Diskografie-Check: IRON MAIDEN | Platz 16 - 9
11.06.2020 | 16:51Vor wenigen Tagen haben wir passend zum zwanzigsten Geburtstag das Comeback-Album "Brave New World" für euch noch einmal näher beleuchtet, was auf unseren Social-Media-Kanälen zu regen und unterhaltsamen Diskussionen über die qualitative Einordnung des Albums in der Diskografie der Eisernen Jungfrauen geführt hat. Für uns war das der Anlass dazu, auch innerhalb der Redaktion eine Rangliste aller IRON MAIDEN-Alben zu erstellen, die wir euch im folgenden vorstellen möchten. Neben den üblichen Verdächtigen auf den vorderen Positionen gab es aber gerade im Mittelfeld auch einige Überraschungen, die man so vielleicht nicht erwartet hätte. Doch genug der Vorworte, wir starten mit unserem Countdown auf Platz 16:
16. "Virtual XI"
Hier erwartet uns wenig überraschend ein Album aus der Blaze Bayley-Arä der Eisernen Jungfrauen, die sich bis heute bei den Fans keiner großen Beliebtheit erfreut. Dass es aber gerade "Virtual XI" ist, das zumindest musikalisch nach dem düsteren Vorgänger "The X Factor" wieder etwas mehr in gewohnte MAIDEN-Gefilde zurückkehrte, ist dann allerdings doch erstaunlich. Unverdient ist die rote Laterne für die Platte aus dem Jahr 1998 aber nicht, denn einzig das großartige 'The Clansman' hat sich als Klassiker im Backkatalog etabliert und sorgte auch auf der aktuellen "Legacy Of The Beast"-Tour für große Begeisterung im Publikum. Ehrlicherweise werden die meisten aber wohl die von Dickinson gesungene "Rock In Rio"-Version bevorzugen. Abseits davon ist musikalisch aber nicht viel zu holen - 'Futureal' ist ein netter Rocker, 'When Two Worlds Collide' hat seine Momente und 'Don't Look To The Eyes Of A Stranger' ist ein nettes Experiment, wirklich starke Songs sucht man ansonsten aber vergebens. Dazu kommt der fürchterliche Sound, den Steve Harris als Produzent im eigenen Heimstudio selbst verbrochen hat und der drucklos und dumpf aus den Boxen dröhnt. Wenigstens ist das Coverartwork von Melvyn Grant sehr ansehnlich, viel mehr bleibt aber nicht hängen.
15. "The Final Frontier"
Auf Platz 15 hat sich dann aber doch eine kleine Überraschung eingeschlichen, denn nur knapp vor "Virtual XI" kommt "The Final Frontier" aus dem Jahr 2010 über die Ziellinie und ist damit das am schlechtesten platzierte Album aus der Dickinson-Ära. Eigentlich hat die Platte damit sogar noch Glück gehabt, denn mit Marcel, Frank, Holger, Thomas, Nives, Tommy und Rüdiger sehen gleich sieben von 14 teilnehmenden Kollegen den Langspieler auf dem letzten Platz. Erneut geziert von einem grandiosen Artwork aus der Feder von Melvyn Grant hat die Scheibe jedoch musikalisch leider wirklich nicht viel Spannendes anzubieten. Der Opener 'Satellite 15 ... The Final Frontier' könnte ohne das unnötige und überlange Intro ein gefälliger Auftakt im Stile von 'The Wicker Man' sein und auch das melancholische 'Coming Home' macht zehn Jahre nach Veröffentlichung noch immer Spaß. Daneben gibt es aber viel zu viele Longtracks, die zwar alle durchaus gute Ideen aufweisen, gleichzeitig jedoch irgendwie nie so recht auf den Punkt kommen. Bestes Beispiel ist hier die erste Single 'El Dorado', die mit etwas geraffterem Songwriting zu einem starken Song hätte werden können. Wenigstens zum Abschluss gibt es mit dem wunderbaren 'When The Wild Wind Blows', mit dem Bandkopf Steve Harris einen Tribut an Raymond Briggs Graphic Novel "When The Wind Blows" schuf, eines der besten Epen zu hören, das IRON MAIDEN im neuen Jahrtausend komponiert hat. Um "The Final Frontier" zu retten, reicht das aber nicht und somit ist die Platte zweifelsfrei die schlechteste Veröffentlichung seit Dickinsons und Smiths Rückkehr im Jahr 1999.
14. "No Prayer For The Dying"
Das Rennen um die schlechteste von Dickinson gesungene Veröffenlichung war allerdings knapp und "No Prayer For The Dying" hat die Nase nur minimal vor "The Final Frontier". Dabei gab es einige Vertreter der Redaktion, die den Silberling sogar im Mittelfeld angesiedelt hätten, doch überwiegend kam die erste Platte nach dem Ausstieg von Adrian Smith nicht über die letzten drei Plätze hinaus. Einzig Rüdiger Stehle sieht das Album sogar auf Platz acht, was "No Prayer..." schlussendlich rettet. Dass die Scheibe nicht unbedingt eine Glanzstunde des musikalischen Schaffens war, das wissen auch die Herren selbst. So ignorieren Harris und Co. diesen Langspieler seit Jahren bei der Zusammenstellung ihrer Setlist und wenn man als Hörer ehrlich ist, hat sich kaum einer der Songs im Langzeitgedächtnis festgesetzt. Selbst die bis heute einzige Nummer-1-Single der Briten 'Bring Your Daughter ... To The Slaughter', die Harris auch noch kurzerhand aus Dickinsons Solo-Repertoire beschlagnahmte, feierte zwar große kommerzielle Erfolge, ist aber bei nüchterner Betrachtung auch eher ein 08/15-Rocker, den man heute höchstens noch bei angemessenem Alkoholpegel in düsteren Metalkneipen zu hören bekommt. Wenigstens bäumte sich der Fünfer mit 'Mother Russia' und dem eröffnenden Doppel bestehend aus 'Tailgunner' und 'Holy Smoke' gegen die vollkommene Belanglosigkeit auf. Das geplante "back to the roots"-Konzept, das Basser Steve Harris für die Scheibe nach dem Pomp und der Komplexität der beiden Vorgänger ausgegeben hatte, und das vom rohen Sound der Scheibe, die im mobilen Studio der ROLLING STONES von Martin Birch aufgenommen wurde, unterstrichen wird, muss daher ganz klar als gescheitert betrachtet werden. Wenigstens ist das Cover dank einer schönen Eddie-Inkarnation recht sehenswert, das war es aber auch.
13. "The X Factor"
Ja, ihr habt richtig gelesen, "The X Factor" landet in der Endabrechnung vor zwei (!) Platten mit Dickinson. Mit Rüdiger, Nives und Thomas sahen drei Redakteure den düsteren und sperrigen Einstand von Blaze Bayley bei den Eisernen Jungfrauen sogar in den Top 10, was angesichts der katastrophalen Reaktion der Fangemeinde auf die Veröffentlichung im Jahr 1995 durchaus erstaunlich ist. Bis heute bleibt "The X Factor" wahrscheinlich das MAIDEN-Album, das sich am weitesten vom typischen Sound der Briten abwendet. Der Hauptgrund dürfte die damalige Stimmung von Bandboss Steve Harris gewesen sein, der mit den weitestgehend düsteren Lyrics seine Scheidung und den damit verbundenen Tiefpunkt im Privatleben verarbeitete. Vor diesem Hintergrund ergeben sperrige Nummern wie 'Lord Of The Flies', 'Man On The Edge' oder 'The Unbeliever' dann mehr Sinn, auch wenn das nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass nahezu kein Track mit dem gewohnten Niveau der Achtziger-Releases mithalten kann. Einzig das eröffnende 'Sign Of The Cross' konnte sich auch nach 2000 noch einen Platz in der Setlist erkämpfen, was aber wahrscheinlich ähnlich wie bei 'The Clansman' an der starken Dickinson-Interpretation des Songs liegt, die auf dem überragenden Live-Dokument "Rock In Rio" verewigt wurde. Vielleicht hätte Harris damals bereits sein Nebenprojekt BRITISH LION an der Start bringen sollen, denn losgelöst aus dem MAIDEN-Kosmos wären die Reaktionen auf "The X Factor" vielleicht besser ausgefallen. Im Katalog der NWoBHM-Legende bleibt der Silberling aber ein ungewohnter Querschläger.
12. "A Matter Of Life And Death"
Auf Platz zwölf folgt für mich persönlich eine weitere Überraschung, denn "A Matter Of Life And Death" hätte ich einige Plätze weiter vorne gesehen. Eigentlich bringt die Scheibe aus dem Jahr 2006 mit ihrem textlichen Konzept, das sich mit den verschiedensten Geschichten rund um das Thema Krieg befasst, einem wunderbar passenden Artwork und seinen progressiven Kompositionen alles mit, um in die Fußstapfen des großartigen "Seventh Son Of A Seventh Son" zu treten. Selten haben die Eisernen Jungfrauen im neuen Jahrtausend mit ihren Longtracks so viele Volltreffer gelandet wie hier. Egal ob 'These Colours Don't Run', 'Brighter Than A Thousand Suns', 'The Reincarnation Of Benjamin Breeg' oder 'For The Greater Good Of God', die Songs strotzen nur so vor großartigen Ideen und kommen weitestgehend ohne Längen aus. Besser wird es sogar noch bei der wunderbaren Vertonung des D-Days 'The Longest Day', bei der vor allem Nicko McBrain am Schlagzeug einen unfassbaren Job abliefert. Dennoch landet der Silberling bei vielen Redakteuren nur im hinteren Mittelfeld, was vielleicht daran liegt, dass zwischen all den Epen ein paar prägnante und kurze Tracks fehlen, die den Hörer abholen. Selbst der Opener 'Different World' klingt uninspiriert und macht den Eindruck, als wäre Harris und Co. kurz vor Abgabe eingefallen, dass sie eine Single brauchen, woraufhin sie diesen halbherziger Rocker zusammengeschustert haben. Fazit: Einzeln genossen bietet das 14. Studioalbum einige echte Glanzpunkte, aber in der Gesamtheit ist der Silberling deutlich zu sperrig, um alle MAIDEN-Fans abzuholen.
11. "Dance Of Death"
Besser gelingt das dem Vorgänger "Dance Of Death", bei dem sich unsere Redakteure erneut durchaus uneinig sind. Manche sehen darin den schlechtesten Release nach der Reunion, während Jakob Schnapp die Scheibe sogar auf Platz 2 (!) seiner Liste einsortiert. In der Endabrechnung bringt das die zweite Platte nach Dickinsons Rückkehr ins Mittelfeld der MAIDEN-Diskografie, obwohl das Artwork das wohl unansehnlichste der gesamten Bandgesichte ist. Selbst der Künstler David Patchett wollte nach den Änderungen, mit denen nach Beauftragung durch Manager Rod Smallwood noch ein paar fürchterlich schlechte und maskierte Videospiel-Charaktere hinzugefügt wurden, im Booklet der CD nicht mehr genannt werden. Musikalisch hat die Scheibe glücklicherweise deutlich mehr zu bieten, denn auch wenn der Einstand mit dem langweiligen 'Wildest Dreams' misslingt, folgt dann mit 'Rainmaker' wahrscheinlich der eingängigste Rocksong, den die Eisernen Jungfrauen seit den Achtzigern geschrieben haben. Und auch die Longtracks sind mit wunderbar dramatischen Vertretern wie 'Dance Of Death' und 'No More Lies' (wäre da bloß der repetitive Chorus nicht) durchaus gelungen. Die ganz großen Highlights verstecken sich aber im hinteren Drittel, wo 'Paschendale' wieder einmal ein perfektes Kriegsepos abliefert und 'Journeyman' mit rein akustischer Instrumentierung überzeugt. Insgesamt hat "Dance Of Death" damit die Nase trotz des grausigen Artworks vor "A Matter Of Life And Death", weil hier das Verhältnis zwischen eingängigen Nummern und ausladenden Longtracks deutlich besser gelungen ist.
10. "The Book Of Souls"
Weiter geht es mit dem noch immer aktuellen Album "The Book Of Souls", das gleichzeitig auch das erste Doppelalbum der Bandgeschichte ist. Angesichts dieser Tatsache verwundert es sicher auch niemanden, dass das 16. Album gleichzeitig auch das mit der längsten durchschnittlichen Spielzeit der Bandgeschichte ist. Besonders ins Gewicht fällt hier natürlich das epochale 'Empire Of The Clouds', das mit seinem vom Piano getragenen Beginn so gar nicht in den Katalog der Briten passen will und gleichzeitig mit rund 18 Minuten der längste Song ist, den MAIDEN jemals veröffentlicht hat. An Dickinsons Vertonung der Luftschiffkatastrophe der britischen R101 scheiden sich daher die Geister, auch wenn ich persönlich den Song für einen der Höhepunkte der Scheibe halte. Doch auch abseits des Rausschmeißers in Überlänge hat das Buch der Seelen, das optisch und textlich Bezug auf die Kultur der Maya nimmt, einige starke Longtracks zu bieten. So ist die Eröffnung mit 'If Eternity Should Fail' bereits ein Volltreffer, während im weiteren Verlauf vor allem 'The Red And The Black' und der Titeltrack zu überzeugen wissen. Ebenso sind mit 'Speed Of Light' und 'Death Or Glory', das einmal mehr das Leben von Piloten im Krieg thematisiert, zwei kompakte Rocker mit von der Partie, die ein wohltuendes Gleichgewicht zum sperrigen Rest der Doppel-CD bilden. Insgesamt belegt "The Book Of Souls" damit zu Recht den zweiten Platz im Ranking der Post-Reunion-Alben.
9. "Fear Of The Dark"
Für die einen ein Klassiker, für die anderen eine Scheibe, die nur vom unsterblichen Titeltrack lebt. So könnte sich die Meinung unserer Redaktion zum letzten Release vor Dickinsons Ausstieg zusammenfassen lassen. Jonathan, Walter, Marcel, Peter, Nives und Rüdiger (die beiden letztgenannten mit Platz drei und vier in ihren Listen) hieven das vorerst letzte Album mit Bruce Dickinson aber noch deutlich nach vorne. Entsprechend dieser Uneinigkeit halten sich Licht und Schatten auf dem neunten Studioalbum der Briten ziemlich genau die Waage. Insbesondere 'Afraid To Shoot Strangers', 'From Here To Eternity' und das bissige 'Be Quick Or Be Dead' schlagen dabei positiv zu Buche. Ebenso ist der Titeltrack, der bei nüchterner musikalischer Betrachtung doch recht simpel daherkommt, zu einem unvermeidlichen Klassiker geworden, der auf keinem Konzert fehlen darf und immer wieder für Gänsehaut sorgt. Dem gegenüber stehen aber auch vollkommen belanglose Nummern wie 'Childhood's End' oder das fürchterlich dämliche 'Weekend Warrior". So kommt man nicht umhin, den zwölf Tracks anzuhören, dass hier langsam eine Ära zu Ende ging. Neben dem folgenden Abgang von Dickinson war es auch das letzte Mal, dass Martin Birch für MAIDEN hinter den Reglern Platz nahm, und erstmalig wurde ein Albumcover nicht von Derek Riggs, sondern von Melvyn Grant illustriert, der prompt bei seinem Einstand ein Motiv für die Ewigkeit ablieferte. Unter dem Strich ist "Fear Of The Dark" aber längst nicht so schlecht, wie es oft in Kritiken dargestellt wird. Nur ist es im Gegensatz zu den Klassikern der Bandgeschichte eben kein Album, auf dem jeder Track zündet.
Und damit sind wir auch schon am Ende des ersten Teils unseres Diskografie-Checks zu den Eisernen Jungfrauen. Im nächsten Teil schlüsseln wir dann die Plätze acht bis eins auf und ihr erfahrt, ob "Brave New World" es geschafft hat, sich zwischen die großen Veröffentlichungen der Achtziger zu schieben. Ebenso wird es dort die Aufschlüsselung der Listen der einzelnen Redakteure geben.
- Redakteur:
- Tobias Dahs