DARK SUNS: Interview mit Niko Knappe, Torsten Wenzel

06.03.2008 | 21:59

Mit dem neuen Album "Grave Human Genuine" sollte den Leipziger Progressive Dark Ambient Metallern (das mal als unbeholfener Versuch eine Schublade für die Band zu benennen) von DARK SUNS nicht nur national der Sprung nach vorne gelingen. Lediglich ein "Geheimtipp" ist die Truppe nämlich schon lange nicht mehr. Dennoch ist die Musik der dunklen Sonnen zu komplex, zu vielseitig und zu reich an vielen interessanten Details um sie sofort zur Gänze erfassen zu können. Das sehen die mir zum Interview bereitstehenden Niko Knappe (v., dr.) und Torsten Wenzel (g.) nicht anders. Wer sich "Grave Human Genuine" anhört, müsse damit rechnen, dass "die ersten Hördurchläufe eher verstörend wirken und man erstmal eine Linie finden muss. Man braucht seine Zeit sich reinzuhören und dann entwickelt sich das Album, das war auch schon bei "Existence" so", repliziert Torsten. Dabei freut es die Band, dass auch die Pressevertreter bestätigen, dass man nicht "Existence 2" aufgenommen habe, sondern ein paar neue Wege betritt. Dieser Schritt von "Existence" zum neuen Album wird auch in den meisten Reviews anerkannt, eine gewisse Reife attestiert und der Fluss der Albums hervorgehoben. Hierbei sei bemerkenswert, dass DARK SUNS "dieses Mal das "akademische Viertel" weggelassen haben und uns auf eine Stunde intensiven musikalischen Trip eingelassen haben", wie Niko erzählt.
Das Feedback von Fans und Freunden sei hierbei grundsätzlich deckungsgleich, allerdings wären der Band nahe stehende Leute im ersten Eindruck "anfangs auch etwas skeptisch, ob wir uns hier und da nicht etwas zu weit aus dem Fenster lehnen und harmonisch in einem sehr verklärten Umfeld bewegen, aber mittlerweile finden es alle genial, die auch "Existence" schätzten, entdecken jedes Mal neue Details und merken plötzlich, dass das arschrunde Songs sind".

Die Tatsache, dass "Grave Human Genuine" mit einer knappen Stunde Laufzeit um einiges kürzer daherkommt als der Vorgänger "Existence" (den man sogar noch um 5 Minuten kürzen musste, damit die Songs überhaupt auf eine CD passten), legt die Vermutung nahe, dass die Band dieses Mal fokussierter vorgegangen ist und sich von Vornherein auf das Wesentliche beschränkt hat. Torsten gibt mit recht, obwohl man Unmengen an Ideen gesammelt und zwischenzeitlich sogar damit geliebäugelt habe, ein Doppelalbum draus zu machen. "Aber glücklicherweise haben wir uns auf das Wesentliche, die Quintessenz von allem beschränkt, das macht auch eine Stärke der Platte aus, dass man nicht mehr ausufert", führt der Gitarrero weiter aus. Niko ergänzt: "In der Endphase des Songwriting-Prozesses haben wir uns von mindestens 40 Minuten Musik getrennt", wobei es rückblickend definitiv die bessere Entscheidung gewesen sei, ein bisschen über den eigenen Schatten zu springen und einiges rauszuschmeißen, als ein Doppelalbum anzugehen, das jetzt immer noch nicht fertig wäre.

Auf die bedeutendsten Veränderungen im Vergleich mit "Existence" angesprochen, geht Niko ins musikalische Detail. "Ich würde sagen, dass es der Grundaufbau bei drei, vier Songs der neuen Platte ist - von einem Grundthema auszugehen und darauf basierend den Song wachsen zu lassen und aufzubauen. Als Beispiel kann ich 'Free Of You' nennen, welches harmonisch und gesanglich in eine finale Richtung treibt, genauso wie das DARK SUNS-Experiment 'Amphibian Halo' mit einem Electro-Drumsound, der sehr neu für die Band ist. Aber wir finden, es ist ein sehr stimmungsvolles Stück geworden, was sich auf einem Drei-Akkord-Song aufbaut und dann fünf Minuten durchzieht", gibt der singende Schlagzeuger zu Protokoll.
Als Gegenstücke dazu führt er 'Flies In Amber' und 'The Chameleon Defect' an, die mit Absicht mit Unterschieden spielen. Die grundlegende Herangehensweise fasst er so zusammen: "Wir haben versucht, im ersten Teil der Platte eine wild grinsende Fratze auszupacken, die beim ersten Hören vielleicht ein bisschen unangenehm oder schwer nachvollziehbar wirkt, und dann lassen wir uns etwas fallen und lassen die Musik sich entwickeln". Im Gegensatz zu "Existence" wird die Stimmung über einen längeren Zeitraum getragen, dafür gibt es bei den einzelnen Songs keine krassen Brüche (außer bei den beiden angesprochenen), während es auf dem Vorgängeralbum speziell bei Songs wie 'Anemone' und 'You, A Phantom Still' auffälliger gewesen sei, dass sie damals beispielsweise schiefe Takte entdeckt und einfach jugendlich verspielter gewesen seien. Dass sie dafür bei der neuen Scheibe den jeweiligen Song mehr in den Mittelpunkt rücken, spricht laut Niko Knappe für den Reifeprozess der Band: "Heute können wir ein paar Schritte zurückgehen und sagen, die Emotion muss am Ende stehen".

Ein ähnliches textliches Konzept wie bei "Existence", das sich mit den verschiedenen Phasen der menschlichen Existenz beschäftigte, gibt es auf dem neuen Rundling indes nicht. Als kleinsten gemeinsamen Nenner könne man sich darauf festlegen, dass die Songs von persönlichen Dingen, menschlichen Enttäuschungen etc. handeln. Niko als Verfasser der Texte führt hierzu weiter aus: "Es gibt definitiv bei jedem Song mehr persönliche Bezüge denn je, aber keine Story wie bei "Existence", die versucht von A zu beginnen und bei Z anzukommen. Jeder Song hat einen eigenen Text, der für sich steht, und reflektiert persönliche Anliegen und Sichtweisen". Als Beispiel pickt sich der trommelnde Sänger 'Flies In Amber' heraus, das die Message enthält, die Welt nicht nur hinzunehmen, indem man einfach den Kopf nach unten nimmt und sagt, dass die Welt kalt und scheiße ist, sondern rauszukommen aus seinem goldenen Käfig oder seiner versackten Suff-Existenz. Generell habe er versucht, viele Botschaften zwischen den Zeilen entstehen zu lassen, um dadurch den Hörern bzw. Lesern freie Interpretationsmöglichkeiten zu geben.
Daneben gibt es aber auch andere Texte wie bei 'Free Of You', dieser sei eine "distanziert betrachtete Beziehungskiste, die geendet ist. Schon der zynisch oder kühl wirkender Titel zeigt, dass schon etwas Zeit ins Land gegangen ist, obwohl in den einzelnen Textzeilen schon ein melancholischer Wehmutsfaktor in Verbindung mit nostalgischen Liebesgefühlen hervortritt".

Trotz fehlender "Story" sei aber bei jeder Platte ein Konzeptgedanke existent, diesmal jedoch nicht in textlicher Hinsicht, sondern in Richtung Songanordnung und musikalischer Fluss des Albums. Wichtig war, das Hörvergnügen durch Arrangierung und Anordnung der Stücke zu unterstützen. Dabei finden die Jungs es gut, dass es auch textliche Pausen gibt ("Existence" hatte immerhin das Doppelte an Text) und rein instrumentale Stellen wirken können. Dabei kommt das Stück 'The Chameleon Defect' gleich ganz ohne Text aus, denn Worte wären an dieser Stelle nicht stark genug, vielmehr wollten die Leipziger bei diesem Stück "mit ironisch-aufbrausendem musikalischem Wechselspiel überzeugen". Niko charakterisiert den Song so: "Ein entseelter Schock-Jargon trifft auf thrashige Riffs und DARK SUNS spielen 2008 den ersten Black-Metal-Teil, der aber sofort von einer Art Mexican-Salsa-Akustik-Teil abgelöst wird". Klingt interessant und gleichzeitig einigermaßen durchgeknallt, und das ist es auch. Besagtes 'The Chameleon Defect' ist aber auch gleichzeitig der "Schmunzel-Song", was man spätestens dann bemerkt, wenn man sich das Video, welches 'The Chameleon Conflict' heißt, anschaut und auf der Homepage http://www.darksuns.de zu finden ist.

Der Titel des Rundlings "Grave Human Genuine" sei allerdings nicht nur deshalb ziemlich unkonventionell, weil er blöd auszusprechen ist. Dabei steht der Titel nicht in Bezug zu den Texten, sondern ist vielmehr das Resultat des Versuchs, den Entstehungsprozess der Platte in drei Adjektiven zusammenzufassen. Niko konkretisiert: "So steht das "grave" für schwerwiegend, authentisch, aber auch düster, was am ehesten die musikalische Verbindung darstellt. Das "human" steht für sämtliche menschlichen Aspekte, die eingeflossen sind und was alles durchlebt wurde während des Aufnahmeprozesses. Es gab einen ständigen menschlicher Austausch und es war in gewisser Weise auch ein Test, wie man über einen längeren Zeitraum auf engstem Raum miteinander klarkommt, also Kompromisse und Konsens findet, was uns gut gelungen ist und im Resultat sind wir enger zusammen gewachsen als jemals zuvor. "Genuine" verkörpert die Echtheit, die Wirklichkeit und Authentizität, also dass es vom Sound her nicht künstlich in irgendeine Richtung gedrückt wurde". Somit sei der Titel als Credo zur Entstehung der Platte zu verstehen.

Obwohl DARK SUNS viele verschiedene Stimmungen in ihrer Musik vereinen und viele verschiedene Stilistiken miteinander verschmelzen, ist der musikalische Background der einzelnen Bandmitglieder gar nicht so verschieden. Torsten erläutert: "Wir setzten uns selbst keine Grenzen und achten nicht auf Stilbrüche, das hört man der Platte auch an, nur deswegen klingen 'The Chameleon Defect' und 'Amphibian Halo' so, wie sie klingen. Wir ziehen unser Ding durch und sagen einfach, wir machen das jetzt. Wir wissen, dass es glücklicherweise eine sehr abwechslungsreiche Platte geworden ist, aber es gibt bei uns nie Vorgaben". So sei es ein ganz normaler Entstehungsprozess gewesen, bei dem die gesammelten Ideen sinnvoll zusammengefügt und arrangiert wurden. Natürlich gäbe es eine breit gefächerte Palette an Stilelementen, was sie privat hören und damit auch einfließen lassen, denn Inspiration ist nun mal das Wichtigste in der Kunst im allgemeinen und der Musik im speziellen.

Ende März kommt "Grave Human Genuine" auch in Nordamerika raus, was die Frage impliziert, ob die Leipziger jetzt verstärkte Ambitionen speziell in Richtung USA haben und was sie dort von dem Album erwarten. Das Ganze sei ein sehr glücklicher Umstand gewesen, sie wurden angefragt und es kam ein Lizenzdeal zustande. Nun seien sie sehr gespannt darauf, wie der amerikanische Markt auf das Album reagiert, und denken, dass dort noch viel mehr geht als lediglich diese Veröffentlichung und sich weitere Möglichkeiten bieten werden, vielleicht sogar mal eine Tour, wenn auch sicherlich noch nicht gleich, denn momentan sei das noch reines Wunschdenken. Im Moment habe man zwar nicht viel Einfluss darauf und so hofft man, dass die Platte den Weg zu potenziellen DARK SUNS-Hörern findet, aber zumindest hat die Band über die Jahre mitbekommen, dass DARK SUNS-Alben gerade im Ausland sehr gut ankommen, z.B. in Frankreich, Spanien und Italien, und von dort sehr positive Meinungen, Reviews und Fananfragen zurückkommen.

Dass die Band momentan nur noch als Trio agiert, liegt auch daran, dass Keyboarder Thomas die Band kürzlich verlassen hat. Dazu kam es gegen Ende der Fertigstellung der Platte, und wird von den Jungs als "traurigster historischer Schnitt" und "menschliche Enttäuschung" bezeichnet. So kam es wohl zu Unstimmigkeiten und Problemen gegen Ende der Aufnahmen, woraufhin es zunächst eine Aussprache gab. Die drei jetzigen Bandmitglieder seien eigentlich recht euphorisch aus diesem Gespräch rausgegangen, denn es müssten manchmal auch härtere Worte fallen, um an einen Punkt kommen zu können, an dem ein Neuanfang möglich sei. Leider wurde das Ganze ins Gegenteil verkehrt, denn Thomas sah das offenbar als Generalangriff auf seine Person an und konnte sich nicht dazu entschließen, über seinen Schatten zu springen. Enttäuschend sei das deshalb, weil die verbliebenen Bandmitglieder der Meinung sind, dies sei der Weg des geringsten Widerstandes gewesen. Als Ersatz wird zukünftig Ekky Meister von FACTORY OF ART fungieren, der musikalisch einiges auf dem Kasten habe. Das Resümee der ganzen Angelegenheit formuliert Niko Knappe so: "Wir haben leider Gottes einen guten Freund verloren, aber nicht unbedingt den "Grave Human Genuine"-Keyboarder".

Auch die Position am Bass ist bei DARK SUNS nicht fest besetzt, aber immerhin konnte die Band Kristoffer Gildenlöw von PAIN OF SALVATION dafür gewinnen, die Bassparts des neuen Albums einzuspielen. Damit sei ein Jugendtraum in Erfüllung gegangen, und man habe die Klasse seines Beitrags erst vor Kurzem richtig realisiert, denn die Bassparts würden vor allem mannschaftsdienlich bzw. im Sinne des jeweiligen Songs sein und nicht getreu dem Motto: "Hier hört man Kristoffer Gildenlöw am Bass".
Ambitionen gäbe es natürlich schon, Kristoffer fest in die Band zu holen, aber dies sei logistisch leider definitiv nicht möglich, da er mit seiner Familie in den Niederlanden lebt. Aufgrund der vorhandenen Distanz war er auch nicht mit im Studio zum Einspielen seiner Bassspuren, sondern schickte selbige über das Weltweitnetz nach Leipzig. Dennoch seien die gemeinsamen Liveauftritte Wahnsinn gewesen und zumindest halte man engen Kontakt. Nichtsdestoweniger wollen DARK SUNS trotzdem einen festen Bassisten in der Band haben und so wurde diesbezüglich in letzter Zeit auch schon der eine oder andere Versuch unternommen, einen Kandidaten an Bord zu holen, aber leider habe sich bislang keiner für einen "Re-Call" qualifiziert.

Zur Releaseshow am Samstag, den 08.03., in der schmucken Leipziger Location UT Connewitz (Support werden die Progressive-Metaller BLEAK ORIGIN aus der Schweiz sein) werden sie jedoch sogar zwei Bassisten am Start haben, die beide gut zur Band passen würden. Mal schauen, vielleicht gehört ja einer der Beiden schon bald zum festen DARK SUNS-Line-up.
À propos Releaseshow: DARK SUNS versprechen einen überraschenden Abend, bei dem sich viele Leute auf der Bühne tummeln werden. Wie es genau ablaufen wird, wollten die Jungs natürlich noch nicht verraten, also einfach kommen und selbst erleben.

Die eigentlich blöde Frage nach Bands, die die Bandmitglieder momentan am meisten mitreißen, konnte ich mir dieses Mal nicht verkneifen. Die Antworten fallen dann auch genreübergreifend, aber dennoch größtenteils erwartungsgemäß aus: SLEEPY TIME GORILLA MUSEUM, BJÖRK, TEXTURES, EPHEL DUATH, OCEANSIZE, MESHUGGAH, DILLINGER ESCAPE PLAN, SNOW PATROL und natürlich TOOL, PAIN OF SALVATION und OPETH haben es ihnen momentan am meisten angetan.
Und was ist mit den Leipziger Kumpels von DISILLUSION? Niko meint: "Wir finden es auch erstaunlich, dass sie diesen waghalsigen Schritt unternommen haben und nicht auf die sichere Seite gegangen sind und "Back To Times Of Splendor 2" aufgenommen haben. Auch wenn das natürlich ein schwieriges Unterfange wäre, ein Album in diesem Stil noch mal zu toppen bzw. da anzusetzen, wo "BTTOS" aufhört. Es geht einfach darum, wo man sich emotional wiederfindet, und da fühlen wir uns bei der Hausnummer "Back To Times Of Splendor" wohler, das für uns immer noch das Ober-Metal-Album ist, das für die Zeit und den Umfang eigentlich viel zu wenig eingeschlagen hat. "Gloria" ist für uns ein interessantes Statement, das uns aber musikalisch und von der emotionalen Umsetzung weniger überzeugt als "BTTOS"".

Abschließend soll ein kurzer Ausblick nicht fehlen, und so möchte ich noch in Erfahrung bringen, wo sich DARK SUNS in fünf Jahren sehen. Da hat Torsten noch einen in petto: "Am imaginären Olymp des inter-transzendalen Metal-Nabels", beschreibt er scherzhaft die Zielsetzung. Tatsächlich beschränkt sich die Vorausschau darauf, hoffentlich mit ein, zwei weiteren innovativen Alben am Start zu sein, denn mittlerweile glauben sie nicht mehr daran, das große Geld mit ihrer Musik verdienen zu können. So wäre es schön, wenn sie zukünftig ein Garant für gute Alben wären und sie versuchen, weiter standhaft zu sein und ihren Weg zu gehen. Niko bringt es so auf den Punkt: "Das Lob und die Anerkennung der Fans da draußen zu bekommen, das ist der Lohn für alle Mühen". Und so hoffen sie, dass sie die Leute, die DARK SUNS mögen, weiterhin mit ihrer Musik erfreuen können. Und da müsste es schon mit dem Teufel zugehen, wenn das der sympathischen Leipziger Band nicht vergönnt sein sollte.

Redakteur:
Stephan Voigtländer

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