMAUL?

Meister Selbfried:
Das haben sie nur jetzt für die Aufnahme der DVD gemacht. Wir sind seit langem gut bekannt und mit einigen der Band gut befreundet. Da macht man so was gern mal!

Holger:
Wie fühlt man sich komplett vergoldet?

Meister Selbfried:
Ach, na ja – für ne Fotosession hält man das schon aus. ;-)

Holger:
Die obligate Frage eines Metallers: Welche Platten könnt ihr empfehlen?

Meister Selbfried:
"Demigod" von BEHEMOTH, "The Gathering Wilderness" von PRIMORDIAL, "The Nihilation Of The Wicked" von NILE.

Holger:
Oha, damit hätte ich nun nicht gerechnet. Könnt ihr euch zu Heavy Metal bekennen?

Meister Selbfried:
Du wirst es kaum glauben, in unserer Band gibt es echte Death-Metal-Fans. Es ist nicht unbedingt so, dass man außerhalb des Genres in dem man Musik macht, keine Musik hören mag. Eher genau im Gegenteil. Du wirst in meinem Plattenschrank keine SALTATIO MORTIS- oder IN EXTREMO-Scheibe finden.

Holger:
Was bietet euer Plattenregal aus diesem Sektor?

Meister Selbfried:
SIX FEET UNDER, CANNIBAL CORPSE, UNLEASHED, PSYCROPTIC, ILLDIPOSED, INTO ETERNITY(!), YATTERING (!!!), KATATONIA, PRIMORDIAL... Dies sind ein paar Bands, die in meinem Plattenregal stehen – von denen hab ich auch T-Shirts... ;-)

Holger:
Also ist es nicht seltsam für euch mit einem Mag namens Powermetal.de ein Interview zu führen?

Meister Selbfried:
Ne, wieso? ;-)

Holger:
Na, das ist doch mal schön zu hören! Herzlichen Dank für deine Zeit!

Redakteur:
Holger Andrae

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