DARK FORTRESS: Interview mit Morean (Teil II)
23.11.2014 | 11:39Um mal auf den Inhalt zu sprechen zu kommen: "Ylem" war ja textlich gesehen ziemlich nihilistisch, während "Venereal Dawn", wie du selber gesagt hast, spirituell verstanden werden soll. Letztendlich sind das ja zwei sehr gegensätzliche Pole. Wie kannst du dich dazwischen verorten?
Also... ich bin selbst ja Atheist, gehöre keiner Religion oder sonst irgendwas an, aber ich bin auch immer spirituell gewesen. Ich hab irgendwann mal den Begriff "spiritueller Nihilismus" gehört. Der ist ein bisschen anders als der klassische Nihilismus, der ja eigentlich jede Art von Bedeutung in der Welt ablehnt. Spiritueller Nihilismus bedeutet, dass du spirituell aktiv bist, dir der feinstofflichen Ebenen und so weiter bewusst bist, aber dass du nicht unter der Autorität irgendeines Gottes stehst. Du bist also quasi ein Freigeist, der auch durch die astralen Sphären schwebt. Darin kann ich mich eher finden. Ich bin zwar ein großer Freund der Wissenschaft geworden, einfach, weil da so viele spannende Sachen passieren und sich Wissenschaft und Magie in den Extremen immer mehr annähern. Die Linien verschwimmen immer mehr in den cutting-edge-Sachen wie Quantenphysik einerseits und Chaosmagie andererseits. Ich glaube schon, dass da eine Wirklichkeit, eine wahre Wirklichkeit ist, in der wir stehen, welche sowohl in der Wissenschaft, als auch in der Spiritualität immer mehr ans Tageslicht kommt.
Was jetzt das Album betrifft... Es gibt ja das Szenario mit dem Sonnenlicht, was alles krank macht, die Welt aus den Angeln reißt und diese Wesenheiten, die auf dem Licht diese Welt sozusagen erobern. Aber wenn ich das dabei gelassen hätte, dann wär's ein B-Movie-Szenario geblieben und ich habe gemerkt, auch weil die Musik sehr emotional ist, dass ich die eben diese aus einer emotionalen oder humanen Perspektive schreiben möchte. Und das war bei "Ylem" überhaupt nicht so. Bei "Ylem" war's der total distanzierte Blick, fast schon außerhalb des Universums, der dabei zuschaut, wie dieses Universum verreckt. Mir ging es zu dieser Zeit emotional auch so. Mir ging es jetzt nicht superscheiße, aber es war eine Zeit, in der ich, wenn ich in mir nach meinen "spirituellen Gefühlen" gesucht habe, vor allem gefunden habe, wie scheiße wir Menschen als Rasse sind und dass eigentlich jedes Weltbild einmal zusammenbricht, weil es doch sowieso Blödsinn ist.
Aber obwohl ich das damals durchaus so gemeint habe, ist man doch irgendwann einmal fertig mit dem Nihilismus. Also weißt du, irgendwann hast du alles gesagt. Auch die beiden NONEUCLID-Platten sind ähnlich hoffnungslos in den Texten und irgendwann war ich damit einfach durch, weswegen ich auf der neuen Platte eine Perspektive einer mentalen, spirituellen Entwicklung brauchte. Und die habe ich dann aufgehängt an diesem Typen, der da geopfert wird, der weiß, er kann sich nicht dagegen wehren, er wird sowieso verrecken – es ist nur die Frage, wie geht er damit um und schafft er es noch irgendeinen, wie auch immer gearteten Nutzen aus dieser Katastrophe zu ziehen. Das gab mir ein Spannungsfeld, das groß genug war, da auch emotional in die Tiefe zu gehen. Irgendwo ist es ja eine klassische Katharsis: Ein vollkommenes Desaster, ausweglos, führt zu einem wertvollen Prozess, dadurch, dass man den Blickwinkel ändert. Beantwortet das deine Frage ein bisschen?
Ja genau. Aber die Welt ist ja eigentlich sehr viel komplexer und reicher als wir das oft peilen. Ich war mir schon immer bewusst, dass es da draußen noch viel mehr gibt, als wir wissen. Wir dürfen auch nicht unsere eigene extrem limitierte Perspektive mit unseren Affenhirnen zum Maß aller Dinge erheben und glauben, alles was wir nicht sehen, gibt’s nicht. Das wäre ja auch bescheuert. Daher könnte man auch sagen, dass wäre eigentlich Agnostik, aber die Agnostiker sind mir dann wieder zu vage. Die ziehen sich fein aus der Affäre, weil sie sagen "ja, das kann keiner wissen". Und das stimmt ja auch vollkommen. Jeder der etwas sagt über das, was nach dem Tod passiert, weiß, dass es Bullshit ist, weil man es eben einfach nicht weiß. Egal ob ich jetzt sage, da ist nichts oder da ist was. Aber ich finde, man macht es sich etwas einfach, wenn man sagt, "ja gut, dann denke ich halt überhaupt nicht über das Ganze nach". Man hat doch als Mensch auch das Bedürfnis, zu verstehen, oder zu versuchen, zu verstehen, was das hier eigentlich alles sein soll.
Absolut. Genau diesen entscheidenden Schritt, dass man die eigenen beschränkten Erkenntnismöglichkeiten zum Maß aller Dinge macht, geschieht in meinen Augen viel zu sehr in den betreffenden Diskussionen.
Ja, ich meine, wir wissen ja jetzt auch schon seit mittlerweile 100 Jahren, dass Materie nicht Materie ist (lacht). Das ist ja der Witz an der Quantenphysik, dass gesagt wird, das gibt es eigentlich gar nicht. Wenn du irgendwas anschaust, ist es ein Partikel und wenn du wegschaust, eine Welle. Das hat eigentlich sowieso schon diesem Die-Hard-Materialismus ein bisschen den Boden unter den Füßen weggezogen. Wenn man weit genug rausgeht, oder weit genug reingeht in Makro- oder Mikrokosmos, verschwimmen die Grenzen sowieso und es werden mit Sicherheit noch viele Entdeckungen kommen, die unser Weltbild komplett umwerfen werden und das kann heute schon passieren.
Auf dieser Sinnsuche, was hat dich da am meisten geprägt?
Eine komplexe Frage (lacht). Nun ja, ich hatte schon immer eine Vorliebe für das Morbide und in meiner Jugend ging es los, dass ich alle möglichen abgründigen Erfahrungen hatte, spirituell gesehen. Das fing an mit endlosen Albträumen jahrelang, bei Tag und bei Nacht, so dass ich meinte, ich verlier den Verstand. Halluzinationen, Angstzustände, einen kompletten Realitätsverlust hatte ich eine Zeit lang, was mich sehr geprägt hat. Und ich habe gemerkt, dass mir die Außenwelt eigentlich keine Patentlösung dafür geben kann. Mit ein paar Freunden habe ich dann aus diesen Höllen herausgefunden, wir haben uns an den eigenen Schöpfen sozusagen aus diesem philosophischen Abgrund gezogen. Wir haben natürlich auch eine Vorliebe für das Okkulte geteilt und waren da sehr sehr aktiv und sind dann am ehesten aus eigener Kraft herausgekommen und nicht, weil wir uns systematisch verblöden ließen und nur noch einer Lehre folgten, oder so.
Was Autoren betrifft, waren für mich immer die wichtigsten, die diese geistige Unabhängigkeit und das Selberdenken fördern. Konkret war das ein okkulter Autor namens Peter J. Caroll, der einer der Grundleger der Chaosmagie war, die ja nicht ewig weit weg von den traditionellen Schulen der Magie ist, aber sehr viel offener und luzider, was den Wahrheitsgehalt ihrer Formeln angeht. Nicht so dogmatisch wie die Ritualmagie. Er versucht halt zu entlarven, wie willkürlich alles ist und versucht zu erklären, dass man alles ändern kann und einem ein Werkzeug dazu in die Hand zu geben. Das heißt, je weniger du abhängig von irgendeinem Guru, oder Meister oder Pfarrer oder sonstwas bist, desto freier bist du und desto mehr kann man eigentlich zu dem Mensch werden, der man wirklich ist. Das war der eine, natürlich waren auch Aleister Crowley und Austin Osman Spare und die ganzen klassischen magischen Schreiber sehr wichtig. Eigentlich geht es ja in der Magie auch schon ewig um diese Selbstbefreiung. Den Alchemisten ging es nicht darum, Gold zu haben, sondern diese innere Verwandlung vollziehen zu können und weil es ein sehr schwieriger Weg ist, sind die Leute geneigt, sich da an irgendein Dogma zu klammern, weil sie glauben, irgendeiner kann's und man selber nicht. Einer der grundlegenden Irrtümer, die man da sehr schnell machen kann.
Der andere, der mich wirklich beeindruckt hat, war Jiddu Krishnamurti, jemand ganz anderes eigentlich. Er war ein spiritueller Lehrer, der aus Indien kam. Das geile an dem war, die Theosophische Gesellschaft wollte eigentlich, dass er der Messias wird. Die haben sich da also ihren Messias gezüchtet und ihn auch im Kleinkindalter darauf geeicht und dann war es irgendwann soweit, mit 16 oder was, als er sein Amt antreten sollte und dann hat der gesagt, "ne, mach ich nicht, die Leute brauchen mich überhaupt nicht, weil, wenn man genau hinschaut, sieht man, dass alles, was man braucht, schon um einen herum ist." Er hat dann den Rest seines Lebens damit verbracht, durch die Welt zu tingeln und den Leuten zu erzählen, dass sie weder ihn noch irgendeinen anderen Heiland im Amtsgewand brauchen, um näher zu sich selber, oder zu Gott, oder zum Paradies zu kommen. Das hat einfach so viel Bullshit in mir für immer gelöscht, dass ich seither eigentlich ein glücklicher, nicht-Definierer der Dinge bin. (lacht)
Ich meine, das sind ja sehr komplexe Sachen und gerade spirituelle Erfahrungen sind ja nur sehr schwer in Worte zu fassen, weil wir die Wörter gar nicht haben, um sie zu beschreiben, weil sie einfach vollkommen aus unserer Kultur, unserem Wortschatz verschwunden sind. Was ich halt sehe in der Religion, ist, dass wenn jemand versucht, das zu beschreiben, man nur über die Definition der verschiedenen Wörter stolpert, die der dann gebraucht hat. Und so streitet man die ganze Zeit über die Definitionen – ein Beispiel ist natürlich "janee, es ist Gott" – "nein es ist Allah" – "nein es ist Jahwe" etc. blabla, es ist doch alles derselbe Mist, seht ihr das nicht? Von daher kann ich dir jetzt auch nicht sagen, ich bin was für ein –ismus auch immer, weil ich einfach gelernt habe, dass jede Definition limitiert ist und deswegen auch nicht alles beinhalten kann.
Danke für diese wunderschöne Antwort! Zurück zum Album – zusammengefasst lässt sich zu "Venereal Dawn" also sagen, dass wir hier die Vergänglichkeit ins Extrem gesteigert sehen und die Möglichkeit daran zu wachsen, wie der Titel auch andeutet. Also ist es nicht rein apokalyptisch und finster, sondern mehr eine Sache der Perspektive, ob man das als (persönliche) Apokalypse wahrnimmt oder ob das nur oberflächlich so aussieht...
Genau, oder ob man es als Parabel sieht, weil es die Emotionen sind die dahinter stecken, die in dieses doch sehr fiktive Rahmenwerk verbraten wurden - und doch sind die Emotionen eben menschliche Emotionen. Jeder hat diese Emotionen, jeder fühlt sich mal chancenlos ausgeliefert, jeder muss sich mal mit irgendwelchen mehr oder weniger schrecklichen Dingen rumschlagen, die er einfach nicht loswerden kann. Von dem her glaube ich schon, dass, obwohl das Setting „nicht von dieser Welt“ ist, sich die Leute schon in den verschiedenen Emotionen auch finden können. Das sind eigentlich alltägliche Emotionen, nur ins Extrem gesteigert.
Gerade 'Luciform' kann man ja auch mit dem Leib-Seele-Konflikt, einer Frage nach der Seele in Verbindung bringen. Der Song handelt ja im Prinzip davon, wie weit man einen Seelen-Striptease im wahrsten Sinne des Wortes führen kann. Wie weit kann der deiner Meinung nach gehen?
(lacht) Erstmal danke für diese Frage. Auf dem Album beantworte ich sie mit einem klaren "ja". Es gibt einen Seelenkern, einfach deswegen, weil wir im Leben ja "lokalisiert" sind. Wir sind an einem gewissen Punkt und unsere Wahrnehmung bezieht sich auch immer auf diesen Punkt, von dem aus wir die Welt wahrnehmen. Von dem aus wir auch getrieben werden, irgendetwas zu tun. Wille und Wahrnehmung sind irgendwie die beiden Kern-Eigenschaften, die man als lebendes Wesen hat. Allerdings glaube ich, irren wir uns bei ganz vielen Dingen, von denen wir glauben "das ist unser Wesenskern", weil vieles ja doch auferlegt ist und vieles auch wandelbar ist. Das heißt, wenn man sich so sehr mit seinen Eigenschaften, oder seinem Aussehen oder seinen Verdiensten identifiziert, dann legt man sich selber eigentlich unwillkürlich in Ketten, weil man sich dann reduziert auf dass, was man schon mal erlebt hat, von dem man weiß "aha, also das bin ich – klar bin ich intelligent". Und dann läufst du mit diesem Stempel "intelligent" rum, bis dir mal der Bumerang an den Hinterkopf klatscht und du merkst, dass du mal wieder was Saublödes gemacht hast.
Ist ein etwas blödes Beispiel, aber die Frage ist die: Wie viele Zwiebelschichten kannst du von dir entfernen, so dass du trotzdem diesen Kern wahrnehmen kannst? Man kann auch einen physischen Vergleich ziehen: Du bist der Mensch. Zwei Arme, zwei Beine, ein Kopf und so weiter. Dann hackst du die Arme ab, hackst du die Beine ab, machst ihn blind etc. und nichts trifft das Bewusstsein wirklich. Es sitzt nicht in den Augen. Vielleicht im Hirn – vielleicht aber auch nicht. Vielleicht in den Knochen, vielleicht im Nervensystem oder vielleicht ist es wirklich ein formloser Punkt, der angekleidet ist von all diesen physischen Schichten im Körper und auch all den mentalen Schichten, die später als Identität wahrgenommen werden.
Das ist eine total spannende Frage. Wenn man das hypothetisch – wie ich es auf dem Album ja auch mache – mal schaut, wie weit kann man darin gehen, dann bin ich mir sicher, man kann sich wirklich auf etwas, was zwar definitiv anwesend ist, aber was man ansonsten eigentlich nicht mehr beschreiben kann, reduzieren und das ist vielleicht auch schon weniger als das, was man ist. Das heißt also, ich setze ein energetisches Bewusstsein, oder einen energetischen Kern, der eventuell keine dimensionale Ausdehnung hat, schon voraus. Ich glaube, sonst gäbe es uns schlicht und ergreifend nicht. Das sieht man ja auch bei Schizophrenen, die einen Persönlichkeitsverlust erleiden und wo "drinnen" keiner mehr da ist. Die sind ja dann wirklich verloren, was ihre Identität betrifft. Die werden dann ferngesteuert, von einem willkürlichen Gedankenstrom, der aber keinen heimischen Hafen mehr im Kopf findet. Ich glaube, wenn man jetzt voraussetzen würde, es gibt keinen Persönlichkeitskern, kein Ego oder kein individuelles Bewusstsein, ist man gezwungen, sich aufzulösen, zu akzeptieren, dass man eigentlich nichts ist, außer ein bisschen kondensierter Wasserdampf, der halt zufällig einen Sack Fleisch mit sich rumschleppt.
Und dann stellt sich mir aber die Frage: Ja warum lebt man dann? Warum kriegt man dieses Geschenk einer individuellen Inkarnation, wenn man sein Leben vor allem darauf ausrichten soll, es zu ignorieren? Egal ob das die katholische "mortification of the flesh" ist, du weißt schon, dass alles Fleisch irgendwie sündig ist. Das ist schon, wie ich finde, der erste vollkommene Fehlgriff. Man hat ja nun mal dieses Leben, was soll man denn sonst machen? Und im Buddhismus, so sympathisch er ist, würde mir das zu sehr am Leben selbst vorbei gehen. Ich meine, wenn ich schon lebe, dann will ich auch leben. Die Buddhisten versuchen ja, soweit ich das verstehe, über das Reduzieren der Teilnehme an der Welt, diesen Weg zu gehen. Aber ich glaube, man kann das gleiche Ziel auch erreichen, wenn man den anderen Weg geht, nämlich über alles. Buddhisten wollen das Nichts, aber ich glaube, man kann auch das „Alles“ suchen und versuchen, so krass wie es nur geht, alles zu erleben und an allem teilzunehmen und ich glaube, dass dieser Weg zu ähnlichen Erlebnissen und Erleuchtungen führen kann, als wenn man sich jetzt der Welt komplett entzieht.
Zurück zur Musik – Du bist in deiner Jugend ja quasi mirnichtsdirnichts von Landshut nach Rotterdam gegangen, um dort zu studieren. Wie bist du dazu gekommen? Das ist ja schon ein Schritt...
Ja stimmt, das war ein riesen Schritt. Ich meine, ich saß in Landshut und wollte Komposition und Flamenco-Gitarre studieren und damals haben mich dort nur alle ausgelacht. Ich komme auch nicht aus einer Musikerfamilie, wo ich über die Eltern konkrete Hilfe hätte kriegen können und war echt frustriert, weil ich genau wusste, was ich wollte, aber nicht, wie ich dahin kommen kann. Das war auch zu der Zeit, so kurz vor und nach dem Abi, wo man ja sowieso mit der Frage konfrontiert wird, "was macht man denn im Leben?" und bei allem, was uns an Standard-Sachen angeboten wurde, war halt nichts dabei für mich und es war eine schreckliche Aussicht, vielleicht doch Englisch-Lehrer zu werden oder Fensterputzer zu bleiben. Da war dieses ganze Zeug in mir, das auch raus wollte. Und ich wollte aber auch gerne Musik studieren, weil ich einen guten, theoretischen Hintergrund haben wollte und die Technik gut lernen wollte.
In Deutschland war's damals noch so, dass man hier nur Klassik und Jazz studieren konnte. Für Klassik war ich zu schlecht und mir war auch ein großer Teil der Literatur viel zu bieder, von Jazz hatte ich überhaupt keine Ahnung. Deswegen hat das eine ganze Weile gedauert. Ich hätte vermutlich am liebsten E-Gitarre oder Metal studiert (lacht). Ich bin aber ganz froh, dass ich das nicht gemacht habe. Ich habe dann Flamenco entdeckt und dass man das in Rotterdam studieren kann. Für mich war Flamenco quasi "der Death Metal der Akustik-Gitarre" wie ein Freund von mir mal gesagt hat. Da geht's halt ab wie die Sau, es ist alles super-schnell und rhythmisch und so weiter und für mich war das die Alternative, die ich wirklich geil fand.
Dann bin ich eben nach Rotterdam gegangen und habe eigentlich mehr aus Neugierde den Dozenten für klassische Komposition meinen Kram gezeigt und wider Erwarten haben die mich genommen. Dann habe ich angefangen, mehr so Gaudi-halber klassische Sachen zu schreiben, soweit ich das damals halt konnte. Das ging aber gleich von Anfang an so ab, dass die Leute seit meiner ersten Aufführung damals irgendwie Zeug von mir haben wollen und das hat nie aufgehört, so dass ich wirklich völlig wider mein eigenes Erwarten schon seit 15 Jahren sozusagen professioneller klassischer Komponist bin. Nur weil die in Holland so cool waren und ich zufällig über ein paar Ecken da gelandet bin. Ich bin so froh, dass ich keinen Kompromiss eingegangen bin, dann würde es mir um einiges schlechter gehen.
Wir hatten es ja vorhin schon mal bei "The Deep" von Grenzüberschreitungen. Das hast du aber mit deinen Werken "Black Vortex Cathedral (A Death Metal-Symphony)" und "Transition Metal" [1] noch viel intensiver praktiziert. Ich warte da seit Jahren schon auf eine irgendwie geartete Veröffentlichung!
Dafür gibt es unser tiefstes Bedauern. Ich weiß auch nicht, was da passiert ist, aber irgendwie haben wir da eher ein tektonisches Tempo, in dem wir arbeiten. Es ist schlicht und ergreifend so wenig Zeit zu finden, weil wir auch noch tausend andere Sachen machen. Es ist so: Unsere erste Platte haben wir 2004 aufgenommen, die kam dann 2008, die zweite Platte haben wir 2007 aufgenommen, die kam dieses Jahr raus und deswegen war die Frage, wann wir das Orchester-Album fertig kriegen in diesem Jahr noch nicht so dringend, da wir ja noch das "Metatheosis"-Material herumliegen hatten. Deswegen haben wir uns etwas mehr auf die Live-Geschichten ausgerichtet, weil da auch wirklich gute Angebote kamen. Weniger im Metal, wo wir ja als Band weniger gerissen haben. Aber aus der Klassik kamen dann so Projekte mit Orchester, wie z.B. das Wagner-Projekt. Sowas denkst du dir nicht aus, sowas kann echt nur das Leben bringen. Jetzt, wo die "Methatheosis" wirklich draußen ist, macht es auch Sinn, das Orchester-Album fertig zu machen und rauszubringen.
Wir haben auch schon einiges aufgenommen und sind gut über der Hälfte, was den Produktionsprozess betrifft. Nur ist das eine richtig fette Produktion, wo du 150 Spuren rumfahren hast und nur eine Aufführung, wo die Hälfte daneben ging. Und was uns betrifft ist es eben nicht so, dass wir mal eben sagen "hier sind 100.000 Euro und wir fahren mal 'ne Woche nach Prag". Wir müssen die Orchester-Aufnahmen, die wir kriegen konnten, nehmen und nehmen dann unsere Parts im Studio auf, aber man muss ein bisschen "frankensteinen", weil wir mit NONEUCLID eigentlich eine viel zu kleine Band sind für sowas und all diese Faktoren zusammen sorgen dafür, dass es dann länger dauert, als man will. Aber es ist schon fest eingeplant und wenn Santura und ich die Zeit finden, dass wir uns mal ein paar Wochen hinsetzen, hoffe ich, dass wir die Platte nächstes Jahr rausbringen können.
Vor kurzem hast du "Schattenspiel" komponiert. [2] Wie zufrieden bist du mit dem natürlicherweise entstehenden dynamischen Konflikt zwischen der Akustik-Gitarre und dem ganzen Rest? Manchmal habe ich so ein bisschen das Gefühl, dass da viel Detailarbeit passiert und man es gar nicht so ganz würdigen kann.
Ja, da hast du völlig recht. Beide Gitarren waren verstärkt – wirklich geil verstärkt – und leider ist es dann passiert, dass das Radio es irgendwie verkackt hat, unsere Gitarrensignale mit aufzunehmen. Mir ist es ein völliges Rätsel, wie sowas passieren kann, weil das auch ansonsten eine echt fette Fernsehproduktion war. Das hat mich sehr geärgert und, wie du gesagt hast, die klassische Gitarre geht halt ziemlich unter. Der Typ war Wahnsinn und hat da mit sehr viel Eiern gespielt und die Idee war halt, dass man beide Gitarren immer hört. Das war also nicht im Sinne des Erfinders und eins dieser Dinge, wo du eine einzige Aufführung bekommst und ein Kabel kann es dann versauen, so dass es jetzt für alle Ewigkeit so rüberkommt, als wollte man, dass der Solist vom Orchester gefressen wird. Gottseidank war auch das Orchester so gut, dass das Stück auch als Ganzes noch funktioniert. Ich höre es mir mit sehr viel Genuss an, weiß aber eben auch, dass man da noch einiges verloren hat.
Es wird ja immer gesagt, dass Klassik und Rock so viel gemeinsam haben. Das stimmt vielleicht irgendwie auf inhaltlicher Ebene, ein ganz kleines bisschen vielleicht auf tonaler Ebene, aber vor allem sind es eigentlich krasse Gegensätze: Der Schlagzeuger haut auf ein Becken und die ganzen 50 Streicher können zu Hause bleiben. Gerade im Metal, gerade im extremen Metal. Die Musik ist so dicht und aufgeblasen und getriggert und alles ist noch fetter und lauter und jeder einzelne Schlag muss maximal reinhauen, die ganze Zeit, immer und überall – das finde ich voll geil, das macht den Metal geil. Aber das ist genau das, was die Klassik killt. Die lebt von diesem sehr breiten und äußerst subtilen Klangspektrum der Instrumente, so dass Ton x auf diesem Instrument ganz anders klingt als auf jenem, und dieser unglaubliche Reichtum an Farben und diese "Auflösung", die man dafür – auch in den Ohren – braucht, sorgt halt dafür, dass man, sobald man eine Band da ranklatscht, wenn du Pech hast, dir beides verlorengeht. So dass die Metalband nicht mehr gescheit rocken kann und du vom Orchester nicht mehr hörst als ein Quäken hier und da. Das ist wirklich eine verdammt hart zu knackende Nuss.
In "Schattenspiel" habe ich versucht, die E-Gitarre sozusagen auf ein "akustisches Level" zu bringen, keine E-Gitarre, die alles niederbrüllt, sondern sich in diesem klassischen Kontext entwickelt, aber man schwimmt natürlich immer ein bisschen in unbekannten Wassern. Denn das Orchester macht ja immer noch alles akustisch, die haben ein Stück Holz in der Hand und bei der Band kommt alles aus der PA. Auch im Symphonie-Orchester, wenn man jetzt mal Schlagwerk und das Klavier ausklammert, haben alle Instrumente verschiedene Ansätze, was die Töne betrifft. Wo der Beat jetzt genau ist, schwimmt er immer ein bisschen im Orchester und das macht es auch so geil. Durch dieses sich ständig verändernde Tempo lebt die Musik. Im Metal ist es genau das Gegenteil: Wenn man da nicht tight ist, ist es sofort vollkommen scheiße und alle Instrumente haben sehr klare und laute Anschläge. Das heißt, im Metal braucht man rhythmische Disziplin, sonst fällt man auseinander, während in der Klassik genau das bei 80 Leuten im Orchester wiederum dafür sorgt, dass es toll klingt und nicht nach Plastik. Dazwischen einen Mittelweg zu finden, habe ich oft versucht und werde es auch weiter versuchen, aber das ist wirklich verdammt schwierig.
...was zumindest bei "Schattenspiel" in meinen Ohren – trotz der Soundprobleme – gut geklappt hat. Morean, ich bedanke mich für die ausführlichen Antworten und wünsche euch weiterhin alles Gute!
Anmerkungen:
[2] Ein Konzert für Orchester, E-Gitarre und Konzertgitarre. Zum Kompositionsprozess und der Aufführung gibt es auch eine Doku inklusive des Konzertmitschnitts, die ihr euch hier (mit englischen Untertiteln) zu Gemüte führen könnt.
- Redakteur:
- Christian Schwarzer