Damals war's! Vor zwanzig Jahren erschien "Welcome To Sky Valley" von KYUSS.

28.06.2014 | 14:31

Wir von POWERMETAL.de haben uns vorgenommen, in der Rückschau ganz persönliche Eindrücke und Einflüsse geltend zu machen. Was aber eignet sich da besser als die Alben, die uns staunen, weinen, brüllen, die Köpfe schütteln ließen. Ob aus Euphorie oder vor Verzweifelung, das ist egal.

Hauptsache eindrücklich, eindringlich, erinnerlich. Alben und Titel, an die wir mindestens einmal in der Woche denken müssen, "Das Cover sieht aus wie..." oder "Mensch, wo kommt denn dieser Ohrwurm jetzt schon wieder her, der ist doch hornalt...".

Da bietet es sich an, die Sammelsurien zu durchkramen, die zerkratzten, zerplatzten Plastik-Cover der CDs vorsichtig in der Hand zu wiegen, die Credits anzulächeln, das Ganze abzustauben, die Schätze einzulegen und wiederzuhören, was exakt vor 20 - in Worten: ja, zwanzig! - Jahren den Zugang zu unseren Innereien fand. Wem von unserer Leserschaft es da ganz ähnlich geht - der lasse auch uns das wissen.

Diverse KYUSS-Trümmer sind ja auch wieder namentlich unterwegs ... zunächst als GARCIA PLAYS KYUSS. Und weil das wieder so gut geklappt hat mit den vollen Clubs und Bühnen, dann eben ein Jahr später als KYUSS LIVES! und nun als VISTA CHINO.

Was kommt da noch? Hier aber erst mal der Rückblick auf diese Erleuchtung von einem Album, auf "Welcome To Sky Valley" der vier Herren aus Palm Dessert, welches am 28. Juni 1994 offiziell erschien.

Als wäre es gestern gewesen, es vorhin erst passiert. Und nicht Mitte Juli 1994. Aber es ist ein Julisonntag 1994. Der Balkan tobt. Trotzdem ist die Unbeschwertheit meine tiefste Erinnerung. Die Fenster sind beiderseitig heruntergekurbelt, wir rattern den Cottbuser Bahnhofsboulevard hinauf, es soll zum Badesee gehen, hinten im alten Skoda stehen kühle Radler und irgendwelche behämmerten VHS-Kassetten mit peinlichen Actionschinken. Wir kommen aus der Videothek und die weite Welt liegt vor uns. Speziell der Sommerabend liegt lang gedehnt vor uns, bis es dunkel ist, wird noch der Arbeitsschweiß runtergebadet, das andere Geschlecht getroffen, am abgelegenen Badestrand abgehangen. Gerade hat "Stahlwerk" begonnen, die Spezialsendung des Radio Fritz, die sich glücklicherweise um Metal und Rock schert. Und gleich der zweite Beitrag wird vom Moderatoren des Vertrauens als Suchtmittel angekündigt. Es folgt 'Gardenia' ... und mir bleibt erst mal die Luft weg. "Keis?" - "Wie war das?" - "Kai Es"? - "Sascha, sag ma'... wie heiß'n die?!" Schulterzucken. Wie kann der nur an was anderes denken?

All meine Aufmerksamkeit strömt diesem Riff zu. Vom Ohr zum Bauch zum Kopf zum Geist. Der Song, diese Musik nimmt sich unweigerlich den gesamten Raum, der mich umgibt, schließt die Luft auf, die Blicke wandern wie in einer eigenen Logik zum weiten, weiten Himmel hinauf. Wie auch später noch so oft.

Was aber war gerade eigentlich los? Im Kontrast zum von Skandinaviern dominierten Skate-Punk und Derb Metal dieser Tage, die sehr viel Wert auf Struktur und Form, Stil und Style legen, tritt hier vor allem Weite, Atmosphäre, Innerlichkeit und die Lust zur Andeutung in den Vordergrund. Zum Beispiel das recht bekannte 'Demon Cleaner' gleicht auch im Video vor allem einem Trip und handelt thematisch von tief liegenden, aufgewühlten Furchtbarkeiten.

Für diese Form wird jetzt der Begriff Desert Rock erfunden. Eine neue Schublade geht auf und global beginnt eine riesige Anzahl an Bands, den Stil zu übernehmen oder typische Elemente einfließen zu lassen. In den Niederlanden, in Deutschland, auf der Insel - überall tauchen Unmengen an Bands auf. Wieder ist Schweden ganz vor dabei. Der Kontinent erkundet die Wüste: LOWRIDER, THE HEADS, GAS GIANT, CANDYBAR PLANET, 7 ZUMA 7, um nur einige wenige zu nennen, gründen sich. Andere, wie z.B. die Holländer CELESTIAL SEASON oder die schwedisch-englische Band SPIRITUAL BEGGARS (mit CARCASS-Gitarristen) schwenken gleich komplett vom Metal weg und geben sich ihrer neuen Lust auf psychedelischen Rock hin und veröffentlichen ebenfalls tolle Alben.

Kurzum, das Quartett KYUSS kann sich trotz einiger kurz aufeinander folgender Besetzungswechsel auch heute noch als eines der vorrangigen Genre-Mitbegründer bezeichnen. Diesen Typen ist es zu verdanken, dass auch Bands wie MONSTER MAGNET, FU MANCHU oder CLUTCH in den Fokus der Gitarrenöffentlichkeit nach vorn rücken. Und auch heute noch über die so genannte Stoner-Szene hinaus großes Ansehen genießen. Der formidable Nachfolger zu "Sky Valley" (bemerkt? - vertrauliche Verkürzung!) wird sich im Folgejahr "...And The Circus Leaves Town" nennen und an Variabilität noch zwei Sandschippen drauf legen. Der Vorgänger "Blues For The Red Sun" von 1992 war leider nur einer kleinen Reihe Auskenner vorbehalten geblieben, erlangt aber rückwirkend ebenso eine Riesenwirkung. Ich bin da typisch gewesen... ich habe den Lautstärkeknopf gehasst, weil der nicht doppelt so weit aufgedreht werden konnte. Also, die Zeit war wohl reif für einen Befreiungsschlag dieser Art, für diesen Sound, für die Watte um die Köpfe, für dieses eigenwillige berstende Schlagzeug! Wer es genau wissen will: Hört "Green Machine" und ihr wisst, was Stoner Rock ist.

1992

1994, den gesamten Sommer über: Die Leitmedien und Magazine schnappen über, drehen durch, der Hype nimmt zum Teil Züge des Boulevards an. Ernsthafte Druckmedien berichten, dass die vier Stonerrocker aus Palm Desert den großen METALLICA die Show als deren Support gestohlen haben. Das angereiste Publikum ist nach der Vorband voll bedient und wirkt teilweise desinteressiert. Dabei hatte es Lars Ulrich doch nur gut gemeint. Damals saß auch dieses Quartett noch auf einem Thron für mich. Und à propos Bewundernswerte: Europäische Journalisten reisen in das kalifornische Kaff und staunen wie kleine Kinder, als sie im Sand der Einöde die Wüstensöhne fabulieren und philosophieren hören. Heute bin ich überzeugt davon, das war alles nur ein Riesenspaß für die Kalifornier. Und wir verkniffene Euros sind mal wieder drauf reingefallen.

Kurze Zeit später geben sich die Medien noch mehr und richtig viel Mühe, in ausuferndsten Worten, in bildgewaltigster Sprache die Band über alle Maße zu loben, die Wüstensöhne zu portraitieren, fast alle Medienvertreter lassen sich zu sehr persönlichen Metapherausflügen oder Assoziationen hinreißen, kaum einer geht da etwa auf technische, handwerkliche Details ein, es wird gefühlt und vor allem geliebt. Dass die drei KYUSS-Alben bis zum Split 1996 für viele Gitarrenmusikfreunde zu den einschneidenden Erlebnissen und Momenten gehören, wird mir auch heute noch sehr oft gespiegelt. Auch heute noch wünsche ich mir regelmäßig, auf einer Riesenbox (wie in dieser einen Reklame für Kaugummis) zu liegen, inmitten Abertausenden von Glaskugeln und sich alle vorhandenen KYUSS-Songs in direkter Überflugslautstärke durch die Kapillaren jagen zu lassen.

Denn so etwas habe ich und hatte ich niemals mehr gehört. Um mich zurückzuversetzen: Ich habe zwar eine gewisse Lust und Leidenschaft für die Vielfalt von tief gestimmten, herzhaften Riffs entwickelt: der Death-Metal-Grindcore-Dealer in meinem Provinznest hat ganze Arbeit geleistet, der Sonderling hatte mich monatelang mit seinem Stoff Richtung derberen Metals geschoben. Der Blues und Folk-Psychedelic-Rock, gebannt auf der väterlichen Tonbandsammlung hatte sich ebenso bis zur Mitte durchgefressen. 'Whole Lotta Love' oder 'Dazed And Confused' - sag ich nur. Den Speed- und Thrash Metal mit Vertretern wie OVERKILL, KREATOR, METALLICA, MEGADETH hatte ich mir im Teenagermodus selbst erschlossen und ganze Schülerferien arbeitend die Kassettensammlungen vergrößert. Fünf Jahre nach der politischen Wende in Deutschland beginnt die CD-Sammlung gerade extrem zu wachsen.

Fast am See, an der Zahl und Art der Fahrräder ist zu erkennen: Schnittenalarm! Aber das hier fesselt mich. Ich glaube mich zu erinnern, dass Radio Fritz auch noch den 'Asteroid' hinterherschiebt. Mit diesem staubigen, spacig-tröpfelnden Zwischenspiel, das wiederum vom furiosen Ende - ganz nah am Metal - abgelöst wird. Hier beweist das Quartett mit den seltsamen Texten, welchen Sturm es mit seinem Sound entfachen kann. Das alles geht mir ab sofort nicht mehr aus dem Kopf, aus dem Geist. Das ist neu, das ist radikal, das ist anders. Später und auch viel später werde ich in einer Vielzahl von Gesprächen herausfinden, dass es sehr vielen ebenso erging wie mir. Außerdem kommt es in der Folge zu einem außergewöhnlichen Phänomen: Wiederholt erlebe ich live mit, wie sich Leute aus meinem Umfeld direkt bei der aufgeregten Vorstellung des Albums ebenfalls mitreißen und begeistern lassen. Und für alle steht fest: KYUSS geht nur laut. '100°' mit Handbremse? Kalter Kaffee.

Es ist also schnell alles da, um sich ab sofort außergewöhnlich, geheimnisvoll und exklusiv zu fühlen. Schnell wird das Album und KYUSS zum Zuflüsterer, zum Kult zum neuen "heißen Scheiß". Erste Gerüchte machen die Runde. Die Band wird Sommerfestivals spielen! Damals reift der Plan, dass Festivals zu meinen Sommern dazugehören werden, bis ich 78 bin.

Am folgenden Montag zähle ich die Stunden herunter, um unansprechbar und sofort nach Schulschluss in die Stadt zu fahren, um die Band im WOM-Regal zu suchen. Aber wie werden die geschrieben? "Geiss"? Bei "G". Nee, nur GREEN JELLY, GREAT WHITE, GWAR und GREEN DAY. Nichts, was in die Richtung geht. "CH"?, "C" CARNIVORE? Pete Steele ... das ist doch der von ... TYPE O' NEGATIVE ... beim nächsten Mal! Nichts zu finden.

1995

Also unter "K": KING DIAMOND... ooch nee, KINGS X, KATAKLYSM... heute zu anstrengend. Da, KYUSS. Könnte phonetisch passen. Kopfhörer, breites Grinsen. Gefunden! Und da ist er gleich wieder, dieser Zauber. 'Gardenia', 'Demon Cleaner', 'Conan Troutman', 'Whitewater'. Ich erinnere mich an die Gesichter der Leute, denen ich meine neuen Schätzchen so euphorisch anpreise. Staunen, Kopfschütteln, aufschreiben, Kassettenüberspielung. Denn "Blues For The Red Sun" hatte ich gleich auch noch mit dabei. "Wretch", das erste Album der Band, das nervt, hat keinen Druck. Das blieb, wo es war. Aber das hier, das Album, diese 51:56, die werden ab jetzt zum Leben gehören. Das wusste ich bereits damals. Und dann Dauerrotation. Immer und immer wieder. Im Bus, in der Pause zwischen Mathe und Bio, auf dem Weg zum Training. Hoch und runter, jede Wendung, jeder Ton wird verinnerlicht, wird eingeschlossen, nachgesummt, nachgesungen. Das ganze Geschwalle über Weite, Freiheit und so ... habe ich das schon abgearbeitet?

Das Heute. Abends, eingekeilt in ganz anderen Gedanken, die ich nie niemals denken wollte, läuft gerade 'Whitewater' aus. Ich weiß, so wie ich bin, bin ich durch diese Töne geworden. Schöne Welt. Meine Welt. Alles immer 'Rodeo'.

Redakteur:
Mathias Freiesleben
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