CRYSTALLION: Listening-Session zu "Hundred Days"

20.08.2009 | 12:55

Exklusiv bei POWERMETAL.de: CRYSTALLION enthüllen bei der Listening-Session Artwork, Tracklist und die Songs des kommenden Albums

Der Süden, unendliche Weiten. In einem kleinen Städtchen Namens Siegsdorf in Bayern machte sich 2004 eine Gruppe junger Krieger mit viel Pathos und Power daran, den Sound zu spielen, den sie schon immer spielen wollten: Melodischen Power Metal. Im Prinzip von Stefan Gimpl und Martin Herzinger gegründet, fand sich die Band recht schnell zusammen und konnte schließlich mit Thomas Strübler am Mirko einen herausragenden Sänger finden. Der Rest des musikalischen Märchens ist schnell erzählt: CRYSTALLION gelangen zwei Paukenschläge namens "A Dark Enchanted Crystal Night" und "Hattin", die sie quasi über Nacht in die Arme des Hamburger Labels Dockyard 1 brachten.

Die hundert Tage des Napoleon

Ende Juli im Jahre des Herren 2009 treffe ich in den Helionstudios in München auf die Bandgründer, Stefan am Bass und Martin an den Drums, um das neueste Werk von CRYSTALLION zu hören. Nachdem wir uns alle mit dem güldenen Gerstensaft of best choice ausgestattet haben, kommt Stefan gleich zum Punkt: "Mit "Hundred Days" haben wir wieder ein Konzeptalbum kreiert. Es geht dabei um die hundert Tage, die Napoleon nach seiner kurzen Verbannung auf Elba wieder an die Macht kommt, bis er dann in der Schlacht von Waterloo endgültig geschlagen wird. Seine Ankunft in Frankreich ist Thema unseres ersten Songs 'Cloak And Dagger' – was soviel wie "Nacht- und Nebelaktion" bedeutet." Ganz im Sinne der Fans beginnt das dritte Album also mit Napoleons Worten: "Much to long I had to wait...", bevor sich ein episches Keyboard erhebt und wir direkt an die französische Küste des frühen 19. Jahrhunderts entführt werden.

Mit dem zweiten Song, 'The Sleeping Giant', bringt uns die Droschke gleichzeitig mit dem Kaiser direkt nach Paris, wo schon die erste Überraschung wartet: Rockiges, auf Groove zentriertes Riffing erwartet den Hörer. Anstatt den mit "A Dark Enchanted Crystal Night" und "Hattin" eingeschlagenen Weg epischer Bombastsounds weiterzuführen, stellt sich CRYSTALLION mit diesem Song in die Tradition zwar durchaus melodisch orientiertem, aber eben mehr dem Heavy-Segment zugeordneten Metal. Ein jazzig-angehauchter Pianopart und rockige Harmoniewechsel führen schon nach dem ersten Song zu der Frage, wieviel CRYSTALLION eigentlich noch in CRYSTALLION steckt? "Der Thomas," antwortet Stefan wie aus der Pistole geschossen. "Ich denke, dass es schon ein Stückchen weg ist vom alten Sound. Unterm Strich ist es natürlich immer noch Metal, aber unsere typischen Trademarks könnte ich jetzt nicht mehr so erkennen. Aber das können Außenstehende natürlich immer besser beurteilen."

"Happy-Dramatic-Power-Heavy-Metal"

Während in den Vorgängerwerken eher Analogien zum Genre der Konsorten wie HELLOWEEN, GAMMA RAY oder frühe EDGUY zu finden waren, definiert sich CRYSTALLION mit der neuen Platte neu – und das auf spannende Art und Weise. In 'A Cry In The Night' dominiert dann aber doch wieder mehr die rockige Attitüde und alles in allem dürfen Fans spätestens ab hier aufatmen: CRYSTALLION sind nach wie vor CRYSTALLION: Thomas Stimme erhebt sich außerordentlich stark über das straighte Riffing, akzentuiert vom Keyboard, und vermittelt eindrücklich das Thema des Songs: Die hohen Herren um Wellington hören vom wiedererwachten Giganten und rüsten sich zum Kampf. Das Break geht stark in die GRAVE-DIGGER-Richtung und ist Zeuge des Neuen. Endgültig im Ende Achtziger, Anfang Neunziger Melodic Metal/Hard Rock angesiedelt ist 'Sole Survivors In Ligny', das mich in Teilen an GLENMORE erinnert. Spannend sind die aggressiven Shouts von Thomas im Break, bevor es in einen epischen Chorpart übergeht – diese schallen nämlich echt mächtig durch die Bataillone und zeugen von der großen Variationsmöglichkeit des Ausnahmesängers. Alles in allem ein "Happy-Dramatic-Song", starker Nackenbrecher und todsicher eine Live-Granate.

'Nations Falling' ist wiederum ein straighter Rocksong, basierend auf zwei Riffs und geht leicht gespielt leicht ins Ohr. Insgesamt legen CRYSTALLION auf "Hundred Days" mehr Wert auf metallischen, dem Rock zugeneigten Groove. "Ja, nachdem Martin, unser Schlagzeuger, jetzt schon über 30 ist, mussten wir das Tempo natürlich ein bisschen zurückschalten," liefert Stefan lachend die Erklärung, während Martin das mit Humor nimmt: "Na dann, Prost! Endlich sind wir auf 140 (bpm) und nicht mehr auf 190." Das coole an 'Nations Falling' ist vor allem der Refrain, der das Thema des Songs, die Vorahnung von Waterloo, perfekt umsetzt: "Nations falling, death is calling (Waterloo!)". Mit einem SAVATAGE-Gedächtnisintro beginnt 'Hougoumont', für mich der beste Song des Albums. Geradlinieges Riffing und schlüssiges Songwriting machen den Song zu einem echten Hit. Inhaltlich geht es um den ersten Angriff der Franzosen bei Hougoumont, super umgesetzt durch ein speed-metallischen Riff im Break und einen eingängigen Refrain. Bei 'Under Heavy Fire' ist der Name Programm: Dominiert von einem direkt aus den Achtzigern importierten Keyboard bahnt sich die kompromisslos Gitarre ihren Weg durch die Reihen der Soldaten. "Dieser Song mit den gegenläufigen Gitarren- und Keyboardmelodien wird dann wahrscheinlich auch unser Live-Opener," erklärt Stefan stolz.

Das Ziel: Nicht einfache, aber gute Songs zu schreiben

Neben allem Lob macht sich aber auch ein Kritikpunkt immer deutlicher bemerkbar: Der Aufbau der Songs ist durchgängig nach dem Schema Strophe-Chorus-Strophe-Chorus-Solo-Break-Chorus. Das macht die durchweg guten Titel sehr vorhersehbar. Doch das ist durchaus so gewollt, wie Stefan ausführt: "Dieses Schema gibt’s ja schon seit den Achtzigern. Das war genau das Ziel, das wollten wir haben. Natürlich ist das vorhersehbarer, aber so gehen die Songs leichter ins Ohr und das macht mehr Spaß." Macht es denn Sinn, nach einer so tollen Platte wie "Hattin" einfache Songs zu schreiben? "Das Ziel ist ja nicht, einfache, sondern gute und schöne Songs zu schreiben, die leicht verdaulich und damit leicht aufnehmbar sind," widerspricht Stefan. So gesehen ergibt das natürlich Sinn, und gerade 'We Stand Aligned' setzt diesen Anspruch toll um: Schönstes Riffing a la Teutonenstahl der Marke GRAVE DIGGER mit deutlichen NWoBHM-Anleihen ergibt einen neuen Kracher. Das Thema der sich aufbrauenden und schließlich massiv eintretenden Niederlage während der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 wird auch vom vorletzten Song und Titeltrack des Albums 'Hundred Days' aufgegriffen. In diesem Song wird Napoleon zum zweiten Mal in die Verbannung geschickt, wo er schlussendlich auch sterben wird. "Its the end, we've lost it all" leitet einen stimmigen, dramatischen Song ein. "Das ist eigentlich der untypischste CRYSTALLION-Song," leitet Stefan ein und behält recht. Episch und Endzeitstimmung verbreitend bieten sich Gitarre und Piano ein finales Duell, bevor ein Chor in Richtung AVANTASIA das Ende einleitet.

Was fehlt nun noch? Genau, die Ballade! Und diese liefern CRYSTALLION prombt: 'The Bravest Of The Brave' zeigt, dass sich die Herren auch vor dieser Pflicht nicht drücken müssen: Der Text handelt von Michel Ney, den tapfersten und den tapferen Generälen des Napoleon, welcher nicht wie viele seiner Kollegen floh und deshalb schließlich in Paris hingerichtet wurde – wobei er selbst den Schießbefehl gab. Ein dramatischer Stoff, der durch den warmen und einerseits überlegten, andererseits mit viel Pathos vorgetragenen Gesang von Thomas perfekt umgesetzt wird. Ein toller Ausklang, der zum Resümee einlädt. Wenn der Produzent der Helion Studios Seref-Alexander Badir im Interview von einem deutlichen Fortschritt im Hinblick auf Professionalität und Konsequenz in der Umsetzung der Ziele spricht, so trifft das den Nagel auf den Kopf: CRYSTALLION definieren sich mit "Hundred Days" neu, probieren einige Sachen aus und schaffen sich konsequent einen neuen Klanghorizont. Natürlich birgt solch ein großer Schritt immer die Gefahr, sich zu verhaspeln oder gar zu stolpern. Doch genau dies passiert nicht, das Album schallt klasse aus den Boxen, epische Chöre reihen sich an rockiges Riffing und so bleibt das finale Urteil: CRYSTALLION sind da, zwar anders als erwartet, aber mit Macht – freut euch auf die letzten hundert Tage des Napoleon!

Redakteur:
Julian Rohrer

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