DISILLUSION: Interview mit Andy Schmidt

12.10.2006 | 23:55

Wurden DISILLUSION für ihr "Back To Times Of Splendor"-Album allerorten gefeiert und mit Lob überschüttet, so sind die Reaktionen auf den Nachfolger "Gloria", obwohl noch gar nicht erschienen, deutlich zwiespältiger. Offizielle (Presse-)Stimmen bewerten die Scheibe zwar als "grandios bis gut - als Meilenstein, Fortschritt, Faustschlag, Provokation, Stinkefinger oder Neuerung", fasst Sänger Andy die Meinungen zusammen. In Fanforen hingegen wird die neue Scheibe deutlich zwiespältiger und kontroverser diskutiert.
Der Sänger der Leipziger Band gibt aber auch zu: "Der 'Back To Times Of Splendor'-Fan, der das konkrete Gefühl von Sehnsucht extrem gemocht hat, kriegt tierisch in die Eier getreten." Man habe sich auf etwas anderes fokussieren wollen, betont Andy im Laufe des Gesprächs immer wieder. Trotzdem steht die Frage im Raum, warum es so ein deutlicher Schritt weg von den "alten" DISILLUSION wurde...

Andy erklärt das so: "'Back To Times Of Splendor' hat über zwei Jahre gedauert und es ist viel Energie und Leben reingeflossen. Es war dann fertig und damit war alles gesagt." Eine schiere Verlängerung hätte er somit empfunden, als würde man sich selbst verraten. Da man die Sache bei DISILLUSION sowieso hauptsächlich als Entwicklung und weniger als radikale Änderung empfinde, sei es auch nicht schwer gewesen, sich davon zu lösen.
Dem Gedanken, dass "Gloria" irgendwie auch kommerzieller Selbstmord sei, weil man damit quasi von vorne anfange, will sich Andy nicht so recht anschließen. Er betrachte es eher als "Flucht nach vorn" und die Alternative, nämlich "Back To Times Of Splendor 2", wäre aus eben geschilderten Gründen unmöglich gewesen. Das Ganze sei eine natürliche Entwicklung gewesen und es wäre klar, dass es bei DISILLUSION "kein Image oder gar Neuerfindung nach Schablone" geben würde.

Während dieser Entwicklung, an deren vorläufigem Ende "Gloria" steht, galt es, einen Berg von Ideen zu bändigen und die Herangehensweise etwas fokussierter zu gestalten. Dabei sind 30 Fragmente entstanden, von denen allerdings nur ein Bruchteil letztendlich auf "Gloria" gelandet ist. 'Too Many Broken Cease Fires' ist hingegen noch ein Überbleibsel aus der "B.T.T.O.S."-Session, hatte dann aber nicht auf die Platte gepasst. Deshalb würden wohl die meisten diesen Song noch am ehesten mit dem alten DISILLUSION-Sound in Verbindung bringen, erzählt der Sänger mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.
Probleme oder Rückschläge während des Entstehungsprozesses der Platte habe es indes keine gegeben. "Es gab lediglich Diskussionen, was haben wir zum Schluss. Uns war klar, dass wir auf einiges verzichten, was wir uns aufgebaut haben. Aber gekickt hat uns das Zeug die ganze Zeit", stellt Andy klar. "Es gab Phasen, wo nicht viel lief. Nach den vier Monaten am Anfang gab es sieben Monate, in denen sich fast nichts mehr verändert hat. In dieser Zeit gab es eigentlich nur eine sinnvolle Entscheidung. Dass wir uns gesagt haben: Das Album war doch die ganze Zeit schon fertig."
Logische Konsequenz war der Versuch, diese Spontaneität in die Aufnahme zu retten, weshalb diese auch nur vier Wochen dauerte. Man wollte kein glattes Album haben, aber eines, das den Kontext von DISILLUSION verfolgt. "B.T.T.O.S." sei im Vergleich dazu nicht so kantig, und mit "Gloria" greife man nun den Spirit von "Three Neuron Kings" wieder auf. Andy weiter: "Es ging darum, Dinge zu kombinieren oder zu tun, die man nicht kombinieren darf. Da hinein fällt auch das Cover, das eine Gegenstandslosigkeit zeigt, die verstört."

Auf die Wahl des Albumtitels angesprochen, gibt Andy zu Protokoll, dass es keine inhaltliche Entscheidung gewesen sei. "Das Wort war schon ziemlich früh da. Ein gewisser Glanz, aber auch Sieg, Pathos und Kampf steckt in dem Wort. Auf der anderen Seite ist es auch ein Frauenname, schon allein das ist sehr spannend", reflektiert der Sänger.
Als das Gespräch zu den Texten auf "Gloria" kommt, fällt sofort der Begriff "Zynismus". Sie seien "böse, makaber und distanziert" und zum Teil beim Songwriting schon entstanden, wenn der Song eben nach einem bestimmten Text verlangte.
Die Songtexte lassen sich dabei unter keiner übergeordneten Idee zusammenfassen. "Es sind Beobachtungstexte. Freie, zusammen gestückelte Szenarien - größtenteils von Dingen inspiriert, die während dieser Zeit passiert sind. Es geht dabei mehr um Assoziationen als um Inhalt", bringt es Andy auf den Punkt. Der Auslöser sei dabei oftmals etwas Skurriles gewesen, meist mit persönlicher Relevanz für den Protagonisten. Beschrieben werden dabei oftmals kleine Puzzleteile, die zum Austicken führen und ein Fass zum Überlaufen bringen können...

In diesem Zusammenhang repetiert Andy auch seine Begeisterung für David Lynch-Filme, die bildgewaltig, aber gleichzeitig auch sehr detailverliebt daherkommen und die globalen Zusammenhänge dann doch ganz dem Zuschauer überlassen. Dies sei eine klare Parallele zu den Lyrics von DISILLUSION. Zudem würden zu einem Streifen wie "Lost Highway" mindestens fünf Stücke der neuen Scheibe perfekt passen. Ein gewisses Soundtrack-Gefühl schwingt also bei "Gloria" auf jeden Fall mit.
Wie DISILLUSION visuell funktionieren, wird man auch dem Videoclip zu 'Don't Go Any Further' entnehmen können, der kürzlich fertig gestellt wurde. Mit dem Video soll dann auch gezeigt werden, was "Gloria" für DISILLUSION wirklich bedeutet (die Videopremiere findet übrigens auf der Release Party am 21.10. im Leipziger Club "Conne Island" statt).

Einen festen Bassisten haben die Leipziger hingegen immer noch nicht gefunden. Vor einem reichlichen Jahr schien es, als würde der Amerikaner Ralf Willis die Lücke füllen können, wenig später war dann DISILLUSION aber schon wieder das alte Trio. Menschliche Gründe wurden für die rasche Trennung ins Feld geführt. Andy erinnert sich: "Es war ein Wagnis, ein Experiment. Er kam rüber, obwohl wir uns nicht kannten, und dann haben wir erst mal viel geprobt. Ralf hat dann hier gewohnt. Musikalisch hätte es total gepasst, aber der private Aspekt war einfach zu wichtig, Und das haben auch beide Seiten wahrgenommen, dass es in dieser Hinsicht nicht passt."
Somit bleibt vor allem in der Livesituation die Entlastung für Andy weiterhin aus, der neben dem Gesang auch noch in die Saiten greifen muss. Bei den derzeitigen Wochenend-Shows liegt der Fokus klar auf den Stücken von "Gloria", und Andy äußert sich positiv überrascht darüber, wie gut die neuen Stücke ankamen, obwohl sie für die allermeisten noch unbekannt sein dürften, da das Album ja noch gar nicht erschienen ist. Auch wenn die Einzel-Gigs bereits eine Art "Gloria"-Tour darstellen, wäre man gegenüber einer richtigen Tour natürlich ganz und gar nicht abgeneigt. Wenn auch momentan eher unwahrscheinlich, so träumt Andy davon, einmal mit einer Band wie TOOL oder THE MARS VOLTA die Bühne zu teilen.

Zum Schluss kommt es Andy aber doch noch über die Lippen, was die neue Scheibe für ihn bedeutet: "'Gloria' ist ein Befreiungsschlag. Ich kann eher ich selbst sein als bei 'B.T.T.O.S.', welches sehr fokussiert war auf das Gefühl der Platte." Im Gegensatz zum Vorgängeralbum, das ein abgeschlossenes Kapitel für DISILLUSION darstellt, sei "Gloria" noch nicht am Ende angekommen, wird es keine komplette Neuerfindung auf dem nächsten Album geben - soweit ist sich Andy sicher. Und fügt hinzu, dass DISILLUSION zwar das alte von "B.T.T.O.S." torpedieren, aber "Gloria" Zukunft hat. Und auf jeden Fall wollen die drei Leibzscher nicht wieder zweieinhalb Jahre warten, bis sie mit dem nächsten Langeisen aus der Hüfte kommen.

Letztendlich gilt für dieses Album mehr noch als sonst: Macht euch selbst ein Bild. Eines ist jedenfalls gewiss: DISILLUSION gehen unbeirrt ihren Weg und bleiben dabei sich selbst und der Band gegenüber ehrlich, aber auch kompromisslos. Und das verdient in der heutigen Zeit einiges an Respekt.

Redakteur:
Stephan Voigtländer

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