Demo-Klassiker (2): DRIFTER "Tales Of Dragonia" (1985) / "Beyond The Burning Circles" (1986)

17.03.2023 | 21:50

Eine Vorliebe für Fantasy gepaart mit großer Musikalität.

Die beiden Demos, die wir euch in dieser Folge unserer Reihe "Demo-Klassiker" nahebringen möchten, hatten schon einen Kultstatus inne, bevor das Debütalbum der Band erschien. Die Rede ist von "Tales Of Dragonia" und "Beyond The Burning Circles" der Schweizer DRIFTER. Sie unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich der Farbgebung. Aber lest selbst.

DIE TAPES

In den 80er Jahren war es üblich, Demos in einem Schwarz-Weiß-Druck zu veröffentlichen oder sogar ganz auf die J-Card zu verzichten. Tapes, bei denen das nicht so war, fielen schon mal positiv auf. Das erste Demo von DRIFTER mit dem schönen Fantasy-Titel "Tales Of Dragonia" (1985) konnte nicht nur mit einem Hochglanzdruck aufwarten, auch der Titel war in einem professionellen Schrifttype gesetzt. Das geniale Bandlogo war auch schon im Einsatz, auch wenn es für das Debütalbum "Reality Turns To Dust" (1988) noch verfeinert wurde. Die Besetzung war folgende: Tommy Lion (Gesang), Peter Wolff (Lead-Gitarre), Ivano Marcon (Gitarre), Sven Rosemann (Bass) und Guido Kirschke (Schlagzeug).

Die Kassette ist beidseitig bespielt. Auf der A-Seite finden wir neben dem bereits Fantasy-Atmosphäre vermittelnden Intro noch 'Dark Kingdom', 'Fire Of Dragonia' und 'Drifter', auf der B-Seite 'Inquisition' und 'Land Of Fantasy'. Das ungeheure Potenzial des Quintetts ist bereits hörbar und der charismatische Gesang von Tommy Lion schon ein Markenzeichen, aber einen charakteristischen Stil hat DRIFTER noch nicht gefunden. Von Thrash kann noch keine Rede sein und die später so gekonnt eingesetzten Tempowechsel sucht man zwar nicht vergebens, sie sind aber noch nicht so ausgefeilt wie auf den folgenden Veröffentlichugen. Der Einfluss von MANOWAR ist den Stücken anzuhören, auch wenn die Musiker damals durchaus unterschiedliche Vorlieben hatten. Kein einziger Song von "Tales Of Dragonia" schaffte es auf eine der beiden Langrillen. Aber ein bemerkenswerter Anfang war gemacht, der auch schon bei Vielen Interesse wecken konnte!

Legt man direkt nach "Tales Of Dragonia" den blauen Nachfolger "Beyond The Burning Circles" (1986) auf, traut man seinen Ohren kaum. Die künstlerische Weiterentwicklung ist geradezu ein Quantensprung, und übernatürlich Ursachen wie Inspiration durch fremde Götter kommen einem in den Sinn. Atemberaubende Kompositionen, ein ureigener Stil und dieses gewisse Etwas, das auch heute noch schiere Begeisterung auslöst, haben sich plötzlich eingefunden. Schon der Einstieg mit dem mächtigen 'The Elder' katapultiert einen in eine andere Welt. Ich muss ja gestehen, dass ich beide Demos erst nach dem Debütalbum erwerben konnte. Als ich dann 'The Elder' hören durfte, war ich schon überrascht, dass es nicht auf "Reality Turns To Dust" zu finden war. Dafür konnte der Track auf dem Zweitwerk "Nowhere To Hide" (1989) glänzen. Das folgende 'Banners Of The Battlefield' ist gleichzeitig einer der besten Songs des ersten Albums. 'Burning Circles' hat diese Epik in den Strophen und dazu diesen sehr eingängigen Refrain. Ein Song, den man nicht wieder aus dem Kopf bekommt, und auch ein Highlight auf dem ersten Langspieler. Das Demo endet mit 'Drunken Drifter', einer sehr kurzen und spaßigen Version des Gassenhauers 'What Shall We Do With The Drunken Sailor?'. Die Rückseite der Kassette ist mit denselben Stücken bespielt.

Die beiden Demos wurden als CD im Jahr 2006 bei Stormspell Records veröffentlicht mit einem Live-Bonus aus demselben Jahr und einem Video. Für einen Zehner bekommt man die CD noch, während die Original-Demos zwischen 50 und 100 Euro gehandelt werden.

DER HINTERGRUND

Wenn es möglich ist, versuchen wir, uns durch Interviews die Kulturgeschichte der Demo-Klassiker etwas plastischer von den damals Beteiligten erzählen zu lassen. Dankenswerterweise hat Tommy Lion, die Stimme von DRIFTER, sein aktuelles Projekt, an dem er in der Abgeschiedenheit Nordschwedens arbeitet, kurz unterbrochen, um Interessantes zu den beiden Demos zu berichten. Am liebsten würde ich mich gleich in die Zeit zurückbeamen.

Hallo Tommy, kannst du uns etwas zur Entstehung des ersten Demos sagen, z.B. wo es aufgenommen wurde?

Also, dann wollen wir doch mal loslegen. "Tales Of Dragonia" haben wir am 21./22. Juli 1985 in Renés Studio in Zürich aufgenommen. Aber als wir das fertige Demo erhielten, wurde uns bewusst, dass wir dieses so auf keinen Fall an Fanzines, Plattenfirmen und Fans weitergeben konnten. Die Aufnahmen waren dermaßen katastrophal abgemischt bzw. gemastert, dass man sie niemandem zumuten konnte. Also alles wieder auf Anfang! Wir buchten nochmals das gleiche Studio in Zürich, das war am 21./22. Oktober 1985, aber diesmal hatten wir von Anfang an die Hand auf der Produktion und dem Mastering. Wobei zu sagen ist, dass wir nie zufrieden waren, es musste halt alles perfekt sein.

Vielleicht ist es eine etwas naive Frage, aber war es von Anfang an euer Ziel, mit dem Tape einen Plattenvertrag zu bekommen oder wolltet ihr zunächst einfach eure Musik bekannt machen?

Ja, natürlich war unser Ziel, so schnell als möglich einen Platten-Deal zu ergattern. Ivi [Ivano Marcon - J.W.] war ja der, der die ganze Korrespondenz innehatte. Wir verschickten das Demo in die ganze Welt, und da waren natürlich auch einige Labels dabei, die aber zuerst noch mehr Material hören wollten. Nun, die Reaktion war riesig und die Konzerte wurden langsam mehr; wir konnten 500 Exemplare von "Tales Of Dragonia" absetzen. In Polen waren wir bei Radio Krakau die Nr. 1 in deren Hitparade. Wir waren aber lange noch nicht zufrieden, wir wollten mehr! Und eines abends nach viel Bier und Pizza kamen wir auf die Idee, unsere sicheren Jobs zu kündigen und nur noch halbtags zu arbeiten, so würden wir bereits mittags proben und uns ganz DRIFTER widmen können. Für mich war das nicht so ein Problem, die anderen aber hatten daran doch etwas mehr zu knabbern. Aber schlussendlich haben wir es ganz gut hingekriegt. Andere Bands hielten uns für total durchgeknallt und bezeichneten uns als Spinner und Träumer, weil wir schon nach dem ersten Demo nur noch Teilzeit arbeiteten. Aber wir waren der Ansicht, dass wir nur durch harte Arbeit und halt manchmal auch Verzicht an unser Ziel gelangen würden.

Was auffällt, ist die professionelle Aufmachung eurer Demos. Wer hat die Tapes damals gestaltet? Ich habe gelesen, dass das Logo von Tom Warrior und Martin Ain von CELTIC FROST etnworfen wurde.

Ja, Tom war für uns so etwas wie der Berater und Martin war halt neben dem Bass auch ein ausgezeichneter Zeichner. Tom und Martin haben nie etwas dem Zufall überlassen und waren uns in jeder Hinsicht mit ihrer Erfahrung eine große Hilfe, zudem wurden wir alle immer anspruchsvoller, es musste alles perfekt sein.

Es ist ja bekannt, dass einige in der Band damals sehr viel Fantasy-Literatur gelesen haben. Waren Robert E. Howard und Fritz Leiber dabei, oder welche Autoren und Filme haben euch damals fasziniert? Bei 'Highlander' auf dem Debüt ist das ja offensichtlich.

Ja, wir alle waren fasziniert von Fantasy-Büchern. Als ich damals "Highlander" im Kino sah, war ich hin und weg und kam so auf die Idee, diesen in einen meiner Texte einzubeziehen, und so entstand 'Highlander'. Was die beiden Schriftsteller betrifft, kann ich leider nicht so viel sagen. Natürlich kannten wir alle "Conan der Barbar". Allerdings hatten wir, was den Lesestoff anging, verschiedene Geschmäcker in Bezug auf Fantasy. Der Name "DRIFTER" ist übrigens aus einem Fantasy-Trickfilm entstanden.

Habt ihr für die Texte der Demos eine Art World Building betrieben, und sind die beiden Demos klar inhaltlich aufeinander bezogen?

Ja, wir lebten in einer eigenen Welt und hatten auch eine genaue Vorstellung davon, wie die Texte verfasst werden sollten. Zudem muss ich gestehen, dass Ivi und ich halt auch große Fans von MANOWAR waren, deren Musiker ja zu der Zeit ebenso von Fantasy fasziniert waren und mit Fell und Leder auf die Bühne kamen. Wir hätten uns zu der Zeit aber nie träumen lassen, dass wir mal mit den Jungs durch Europa touren würden. Die Texte entstanden sehr spontan. Ivi hatte zu Hause eine Idee, die er dann auf seinem Vierspur-Recorder aufnahm. Bei den Proben haben wir diese dann gemeinsam analysiert und ausgearbeitet. Ich verbrachte damals sehr viel Zeit bei Ivi und wir haben da an den von uns Fünfen gemeinsam verfassten Texten oft noch lange weiter herumgewerkelt. Wir waren stundenlang in unserem Proberaum und kamen manchmal erst sehr spät aus dem selbigen.

Die künstlerische Entwicklung vom ersten zum zweiten Demo ist unglaublich und die Aufnahmetechnik ist viel besser. Wie ist euch diese Weiterentwicklung gelungen; nur durch Proben?

Bei "Beyond The Burning Circles" wollten wir nichts mehr dem Zufall überlassen und alles richtig machen. Also haben wir das Material Tag für Tag geprobt und verbessert. Und als wir es für gut empfanden, haben wir uns für ein Wochenende beim Magnetix-Studio in Küsnacht am Zürichsee eingemietet. Wir haben dem Produzenten Roger Dupont klar gesagt, wie es klingen musste, auch beim Abmischen waren wir dabei. Und wir gaben erst Ruhe, als das Demo so war, wie wir es uns vorgestellt hatten.

Was hat sich bei den Aufnahmen verändert, hattet ihr ein höheres Budget?

Ja, das Budget war höher und das Studio natürlich viel professioneller. Aber durch das ständige Proben waren wir auch in der Lage, viel schneller und effizienter zu arbeiten. Jeder wusste genau, wie er seinen Job zu machen hatte. Und der Erfolg des Demos gab uns recht, konnten wir doch 700 Stück absetzen!

Schon auf dem zweiten Demo strotzt deine Stimme vor Selbstbewusstsein. War dir damals schon klar, dass dein Gesangsstil - auch durch den speziellen Einsatz der Kopfstimme - etwas ganz Besonderes ist?

Ich war, was meine Stimme anbelangt, schon immer sehr selbstbewusst. Als ich bei DRIFTER zum ersten Mal im Proberaum vorgesungen habe, hat es die Jungs fast aus den Socken gehauen. So etwas hatten sie noch nie gehört und auch nicht erwartet. Eine kleine Story am Rande: Als wir "Reality Turns To Dust" aufnahmen, ging das Potentiometer des Mischpults bei einem Gesangspart in den roten Bereich und blieb da, was zu einem Tag Pause führte! Manchmal mussten mich die Jungs zurücknehmen, ich hatte zu der Zeit einen Stimmumfang von vier Oktaven.

Wie kam es, dass ihr als eine Band, die zwar ihr zweites Demo veröffentlicht hatte, aber noch kein Album vorweisen konnte, für SLAYER eröffnen durftet?

Nun, zuerst konnten wir es gar nicht glauben, dass wir mit SLAYER auf derselben Bühne stehen sollten, waren wir doch große Fans der Band. Harry Sprenger von "Free And Virgin" hatte unser Demo natürlich auch erhalten und er versprach uns, dass, sobald eine Band keine Vorgruppe hatte, wir zum Zuge kommen würden. SLAYER hatte in Zürich keine Vorband und bekam natürlich eine Kostprobe zu hören und dadurch war für sie klar, diese Jungs werden mit uns die Bühne rocken. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was das für uns bedeutete! Wir mit SLAYER! Wir waren ja sowas von nervös! Wie würde uns SLAYER in Empfang nehmen? Würden wir gut behandelt werden, was den Sound betraf? Wie würden die Jungs als Menschen sein? Unsere Nervosität war aber völlig unbegründet, wir wurden empfangen, wie wenn wir schon lange Freunde wären. SLAYER war sehr fair und hat uns nicht irgendwie "vermischt", und wir konnten uns einem größeren Publikum vorstellen. An diesem Abend traten wir zum ersten Mal in unseren neuen Outfits auf, Leder und Nieten. Wir wurden von den 2000 Metal-Fans euphorisch empfangen und gefeiert! Die Jungs von SLAYER kamen nach dem Gig zu uns und gratulierten uns, und der Abend war ein voller Erfolg und endete mit viel Alkohol und Pizza. Wir gewannen dadurch natürlich noch mehr Aufmerksamkeit in den Medien, was uns wiederum noch mehr anspornte, noch besser und härter zu arbeiten. Ein anderes Highlight war, dass METALLICA 1985 in der Nähe von Zürich spielte und von uns erfahren hatte. Einen Tag zuvor erhielt Ivi vom Management von METALLICA die Nachricht, dass wir herzlich eingeladen seien, METALLICA kennen zu lernen und den Nachmittag und Abend mit ihnen zu verbringen. Zuerst meinte Ivi, das sei ein blöder Scherz von den Jungs. Aber als er dann die Backstage-Pässe im Briefkasten fand, konnte er es kaum glauben. Was waren wir aufgeregt! Wir waren bereits beim Soundcheck dabei und haben jeden ihrer Schritte genauestens beobachtet. Und ratet mal, wie der Abend mit METALLICA geendet hat? Genau, mit viel Bier und Pizza!

Übrigens, nach dem SLAYER-Konzert kamen mehrere Angebote für Konzerte im In- und Ausland, und was uns am meisten gefreut hat, auch Labels zeigten reges Interesse an uns. Jetzt konnten wir in aller Ruhe die verschiedenen Angebote durchschauen. Schlussendlich haben wir uns natürlich für den Major-Deal bei Teldec entschieden, was dann auch zu großer medialer Aufmerksamkeit führte und uns weitere Türen öffnete.

 

Foto-Credits: DRIFTER (Bandfotos), Tommy Lion (Tommy Lion)

Redakteur:
Jens Wilkens

Login

Neu registrieren