CRADLE OF FILTH: Interview mit Dave Pybus
01.01.1970 | 01:00Entgegen der öffentlichen Meinung sind die meisten Metalbands ja ziemlich handzahm, wenn es um das alltäglich Zwischenmenschliche geht. Unter Beweis wurde diese These mal wieder von Dave Pybus gestellt, besessener Fan der MISFITS, Verehrer von MELISSA AUF DER MAUR und nur ganz nebenbei Bassist bei CRADLE OF FILTH.
Deshalb zuerst seine Frage: Was ist POWERMETAL.de?
Eins der größten deutschen Metal-Webmagazine - denke ich zumindest ...
Stirnrunzeln ... Und wir schreiben nur über Metal?
Gottseidank nicht - ich würde bekloppt dabei werden. Ein Fingerzeig aufs T-Shirt genügt, um Daves Zweifel auszuräumen und in Begeisterung zu verwandeln. "The Power Of Metal, Rock And Gothic" - gute Mischung. Er fände Webzines sowieso cool, weil man sich da nicht dauernd dumm und dämlich suchen müsste.
Danke für die Blumen, aber ist es nicht eigentlich an mir, rumzuschleimen, bis er mit den richtigen Antworten rausrückt?
Tatsache. Das Grinsen zieht sich unter der Studentenbrille bis über beide Ohren. Sowieso sieht der Mensch in natura mal extrem unmetallisch aus, eher wie ein 100-Semester-Student mit Hang zur Farbe Schwarz.
Also, wie war das mit dem Rumschleimen? Wie ich denn die sechs Tracks fände, die Journalisten vorab bekamen, um sich ein Bild von der neuen Platte zu machen?
Interessant waren diese sechs Tracks auf jeden Fall, um einiges härter als das, was man so von der Band gewohnt ist, und vor allem ist recht wenig Melodie vorhanden. Das Songwriting?
Naja, die Band hätte in der Tat nie wirklich aufgehört, Ideen aufzuschreiben und in den Tourpausen aufzunehmen. Natürlich sei es extrem schwer gewesen, während des letzten Jahres an neue Songs zu denken, da man ja quasi ununterbrochen auf Tour gewesen sei. Zwischen 110 Konzerte so etwas wie eine Jamsession zu packen, sei ziemlich krass gewesen, aber eben nicht unmöglich, und das Aufnahme-Equipment, was man dabei hatte, war gut genug, um am Ende den Jungs sehr deutlich machen zu können, wie sich deine Idee in Wirklichkeit anhört, sei es mit der Gitarre, den Drums oder dem Bass. Das Album sei eigentlich aus so einer Tausch-Aktion entstanden, in der du deine Ideen dem Rest präsentierst, sie entweder einverstanden sind, oder dir klarmachen, dass das Müll ist, um dein Tape am Ende doch einzupacken und zuhause neu aufzunehmen. Einige Songs seien so innerhalb von wenigen Stunden entstanden, für andere habe man sich aber ziemlich den Kopf zerbrochen, und letztendlich die Band aus ihren Heimatorten entführt, um sie in ein Studio einzusperren und dafür zu sorgen, dass sich alle auf die Arbeit konzentrierten. Die Orchesteraufnahmen und der weibliche Gastgesang hätten das Ganze dann in ein einziges Chaos verwandelt.
Dave Pybus selber trat der Band ja mitten in den Aufnahmearbeiten zur "Damnation And A Day" bei und wurde so vor vollendete Tatsachen gestellt, die er einfach nur nachzuspielen hatte.
Die Miene, die eben noch erleichtert über die chaotischen Aufnahmen zum neuen Album lachte, verzieht sich zu einer Grimasse.
Sehr, sehr schwierig sei das gewesen, weil man keine Songs auf Anhieb einspielen kann, die man noch nie gehört hatte und mit denen man sich ja als Bandneuling noch nicht wirklich identifizierte. Das resultierte dann darin, dass man fünf bis sechs Stunden am Tag ununterbrochen jammte, um das richtige Gefühl für die Musik zu bekommen, manchmal hätte das geklappt, und manchmal eben nicht, wie eine Achterbahnfahrt halt, wähend der man versucht, die neuen Songs einzuspielen und die alten gleichzeitig auswendig zu lernen. Zum Kotzen. Dabei war die "Damnation And A Day" als verdammt großes Ding geplant, mit dem ganzen Orchester und so, etwas Besonderes halt, nicht nur Computermusik, die mit ein paar Gitarren auf CD gepresst wird, da stand die Atmosphäre einfach an erster Stelle. Seine großen Augen fokussieren mich eine Weile über den Rand der Brille hinweg. Ob ich ihm den Unterschied zwischen den alten Alben und der "Nymphetamine" nennen könne?
Der Unterschied liegt eigentlich auf der Hand. Die neue Scheibe hört sich natürlicher, härter und aggressiver an, als das, was man von CRADLE in der Vergangenheit zu hören bekam ... einfach mehr Rockmusik.
Pybus lässt das Wort im Raum stehen, als hätte er es gerade zum ersten Mal gehört.
Rockmusik.
Das ist es. Rockmusik!
Und das ist die Idee? Rockmusik? Was genau war denn die Idee für das neue Album, als man zurück ins Studio ging, gab es da einen Masterplan?
Japp. Nachdem man die "Damnation And A Day" gemacht hatte, wollte man einfach etwas Griffigeres, Präziseres machen. Nicht, dass die Songs zu kurz seien, es ist schließlich ein Neun-Songs-Album ... Aber die Ideen sind einfach konzentrierter. Es ist natürlich einfach, ein neues Album aufzunehmen, das genauso wie die vorherigen klingt, aber das sei einfach nicht CRADLE OF FILTH, das seien nicht sie. Denn ihre Musik, Metal oder Black Metal, ihre Musik basiert einfach auf Atmosphäre in den Arrangements, und das sei verdammt harte Arbeit, so etwas wie Atmosphäre überhaupt hinzubekommen.
Apropos Atmosphäre: Immer wieder bekam man in letzter Zeit zu lesen, dass sich das neue Album vor allem um Sex drehen würde ...
Um Frauen, um genau zu sein. Und um zwischenmenschliche Beziehungen jeder Art, nicht nur mit Frauen ... Irgendjemand hier hätte ihm mal gesagt, es sei "die schönste Sache der Welt", was sich in seinem Cornwall'schen Inselenglisch sehr interessant anhört. Da sei zum Beispiel der Titel ... die Nymphe, klar, eine mystische Frau, die eigentlich nur Sex im Kopf hat, und dann natürlich mit Amphetamin die Droge ... Was ja beides im Grunde auf dasselbe herauslaufen würde - hemmungsloses Vergnügen, und davon handelt die Platte.
Na toll, gerade wenn Dani und Konsorten ein Album über Wollust und Extase schreiben, wird ihre Musik härter?
Dave zuckt die Schultern. Frauen und Drogen sind natürliche sehr simple Themen - aber eben auch sehr aggressiv und fordernd. Und die einfache Thematik ermöglicht es der Band auch, ihre musikalischen Möglichkeiten zu konzentrieren und so ein heftiges Album zu kreieren. Viel könnte er selber zu den Songtexten auch nicht sagen, auf www.cradleoffilth.com habe Dani einzelne Songs erklärt.
Wie war der Wechseln von ANATHEMA, welche ja bekanntlich sehr Gothic-geprägt sind, zu CRADLE OF FILTH? Irgendeine Verbindung zwischen den Bands?
Nö, eigentlich gar keine. Unglücklicherweise hat sich seine eigene Band, in der er Sänger war, aufgelöst ... und diese Band hätte SEINE Vorstellung von Musik dargestellt, ANATHEMA hingegen war die Vorstellung eines anderen, und CRADLE OF FILTH dann wiederum die Vorstellung eines anderen. Ihm wäre dieser Job angeboten worden, und er hätte ihn angenommen - mehr nicht.
Sehr bescheidene Einstellung seiner Position in der Band gegenüber. Wie sieht er denn seinen eigenen Einfluss auf die Band? Das MISFITS-T-Shirt verrät schon einiges über seine musikalischen Vorlieben.
Keinen großen, der von dem Rest der Band abweichen würde. Für ihn sei das doch eh alles das Gleiche ... die vertonte Halloween-Nacht, ob nun MARILYN MANSON, AIR 5 oder CRADLE OF FILTH. Natürlich klängen die Bands sehr verschieden, jedoch gehörten sie doch alle zur selben Szene. Die Teufelsnacht, das wäre es, worauf es ihm ankomme. Er würde niemals in einer Band spielen, die über die Pickelprobleme verwöhnter Jugendlicher schreibt, oder über Saufen und Surfen. Das wäre einfach nichts für ihn. Außerdem hasse er dieses Schubladendenken innerhalb der Szene, was eigentlich nur dazu führe, dass Leute etwas künstlich auseinanderbrechen, was eigentlich zusammengehöre. Ich wüsste doch, worüber er spreche ... "The Power Of Metal, Rock And Gothic" ... Keine Grenzen!
Es gibt nur Rock 'n' Roll.
"Yeah, fucking!"
Interessant zu merken, das ist normalerweise etwas, das ich nur von NuMetal-Bands zu hören bekomme.
Dave winkt ab. Nicht nur NuMetal-Bands hätten sich mit diesem Denken rumzuschlagen. Obwohl er selber kaum NuMetal höre. KORN wären da die Einzigen, die hätten es schließlich geschafft, immer wieder alle möglichen Klone auf die Plätze zu verweisen. Dennoch würde er niemals auf die Idee kommen und denen sagen "Hey, ihr seid nicht Rock." Genau das sei der Grund, warum er Bassist sei, eine Horrorband, keine Regeln, keine Grenzen ...
Quasi eine Pan-Rock'n'Roll-Welt???
"Sounds a bit socialistic, eh?" untermauert mein Gegenüber noch einmal seine studentische Ausstrahlung, während Dani im Hotelgarten versucht, so lässig wie möglich auf einem Stuhl zu liegen und dabei ein Interview per Handy zu führen ... ohne auf die Fresse zu fliegen.
Noch einmal über die Szene ... CRADLE OF FILTH wurden schließlich durch die Kollaboration zwischen melodischer Symphonie und Black Metal bekannt, in einer Szene, die bis dahin als sehr satanistisch, nihilistisch, aggressiv und gewalttätig beschrieben wurde ...
Die bisher zwischen Grinsen und Lachen wechselnde Miene des Bassisten versteinert sich. Die Band habe mit diesem Schrott einfach nichts zu tun, er wüsste zwar nicht genau, wie das früher war, aber es gäbe da ein paar spezielle Persönlichkeiten in der Szene, die denken, dass es so etwas wie "Regeln" geben würde. Doch CRADLE OF FILTH, nein, sie würden diesen Regeln einfach nicht folgen, weil das schwachsinnig sei ... und nichts mit Musik als Kunst zu tun habe.
Das erste Zusammentreffen mit der Band? In anderen Interviews wird Dave ja nicht müde zu behaupten, dass sie ihn nach der Tour einfach nicht haben gehen lassen ...
Das Grinsen erfährt eine Widerbelebung. Das sei tatsächlich so gewesen. Er habe die Band ja durch Martin Powell kennen gelernt, den er noch aus seiner Zeit bei ANATHEMA kannte. Martin hätte ihn einfach gefragt, mit der Band zu jammen, da Robin die Band verließ und sie kurz vor einer großen Tour stünden. Schließlich hätte er als Ersatz-Bassist für die Tour angefangen, und zehn Monate später baten sie ihn, der Band beizutreten. Die üblichen Querelen à la "Eigentlich spiele ich ja gerade in einer Band", "Ich lebe jetzt in Ipswich!!!" und "Wie wollt ihr mich eigentlich bezahlen?" wurden mit einem Schulterzucken weggewischt: "Na ja, wir haben einfach keinen anderen!"
CRADLE OF FILTH sind ja nunmal nicht irgendeine Band, die sich einfach so auf die Bühne stellt. Meterdick Schminke, die Kostüme und das ganze Image der Band gehören schließlich auch gepflegt. Dennoch wurde Pybus selber überlassen, ob er sich diesen Stress antun wollte. Wirklich verstanden, worum es bei der Band überhaupt ging, hat er bei den drei Wochen, in denen er sich mit CRADLE OF FILTH–Marathonhören auf die Tour vorbereitete. Es würde einfach Spaß machen, die ganze Schminke, die Kostüme, die Shows ... Es sei ein Job, aber es mache Spaß, die MISFITS stellen doch ebenso ein Image dar ... und es sei eben was anderes als ANATHEMA. Aber große Bedeutung habe das nicht, jeder könne sich halt die Haare hochstecken, eine Gitarre nehmen und böse gucken. Die Fans kapierten schon, dass es nur um die Musik gehe, und darauf würde es ihm ankommen.
Die Bühnenperformance der Band wird ja nicht gerade selten als "arm" bezeichnet ... und das sei noch höflich ausgedrückt.
Pybus nickt - das sei typisch. Es sei halt nicht so einfach, die große Power der Alben auf die Bühne zu übertragen, und wenn man sich auf DVDs die Band von vor sechs Jahren ansehen würde, müsste man doch bemerken, dass das nicht mehr diesselbe sei. Trotzdem: Die MISFITS sind live auch grottig, und er findet sie trotzdem brillant. "So what?"
Irgendwelche Wünsche, die auf seiner Liste stehen?
"Well, I'm single now!" kommt wie aus der Pistole geschossen. Das sei ja etwas, was er unbedingt ändern wollte, bevor er die Schminke auch off-stage tragen muss. Mit seinem Einstieg bei ANATHEMA lag das alles etwas brach. Nicht, dass er seine Arbeit nicht lieben würde, mit Dani und den Jungs rumzuhängen sei immer noch das Größte - aber halt nicht alles.
Was ist mit den anderen? Geben die irgendwelchen Powermetal.co.uk- oder .jp-Schreiberlingen zur Zeit auch Interviews?
Nö, die sitzen in England und basteln zurzeit an ein paar neuen Tracks für irgendeine seltsame Special-Editition, die im Januar wohl rauskommen wird.
Die Frage nach der ex-THEATRE OF TRAGEDY Sängerin Liv Kristine würgt Dave schon im Ansatz ab: "Never met her ... no way ... but she sounds pretty cool!"
Die obligatorische "Was hörst du gerade?"-Frage bringt Dave auf eine Story rund um den Hintern von Melissa auf der Maur, die er wohl auf irgendeinem Festival in Skandinavien gesehen hätte. Die Bassplayer-meets-Bassplayer-Romanze wurde jedoch von seiner Band abgeschossen, bevor sie überhaupt beginnen konnte: Als ihn die ex-Bassistin der SMASHING PUMPKINS auf der Aftershow-Party suchte, da sie ihn in voller Montur bei ihrem Auftritt neben der Bühne stehen sah, nutzten Dani und Co. Dave's Abwesenheit, um der Dame klarzumachen, dass er ihr Konzert eigentlich nur angeschaut hat, um ihren Arsch zu begutachten, mehr nicht (was natürlich auf keinen Fall der Wahrheit entspricht).
Heute hofft Dave auf ein weiteres Treffen, um auf der Maur vom Gegenteil zu überzeugen. Das Ende des Festivals bestand für Dave aus einer kichernden Band und dem verkorksten Bassisten-Date: "Just to say: Thanks guys, that's the end of the bass-player love story ..."
- Redakteur:
- Michael Kulueke