DREAM THEATER: Interview mit Jordan Rudess
01.01.1970 | 01:00An einem verregneten Samstag-Mittag traf ich im Holiday Inn in Offenbach Jordan Rudess, den neuen Keyboarder von Dream Theater. Diese sind grad mit ihrem Meisterwerk "Scenes from a memory" auf einer äußerst erfolgreichen Tournee.
Christian:
Ihr werdet heute abend hier in Offenbach spielen. Kannst du etwas über den bisherigen Verlauf und die Atmosphäre der Tour sagen ?
Jordan:
Well, es war ein interessanter Start, wir haben in Norwegen und Finnland angefangen und obwohl wir auch schon durch die USA getourt sind, so muß das ganze dennoch jedes Mal erstmal ins Rollen kommen. Es ist wie ein Stein, es braucht ein bißchen Zeit um alles in Bewegung zu setzen, aber die Dinge sind in Bewegung und wir sind aufgeregt.
Christian:
Bist du überrascht über die Resonanzen und den Erfolg den euer neues Album "Scenes from a memory" bekommen hat ?
Jordan:
Ich bin sehr glücklich darüber. Es ist großartig.
Christian:
War es keine Überraschung ?
Jordan:
Nein, eigentlich nicht. Dream Theater ist sehr bekannt und der Zusammenhalt in der Gruppe ist sehr stark. Wir haben alle gefühlt, daß wir mit dem neuen Album etwas sehr großes anzubieten haben. Ich meine: Alles ist möglich und alles kann passieren, aber da es in einer derart starken Mischung zusammenkam war es keine allzu große Überraschung.
Christian:
Wo liegen von deinem Blickwinkel aus die Unterschiede zwischen "Scenes from a memory" und dem letzten Album "Falling into infinity" ?
Jordan:
Well, es gibt eine Menge Unterschiede zwischen diesen beiden Alben. Der Hauptunterschied ist, daß die Gruppe in "Scenes from a memory" die Flexibilität besaß, daß zu machen, was sie machen wollte. Es kam kein Druck von der Plattenfirma, stell es dir so vor: Musiker gehen in ein Studio und man guckt einfach, was dabei rauskommt. Bei "Falling into infinity" hingegen wurde von der Plattenfirma ein großer Druck ausgeübt, noch dazu waren die Musiker selbst unter Druck. Unter diesem Druck waren sie darauf aus, etwas wirklich großes zu erschaffen, was dann schließlich mehr in Richtung Mainstream ging.
Christian:
Inwiefern denkst du hat dein Stil die Band nach Sherinian geändert ?
Jordan:
Well, da sind einige Dinge. Ich bin sehr darauf spezialisiert, Syntheziser zu spielen, zu programmieren. Ich manipuliere Sounds, um genau das zu tun, was mir gerade durch den Kopf geht. Dadurch füge ich der Band ein neues Element zu. Ich denke, daß die Band dadurch etwas mehr Farbe bekommt. Ich benutze Synthesizer seit Jahren, genaugenommen, seit Midi herauskam. Ich habe sehr viel mit Midi am Computer gearbeitet. Anfangs hatte ich noch einen Atari, inzwischen arbeite ich an einem Mac. Ich komponiere also sehr viel mit Midi, was "Scenes from a memory" einen orchestralen Touch gibt. Durch dieses Vorgehen nutze ich die Möglichkeiten aus, die ich als Keyboarder besitze. Die meisten Keyboarder benutzen da nur Geigen und ähnliches. Ich hingegen verwende auch gerne exotischere Instrumente und die muss ich live natürlich genauso rüberbringen können. Dieses Orchester-Feeling auch live zu erreichen erfordert einiges an programmier-technischem Können. Und ich denke, das sind die Hauptunterschiede.
Christian:
Durch wen wurdest du beeinflusst ?
Jordan:
Ich wurde sehr klassisch erzogen, ging auch auf eine Musikschule. Ich hätte also eigentlich ein Klassik-Pianist werden sollen. Aber im Alter von 17,18 Jahren fing ich an, Gruppen wie Genesis, Pink Floyd, "Emerson, Lake & Palmer", Yes oder auch Kraftwerk zu hören. Das hat mein Leben wirklich vollkommen verändert. Den größten Fehler, den je einer gemacht hat, war, mir ein Keyboard mitzubringen, als ich 17 war. Danach wusste ich genau, daß ich wohl mit der klassischen Musik aufhören werde.
Christian:
Wirst du ein oder zwei Keyboards live benutzen ?
Jordan:
Ich werde nur ein Keyboard mit einem Rack benutzen.
Christian:
Glaubst du nicht, daß dich das irgendwie einschränkt ?
Jordan:
Nein, dieses eine Keyboard hat genug Power und ich schöpfe noch lange nicht die Möglichkeiten aus, die ich mit diesem Keyboard besitze. Ich denke, diese Teile sind so stark, daß eins vollkommen langt. Die meisten Keyboarder benutzen 2 Keyboards. Der Hauptgrund dafür ist meiner Meinung nach, daß sie nicht wissen, welche Power durch diese Technologie ermöglicht wird und welche enormen Möglichkeiten sie bereits mit einem Keyboard haben. Die Keyboarder haben oft nicht genügend Zeit, herauszufinden, was sie alle mit ihrem Keyboard anstellen können. Ich habe eine große Sammlung an CD-ROMs mit sämtlichen Sounds, die man sich überhaupt vorstellen kann. Und wenn ich einen dieser Sounds eingebracht habe gibt es viele Möglichkeiten mit diesem Sound zu arbeiten, ihn zu verändern. Ich bin mit meinem Synthesizer sehr zufrieden und kann mit ihm machen, was immer ich will, denn sie ist technisch so ausgestattet, daß sie mir vollen Spielraum ermöglicht. Mit dem 128 MB Ram großen Arbeitsspeicher kann ich ohne Probleme alles samplen was ich will und sehr viele Effekte einbringen. Die Sounds auf "Scenes from a memory" wurden so gestaltet und deshalb kann ich sie live genauso rüberbringen. Aus diesen Gründen gibt es also keine Einschränkungen in meinem Spiel.
Christian:
Was ist zur Zeit deine Lieblingsband ?
Jordan:
Meine Lieblings-Progressive-Rock-Band zur Zeit ist Spocks Beard. Glücklicherweise sind sie unsere Vorgruppe. Ansonsten versuche ich offen zu sein für alles, was es in der Musik gibt. Ich höre natürlich viele Progressive-Bands wie eine Band aus Boston namens "Event", sie sind ein wenig wie Dream Theater, aber auch mit Techno-Einflüssen.
Christian:
Dream Theater ist eine der wenigen Progressive-Rock-Bands, die im Mainstream Erfolg hatte. Warum denkst du ist es als Progressive-Rock-Band schwierig bekannt zu werden ?
Jordan:
Well, ich meine, Dream Theater hatte auch viel Glück, solch einen Erfolg zu haben, vor allem da die Welt sehr von Trends beeinflußt ist. Ich denke, im allgemeinen ist es für die Prgressive-Rock-Szene so schwer, weil viele dieser Bands versuchen, wie Genesis oder Pink Floyd zu klingen. Sie versuchen kaum, auf neues Terrain vorzustossen. Daher hat Progressiv-Rock in den Köpfen vieler Leute eine merkwürdige Bedeutung, sie denken, Progressive-Rock, das sei alles altes Zeug, obwohl Progressive ja eigentlich heißt Fortschritte zu machen, sich nach vorne zu bewegen. Das ist ein Teil des Problems, warum die Leute nicht versuchen, diese Kunstform ein wenig vorwärts zu bringen. Und auch weil Progressiv-Rock keine Nahrung für den Durchnittsmenschen liefert, sondern den Intellekt fordert und ziemlich viel Aufmerksamkeit von den Leuten abverlangt, die es hören. Dream Theater ist vielmehr eine Mischung aus Metal, Progressive und Rock. Dadurch können wir ein viel größeres Publikum erreichen und eine Karriere wie diese haben. Und das ist Glück.
Christian:
Wird das Material des "Liquid Tension Experiment" ein Teil der Dream Theater Konzerte werden ?
Jordan:
Ich denke, wir werden immer mal wieder ein paar Momente des Projekts einwerfen, an dem so viele von uns beteiligt waren. Wir sind stolz auf das, was wir getan haben und es macht uns Spaß es zu tun. Ich denke nicht, daß es noch einmal eine Aufnahme von Liquid Tension geben wird, aber uns verbinden viele Erinnerungen damit.
Christian:
Was ist deine Meinung von den Alben die Dream Theater herausgebracht hatten bevor du dazukamst ? Welches ist dein Lieblingsalbum und warum ?
Jordan:
Ich mag sie alle auf verschiedene Arten. Ich denke, "Images and words" war wohl das melodistischste, progressivste Werk, deswegen mag ich es sehr gerne. Es ist eine Art Tribut zu den älteren Progressiv-Stilen. "Falling into Infinity" mag ich auch sehr gerne. "Just let me breathe" ist zum Beispiel sehr gut, aber auch sonst sind viele coole Songs auf dem Album drauf. Ich mag es um einiges mehr, als die Leute, mit denen ich darüber gesprochen habe. "Awake" war aber auch sehr cool. Der Song "Erotomania" gehört zu meinen Favoriten. Ich mag sie also alle, auf unterschiedliche Arten.
Christian:
Wenn du die 'alten' Dream Theater Songs spielst; passt du sie deinem Stil an oder versuchst du so nah wie möglich am Original zu bleiben ?
Jordan:
Was ich tue ist, mich in den damaligen Dream Theater-Keyboarder hineinzuversetzen. Ich tue das, weil ich denke, daß für den Zuhörer einige Sounds, die sie damals benutzt hatten sehr wichtig sind. Die Sounds erwecken bei den Zuhörern Erinnerungen und deshalb versuche ich, etwas ähnliches zu verwenden. Wenn ich dagegen denke, daß sie bei einem Sound keine andere Wahl hatten, vielleicht weil damals die technischen Möglichkeiten noch nicht so gegeben sind, wie sie es heute sind, dann ändere ich es. Und sei es nur ein besserer String-Sound oder ein fetterer Sound. Das verlangt nach einem guten Urteil, um zu entscheiden, ob es besser wäre es so oder so zu tun. Nehmen wir zum Beispiel das erste Album. Es sind einige Sounds darauf, wo ich mir sage, sie hätten sie nicht benutzt, wenn sie eine andere Wahl gehabt hätten. Diese Sounds mochte keiner besonders. Und da denke ich mir: "Warum sollte man sie nicht verändern ?"
Christian:
Wie waren deine Gefühle, als die Band dich gefragt hat, ob du beitreten willst ?
Jordan:
Genaugenommen haben sie mich bereits vor 6 Jahren gefragt, ob ich beitreten will. Damals war ich sehr geehrt, daß sie mich das gefragt hatten, weil ich sie sehr mochte und sie viel Erfolg hatten. Ich machte also ein Konzert mit ihnen und entschied mich dann jedoch, nicht beizutreten, da das mein Privatleben zu stark geändert hätte. Außerdem hatte ich gerade ein Angebot von Dixie Dregs und dieser Job war für mich zur damaligen Zeit und meinen Lebensstil viel eher zu verwirklichen als die Arbeit bei Dream Theater. Nach einigen Jahren hat mich Mike angerufen und fragte, ob ich Lust hätte, beim Liquid Tension Experiment mitzumachen. Ich sagte zu und war sehr froh, diese Connection zu erhalten, sowohl musikalisch als auch persönlich. Beim Liquid Tension Experiment haben wir uns sehr gut verstanden und sie fragten mich schließlich "Wenn wir dich fragen würden, ob du für Dream Theater arbeiten willst, was würdest du sagen ?" Und ich sagte "Well.... OK" Es machte einfach mehr Sinn für mein Leben, den Job zu dem Zeitpunkt anzunehmen und deswegen sitze ich nun vor dir.
Christian:
Wann können wir ein neues Dream Theater Album erwarten, was können wir von ihm erwarten ? Arbeitet ihr schon daran während ihr auf Tour seid ?
Jordan:
Ich habe noch nichts geschrieben, da ich noch einen Power-Converter für mein Keyboard brauche, damit es hier im Hotel läuft. Ich bin allerdings sehr gespannt auf das nächste Album. Wir haben noch keine Ideen zu Papier gebracht, da wir zu beschäftigt waren. Ich denke, das nächste Album wird wirklich großartig, weil mein Beitritt zur Gruppe eine Art Herausforderung für mich war. Ich hatte zwar schon mit Mike und John beim Liquid Tension Experement gespielt, aber bei Dream Theater gibts es viel mehr stylistische, feststehende Ideen. Die will ich natürlich beibehalten, nicht das es heisst "Jordan: Rudess kommt zu Dream Theater und verändert das gesamte Bild". Das wäre weder im Sinne der Gruppe, noch in dem der Fans. Ich mußte also darauf Rücksicht nehmen, bei allem, was ich zu Papier brachte. Aber jetzt, wo ich schon etwas länger mit der Gruppe zusammen bin, werde ich auch mal neue Ideen anbringen. Ich verstehe ein wenig mehr, wie das hier läuft.
Christian:
Planst du, eigene Songs für Dream Theater zu schreiben ?
Jordan::
Well, jeder ist am Schreiben für Songs beteiligt. Es ist nicht so, daß irgendjemand die Songs für sich schreibt. Vielmehr kommen wir mit einer Idee an, bringen sie zur Gruppe und mal sehen, was dabei rauskommt.
Christian:
Warst du daran beteiligt, die Songtexte zu schreiben ?
Jordan:
Nein, ich habe keinen der Texte geschrieben. Viel vom musikalischen stammt von mir, aber keine Texte.
Christian:
Es sind einige Gitarrenbücher für Dream Theater erhältlich. Viele Fans würden es gerne sehen, wenn es so etwas auch für das Keyboard gäbe. Denkst du, es besteht die Chance, daß eins veröffentlicht werden könnte ?
Jordan:
Es ist lustig, daß du das erwähnst, denn es gibt zur Zeit einen Typen im Internet, der einen Antrag an Warner Music gestellt hat, dies zu tun. Der Grund, daß dies vorher nie getan wurde, ist meiner Meinung, daß die Verlage nicht erkennen, daß es viele Leute gibt, die an Keyboard- Musik interessiert sind. Daher wäre se eine bessere Idee, anstelle von mir die Firma zu fragen. Es könnte passieren, wenn genügend Leute kommen und sagen: "Wir möchten es.", daß die Firma dann begreift, daß es eine gute Entscheidung sei, so etwas zu veröffentlichen.
Christian:
Du hast ja erwähnt, daß du das Internet nutzt. Wie denkst du über die Möglichkeiten, die das Internet bietet, insbesondere für Bands. Denkst du, daß es vielen Bands gute Chancen gibt oder wird die Situation durch mp3s zum Beispiel schlechter ?
Jordan:
Was die Veröffentlichung von Musik angeht, so denke ich, die Zukunft liegt definitiv im Internet. Die Firmen werden einen Weg finden, wie sie das ganze in den Griff bekommen können. Die großen Musikunternehmen werden sich dadurch ihr Geschäft nicht vermasseln lassen. Im Moment ist das ja alles ziemlich verwirrend, da alle Firmen versuchen ihren Anteil am mp3-Geschäft zu sichern, aber ich denke, es wird eine gute Sache werden für all die Leute, die an Musik interessiert sind, um sie zu bekommen oder zu testen. Ich persönlich bin sehr am Internet interessiert. Es ist einfach ein anderes Kommunikations-Level. Du kommunizierst mit Leuten, mit denen du normalerweise nie sprechen würdest.
Christian:
Willst du abschließend den Lesern von von unserem Magazin, powermetal.de etwas sagen ?
Jordan:
Ja, ich möchte sagen, daß wir sehr aufgeregt sind, mit "Scenes from a memory" auf Tournee zu gehen, denn wir denken alle, daß es wohl das stärkste ist, was Dream Theater musikalisch gesehen herausgebracht hat und ich würde sagen: Checkt es einfach mal aus.
Christian:
Ok, danke für das Interview und viel Spaß heute abend
Jordan:
Danke und: See you at the show
- Redakteur:
- Christian Debes