DARK TRANQUILLITY: Interview mit Niklas Sundin

08.07.2007 | 15:53

Mit einer Granate in Form ihres neuen Albums "Fiction" hatten DARK TRANQUILLITY den Frühsommer eingeläutet. Im Festivalsommer beackern die Miterfinder des Melodic Death Metal nun gleich mehrere Bühnen. In Balingen konnten sich die Metalfans bereits wieder vom mitreißenden Stageacting der Schweden überzeugen: Der singenden Rotschopf Mikael Stanne, der unerlässlich grinsend von einem Ende der Bühne zum anderen hechtet, sowie die Saitenfraktion um Niklas Sundin lassen nicht nur reihenweise weibliche Metalherzen höherschlagen, sondern sind der lebende Beweis, dass auch Death-Metal-Konzerte einfach pure Freude versprühen können.

"Gewöhnlich sind deutsche Festivals großartig für uns", gibt Gitarrist Niklas Sundin zu Protokoll. "Wir haben kühne Erinnerungen an 'Wacken', ans 'Bang Your Head', 'Summer Breeze', 'Rock Hard' und viele andere. Wir freuen uns also definitiv darauf, erneut diese Erfahrung zu machen." Und das, obwohl die sechs Schweden auch schon ganz andere aufregende Live-Erfahrungen gesammelt haben: Vor einigen Wochen spielten sie in ihrer Heimat erstmals auf einem Schiff. "Das war verrückt, aber spaßig", erinnert sich Niklas. "Es ist eine ganz neue Sache. Sie arrangieren Konzerte auf diesen großen Fähren, die von Schweden nach Finnland fahren und wieder zurück. Du kannst dir sicher diese sonderbare Situation vorstellen: 1.800 betrunkene Metalheads auf einem Schiff mitten in der Nacht. Natürlich haben die Bühne und das Equipment nicht den üblichen Festival-Standard, aber alles in allem war es ein sehr cooles Event. Hierzulande lässt sich das bisher wohl nur mit der Jubiläumsparty der Frankfurter TANKARD vergleichen, die vor kurzem auf einem vollbesetzten Main-Boot abfeierten.

Aber mit einem Überalbum wie "Fiction" im Gepäck dürfte sich auch jedes noch so außergewöhnliche Konzert mit links meistern lassen. Zumal der neue Output auf der einen Seite wie eine Reflexion der Bandhistorie erscheint, zugleich aber auch neue Elemente mit einfließen lässt. Also wie eine Kombination aus Vergangenem und Zukünftigem. "Das ist eine gute Beschreibung", stimmt Niklas zu. "Wir wollten "Fiction" facettenreicher gestalten, das war die Hauptsache. Mit "Character" wollten wir seiner Zeit ein Album kreieren, wo kein Song hervorsticht, wo man die ganze CD vom ersten bis zum letzten Song hören muss, um das Album wirklich zu verstehen. Mit "Fiction" sind wir in die entgegengesetzte Richtung gegangen. Wir haben ein Album geschaffen, auf dem sich jeder Song von den anderen unterscheidet. Wie du bereits erkannt hast, haben wir wieder einige Elemente aus unserer Vergangenheit eingeführt, wie beispielsweise die männlichen und weiblichen Vocals." Eine Entwicklung, die einen hohen kreativen Prozess voraussetzt, um dann ab Betreten des Studios rein aufs Ergebnis fokussiert zu sein. "Beim Aufnahmebeginn hatten wir die Musik und die Lyrics schon zu 100 Prozent fertig", beschreibt der Gitarrist diesen Prozess. "Es ist also mehr eine Art mechanische Sache, die ab diesem Moment weniger Gefühle oder Emotionen erfordert. Es geht dann darum, die Instrumente mit dem bestmöglichen Sound aufzunehmen. Jeder ist hauptsächlich darauf konzentriert, die bestmögliche Performance abzuliefern."

Zu guter Letzt steht dann noch die Reihenfolge der Tracks an. "Die diskutieren wir ein paar Wochen später, wenn das Album fertig ist. Wenn jeder die Chance hat, sich die Songs mit frischen Ohren anzuhören." Auffällig ist bei "Fiction", dass der Schwerpunkt zu Beginn auf Abrissbirnen der Marke 'Nothing To No One' oder 'Blind At Heart' liegt, während sehr viel eingängigere Songs wie 'Misery's Crown' und 'The Mundane And The Magic' erst gen Ende auftauchen. "Manchmal gibt es bei uns sehr viele verschiedene Meinungen", gesteht Niklas, "aber diesmal stimmten wir mit der Tracklist wirklich schnell überein. Es fühlte sich so einfach natürlich an. Und es gibt auch ein paar Songs, die es nicht auf die CD geschafft haben." So planen die Schweden schon ein EP mit der überschüssigen Ware.

Wer nun aber DARK TRANQUILLITY gleich Kommerz vorwerfen will, sollte bedenken, dass die Band – obwohl Mitbegründer des Göteborg-Sounds – trotz erstklassiger Alben nie mit dem gleichen Erfolg wie einige Mitstreiter gesegnet waren. Die oft zum Vergleich herangezogenen IN FLAMES indes durften schon vor ein paar Jahren die Festival-Bühnen als Headliner entern; und auch viele Metalcore-Bands, die sich auf die Einflüsse aus Göteborg berufen, feiern inzwischen größere Verkaufszahlen. "Nun, Massenpopularität war nie unser Ziel", zuckt Niklas mit den Schultern. "Wenn es das Hauptanliegen für DARK TRANQUILLITY gewesen wäre, so groß wie möglich zu werden, hätten wir viele Dinge in der Vergangenheit anders gemacht. Alben zu verkaufen ist wirklich keine Raketenwissenschaft. Es gibt viele erprobte Strategien, die du anwenden kannst, wenn du es wirklich nach oben schaffen willst. Wir hätten einiges in den vergangen Jahren sagen können, dass uns zweifelsohne hätte größer werden lassen. Aber das hätte sich billig angefühlt. Wir sind zu eklektisch, um der Topact des Monats zu werden – und das mag ich. Versteh mich nicht falsch, Popularität ist nicht zwangsläufig etwas Schlechtes. Aber wenn es das Hauptanliegen ist, kann es die Musik wirklich verschmutzen."

Neben der Musik einer geregelten Arbeit nachzugehen, bedeutet daher für die sechs Schweden absolute Unabhängigkeit. "Wir können exakt das tun, was wir wollen. Und die Musik ist uns sehr wichtig. Ich bin sicher, wenn sich die Band einmal auflösen sollte, würden wir auch weiterhin in irgend einer Form Musik machen." Doch ein Ende der Göteborger ist noch lange nicht abzusehen, und so dürfen sich DARK TRANQUILLITY auch gerne weiterhin in ihrem ureigenen Musikstil austoben, pendelnd zwischen harten Blastbeats und eingängiger Melancholie.

Redakteur:
Carsten Praeg

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